A:
Père Charbel als Person
<!--[if
!vml]--><!--[endif]-->I: Darstellung
Er war rein in seinem Herzen, ein angenehmer und
verständnisvoller Gesprächspartner, klar in seinen Worten,
ohne jegliche Unstimmigkeit, zudem offen. Er zeichnete sich
durch Gelehrsamkeit aus, war gelehriger als ein Lamm, leichter
als eine Seele, die den Körper belebt. „Ich, Attanouri, habe
ihn besucht und mich mit ihm unterhalten. Ich habe ihn als
Urgrund an Tugenden und voller guter Eigenschaften
kennengelernt.“
Er war schlank, sein Rücken gerade, er hatte lange und
schmale Finger, am Hals und am Mund trug er strenge, aber
ebenmäßig geformte Züge, mit langer schmaler Nase und langen
Haaren wie sie Eremiten tragen. Er war schmächtig und schmal
im Körperbau. Die Unterarme waren dünn wie ein Daumen. Das
Gesicht war rundlich, aber lang gezogen wie ein Küchenlöffel.
Es war innerlich losgelöst von allem und ein Erleuchteter, der
von göttlichem Ernst gezeichnet war. Er zog alle Herzen an
sich. Seine Stirn trug Falten - Zeichen des Frohsinns, der
Gelehrsamkeit und der Heiterkeit des Herzens. In seinem
Gesicht spiegelten sich Andacht und Gottesliebe zugleich, vor
allem während des Gebetes. Ein himmlisches Licht umstrahlte
sein Gesicht, denn der Herr war seine Kraft, sein Reichtum und
seine immerwährende Freude geworden. Sein Gesicht war eher
blass und hellbraun von der Sonnenhitze. Durch sein
asketisches Leben und durch seine Nachtwachen war er nur mehr
Haut und Knochen, aber er lief flink wie die Rebhühner, sogar
noch im hohen Alter. Er war leidenschaftlich in allem was er
tat. Sein Bart war kurz, selten in seiner Art, er war
halblang, von ursprünglich blonder Färbung, durchzogen von
weißen Fäden in der Mitte und an den Schläfen. Er pflegte ihn
selten. Das Barthaar fiel gewellt herab.
„Als ich, Saba Al Ouwainy, ihn kennen lernte, dürfte
er etwa 30 Jahre alt gewesen sein. Sein Haar zeigte noch kein
Grau. Es hatte zumeist eine schwarze Färbung, die bis zu
seinem Tod in etwa erhalten blieb.“ Vom Gesicht her zu
urteilen sah er immer jünger aus, kein weißes Haar war zu
sehen. Seine Körpergröße von der Schulter bis zu den Füßen
betrug 149 cm und vom Kopf bis zu den Füßen maß er
160cm.
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Blässe
„Bei meinem ersten Besuch in der Einsiedelei habe ich
die Einsiedler zusammengerufen. Père Charbel trat ein und
setzte sich mir gegenüber, hielt die Augen gesenkt, die Hände
lagen gekreuzt auf seinen Knien. Er hob seine Augen nicht, um
uns anzublicken, mich und den Bruder, der mich begleitete, er
sprach nicht und stellte uns keine einzige Frage. Auf unsere
Fragen antwortete er nur kurz und klug. Sechs Jahre später bei
unserem zweiten Besuch verhielt er sich wie beim ersten Mal –
in seinem Auftreten, in seiner Haltung, seiner Art und Weise
sich zu setzen und zu sprechen. Ich bemerkte keine
Veränderung, nur, dass er blass war. Wenn sein
Gesprächspartner nicht ein Blinzeln in seinen Augen bemerkt
hätte, hätte man meinen können, er sei tot“, so Père Louis
Blaïbel. Sein Leib schmolz wie eine Kerze in der Liebe Gottes,
so dass er schwach, zerbrechlich und blass wurde. Sein Gesicht
aber war durch die Arbeit in der Sonne recht
gebräunt.
2) Sein
Tagesablauf
„Wenn sehr früh am Morgen die Glocke zum Aufwachen
rief, kam ich mit den Mönchen zur heiligen Messe in die
Kirche. Dort sah ich Père Charbel aufrecht kniend neben der
Türe, hinter allen anderen. Er verharrte in dieser Haltung,
hielt sein Buch in der Hand, die andere Hand lag auf der
Brust, sein Gesicht war zum Boden gewandt. Danach ging er mit
einem Seil und einer Hacke ausgerüstet bis zum Sonnenuntergang
aufs Feld. Auf dem Weg zur Arbeit hielt er seinen Rosenkranz
und betete ihn, ohne nach links oder rechts zu schauen und
ohne mit jemandem zu sprechen. Manchmal wenn ich aufs Feld
ging, um einen Spaziergang zu machen und um mich nach der
langweiligen Arbeit in der Schuhmacherei wieder zu bewegen,
sah ich Père Charbel auf dem Feld arbeitend, manchmal hackend,
ohne einmal aufzusehen. Er legte seine ganze Kraft in diese
Arbeit hinein, so dass der Schweiß von seiner Stirn auf den
Habit tropfte. Dann wiederum schichtete er Mauern um die
Grundstücke herum auf. Er trug die Steine, schnitt auch das
Gras, um den Ernteschnitt vorzubereiten. Läutete es zu Mittag,
zog er sich an einen verschwiegenen Ort zurück, kniete sich
auf den Steinen nieder und breitete seine Arme zum Gebet aus.
Nach dieser Pause nahm er seine Arbeit wieder auf, immer in
absolutem Schweigen. Um ihn herum hörte man nur den Klang der
Hacke, wenn sie auf Steine stieß oder aber den Widerhall der
Steine, die er für den Bau der Umfriedungsmauer aufhob oder
wenn er sie auf einen Steinhaufen warf. Das Schweigen war sein
innigster Freund und sein Begleiter. Am Abend band er Gras und
Holz zu einem großen Bündel zusammen, das er dann, gebeugt
unter der Last, ins Kloster zurücktrug, den Rosenkranz zum
Gebet in der Hand. Während der ganzen Zeit meines
Klosteraufenthaltes sah ich ihn nicht bei Tisch; sonntags
hielt ich mich nicht im Kloster auf. Während der Woche kam ich
nicht ins Refektorium der Mönche. Wenn es regnete oder
schneite, wie auch an den Sonn - und Feiertagen im Sommer,
ging er nur aus der Kirche, um wieder in seine Zelle
zurückzukehren“, beobachtete Boutros Moussa.
3) Was ich mit meinen eigenen
Augen gesehen habe
Entsprechend der Regel für Einsiedler aß er nur ein
Mal am Tag. Am Abend rief ihn sein Mitbewohner in der
Einsiedlerzelle zum Essen. Er betrat den Raum, seine Arme vor
der Brust gekreuzt, den Kopf und den Blick zur Erde gesenkt.
Dabei reichte seine Kapuze bis zu seinen Augen. Er blieb
aufrecht stehen. Sein Kollege in der Einsiedlerzelle hieß ihn
dann, sich zu setzen und er setzte sich nach dem Gebet. Auf
dem Boden sitzend, einen Fuß über dem anderen gekreuzt, den
Saum seines Habits über die Füße gezogen, um sie verbergen,
immer noch mit gekreuzten Armen, wie oben erwähnt, wartete er
darauf, dass sein Mitbewohner ihm sagte: „Iss!“ Er stellte
dann seinen Tonteller vor sich hin, machte bedacht und
andächtig das Kreuzzeichen wie in der Kirche und begann
stillschweigend, in Ruhe und mit Anstand zu essen. Er
verlangte nie eine zweite Mahlzeit, sagte nie, dass das Essen
versalzen sei, das andere zu wenig Salz habe, dass dies
geschmackvoll sei, jenes fade. Er hielt sich an das Wort aus
dem Evangelium: „Esst, was man euch vorsetzt!“ Er schaute auch
nicht um sich, noch blickte er in den Teller seines
Mitbruders. Seine Mahlzeit bestand aus Gemüse und
Getreidekost, die mit Öl aufbereitet waren, manchmal auch mit
Butter. Nach dem Essen hielt ihn einer seiner beiden Begleiter
an, zu spülen. Dann erhob er sich energisch, in einem Schwung,
ohne sich aufzustützen, betete und kam dem Wunsch nach. Man
erzählte mir, er trinke auch das Spülwasser. Ich selbst habe
dies nicht gesehen, denn er kasteite sich nicht, um sich zur
Schau zu stellen; vielmehr wollte er, dass dies verborgen
blieb. Deshalb hatte jeder ein Augenmerk darauf, was man von
ihm als Geste erhaschen konnte. Und wenn etwas passierte, wenn
etwas vom Teller des Nachbarn fiel oder wenn einige Krümel auf
der Erde lagen, nutze er die Unaufmerksamkeit seines
Begleiters, um sie aufzuheben und sie mit allem Staub zu
essen. Falls sein Begleiter es vergaß, ihn zum Essen zu rufen,
beklagte er sich nicht, ganz wie ein Kochtopf, der nicht nach
Zutaten verlangt, wenn man sie vergessen haben sollte. So war
es auch mit Père Charbel. „Ich habe ihn nie vom Essen reden
hören, weder von Vorlieben für bestimmte Mahlzeiten, noch von
irgendwelche Abneigungen“, gab Père Élias Ehmej zu
Protokoll.
4) Empfang der
Besucher
„Ich, Père Boutros Abi Younesse, habe Père Charbel im
Sommer 1897 kennengelernt, als ich 24 Jahre alt war. Zu dieser
Zeit besuchte man jeden Sommer Freunde an Orten im
Hochgebirge. Dort gab es keine großen Hotels, keine Autos,
keine asphaltierten Straßen. So nutzte man Pferde und Esel als
Transportmittel. In diesem Jahr kam mein Freund Chikri Beik
Arqach aus Paris zurück, wo er sein Studium mit einem
Juradiplom abgeschlossen hatte. Ich beschloss, mit ihm einen
Ausflug nach Mayrouba zum Hochverehrten Bechara Al-Khazen zu
machen. Dann gingen wir in Richtung Al-Aakoura und Al-Laqlouq
und überquerten dazu das Gebirge. Als wir schon ganz in der
Nähe einer Einsiedelei waren, wollten wir den Einsiedler
sehen, der bereits für sein tugendhaftes und heiligmäßiges
Leben in der Gegend berühmt war. Wir gingen hinunter nach
Ouwaïny und von dort aus zur Eremitage Saints-Pierre-et-Paul.
Wir hielten dort inne, um uns unter einer Eiche auszuruhen. In
ihrem Schatten hielten sich seit einigen Tagen schon andere
Personen auf, um den Segen des Eremiten zu erhalten.
Während unser Führer das Essen zubereitete, kam ein
hoch gewachsener magerer Einsiedler vom Feld zurück, in der
Hand eine Sichel und ein Bündel mit Gras. Er grüßte uns mit
gesenktem Kopf. Wir baten ihn um die Erlaubnis uns zu setzen
und zu essen. Gastfreundlich und wohlwollend willigte er
ein. Dann wollte er uns selbst bedienen, bot uns Wein und
Wasser an, ohne zu sehr auf uns einzugehen. Wir luden ihn ein,
mit uns zu essen, er aber entschuldigte sich behutsam und
dezent und stammelte: „Danke, ich habe schon im Kloster
gegessen.“ Von seinem Gespräch mit Choukri Beik erinnere
ich mich noch an folgende Worte: „Gott war es, der uns
geschaffen hat; er kümmert sich um uns. Gott ist allmächtig.
Wir unsererseits leben gut, ohne es verdient zu haben. Gott
sei mit euch!“
Als wir ausführlich die Schönheit der weiten, uns zu
Füßen liegenden Landschaften vom Gebirge bis zum Meer hin
beschrieben, antwortete der Einsiedler: „Dies ist ein
Geschenk Gottes an die Libanesen. Diese Lage ist ein
himmlisches Geschenk, gerade hier seinen heiligen Namen
preisen zu können. Alles was wir besitzen, gehört ihm.“ Er
hat von uns weder eine Gabe, noch ein Geschenk angenommen. Der
Eremit Charbel hörte sich die Ausführungen von Monsieur Arqach
über das Wirken der Einsiedler und Frommen in Frankreich an
und sagte dann: „Frankreich ist die älteste Tochter der
Kirche.“ In diesem Augenblick läutete die Glocke des
Konvents Saint-Maron zum Angelus. Ich bat ihn, den Engel des
Herrn zu sprechen. Er tat dies und ließ eine Marienlitanei
und Gebete zur Verehrung Marias folgen. Gesammelt und
andächtig kniend sprachen wir ihm das Gebet nach. Er sang mit
leiser Stimme, wobei sein Haupt von seiner Kapuze umhüllt war.
Zur Erde gesenkt und mit geschlossenen Augen sah er für uns
wie ein Engel aus, der vom Geist Gottes in den Himmel
emporgehoben wird. Beim Abschied stand der Eremit mit
unvergleichlicher Bescheidenheit und Behutsamkeit vor uns,
seine Augen in eine Welt jenseits des Kosmos gerichtet, seine
Hände vor seiner Brust gekreuzt. Er stammelte die Worte:
„Gott begleite euch.“
Ich erinnere mich noch, dass Chikri unaufhörlich vom
Einsiedler sprach und sagte: „Diese gottesfürchtigen Eremiten
auf den Gipfeln der Berge bilden das Geheimnis des Libanon in
seiner Reinheit und Güte“, so nachzulesen in den
Schriftstücken von Père Boutros Abi Youness.
5) Charbels Schlichtheit im
Verhalten
„Eines Tages begleitete ich ihn, als er auf seinem
Rücken dornige Büsche für eine zu errichtende Weinberghecke
trug. Auf dem Boden erblickte er eine winzig kleine Hülle
Zigarettenpapier mit dem Bildnis eines Reiters darauf. Nach
einigen Schritten machte er kehrt und hob das Papier auf. In
der Eremitage angekommen legte er es neben andere Bilder und
kniete sich nieder, um zu beten. Ich sagte zu ihm: „Was machst
du da?“ Er antwortete: „Es ist der heilige Georg. Ich bete
zu ihm vor seinem Bildnis.“ Ich antwortete ihm lachend:
„Das ist nur die Hülle fürs Zigarettenpapier.“ Er gab sie mir
zurück, damit ich sie weg werfe“, beobachtete Moussa
Moussa.
B:
Charbel als Apostel (Mk 4,18; Mt 10)
I: Kontakte nach
Außen
1) Seine Begräbnisse
Als man ihm mitteilen ließ, dass jemand im Nachbardorf
gestorben sei, nahm er bereitwillig die Beerdigung vor, um
sich dem Gelübde des Gehorsams zu fügen. An Ort und Stelle
angekommen, ging er direkt zur Kirche, während der Obere
gewöhnlich in Begleitung der Mönche zunächst am Haus der
Verwandten des Verstorbenen vorbeiging, um den Sarg bis zur
Kirche hin zu begleiten. Nachdem das Totengebet beendet war,
kehrte er schnell, ohne zu essen, zur Eremitage zurück Und
wenn man ihm Geld anbot, nahm er es in seine Faust, ohne es
anzuschauen und legte es dann dem Oberen vor.
2) Die heiligen
Messen
Wenn der Obere anordnete, für die Klosterbauern die
heilige Messe an den Sonn- und Feiertagen zu zelebrieren,
gehorchte er und kehrte dann zum Kloster zurück, ohne mit
jemandem darüber zu sprechen.
3) Dienste (Apk 26,17-18)
Père Charbel war weder Gemeindepfarrer noch Missionar.
Jedes Mal aber, wenn sich die Gelegenheit dazu bot, den Seelen
einen Dienst zu erweisen, antwortete er darauf mit freudiger
Zustimmung. Manchmal hörte er die Beichte von Menschen, zu der
seine Mitbrüder, Mönche und Priester empfohlen hatten, wie
einige erzählt haben. Seine Ratschläge galten als nützlich und
äußerst segensreich. Wenn man ihn zu Kranken und Trauernden
rief, tat er sein Bestes, um die Verwandten zu trösten und sie
dazu einzuladen, sich ganz dem Willen Gottes zu überlassen.
Zugleich betete er selbst für sie und für ihre Krankheiten. Er
betete auch für die Wohltäter und Sünder und trug alle ihre
Anliegen beim Messopfer mit. Er predigte nicht, aber er stand
mit seinem Rat bereitwillig dem zur Seite, der ihn darum
bat.
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Frohe
Gelassenheit
Pfarrer Mikhaël Ramia berichtet: „Eines Tages rief
mich der Eremit Père Makarios zu sich. Ich war damals noch
Laie und wohnte in Al-Ouwaini nahe der Einsiedelei. Als ich
dort ankam, erblickte ich einen Mann aus Bqaakafra, den Bruder
von Père Charbel, in Begleitung seiner Frau, die zu Besuch
gekommen waren, um ihr Kind taufen zu lassen. Père Charbel
unterhielt sich nur drei Minuten lang mit seinem Bruder und
weigerte sich konsequent, mit seiner Schwägerin zu sprechen.
Dennoch zog sie froh weiter, obwohl sich doch der Einsiedler
geweigert hatte, sie zu sehen. Denn alle Verwandten der
Familie von Père Charbel führten nach dem Vorbild Père
Charbels ein heiligmäßiges Leben. Das Kind, dessen Pate ich
war, wurde von Père Makarios in Abwesenheit von Père Charbel
getauft. Lange Zeit später ist seine Schwägerin noch einmal zu
Besuch zur Eremitage gekommen. Sie sah mich, als ich bereits
die Priesterweihe empfangen hatte auf dem Weg durch Al-Ouwaïni
und sagte mir: „Euer verstorbenes Patenkind sagte mir vor
seinem Tod: „Führe mich zu meinem Onkel, dem Père Charbel. Ich
möchte ihn sehen.“ Ich wurde traurig und ich habe geweint.
Darauf entgegnete sie mir: „Er ist ein Seliger, er ist im
Himmel“. Sie sagte dies, ohne eine Träne zu
vergießen.“
2) Seine Weigerung zu
taufen
Einmal brachte meine Mutter meinen Bruder Boutrous zu
seinem Onkel, dem Eremiten Charbel, um ihn taufen zu lassen.
Er wollte sie nicht empfangen und richtete nur ein paar Worte
hinter einer verschlossenen Türe an sie, ohne dass sie ihn
sehen konnte. Er weigerte sich auch, das Kind zu taufen. Es
hat dann die Taufe aus den Händen des anderen Eremiten und
Begleiters von Père Charbel erhalten. Im Übrigen hat er meiner
Mutter und ihrer Cousine nicht erlaubt, die Kirche zu
betreten, um an der heiligen Messe teilzunehmen. Sie verfolgte
die heilige Messe dann durch eine Luke in der verschlossenen
Kirchentüre“, so Iid Nakad.
3) Tauft sie! (Mt 28,19)
Im Taufregister von Annaya findet sich die
Aufzeichnung: „Ich der Unterzeichnende, Père Charbel aus
Bqaakafra, habe Mikhaël, Sohn des Rouphaël Rizqallah
Al-Chababi am 8. Dezember 1873 getauft.“ Und: „Boutros, Sohn
von Challita aus Bqaakafra, dessen Pate Mikaël Al -Khoury aus
Chakhnaya ist, hat die heilige Taufe aus meinen Händen am 7.
September 1887 erhalten. Ausgestellt von Père Charbel,
Eremit.“
4) Heilt die Kranken!
(Mt
10,8)
Einmal gab Patriarch Boulos Massaad die Anweisung, man
solle Père Charbel zu Ftouh Kesserwan nach Ghadress schicken,
um zu beten und die kranken Kinder des erlauchten Salloum
Al-Dahdah zu segnen. Letzterer hatte fünf Knaben, von denen
drei an Tuberkulose gestorben waren. Die beiden überlebenden
waren ebenfalls daran erkrankt. Ihr Vater bat den Oberen
inständig, ihm Père Charbel zu schicken, damit er eine gewisse
Zeit bei ihm verbringe um für seine Kinder zu beten und sie zu
heilen. Charbel ging in Begleitung von Père Youssef Al-Kfouri,
des Bruders Boutros aus Mechmech und von Abdallah Youssef Aoun
dorthin. Sie blieben etwa einen Monat lang bei dem oben
genannten Würdenträger. Bereits bei seiner Ankunft bestand
Père Charbel darauf, dass die Frauen das Haus verlassen
sollten, damit er dort bleiben könne. Er verließ das Haus des
genannten Würdenträgers erst nach der Heilung der beiden
Kranken etwa nach einem Monat. Nach seiner Rückkehr in die
Einsiedelei bin ich, Pfarrer Mikhaël Ramia, bei ihm vorstellig
geworden, um ihn zu fragen: „Wie geht es Ihnen? Was haben Sie
auf dem Weg erlebt?“ Er antwortete mir: „Ich bin von hier
nach dorthin gegangen und ich bin von dort wieder hierher
zurückgekehrt.“
5) Sich zu Gott bekehren
(Apg
20,21)
Anlässlich der Heiligen Woche schickte Père Elias aus
Mechmech, Oberer des Klosters Saint-Maron von Annaya, Père
Charbel nach Mazraat Kfarbaal, wo die Bauern des Klosters
lebten, um ihnen zu helfen, ihren geistlichen Pflichten
während der Fastenzeit nachzukommen, nachdem ihr Pfarrer keine
hinreichenden theologischen Kenntnisse hatte. Er nahm die
Weisung sehr gerne an und verbrachte aus Gehorsam eine ganze
Woche bei ihnen im Dienst.
6) Ich erfülle den Dienst, zu
dem ich vom Herrn beauftragt bin. (Apg 20,24)
„Ich, Bruder Élias Mahrini, weiß, dass er ein
engelgleiches Leben führte und seinen priesterlichen Pflichten
nachkam, die er peinlich genau erfüllte. Er sprach mit keinem
der Mönche, es sei denn, sie sprachen ihn an. Dann erst gab er
Antwort. Ich erinnere mich nicht, dass er je ein Gespräch
begonnen hätte. Er verbrachte seine Zeit zwischen Kirche und
Feldarbeit. Obwohl er Priester war, tat er nichts aus eigener
Initiative, vielmehr wartete er den Auftrag des
Verantwortlichen für die Feldarbeit ab. Wenn dieser nicht da
war, erbat er sich die Erlaubnis bei einem Bruder oder einem
Gehilfen. Er bat auch nicht darum, vom Kloster weggehen zu
können, um seinem seelsorgerlichen Dienst oder einer anderen
Arbeit nachzukommen. Einmal zelebrierte er eine heilige Messe
in Kfar Baal, für die ihm jemand Geld in die Hand drückte. Im
Kloster angekommen gab er es dem Oberen und sagte dabei:
„Nehmen Sie das Geld, das mir jemand gegeben
hat.“
7) Er bat uns darum, Amulette
abzuschreiben
„Père Charbel bat mich und meinen Bruder Mikhaël, der
später Mönch wurde, darum, sonntags zu ihm zu kommen, um für
ihn Schriftamulette der Heiligen Antonius und Cyprian zu
kopieren. Er wollte sie an Menschen weiterschenken, die ihn
darum baten, um sie nach Hause mit zu nehmen und als
Segensspruch über ihre Seidenraupen zu legen. So tat ich es
vier Jahre lang ab dem Alter von etwa 18 Jahren“, berichtet
Youssef Khalifé.
8) Sie liefen auf ihn zu.
(Mk
3,8-10)
Wenn er in ein Dorf zur Beerdigung kam, ging er zuerst
in die Kirche, wo er so lange blieb, bis alle die Kirche
verlassen hatten. Dann kehrte er in den Konvent zurück. Soll
man erzählen, wie sehr sich die Menschen um ihn drängten und
wie sehr sie ihn schätzten? Sobald sie seine Ankunft auch nur
erahnten, stürzten sie sich auf ihn, damit er ihnen das Wasser
segne.
9) Meine Speise kennt ihr nicht.
(Joh
4,32)
Einmal begleitete er die Mönche zu einer Beerdigung im
Dorf Mechmech. Nach dem Begräbnis luden die Verwandten des
Toten die Patres zum Mittagessen ein. Père Charbel, dessen
Vorbehalt sie kannten, nahmen sie aus, weil sie wussten, dass
er sofort danach seinen Rückweg in Richtung Kloster antreten
würde.
10) Das Mahl der
Liebe
Einmal bekam Père Charbel vom Oberen den Auftrag, den
Bewohnern von Kfar-Baal die heilige Messe zu lesen. Mein
Großvater bat ihn, die heilige Messe für das Wohl der Toten zu
lesen. Diese Bitte wurde von Père Charbel angenommen. Nach der
Messe steckte mein Großvater eine Summe Geldes in ein
Taschentuch und hielt es ihm hin. Sobald Père Charbel merkte,
dass es Geld enthielt, nahm er es nicht an und sagte ihm:
„Gib du es direkt dem Oberen!“
11) Jüngling, ich sage dir, steh
auf! (Lk
7,14)
Père Élias Ehmej erzählt mit anderen Zeugen: „Mein
Vater lag an Typhus darnieder und wurde von Personen
behandelt, die für ihre medizinischen Kenntnisse berühmt
waren. Seine Krankheit verschlimmerte sich so sehr, dass sie
jegliche Hoffnung auf Heilung aufgegeben hatten und jegliche
weitere Behandlung abbrachen. Er verlor sein Bewusstsein, und
der Todeskampf trat ein. Seine Geschwister und Verwandten
wandten sich an den Oberen, Père Élias aus Mechmech, damit
Père Charbel komme und am Krankenbett bete. Der Obere kam dem
Wunsch nach, und Père Charbel eilte noch in der Nacht herbei.
Die Männer und Frauen waren bereits im Hause versammelt.
Sobald die Frauen davon erfuhren, dass er komme, verließen sie
das Haus bis auf meine Mutter, die sich mit einem Tuch
bedeckte. Er trat ein, rief drei Mal meinen Vater bei seinem
Namen: „Richa!“. Mein Vater öffnete die Augen, und Père
Charbel fügte noch an: „Hab keine Angst!“ Er mochte
meinen Vater, der ihm zuweilen bei der heiligen Messe
ministrierte. Er betete und segnete das Wasser, mit dem er
meinen Vater besprengte und er gab ihm zu trinken. Beim
Hinausgehen sagte er noch: „Es ist nichts mehr zu
befürchten.“. In der Tat erwachte mein Vater wieder zu
vollem Bewusstsein, aß und trank. Kurz darauf hatte er sich
völlig erholt und konnte sein Krankenbett
verlassen.
12) Gebt ihm zu essen!
(Mk
5,43)
„Einmal war mein Onkel, der Arzt Najib Beik Al-Khoury,
an Typhus erkrankt und lag im Koma. Mein Großvater, der
ebenfalls Arzt war, glaubte, dass sich mein Onkel in einer
kritischen Lage befinde und dass keine Chance mehr auf Heilung
bestünde. Meine Großmutter schickte daraufhin jemanden zu Père
Charbel und bat ihn, ihn zu segnen, in der Hoffnung, er werde
ihn heilen. Père Charbel sagte dem Boten, er werde in der
Nacht kommen. Der Bote erklärte ihm, der Krankheitszustand
sei bereits sehr kritisch und man solle unverzüglich kommen.
Er sagte darauf: „Wir werden sofort gehen, aber ich möchte
nicht, dass man mich sieht.“ Aus Demut wollte er die
Aufmerksamkeit der Leute nicht auf seine Person lenken. Als er
ankam, war das Fieber bereits sehr hoch und er hatte das
Bewusstsein verloren. Père Charbel betete dann, nahm ein
Taschentuch, tauchte es ins Wasser und strich ihm damit über
die Stirn. Plötzlich öffnete er die Augen, nachdem er Tage
lang sein Bewusstsein verloren hatte und sprach zwei Worte:
„Père Charbel!“ Seine Mutter sagte ihm: „Küss ihm die Hand!“
Père Charbel wandte sich an die Anwesenden und sagte ihnen:
„Lobt Gott, der Kranke ist geheilt.“ „Gebt ihm zu
essen!“. Sie zögerten damit, weil das kranke Kind unter
Typhus gelitten hatte, und das Essen vielleicht den Tod des
Kranken herbeiführen würde. Aber Père Charbel bestand darauf,
ihm zu essen zu geben. Dann ging er wieder weg. So gab man
dem Kranken zu essen. Er aß davon und erholte sich in kurzer
Zeit. Sein Vater, mein Großvater, kam nach Hause zurück, und
man erzählte ihm, was Père Charbel vollbracht hatte. Er
wiederholte: „Er hat keine Lebenschance: Nachdem er jetzt
gegessen hat, besteht überhaupt keine Chance mehr für ihn.“
Aber das Kind wurde geheilt, wuchs heran und wurde selbst
Arzt. Er wurde 85 Jahre alt und hat Père Charbel selbst
mehrere Male zu seinen Lebzeiten gepflegt, berichteten Hanna
Khater und Fouad Khoury.
13) Talita, steh auf!
(Mk
5,41)
Ein anderes Mal rief man Père Charbel, um den schwer
erkrankten Gerges Jibraël aus meinem Dorf Ehmej zu segnen. Auf
Anordnung des Oberen ging er zu ihm hin und verbrachte eine
ganze Nacht betend bei ihm. Auf das Gebet Père Charbels hin
hat ihn Gott geheilt.
14) Wachet und betet!
(Mk
6,5)
„Ich, Pfarrer Jibraël Jibraël, erinnere mich, dass
einmal Heuschrecken die Gegend, unter anderem Ehmej,
überfallen haben. Die Feldhüter kamen im Kloster zusammen und
baten den Oberen, ihnen Père Charbel zu schicken, er soll doch
über die Heuschrecken beten, damit sie sich entfernten. Er
segnete das Wasser und besprengte damit die Heuschrecken, die
sich darauf hin entfernten. Damals gab es auch Typhuskranke in
einem Haus im Dorf. Man bat Père Charbel, zu kommen, um sie zu
segnen. Er antwortete, er könne auf Anordnung des Oberen
ohne Erlaubnis des Feldhüters nicht dorthin gehen. Der
Feldhüter entgegnete: „Wie kann ich dir Befehle geben, der du
doch ein Mönch bist?!“ Père Charbel sagte „Der Obere hat
mich dir anvertraut und ich folge dir. Ich gehe dorthin, wohin
du mich führst.“ So gab ihm der Wächter die Anweisung, mit
ihm zu gehen, um über sie zu beten.“
15) Lazarus ist tot!
(Joh
11,14)
„Einmal“, so Iskandar Al Khoury, „wurde mein Großvater
väterlicherseits, Boutros Saba Al-Khoury, der nach
volkskundlicher Medizin allerdings ohne Approbation heilte,
nach Amchit zu einem Kranken gerufen. Es war der einzige Sohn
eines Würdenträgers von Amchit namens Jibraël Sleiman Abbas.
Mein Großvater verbrachte vier oder fünf Tage beim Kranken und
versuchte unter Anwendung aller Mittel ihn zu heilen. Als er
völlig verzweifelt die Heilung aufgeben musste, schickte er
einen Boten zu seinem Sohn – zu meinem Vater also – um ihm zu
sagen: „Geh in die Eremitage Saint-Pierre-et-Paul und bitte
den Einsiedler Père Charbel darum, er solle dich nach Amchit
begleiten, um über dem Kranken zu beten.“ Mein Vater brach
unverzüglich auf und kam am Nachmittag dort an. Er erklärte
Père Charbel seinen Auftrag. Anfangs zögerte dieser, doch dann
willigte er unter der Bedingung ein, dass ihm der Obere Père
Élias aus Mechmech die Erlaubnis dazu gebe. Nach der
Einwilligung des Oberen nahm Père Charbel seine Lampe auf den
Weg mit: Denn er verließ seine Eremitage nur nach Einbruch der
Nacht, um niemanden zu sehen und von niemandem gesehen zu
werden. So hielt er es sein ganzes Einsiedlerleben lang. Er
zog es vor, zu Fuß zu gehen und sagte zu seinen Begleitern
Père Maron aus Mechmech, Père Élias aus Mahrin und zum
Eselstreiber: „Wenn ich auf dem Rücken der Eselin reite,
habe ich Angst, herunter zu fallen; ich bin das nicht
gewohnt.“
Nach einer langen Wegstrecke sagte er: „Kommen wir
im Gehorsam der gegebenen Weisung nach!“ An einem Ort
oberhalb von Mahrin angekommen, hielt Père Charbel überrascht
inne: Mein Vater fragte ihn: „Was ist los? Beeilen wir uns!“
Er antwortete meinem Vater, der etwa 20 Meter vor ihm auf dem
Pferd ritt: „Hör zu! Hör zu! Sie sagen, er sei tot!“.
Da hielt mein Vater das Pferd an und sagte ihm: „Mit wem
sprechen Sie, Père Charbel?“ Der Pater antwortete: „Sie
sagen, er sei tot!“ Mein Vater entgegnete ihm: „Warum
sagen Sie das? Mit wem sprechen Sie?“ In diesem Augenblick
wandte er sich an meinen Vater und sagte ihm: „Bete den
Angelus! Beten wir für den Mann, denn er ist bereits
verstorben!“ Dann kniete er sich nieder und begann zu
beten. Da machte mein Vater bestürzt das Kreuzzeichen, stieg
vom Pferd und näherte sich ganz andächtig und erschüttert wie
nie zuvor Père Charbel und bat ihn vielmals, seinen Weg doch
fortzusetzen, nachdem er sich die Stunde gemerkt hatte, in der
die oben genannten Worte gefallen waren. Père Maron sagte zu
Père Charbel: „Setzen wir unseren Weg aus Gehorsam zum Oberen
fort.“ Nach einem kurzen Zögern nahm Père Charbel den
Vorschlag an, nachdem mein Vater ihm auch die Schwierigkeiten
deutlich gemacht hatte, denen er auf dem Rückweg zu dieser
späten Nachtstunde begegnen könnte. Er setzte also seinen Weg
langsam und unter Zögern fort – wie es in einem volkstümlichen
libanesischen Sprichwort heißt: Einen Schritt vor und zwei
zurück. Er wiederholte: „Es ist sinnlos, dorthin zu gehen.
Es ist auch nicht mehr nötig, den Weg fortzusetzen, denn der
Auftrag des Oberen, den wir erfüllen sollten, ist erfüllt: Der
Kranke ist verstorben.“ Aber einerseits ließen ihn die
Tatsache, dass mein Großvater auf die Anwesenheit von Père
Charbel großen Wert legte und dass mein Vater an den Tod des
Kranken nicht glauben wollte, darauf bestehen, dass der
Einsiedler seinen Weg fortsetzen solle. Und schon hörten sie
Schreie und Wehklagen aus 500 Metern Entfernung vom Haus des
Kranken herkommend. Der Kranke war tatsächlich verstorben.
In diesem Augenblick begann mein Vater, Père Charbel
nach seiner Fähigkeit fragen, wie er denn den Tod im Voraus
immerhin eineinhalb Stunden vor der Ankunft in Amchit,
vorhersagen konnte, da doch kein einziger Laut von dort
herübergedrungen, und auch das Dorf noch nicht zu sehen war.
Aber Père Charbel antwortete nicht, sondern setzte seinen Weg
mit Gebet fort. Am Haus angekommen, erkundigte sich mein Vater
nach der Sterbestunde. Sie fiel genau mit dem Zeitpunkt
zusammen, in dem Père Charbel angehalten und unterwegs gesagt
hatte: „Sie sagen, er sei tot!“ Dann erzählte mein
Vater, was sich unterwegs ereignet hatte. Dies versetzte die
Dabeistehenden in Erstaunen und ließ sie sagen, dass sie es
bedauerten, den Einsiedler nicht früher gerufen zu
haben.
Die Neuigkeit dieses Ereignisses verbreitete sich in
Amchit und in den umliegenden Ortschaften. Mein Vater erzählte
mir und den anderen Anwesenden, unter ihnen Priester und
Würdenträger, diese Geschichte an die zwanzig Mal. In der
Folge kamen dann die Einwohner von Houjoula, von Bachtilda und
von Aalmat, alles muslimische Schiiten, zu Père Charbel, um
seinen Segen zu erhalten. Sie brachten auch ihre Kranken
herbei und baten ihn um Heilung. Was Père Charbel angeht, so
habe ich nie und von niemandem gehört, dass er je über dieses
Ereignis oder über andere ganz ähnliche, die auf seine
Fürsprache hin geschehen waren und von denen die Leute
erzählten, gesprochen hätte.
16) Der Kranke ist
verstorben!
Youssef, der Sohn des Élias Antoun aus Mechmech war
schwer erkrankt. Die Verwandten des Kranken baten den Oberen,
ihnen Père Charbel zu schicken, damit er für dessen Genesung
bete. Aus Gehorsam ging er dorthin. Mitten auf dem Weg aber
hielt er inne und schwieg überrascht etwa fünf Minuten lang.
Dann sagte er dem Boten: „Ich gehe zur Eremitage zurück.
Wozu nach Mechmech gehen, wenn der Kranke gerade stirbt?“
So war der Kranke in derselben Stunde verstorben, in der
sich Père Charbel auf dem Rückweg befunden hatte.
17) Die muslimischen Schiiten
eilten herbei. (Joh 4,39-42)
„Ich, Chebli Chebli, erinnere mich, dass einmal
Heuschrecken die Äcker des Dorfes Tourzayya, das zweigeteilt
war, überfallen hatten. In der einen Hälfte wohnten die
Christen, in der anderen die muslimischen Schiiten. Die
Christen und die Bediensteten des Klosters kamen zu Père
Charbel und sagten ihm: „Bitte, helfen Sie uns!“ Sie schickten
sie zum Oberen, der den Auftrag erteilte, er solle die
Bewohner begleiten. Dann segnete er das Wasser und besprengte
in Begleitung eines anderen Mönchs die Äcker. Daraufhin flogen
die Heuschrecken auf die Äcker der Schiiten, die jetzt
ihrerseits zu Père Charbel herbeiliefen mit der Bitte, er soll
die Heuschrecken von ihren Äckern verjagen. So fuhr er fort,
auch diese Felder mit Weihwasser zu besprengen. Daraufhin
verließen die Heuschrecken die ganze Gegend, die mit
Weihwasser besprengt worden war.“
18) Nur Père Charbel kann dieses
Unglück noch wenden! (Mk 4,35-41)
„Einer meiner Verwandten in Ehmej, Sassine Al-Khoury,
erzählte mir, Iskandar Al Khoury, dass zeitweilig Myriaden von
Heuschrecken die Gegend heimsuchten, in der Père Charbel als
Eremit lebte und dass sie die gesamte Aussaat und die Bäume
von Aalmat, einem nahe gelegenen Dorf, abfraßen. Sie sagten
sich immer wieder: „Nur Père Charbel kann dieses Unglück noch
wenden.“ Jibraël Sassine ging eilends zu ihm. Père Charbel
segnete das Wasser, trat vor die Eremitage und sprengte das
Wasser in Richtung Ehmej. Als Jibraël nach Ehmej zurückkam,
hatten die Heuschrecken bereits eine andere Richtung genommen.
Seine Aussaaten blieben verschont. Ich erinnere mich auch an
ein anderes Mal, als die Heuschrecken die Gegend
einschließlich Ehmej überfallen hatten. Die Feldhüter baten
den Oberen, Père Charbel den Auftrag zu geben, sie zu
begleiten, um die Heuschrecken von ihnen fern zu halten. Er
segnete das Wasser, besprengte damit die Heuschrecken, und
diese entfernten sich von den Äckern.“
C: Gebet
und Arbeit
I: Darstellung
In den Novizenregeln ist zu lesen: „Der Novize muss
schweigen können, still und tatkräftig beim Arbeiten sein. Er
sucht sich nicht die leichten Arbeiten und die angenehmen
Dinge aus, um die weniger angenehmen den anderen zu
überlassen. Er wagt sich auch an die unangenehmen Dinge heran
und überlässt die angenehmen den anderen. Dies muss in aller
Demut geschehen, indem der Novize die niedrigsten Dienste und
Aufgaben im Kloster annimmt… Diese Regeln zielen darauf ab,
sich von jeglicher Eigenliebe zu befreien, ohne die die Hölle
nicht existierte.“ Deshalb hatte Père Charbel bis auf das
Lesen der heiligen Messe, auf Gebet und Feldarbeit keinen
anderen Diensten im Kloster nachzukommen. Er verwandte seine
Zeit insbesondere auch darauf, Steine zusammenzutragen, um
damit Stützmauern für landwirtschaftliche Flächen
aufzuschichten. Vor seinem Eintritt in die Eremitage half er
dem Ziegenhirten, die Ziegen zu hüten, sie auf die Weide zu
führen und sich um sie zu kümmern. Er kannte keinen Müßiggang,
sondern war vielmehr eifrig bemüht in seinen Gebeten und in
seinen geistlichen Übungen. Er sprach kaum, war schweigsam,
hielt sich dem Essen fern, floh den Schlaf und hatte eine
besondere Vorliebe für Kasteiungen und für Handarbeit. Sein
ganzes fünfzigjähriges Klosterleben lässt sich mit Gebet,
Arbeit und Schweigen zusammenfassen.
Er kümmerte sich mit seinen Brüdern und Knechten um
das Feld und den Weinberg. Dabei war er tugendhaft,
rücksichtsvoll und fleißig in seiner Arbeit, bis die Glocke
zum Gebet läutete. Dann verabschiedete er sich von dem für die
Arbeit verantwortlichen Bruder oder dem entsprechenden Knecht,
wenn der Bruder nicht da war und wartete, bis er ihm die
Erlaubnis gab, zum Stundengebet in die Kirche zu gehen.
Während des Gebetes kniete er sich dann auf den Steinen
nieder.
Er arbeitete unermüdlich, mit Leidenschaft und Liebe
und schaute sich dabei nicht um. Er ging seiner Arbeit nach,
bis ihn sein Begleiter ablöste. Seine Hände hatten durch
vieles Arbeiten Schwielen bekommen. Wenn er etwas Luft holen
wollte, ging er nach Draußen und sammelte die Steine im
Weinberg ein. „Ich, Père Antonios Alwan, sah ihn nur im
Weinberg der Einsiedelei oder auf dem Feld arbeiten. Er
arbeitete dann, als ob er zu Zwangsarbeit verurteilt sei, wie
eine Maschine, die unaufhörlich arbeitet. Er legte sein ganzes
Herzblut hinein. Und wenn er innehielt, geschah dies, um
mehrere Male das Kreuzzeichen zu machen. Während der Arbeit
betete er unaufhörlich. Wenn der Knecht des Klosters ihn darum
bat, den Pflug an einen anderen Ort zu tragen, tat er es ohne
zu zögern.
Weder Hitze noch Kälte konnten ihn beim Arbeiten
verdrießen. Und wenn man ihm befahl, stachelige Büsche oder
andere Gegenstände zu tragen, so trug er so viele er konnte
und über das Maß noch hinaus, ohne ein Wort darüber zu
verlieren, ob es schwer oder leicht sei.“
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Wie war sein
Tagesablauf?
„Früh am Morgen las er die heilige Messe und wandte
sich dann, nachdem ihm der Obere und der für die Arbeit
Verantwortliche dazu die Erlaubnis erteilt hatte, unverzüglich
der Arbeit auf dem nahegelegenen Feld zu oder aber er ging in
den Weinberg, ohne mit jemandem unterwegs zu sprechen oder
nach links oder rechts zu schauen. Wenn jemand ihn mit „Gelobt
sei Gott!“ grüßte, antwortete er: „Gott segne Sie!"
Kaum an der Arbeitsstelle angekommen, nahm er seine Hacke und
begann seine Arbeit energisch und liebevoll, als ob er ein gut
bezahlter Knecht sei, der seinen Lohn noch erhöhen wolle.
Dabei war es ihm gleichgültig, ob der Verantwortliche für die
Arbeit Priester war, Bruder oder Knecht: Alle betrachtete er
als von Gott gegebene Autoritäten. Wenn andere versuchten,
sich auszuruhen, um frisches Wasser zu trinken und wenn sie
Gefallen darin fanden, miteinander zu plaudern, hielt er sich
abseits, ohne zu reden oder zu trinken und wartete geduldig
auf den Fortgang der Arbeit. Wenn sein Gelübde des Gehorsams
nicht auch die Ruhepause vorgeschrieben hätte, hätte er sich
nicht ausgeruht. Die Mönche und Bediensteten verehrten ihn,
achteten seine Tugenden und vermieden es, müßige Gespräche vor
ihm zu führen. Wenn der für die Arbeit Verantwortliche bis zu
später Stunde auf dem Feld verblieb, setzte Père Charbel
seinerseits mit unverminderter Kraft seine Arbeit fort. Sein
Eifer steigerte sich sogar noch während der Arbeit, ohne dass
er den Verantwortlichen auf die Verspätung hingewiesen hätte.
Denn, wie ich schon gesagt habe, Protest kannte er nicht. Wenn
der Verantwortliche mit Verzögerung Père Charbel und die
anderen Mönche zum Mittagessen rief, blieb er gelassen.
Überhaupt sagte er nie, dass er Hunger habe oder müde sei.
Solche Worte kamen ihm nie in den Sinn. Weder bei Hitze bei
der Ernte oder bei Kälte im Winter nahm er seine Kapuze ab. Er
interessierte sich nicht für belangloses Gerede und für
aktuelle Ereignisse. Er kümmerte sich nicht um das Geschehen
im Lande oder im Orden, wenn es um Fragen der Verwaltung ging.
Sein Interesse bezog sich immer auf die Arbeit, um seinem
Gelübde nachzukommen. Alles andere vertraute er der göttlichen
Vorsehung an. Deshalb habe ich von ihm gesagt, dass er sich
von den anderen Mönchen unterschied. Ebenso ging er Frauen und
weltlichen Besuchern aus dem Weg. Weil jedermann sein
Temperament kannte, hielt man sich auf Abstand von ihm oder
man entfernte sich von ihm mit Rücksicht auf sein tugendhaftes
Leben“, so Frère Elias Mahrini.
2) Er lief zur Kirche um zu
beten. (Mt
14,23)
„Père Elias aus Mechmech ließ mich, Simaan Ghata, vor
40 oder 45 Jahren zu sich kommen, damit ich ihm einen Ofen im
Konvent von Saint-Maron in Annaya baue. Ich bat ihn um
Arbeiter, um mir beim Bauen zu helfen, unter anderem um Père
Charbel. Er arbeitete sechs Tage lang mit mir, in denen er ein
Vorbild an Vollkommenheit war. Bereits zu Beginn der Arbeiten
fragte er mich: „Was kann ich für Sie holen, Meister?“
Ich antwortete ihm: „Steine, kleine bearbeitete Steine und
Ton.“ Er brachte sie mir unter Mühen herbei, hob dabei die
schweren Steine an seine Brust, um sie noch höher auf das
Gerüst zu legen. Die kleinen bearbeiteten Steine trug er mit
bloßen Händen herbei, so dass sich sogar Blut unter seinen
Fingernägeln zeigte. Ich sagte ihm: „Nein! Nein! Magister,
passen sie doch auf! Sie ermüden sich zu sehr, arbeiten Sie
doch langsamer!“ Er entgegnete mir nichts darauf, sondern fuhr
mit seiner mühsamen Arbeit fort. In diesem Rhythmus verbrachte
er mit mir eine ganze Woche, ohne ein Wort an mich zu richten
oder mir irgendeine Frage zu stellen – bis auf: „Was soll
ich für Sie tun?“ Ich hatte Mitleid mit ihm und ich tat
mein Bestes, um ihm die Arbeit zu erleichtern. Während unserer
Zigarettenpausen lief er in die Kirche, um zu
beten.“
3) Direkt in die
Kirche
Da das Brot nachts und im Wechsel gebacken wurde, war
auch der heilige Charbel fürs Backen an der Reihe, so wie die
anderen Brüder auch. Er kam am Abend ins Kloster und ging
direkt in die Kirche, um dort bis Mitternacht zu verweilen und
so darauf zu warten, bis der Teig gegangen war. Dann rief ihn
der für die Versorgung des Klosters verantwortliche Bruder und
bat ihn, seinen Mitbrüdern zu helfen, bis das Brotbacken ganz
abgeschlossen war. Dann kam er in die Einsiedelei zurück, wo
er die heilige Messe feierte.
4) Er ließ keine Gelegenheit
verstreichen.
Vor seinem Eintritt ins Kloster hatte er mit den
Mönchen bereits auf den Feldern gearbeitet. Wenn er nach
getaner Arbeit mit den Arbeitern zur Stärkung ins Kloster kam,
legte er seine Arbeitsgeräte in der Küche ab und ging in die
Kirche, um sich vor das heilige Altarsakrament zurückzuziehen.
So nutzte er jede Gelegenheit, seine Zeit, sei es vor dem
ausgesetzten Allerheiligsten bzw. arbeitend zu
verbringen.
5) Was man ihm auch zur Arbeit
gab, er tat es im Stillen. (Mt 5,11-12 und 41)
Die meisten Mönche, die im Kloster Verantwortung
trugen, waren aus Mechmech, nur Père Charbel war aus der
Gegend von Jebbé (im Norden). Was auch immer man ihm zur
Arbeit gab, er tat es im Stillen und schlug niemandem etwas ab
oder beklagte sich darüber. Niemand schonte ihn. Francis, der
Koch und Bruder des Oberen ließ ihn hart arbeiten und
schimpfte dabei. Père Charbel gehorchte ihm so wie er dem
Oberen gehorchte, obwohl er doch Priester war und der andere
ein Konversenbruder. Sobald er von der Arbeit zurückkam, den
Rücken gekrümmt, oft mit einem schweren Bündel Holz beladen,
trug ihm Bruder Francis zusätzlich auf, er solle sich um das
Wasser kümmern oder um eine andere Arbeit. Einmal gab man ihm
die Auftrag, er solle mit einem Eimer die Tabakpflanzen
gießen: Er trug den ganzen Tag über so viel Wasser herbei,
dass die Haut seiner Hand ganz aufgeschürft war.
6) Steine, die seine Haut
aufscheuerten
„Eines Tages lud ich, Père Ephrem Nakad, Père Charbel
auf dem Feld Steine direkt auf die Schultern, ohne einen Stoff
als schützendes Scheuertuch dazwischen zu legen. Er setzte
seine Arbeit fort, bis sein Habit und sein Hemd zerrissen
waren, und die Steine auf seiner bloßen Haut scheuerten. Ich
hatte Mitleid mit ihm, denn er war ja ein Priester. Er ging
zum Oberen und sagte ihm sanft und leise:„Schauen Sie sich
meinen Habit an!“. Der Obere ließ ihm daraufhin einen
neuen geben.“
7) Er erfüllte seine Arbeit mit
Freude und Geduld.
„Ich, Père Nehemtallah Mechmech, sah, wie er eine
Bürde mit Holzscheiten und Steinen in einem Korb auf dem
Rücken trug. Er hackte den Boden auf und arbeitete im Weinberg
bis zum Abend, ohne sich Ruhe zu gönnen oder seine Arbeit
ruhen zu lassen, bis sein Begleiter ihn zum Essen rief oder zu
einer sonstigen Beschäftigung. Wenn sein Begleiter ihm ein
Bündel auflud, das seine Kräfte überstieg, ärgerte er sich
nicht. Wenn man ihm eine schwierige Sache auftrug, erfüllte er
sie mit Freude und mit Geduld, ohne zu schimpfen oder seinen
Unwillen auszudrücken. Er zeigte keinerlei Reaktionen. Keine
Arbeit war ihm zu viel. Er arbeitete unaufhörlich und verbarg
seinen Kopf unter der Kapuze, die ihm bis zu den Augen
herunter fiel. Er hob sie nicht hoch, nicht einmal um sich den
Schweiß von der Stirne zu wischen.“
8) Was soll ich
arbeiten?
Er war ein Mönch der Arbeit, des Gebets und des
Schweigens. Niemand hörte seine Stimme. Wir Arbeiter, die wir
mit den Mönchen auf dem Feld arbeiteten, wir erinnern uns
nicht, dass er je ein Wort gesprochen hätte – bis auf: „Was
soll ich arbeiten?“ Dies sagte er in aufrechter Haltung,
die Arme vor dem, der für die Arbeit verantwortlich war,
verschränkt, das Haupt gesenkt und mit leiser Stimme. Wenn
dann der Augenblick des Gebetes kam, kniete er sich an Ort und
Stelle nieder und betete. In seinem ganzen Leben gönnte er
sich weder Zerstreuung noch Ruhe.
9) Er macht das
Kreuzzeichen.
In den Novizenregeln kann man lesen: „Was man sich
selbst immer wieder schenken kann, ist das Kreuzzeichen. Immer
dann, wenn du deine Arbeit beginnst, opfere Gott deine Arbeit
auf und sage ihm: „Mein Herr und mein Gott, ich bringe dir
mein ganzes Herz, meine Seele und diese Arbeit dar. Gib mir
die Kraft, sie nach deinem Willen und zur Verherrlichung
deines göttlichen Namens zu vollenden.“ Wenn er dann mit
den Mitbrüdern und Novizen aufs Feld ging, verrichtete er
seine Arbeit wie einer von ihnen und machte von Zeit zu Zeit
in aller Stille ein Kreuzzeichen. Er wandte sich bei der
Arbeit an niemandem. Wenn man ihn nach etwas fragte,
antwortete er mit Ja oder Nein oder aber ganz kurz wie immer.
Die Arbeit auf dem Feld setzte ihm sehr zu. Trotzdem verlangte
es ihn nicht nach körperlicher Erholung.
D:
Charbels Armut (Mk 10,21)
I: Darstellung
1) Materielle
Armut
„Warum nur rennt der Mensch dem Golde nach? Um sich
aufzuwerten? Der Mensch ist doch viel mehr wert als Gold, er
ist Kind Gottes, und sein Wert liegt in ihm selbst“,
so Père Charbel. Deshalb war er ein
treuer Anhänger der Tugend der Armut. Der Mönch darf keinen
eigenen Besitz haben. Er hat nie gerne Geld in Silber oder
Gold in der Hand gehalten. Um das Gelübde der Armut zu
beachten, benutzte er nur die einfachsten Dinge und ließ nicht
zu, dass man sie vernachlässige, so wertlos sie auch sein
mochten. Alles in allem war er bescheiden in der Wahl seiner
Speisen, seiner Getränke und in seinen alten abgetragenen
Kleidern. Arm auch im Blick auf seine durch die Arbeit
schwielig gewordenen Hände. Er weigerte sich, irgendwann ein
Amt zu übernehmen; dies sollten andere verantwortungsvoll tun.
Dabei achtete er peinlich genau auf Dinge, die dem Kloster
gehörten, um nichts wegzuwerfen, so klein oder so wenig
bedeutsam es auch sein mochte, bis hin zu den Gemüsestengeln.
Und wenn er eine Traube unter einem Weinstock sah oder aber
ein Brotstück auf dem Weg, hob er sie auf und brachte sie in
die Küche. Der Orden hatte nie etwas ausgegeben, um ihm auf
eigene Bitte hin einen neuen Habit zu kaufen. Seine
Ordenskleider waren immer abgetragen, denn er zog an, was
seine Mitbrüder nicht mehr anziehen wollten. Er war so arm wie
ein Bettler. Selbst ein Bettler hätte sein Essen, sein Bett
und seine Kleider zurückgewiesen. Er betrachtete alle Güter
dieser Welt als Staub, den man mit Füßen tritt.
2) Armut als innere
Haltung
Er lebte in äußerster Armut und übertraf darin sogar
die Ärmsten der Armen. Gerade nach außen hin zeigte er seine
unvergleichliche Armut. Die wahre Armut aber lag in seiner
leidenschaftslosen schlichten Erscheinung, obwohl er doch
seinen Reichtum an göttlichen Gaben und an höchsten Tugenden
in sich trug. Er lebte losgelöst von seinen Eltern und
Verwandten, denen er nie in seinem Leben einen Besuch
abstattete, von denen er nie gesprochen, nach denen er nie
gefragt hat. Wenn sein Bruder ein oder zwei Mal im Jahr zu
Besuch kam, dann traf er kurz mit ihm zusammen und dies nur,
weil sein Gefährte ihn dazu aufgefordert hatte. Seinen eigenen
Willen stellte er nicht nur in den Angelegenheiten, die die
Regel betrafen, völlig zurück. Er handelte so in allen Dingen;
denn er hatte seinen eigenen Willen abgelegt. Trotz seiner
Intelligenz und Begabung ließ er in nichts seine Weisheit
durchscheinen, weder in dem, was er sagte, noch in
schriftlichen Zeugnissen. Worte wie: „Dies gehört mir, dies
uns oder dem Konvent“, kannte er nicht. Père Charbel war wie
vom Geist Gottes getragen, der ihn zur Kirche, bei der Arbeit,
beim Essen und in anderen monastischen Pflichten begleitete
und ihn voll und ganz durchdrang. Während er sich mit allem
Einsatz und mit Begeisterung irgendeiner Arbeit oder dem Gebet
für die Kirche hingab, konnte er andererseits sofort damit
aufhören, wenn sein Gefährte ihm den Auftrag gab, einer
Pflicht nachzukommen. So glich er einem Schatten, der sich
neben seiner Lichtquelle bewegt. Er war Einsiedler, aber sein
Wille und sein Verstand wurden von seinem Gefährten gelenkt.
Dies aber heißt absolute Selbstentäußerung. Er war reich, aber
nur in seiner Liebe zu Gott. Darüber hinaus deutete nichts auf
eine innere Beziehung zur Welt draußen hin.
3) Erfüllte Zeit
Seine Zeit verschwendete er nicht mit Müßiggang. So
oft er konnte, betete er für die Armen und die Toten und
vermied es dabei, in irgendeiner Form nachlässig zu sein, um
nicht in die Fallstricke des Teufels zu geraten. So achtete er
genauestens auf seine ihm zur Verfügung stehende Zeit und ließ
auch nicht die geringste Gelegenheit verstreichen, in der er
nicht etwas getan hätte, was dem Orden hätte nützen und woraus
er für sein ewiges Leben hätte Gewinn ziehen könnte. Er tat
dies im vollen Bewusstsein, dass uns die Zeit gegeben worden
ist, um uns zu heiligen. Wenn er nichts zu tun hatte, widmete
er sich dem Gebet und der Meditation aus einem freien Herzen
heraus, das an keinen Dingen dieser Welt mehr hing.
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Nehmen Sie das
hier!
Wenn er beerdigte, und man ihm dann Geld schenkte, gab
er es dem Oberen sofort nach seiner Rückkehr ins Kloster
zurück und sagte ihm dabei wortwörtlich: „Nehmen Sie das
hier!“ Was er dann in seinen Händen hielt, waren entweder
ein ottomanisches Pfund oder aber ottomanische
Piaster.(Im Allgemeinen gab man den Priestern drei
ottomanische Piaster, Père Charbel gab man ein Pfund.) Den
Geldwert kannte er nur vage. Wenn er den Oberen nicht in
seinem Zimmer fand, legte er es auf ein Tablett aus Weide
unter sein Bett. Einmal war Jibraël Lahoud aus Amchit im
Kloster von Annaya. Auf dem Flur traf er Père Charbel, den er
um eine heilige Messe in seinem besonderen Anliegen bat. Père
Charbel nahm das ottomanische Pfund, das er ihm dafür gegeben
hatte und wartete, bis sich der Mann aus dem Zimmer des Oberen
entfernt hatte. Dann trat er bei ihm ein und erzählte, worum
Jibraël ihn gebeten hatte und sagte dann: „Nehmen Sie das
hier!“ Der Obere entgegnete: „Behalte es und lies dafür
die heilige Messe!“ Père Charbel sagte: „Was die heilige
Messe angeht, so habe ich sie bereits ins Buch des Klosters
eingetragen. Dies aber überlassen Sie mir bitte nicht, nehmen
Sie es." Der Obere nahm das Pfund.
2) Halten Sie diesen Dämon von
mir fern!
Père Charbel begleitete die Mönche des Klosters zu
einer Beileidsbekundigung. Jeder von ihnen erhielt fünfzehn
ottomanische Piaster. Nach Hause zurückgekehrt, wollte Père
Charbel diese Piaster dem Oberen geben. Dieser sagte ihm:
„Behalte sie für dich, vielleicht brauchst du sie noch, um dir
ein Taschentuch oder andere Dinge zu kaufen.“ Er gehorchte der
Weisung des Oberen. Allerdings behielt er nur bis zum Abend
das Geld bei sich und brachte es dann dem Oberen mit den
Worten: „Nehmen Sie das Geld. Ich will diesen Dämon nicht
bei mir belassen!“
Ein Mann bat ihn, für ihn eine heilige Messe zu lesen
und gab ihm daraufhin fünf ottomanische Piaster. Wie immer
nahm er das Geld und gab es dem Oberen, Père Roukoz aus
Mechmech. Dieser sagte zu ihm: „Behalte es für dich!“. Aus
Gehorsam brachte er es zur Einsiedelei zurück, legte es auf
ein Brett in seiner Zelle und vergaß es. Nach geraumer Zeit
fand er es zufällig wieder, brachte es dem Oberen und sagte:
„Mein Vater, halten Sie bitte diesen verfluchten Dämon von
mir fern.“
3) Geben Sie das Geld dem Père
Makarios!
„Ich, Père Youssef Hasrouni, werde im Folgenden eine
Episode erzählen, die mir im Juli 1898 widerfuhr, als ich im
Konvent von Saint-Antoine in Qozhaya weilte, wo Père Antonios
Alwan zur Zeit seiner Profess wohnte. Nach meiner Abreise vom
Konvent, so erinnere ich mich, erzählte ich einem meiner
Verwandten vom tugendhaften Leben Père Charbels. Er wollte ihm
Geld für das Lesen einer heiligen Messe für Bruder Antonios
Alwan geben. Er gab mir ein Viertel Majidi (ottomanisches
Pfund), das ich ihm zukommen lassen sollte. Ich habe
meinerseits diese Bitte Père Youssef Al-Hasrouny anvertraut,
indem ich ihn darum bat, diese Summe Geldes direkt an Père
Charbel mit der oben genannten Intention weiterzugeben. Père
Youssef Al-Hasrouny erzählte, dass er auf dem Weg zur
Eremitage Père Charbel begegnet sei und ihm gesagt habe:
„Nehmen Sie bitte dieses Geld für eine heilige Messe mit der
Intention für Bruder Antonios aus Aïto.“ Er entgegnete mir:
„Gib es dem Père Makarios!“ Ich erwiderte: „Der
Bittsteller hat mich darum gebeten, es Ihnen persönlich in die
Hand zu geben. Deshalb kann ich es nicht anderen geben.“ Da
streckte Père Charbel seine Hand nach vorne, schloss die Augen
und hielt sein Haupt nach unten gesenkt. Das Geld habe ich ihm
dann in seine Hand gelegt. Danach ging er zu Père Makarios,
rief ihn mit höchst ungewöhnlicher Stimme aus der Kirche und
sagte: „Père Makarios! Père Makarios! Nehmen Sie dieses
Geld!“. Dabei hielt er seine Hand immer noch weit von sich
gestreckt als trage er einen Skorpion mit sich und übergab ihm
die Summe Geldes, ohne ihren Betrag genau zu
kennen.“
Wenn einer der Besucher ihm Geld als Gelübde an die
Einsiedelei schenken wollte, antwortete er ihm in aller Ruhe,
ohne auf das Geld oder den Betrag zu schauen: „Geh zu Père
Makarios!“
Hier noch ein Beispiel für seine Haltung zum Geld,
eines von vielen: Eines Tages kam ein Besucher und gab ihm
Geld für eine heilige Messe nach seiner Intention. Der
Besucher sagte ihm: „Beten Sie für mich, und hier ist das
Geld. Ich gebe es Ihnen persönlich und nicht der Einsiedelei.“
Er antwortete: „Legen Sie es mit der Intention auf den
Altar, ich brauche keines.“ Der Mann versuchte den
Einsiedler zu überzeugen, was ihm mit viel Mühe gelang. Er
legte ihm das Geld in seine Hand und schloss sie. Père Charbel
ging dann direkt zu Père Makarios und übergab seinem Gefährten
Père Makarios das Geld, ohne es anzusehen.
4) Im
Morgengrauen
„Einmal kam er im Morgengrauen zu mir, Ighnatios
Mechmech, - ich war zu dieser Zeit der Obere - und erzählte
mir, Besucher seien zur Einsiedelei gegangen und hätten ihm
zwanzig ottomanische Piaster gegeben und dabei gesagt:
„Kaufen Sie für dieses Geld, was Sie an Besonderem zum
Leben brauchen. Dabei schilderte er mir, wie er die ganze
Nacht mit dem Gedanken der Versuchung durch den Feind des
Guten verbracht habe, der ihn dazu drängte, das Geld für sich
zu behalten und dass er ihn dank der Gnade Gottes überwunden
habe.“ Ich sagte ihm: „Brauchst du etwas?“ Er erwiderte:
„Wenn Sie es unbedingt wissen wollen, ich brauche einige
Taschentücher, um mir den Schweiß abzuwischen und sie als
Tücher zum Abtrocknen meiner Hände zu benutzen.“ Ich gab
ihm vier schwarze Taschentücher.
5) Ich will das Geld nicht
sehen. (Mk
10, 23-25)
„Wardé Hanna Antoune Zaarour, die Tante meiner Mutter,
die Gattin meines Onkels Challita und leibliche Nichte von
Père Charbel erzählte mir, Hawchab Nakad, dass ihre Mutter
einen Silberbecher besaß, den sich die Frauen auf den Kopf
setzten, um sich damit zu schmücken. Nach ihrem Tod hat ihn
ihre Tochter Wardé für 300 Piaster, das sind zwei ottomanische
Goldpfund, verkauft. Sie brachte diese Summe ihrem Onkel Père
Charbel und bat ihn, heilige Messen für die Seelenruhe ihrer
Mutter, der Schwägerin des Einsiedlers, zu lesen. Er weigerte
sich, das Geld anzunehmen und wandte sich an seine Nichte vom
Inneren der Zelle her, ohne ihr Gesicht zu sehen und sagte zu
ihr: „Gib das Geld dem Pater Oberen!“ Sie entgegnete
ihm: „Ich möchte es Ihnen persönlich geben, damit Sie auch die
Messen persönlich lesen.“ Er erwiderte: „Was die heiligen
Messen angeht, so notiere ich sie in mein Heft. Das Geld aber
nehme ich nicht an. Gib es dem Oberen und lass es mich nicht
sehen.“ Sie tat, was er ihr gesagt hatte.“
6) Ich werde die heiligen Messen
lesen.
Nach dem Tod von Père Hanna, dem Bruder Charbels, ging
meine Mutter zur Einsiedelei. Sie bat Père Charbel, Messen für
die Seelenruhe ihres Vaters zu lesen. Er antwortete ihr:
„Was die heiligen Messen angeht, so werde ich sie lesen,
aber das Geld gibt dem Oberen!“ Sie tat, wie er es ihr
geheißen hatte.
7) Ich starb an dem Tag, an dem
ich die Welt verlassen habe. (Mt 6,24)
Élisée Nakad erzählt: „Der Anlass unseres zweiten
Besuches war der Tod meines Großvaters Hanna Antoun Zaarour
Makhlouf, des Bruders des Eremiten Père Charbel. Er verschied
am 25. Januar 1897. Der Verstorbene hatte keine männlichen
Nachfolger, deshalb sollte seine Tochter nur die Hälfte des
väterlichen Erbes bekommen. Da meldeten sich die Verwandten
väterlicherseits und beanspruchten die andere Hälfte. Sie
führten an, dass der Bruder des Verstorbenen Mönch und
Einsiedler sei, dem das Recht auf Erbschaft nach der Regel des
Ordens nicht zustehe. Aber meine Mutter entgegnete, dass mein
Onkel Père Charbel direkter Erbe sei. Deshalb habe ich sie an
einem Frühlingstag ins Kloster Saint-Maron in Annaya
begleitet, um ihn über den Tod des Vaters in Kenntnis zu
setzen und ihn zu bitten, ihr ein freiwilliges
Überlassungstestament in der Erbschaftsangelegenheit seines
Bruders auszustellen. In der Einsiedelei angekommen, konnten
wir uns nicht von Angesicht zu Angesicht unterhalten. So
stellten wir uns neben die Kirchentüre, während er im Inneren
stand. Er fragte sie, was sie von ihm wolle. Sie teilte ihm
den Tod des Vaters mit und bat ihn um das erwähnte Testament,
nicht ohne zu erwähnen, dass die Verwandten väterlicherseits
die Hälfte des Erbes beanspruchten. Ich höre noch, wie er
antwortete: „Meine Nichte! Mein Bruder ist vor einigen
Monaten verstorben, während ich der Welt bereits an dem Tag
gestorben bin, an dem ich den Habit genommen und meine ewigen
Gelübde im Kloster Saint-Maron in Annaya vor 44 Jahren
abgelegt habe. Ein Toter erbt nicht, noch gibt er sein Erbe
weiter. In deiner Sache kann ich nichts tun. Ich kann nicht
etwas weitergeben, was ich gar nicht besitze.“ So sind wir
mit leeren Händen nach Hause zurückgekehrt.“Solche
Sätze sind später zeichenhaft dafür geworden, den
Totalverzicht von Charbel, seine Gerechtigkeit und seinen
wahrhaft monastischen Geist deutlich zu machen. Seine Nichte,
die den verwandtschaftlichen Anspruch beenden und das ganze
Erbe für sich beanspruchen wollte, bestand darauf, dass er die
freiwillige Abtretung des Erbes unterzeichne. Daraufhin nahm
Père Charbel ein kleines Stück Papier, das er beschrieb und
weitergab. Als sie nach Bqaakafra kam, öffnete sie das Papier
und las die Worte: „Ich habe nicht geerbt und gebe auch
kein Erbe weiter.“ Was seine Verwandten angeht, so stand
er ihnen weder körperlich noch seelisch nahe.
8) Legt das Gelübdegeld auf das
Regal!
Einmal haben ihn seine beiden Brüder besucht und ihm
einige türkische Sous angeboten. Aber er lehnte sie ab. Nach
langem Bemühen, ihn zu überzeugen, indem man ihn auf den
Charakter des Gelübdes dieses für die Einsiedelei bestimmten
Geldes hinwies, nahm er es, ohne sich um die Geldsumme zu
kümmern mit der Bemerkung an: „Legt das Geld auf das
Regal!“ Eines Tages besuchte ich, P. Francis Sibrini, ihn
in der Eremitage. Dabei erklärte er mir: „Meine beiden
Brüder waren zu Besuch gekommen und haben der Einsiedelei eine
Summe Geldes hinterlassen. Es liegt auf dem Regal. Nehmen Sie
es!“ Ich nahm es und zählte vierzig ottomanische Piaster.
9) Die göttliche Vorsehung wird
schon sorgen. (Mt 6,25-34)
Auf Geld legte er überhaupt keinen Wert und war
unfähig, die Geldstücke voneinander zu unterscheiden, nachdem
er nie in seinem Leben mit Geld umgegangen war. Er
interessierte sich weder für die Größe noch für die Häufigkeit
der Messstipendien, auch nicht für den Ertrag, der der
Einsiedelei gespendet wurde. Er betete für die Fruchtbarkeit
der Ernten, ohne sich um Trockenheit oder Fruchtbarkeit Sorgen
zu machen. Er sagt nur: „Die göttliche Vorsehung
wird schon sorgen.“ In allem lebte er die Armut, in seiner
Zelle wie in seiner Kleidung, im Essen wie im Trinken, in der
Schlichtheit seines Lagers wie in den
Arbeitsgeräten.“
E:
Charbels Kleidung
I: Darstellung
„Kleidung, Liege und Decke des Mönchs mögen dem
Gelübde der Armut entsprechen“, liest man in den Mönchsregeln.
Entsprechend kleidete er sich wie der Geringste der Armen und
der Novizen. Er trug nie einen neuen Habit und war immer
darauf bedacht, demütig die abgelegte Kleidung seiner
Mitbrüder anzuziehen. Einer seiner Habite war so abgerieben,
geflickt und ausgefranst, dass die Fäden hervortraten. Er war
aus dicker verblasster libanesischer Wolle gewoben, von
rötlicher Färbung, aber immer sauber. Er wusch sie mit eigener
Hand, flickte sie selbst, ohne viel Sorgfalt darauf zu
verwenden, so wie man Säcke aus Pflanzenfäden zusammenzieht,
indem man alle fünf Zentimeter einen Stich macht. Im Sommer
wie im Winter trug er denselben Habit. Es war ein Habit aus
Wolle, darunter trug er ein roh gewebtes Hemd. Er trug beide
Kleidungsstücke so lange, bis sie abgenutzt waren und man ihm
neue gab, die bereits ein Mitbruder getragen hatte.
Sein Gürtel war wie bei allen anderen Mönchen aus
Leder und durch die Steine, die er trug, und Büsche, die er
durchstreifte, abgewetzt. Seine Hose (cherwal) war schwarz,
das Hemd war grob gewebt, die Weste aus einem alten
Mönchshabit herausgeschnitten, darüber der Habit. Er trug
trotz eisiger Kälte nie Strümpfe an den Füßen. In der Kirche
zog er seinen Mantel an, den er während der Arbeit außerhalb
der Abtei ablegte. Er trug immer seine Kapuze, im Winter wie
im Sommer, bei Tag und bei Nacht, nur nicht bei der heiligen
Messe, wie es der Liturgie entspricht. Die Kapuze bedeckte
seinen ganzen Kopf, die Augen wie die Ohren, auch einen Teil
der Wangen und den Hals. Er wickelte seinen Habit nicht unter
den Gürtel, wie es die Mönche gewöhnlich bei der Arbeit tun,
um seine Hose nicht hervortreten zu lassen.
Seine groben Schuhe waren abgenutzt und geflickt. Sie
endeten hinten nach oben hin in einer kleinen Zunge. Sein
Handtuch war aus groben Fäden gewebt. Seine Kleidung war
ärmlich aber sauber, doch sie war bis zur Hose hin von den
groben Schuhen abgewetzt. Er beanspruchte nichts für sich,
nicht einmal das Nötigste. Und wenn dann doch etwas dringend
fehlen sollte, bat er darum in schlichter, demütiger,
unterwürfiger Weise.
Schmutz schreckte ihn ab. Und doch wusch er manchmal
seine Kleidung erst dann, wenn der Obere ihm die Anweisung
dazu gab, selbst wenn er sie ein Jahr lang tragen musste. Er
wusch sein Gesicht nur ein Mal in der Woche, außer bei
besonderen Angelegenheiten, dann bat er den Oberen um die
Erlaubnis.
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Ohne rote
Streifen
Père Charbel bat den Bruder Schuster darum, ihm die
roten Streifen auf den groben Schuhen, die zu dieser Zeit bei
den Mönchen in Mode waren, abzufeilen.
2) Habite zum
Flicken
„Als Père Ighnatios aus Mechmech Oberer war, hatte man
mir, Père Francis Sibrini, die Kleiderkammer für eine gewisse
Zeit im Kloster Saint-Maron anvertraut. Père Ighnatios hatte
mich angewiesen, zur Einsiedelei zu gehen, die Habite der
Einsiedler zu überprüfen und nachzusehen, was sie brauchten.
Ich kam in die Zelle von Père Charbel, bei dem ich allerdings
nichts gefunden habe, was noch hätte getragen werden können.
Ich wies ihn an, mir seine abgetragenen Kleider zu überlassen.
Da er selbst nichts sah, was hätte ausgetauscht werden müssen,
bat er mich, ich soll ihm die Kleider überlassen, damit er
sie selbst ausbessern und als Zeichen seiner Armut tragen
könne. Dann bat mich der Obere, ich solle ihm doch zwei
neue Habite zurechtlegen. Er wollte sie nicht annehmen und
brachte allerlei Entschuldigungen vor, warum er keinen neuen
Habit tragen könne und bat mich, ich solle dem Oberen doch
seine Bitte vortragen, einen bereits getragenen Habit anziehen
zu dürfen, der im übrigen auch zu seiner Arbeit passe, auch
keine Hemden, er trage ja den Bußgürtel. Schließlich gab
ich ihm ein Hemd, das aus einem abgetragenen Habit bestand, um
den Bußgürtel darunter verbergen zu können.
3) Ich lege ihn auf die Erde
unter meine Schlafmatte.
„Kurz nach meiner Profess besuchte ich, Père Hanania
Jaji, eines Tages Père Charbel. Er war gerade dabei, seine
Habite zu waschen, indem er sie mit seinen Füßen stampfte. Als
ich den Bußgürtel in der Wäsche sah, fragte ich ihn: „Was ist
das?“ Er wollte mir seine Askese verheimlichen und antwortete:
„Ich lege ihn auf die Erde unter meine
Schlafmatte.“
4) Geben Sie mir die Kleidung,
die zu meinem Leben passt!
Einmal war er mit seinem abgetragenen Habit bei Père
Roukoz aus Mechmech und sagte ihm: „Lassen Sie mich so
leben wie es mein Habit ausdrückt. Geben Sie mir die Kleidung,
die zu meinem Leben passt!“ „Ich, P. Ignace Mechmech,
glaube, er wollte ihm wohl sagen: „Entweder Sie schicken mich
jetzt zur Einsiedelei, der dieser Habit, den ich trage,
entspricht oder Sie geben mir einen besseren Habit, den ich
dann tragen kann, wenn ich Sie begleite.“ Der Obere hatte
begriffen, trat rasch in seine Zelle, nahm den Habit und zog
ihm einen anderen an. Dieser war weit geschnitten. Der Obere
sagte zu ihm: Den kannst du tragen.“
5) Warum gehst du so nachlässig
mit dir um?
Einmal sah ich, Moussa Moussa, wie er zerrissene
Sandalen trug und fragte ihn: „Warum gehst du so nachlässig
mit dir um? Bestell dir doch feste und passende Sandalen; denn
deine Füße sehen ja aus wie die eines Kamels!“ Darauf gab er
keine Antwort.
F: Seine
Schlafmatte, sein Schlaf und das Mobiliar seiner
Zelle
I: Darstellung
1) Die Klosterzelle von Père
Charbel
Sie liegt im Westteil des Klosters. In der
Ostwestlänge misst sie 325 cm, in der Nordsüdbreite 225 cm.
Sie ist drei Meter hoch, das Dach ist mit einfachem Stammholz
und Erde gedeckt. Ein Fenster 80 mal 40 cm öffnet sich nach
Westen. Der Boden ist ein schlichter Steinboden. Die Tür liegt
nach Osten hin und ist 175 cm hoch, 80 cm breit, sie liegt in
Richtung des einen Fensters und zur Kirchentür hin. Diese
liegt dem Hauptaltar gegenüber.
2) Seine Zelle in der
Einsiedelei
In der Positio kann man lesen: „Ihre Länge in
Ostwestrichtung erreicht drei Meter, ihre Breite von Nord nach
Süd 210 cm, ihre Höhe 240 cm. Das Fenster nach Süden hin
besteht aus einfachem Holz mit zwei verglasten Flügeln, die
immer mit einem schwarzen Vorhang verschlossen sind, so dass
man von außen nicht hineinschauen kann. Was er von seiner
Zelle aus sieht, sind die Berge von Ehmej und abgetragene
Hügelketten. In die Ostmauer ist eine Öffnung eingelassen, die
als Schrank dienen kann, in die er auch seine Öllampe gestellt
hatte. Der Boden ist mit Steinen aus dem Gebirge gefliest. Die
Mauern sind aus Stein und im Inneren mit Ton verputzt. Das
Dach ist aus Holz, die Türe sehr schlicht, 80 cm breit und 170
cm hoch und hat eine Klinke aus Holz, außen hatte sie einen
Holzriegel. Seine Zelle war leer, immer offen, vom Rauch
geschwärzt. Darin befindet sich eine Holzliege, unter die er
eine Weidenmatte für seine spirituelle und theologische
Literatur gelegt hatte. Dort stand auch ein Krug mit Wasser.
Er erlaubte niemandem einzutreten, es sei denn, jemand tat es
heimlich.“
3) Sein Bett
Sein Strohsack war mit Gall- und Eichenblättern und
mit Baumrinde gefüllt. Sie war in eine Art Teppich aus
Ziegenwolle eingehüllt. Das Ganze war noch einmal mit einem
alten Filzstoff überzogen. Ein mit einem schwarzen Habitstoff
umwickeltes Holzscheit war sein Kopfkissen. Auf dieser äußerst
harten Liege ohne Matratze und Decke schlief er im Sommer wie
im Winter.
Sein Bettlaken war durchgescheuert. Er schlief auf
einer Art Scheuertuch, das über zwei Brettern lag, die sich
zwei Spannen über dem Boden erhoben. Sie waren mit einem
Riemen aus Tuch miteinander verbunden. Oft schlief er auch auf
dem Boden.
4) Sein Schlaf
Als Eremit im Kloster wachte er nie mit den Mönchen.
Er verabscheute die Ruhe, schlief nicht gerne und war Feind
jeglichen Müßiggangs und Ausruhens. Was ihn begeisterte, waren
Kasteiung und Arbeit. Er schlief nach der Komplet und den
anderen Gebetszeiten insgesamt achteinhalb Stunden lang.
Entsprechend der Eremitenregel wachte er zum Stundengebet um
Mitternacht auf, das er nie in seinem Leben unterließ. Danach
schlief er im Allgemeinen nicht mehr ein, höchstens, um sich
noch eine Stunde lang hinzulegen, um dann seine Meditation und
sein Gebet wieder aufzugreifen. Seine Nachtwachen in der
Kirche waren ein einziges Gebet der Hingabe an Gott und
Offenheit für das, was in seinem Inneren geschah.
Sehr früh am Morgen, noch vor dem Morgengrauen, wachte
er auf, um in der Kirche zu beten und die heilige Messe zu
feiern. Er zögerte nie, sie zeitlich vor allen anderen zu
feiern. Tagsüber gönnte er sich nie Ruhe, weil er immer mit
Arbeit und Gebet beschäftigt war. Er verbrachte die meiste
Zeit in der Kirche vor dem Altarsakrament und die Nacht mit
der Lektüre theologischer Bücher, mit Meditation und
Stoßgebeten. Zerstreuungen gönnte er sich nie, vielmehr
verlängerte er seine Nachtwachen mit Beten.
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Vom Schlaf übermannt
(Mk
4,38)
Père Élias Ehmej erzählt: „Ich merkte, dass er von den
ständigen langen Nachtwachen erschöpft war. Während er
aufrecht am Boden kniete, übermannte ihn manchmal der Schlaf.
Er neigte seinen Kopf zur Seite, seine Körper beugte sich
immer mehr nach vorne, so dass er fast den Boden berührte.
Sprach man ihn dann unvermittelt an, richtete er sich rasch
auf und, seine Körperschwäche überwindend, schaute er nach
oben und seufzte aus tiefstem Herzen. Niemand hat je gesehen,
dass er sich wirklich ausruhte, wenn er seine Augen im
Schatten eines Baumes schloss.“
2) Das Kopfkissen aus Wolle
(Mt 8,20)
Seine Zelle hatte weder Schloss noch Schlüssel, wie
alle Mönche berichten, die Père Charbel im Kloster von Annaya
besucht haben. Seine Liege bestand aus einem alten
zerschlissenen Strohsack mit einem Holzscheit, das mit einem
aus einem schwarzen Habitstoff geschnittenen Tuch umwickelt
war und das als Kopfkissen diente. Er hatte weder Decke noch
Tuch. Als Père Charbel einmal auf dem Feld arbeitete, betrat
Bruder Boutros Al-Fraidiss die Zelle. Er nahm das Holzscheit,
warf es weg und ersetzte es durch ein wollenes Kissen. In die
Zelle zurückgekehrt. merkte Père Charbel den Kissenwechsel,
ging zum Bruder und bat ihn, das Scheit zurückzugeben. Er
bestand solange darauf, bis er seinem Wunsch nachgekommen
war.
G:
Charbels Essen
I: Darstellung
1) Im Kloster
In den Konstitutionen steht: „Die Zutaten für die
Speise des Mönchs müssen leicht aufzufinden sein. Nur zwei Mal
am Tag, mittags und abends, darf er essen. Père Charbel aß
also, wenn er sich im Kloster aufhielt, zwei Mal mit seinen
Mitbrüdern im Refektorium und gab sich mit Stückchen
angebrannten oder schlecht aufgebackenen Brotes zufrieden. Auf
dem Feld aß er die Reste des Mahls seiner Mitbrüder und
Diener, die mit ihm gerade auf den Feldern arbeiteten. Es
geschah mehrere Male, dass man vergessen hatte, ihn zum Essen
zu holen. So arbeitete er unaufhörlich weiter.
„Während seines Klosteraufenthaltes kam es vor, dass
ich, Youssef Sleiman, den Mönchen auf dem Feld, unter denen
auch Père Charbel war, bei der Arbeit helfen musste. Ich sah,
dass er erst dann aß, wenn der für die Arbeit Verantwortliche
die Anweisung zum Essen gegeben hatte.“ Dann wartete er
darauf, dass der Verantwortliche ihm seine zugewiesene Portion
gab, nahm sie und zog sich in einen Winkel zurück. Außerhalb
der immer bescheidenen Mahlzeiten aß er nichts. Darüber hinaus
gestattete er sich keine zusätzliche Mahlzeit, keine Getränke,
keine Früchte. Er aß das Brot nur in kleinen Stücken oder aber
Grattin aus dem Kochtopf. Wenn man das Mittagessen verspätet
servierte, murrte er nicht, wies auch kein Essen ab und
beanspruchte vom Koch oder Küchenverantwortlichen kein
besonderes Essen für sich. Ganz im Gegenteil! Er wollte die
Essensreste zu sich nehmen, um sich in der Demut zu üben und
sich auf das Notwendige zu beschränken. Er fand weder Gefallen
am Tabak noch am Alkohol und nahm auch keine Nahrung in seine
Zelle mit.
Er sagte nie: „Ich bin krank. Dieses Gericht kann ich
nicht essen.“ Nie verlor er irgendein Wort darüber, ob das
Essen ihm schmecke oder nicht. Außerhalb des Klosters aß er
nie, es sei denn auf dem Feld, auf dem er gerade arbeitete.
Wenn er Weintrauben oder Feigen erntete, kostete er nicht
davon. Während der Mahlzeiten aß er mit Ruhe und bedacht, als
sei er in einer Kirche. Er sprach mit niemandem, senkte seinen
Blick, als ob er meditierte. Worte wie: „Das ist versalzen,
dies ist fade, jenes verbrannt“, kamen nicht über seine
Lippen. Er trank weder alkoholische Getränke noch Kaffee.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass er aus Notwendigkeit,
aber nicht des Genusses wegen aß. Nachdem er gespült hatte,
trank er oft das Spülwasser und tat es sogar mit Freude. Er
benutzte Tongeschirr und Gabeln aus Holz.
„Manchmal“, berichtet Père Hanania Jaji, „waren wir
beim Pflügen zusammen, und er half uns dabei. Trotz der großen
Hitze stillte er seinen Durst nicht, während wir wegen
Müdigkeit und Hitze sogar über das Maß tranken. Er kümmerte
sich weder um das Essen, noch um das Trinken, noch um seinen
Habit. Er lebte in dieser Welt, ohne ihr anzugehören,
losgelöst von allem, was sich darauf bewegt. Alle Sehnsüchte,
Neigungen und Gefühle waren ganz auf Gott hin
ausgerichtet.
2) In der
Einsiedelei
Er nahm nur eine Mahlzeit
täglich um 15 Uhr nach dem Stundengebet zu sich. Sein Mahl war
bescheiden: Salat mit Oliven und Kartoffelschalen. Er hob sie
im Kloster auf, wusch sie, kochte und aß sie. Seine
Lebensführung, die von Besinnung und Andacht bestimmt war, war
gleichbleibend. Während des Essens war er nicht laut, wenn er
um etwas bat, vielmehr begnügte er sich mit einem Blick aus
den Augenwinkeln. Fleisch aß er nie, sein Essen war immer mit
Öl zubereitet, bis auf die hohen Festtage wie Weihnachten,
Ostern, das Antoniusfest, Sankt Peter und Paul als Patrone der
Einsiedelei. Dann war das Essen mit Butter angerichtet. Im
Übrigen kam er erst dann zum Essen, wenn ihn sein Gefährte in
der Einsiedelei dazu rief, sonst wäre er den ganzen Tag über
nüchtern geblieben. Er kümmerte sich nicht ums Essen und nahm
auch seinen Platz nicht zur Kenntnis. Er aß bescheiden und
enthaltsam, ohne im Übermaß zu essen. Wenn sein Gefährte ihn
zufällig vergessen hatte, blieb er bis zum folgenden Tag ohne
Essen. Dafür war er bekannt.
Wenn er ins Kloster kam, um Vorräte zu holen, griff er
nach dem schimmeligen Brot, das man sonst den Hunden vorwarf
und nach den Essensresten vom Vortag, um das gute Brot und die
schmackhafte Nahrung seinem Gefährten zu überlassen. Darüber
hinaus betrachtete er es als seine Aufgabe, für seine
Gefährten den Wasserkrug an der Quelle von Annaya zu füllen,
die eine halbe Stunde Fußweges entfernt lag. Er selbst
schöpfte das Wasser aus dem Brunnen der Einsiedelei, um daraus
zu trinken.
Die Einsiedelei war von Obstgärten, Weinbergen,
Feigenbäumen und Birnbäumen umgeben, die er größtenteils
selbst aberntete, um den Ertrag dem Kloster weiterzugeben,
ohne etwas davon zu sich zu nehmen oder besonders viel davon
zu essen. Er aß nur, was Père Makarios ihm vorsetzte. Er trank
nur während seiner einzigen Mahlzeit und untersagte sich
Erfrischungen irgendwelcher Art. Die Mönche wunderten sich
über seine Lebensart, die von äußerster Askese gekennzeichnet
war. Wenn er betete, arbeitete oder aß, stürzte er sich in
diese Beschäftigungen wie in eine tiefe Ekstase, bis
schließlich sein Gefährte kam, um ihn wieder daraus
hervorzuholen.
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Das Brot liegt vor dem
Fenster. (Joh
4,31-34)
„Als wir einmal spät am Abend von der Feldarbeit
zurückkamen“, so Père Éphrem Nakad, „gab ihm Bruder Francis
als Abendessen nur vier Schnitte Brot. Er steckte sie unter
die Achselhöhle, betrat die Kirche und legte sie vor das
Fenster. Dann kniete er sich nieder zum Beten. Er verweilte
lange im Gebet, manches Mal sogar eineinhalb Stunden lang und
schlief schließlich ein. Wenn dann Bruder Francis die Kirche
betrat, um die Glocke für das Mitternachtsgebet zu läuten,
fand er die Schnitten noch immer vor dem Fenster und nahm sie
mit in die Küche: Der heilige Charbel hatte vor Gott seinen
Hunger vergessen. Ich weiß jetzt nicht, ob ich behaupten kann,
er habe sein Brot bewusst oder aus Vergesslichkeit nicht
mitgenommen. Er aß ja oft trotz ermüdender Arbeit nur einmal
am Tag. Man ließ ihn keine Minute ohne Arbeit, ja, man holte
ihn für einen Dienst direkt von der Kirche weg, was seinem
innersten Wunsch widersprach, nämlich dort zu bleiben und zu
beten.“
2) Er aß keine
Trauben.
„Zur Zeit unseres Noviziates
kamen wir zum Kloster, um bei der Ernte zu helfen“, erzählt
Père Éphrem Nakad. „Durstig wie wir waren, machten wir uns
über die Weintrauben her. Vergeblich riefen wir Père Charbel,
er solle doch mit uns zusammen seinen Durst zu stillen. Er
wandte uns den Rücken zu und aß nichts davon, obwohl er doch
im Weinberg gearbeitet hatte.“
3) Spülwasser
„Nachdem ich, Semaan Ghata,
in der Küche beschäftigt war, war es mir vom Oberen nicht
gestattet, im Refektorium mit den Mönchen zu essen. Père
Charbel begab sich nur einmal am Tag dorthin, um drei dicke
Scheiben Brot zu holen, sie in kleine Stücke zu schneiden und
sie mit seiner Nahrung zu vermengen.“ „Er nahm einen Löffel,
aß achtsam und maßvoll und verbot es sich, nach rechts oder
links zu schauen. Nachdem dann sein Nachbar sein Mahl beendet
hatte, nahm er seinen Teller, um ihn abzuwaschen, goss dann
das Spülwasser in seinen Teller und trank es, um sich so zu
kasteien und seine Eigenliebe zu überwinden. Während wir nach
dem Mittagessen unsere Siesta machten, ging Père Charbel in
die Kirche, um vor dem Allerheiligsten zu beten. Das Gleiche
tat er während des Frühstücks, da er ja nur ein Mal am Tag
Nahrung zu sich nahm“, so Chebli Chebli.
4) Mit Butter vermengter
zerstoßener Weizen
Vergeblich lud der Obere Père
Charbel an seinen Tisch, wenn er an Regentagen im Refektorium
mit den Mönchen zusammen aß. Er zog den letzten Platz vor.
Daher bat der Obere Chebli Chebli, er solle doch Père Charbel
einen Teller mit Weizen, der, mit Butter vermengt, speziell
für ihn zubereitet war, anbieten. Aber Père Charbel rührte ihn
nicht an.
5) Ohne Öl
„Einmal habe ich, Gerges
Sassine, „ihn nach der Arbeit ins Kloster zurückkehren sehen.
Er trug essbare Pflanzen und Kräuter bei sich. Ich trat ihm
entgegen und warnte ihn: „Magister, diese Kräuter sind nicht
essbar, so etwas essen doch Tiere.“ Er gab mir zur Antwort:
„Das macht nichts.“ Dann hackte er alles klein und
streute etwas Salz darüber. Inzwischen kam Père Makarios und
bereitete wie gewohnt das Essen zu. Als er Père Charbel so mit
dem Gemüse beschäftigt sah, sprach er ihn an: „Hast du auch Öl
darunter gemengt?“ Er entgegnete ihm: „Nein, das macht
nichts, man kann es auch ohne Öl essen.“ Es war während
der Fastenzeit. So aß er Kräuter, die Tiere zu sich
nehmen.
6) Zwei Tage ohne zu essen
(Lk 4,46; Mk
8,2)
Er nahm nur Essen zu sich,
wenn sein Vorgesetzter ihm dazu eigens die Erlaubnis gab. Ganz
oft, wenn Père Makarios ins Kloster kam, um einige Arbeiten
seines Gehorsamsgelübdes wegen zu erfüllen, bestanden wir
darauf, dass er bei uns bleibe. Er aber entgegnete: „Ich
möchte in die Einsiedelei zurückkehren, um Père Charbel zum
Mittagessen zu rufen.“ Einmal habe ich, Francis Sibrini,
darauf geantwortet: „Kann er nicht alleine essen, ohne dass du
ihm das Essen immer bringen musst?“ Er entgegnete: „Er wird
auf keinen Fall essen, wenn ich ihn nicht rufe und ihm das
Essen eigenhändig bringe.“ Wenn man ihn zwei Tage lang so
ließe, ohne ihn zum Essen zu rufen, würde er weder danach
verlangen noch würde er es sich eigenmächtig holen.
7) Angekohltes
Brot
Père Makarios stieg zum
Kloster hinab, um beim Brotbacken zu helfen und nutzte dabei
die Gelegenheit, die angekohlten und schlecht gebackenen Brote
zu sich zu nehmen. Den Blick auf Père Charbel gerichtet, sagte
er dann: „Das ist für meinen Magister!“ Père Charbel tat dies
immer wieder, jedes Mal wenn er zum Brotbacken ins Kloster
kam. In der Wahl seiner Lebensmittel war er bedürfnislos. Für
ihn hatten Essen und Trinken in der Zelle keinen
Platz.
8) Wie aß er?
„Ich, Frère Francis Qartaba,
habe vier oder fünf Mal beobachten können, dass er nach der
Mahnung seines Gefährten Père Makarios nur ein Mal innerhalb
von vierundzwanzig Stunden aß. Wenn er aß, tat er es nur der
Gehorsamspflicht wegen. Obwohl dieser Einsiedler eigentlich
Père Charbel zu Diensten sein sollte, gehorchte ihm Charbel,
als sei er sein Oberer. Ich sah ihn langsamen Schrittes zum
Essen gehen, die Arme verschränkt, den Blick gesammelt und
gesenkt: Er stellte sich dann etwas abseits, darauf wartend,
bis ihm sein Gefährte die Weisung gab, er solle sich setzen.
Dann betete er, setzte sich auf den Boden und kreuzte die
Beine, wobei sein Habit die Beine bedeckte. Er aß erst dann,
wenn ihn sein Gefährte darum bat, er solle jetzt essen. In
seinem Teller habe ich verwelkte Portulakblätter gesehen, die
voller Körner waren, aber fast ohne Blätter. Er begann erst
dann ein neues Brot zu essen, wenn er aus seinem Teller alle
verkohlten Stückchen herausgeholt und gegessen hatte. Ein
anderes Mal habe ich ihn nur Salat essen sehen; ein drittes
Mal gekochte zerstoßene Weizenkörner mit Tomaten. Wenn er im
Sommer dann sein Essen beendet hatte, bot ihm sein Gefährte
Trauben an. Davon aß er aber nur drei oder vier
Beeren.“
9) Stengel der Portulakblätter
und Petersilie
„Ich, Père Antonios Alwan,
erinnere mich, dass ich einmal mit meinen Mitbrüdern, den
Novizen, in der Nähe der Einsiedelei arbeitete. Uns kam die
Idee, ein Tabboulé zuzubereiten. So haben wir die Petersilie
und den Portulak zerpflückt und haben die Stengel weggeworfen.
Père Charbel beugte sich, hob sie auf, zerhackte sie und
vermischte sie mit Öl, bestreute sie mit Salz und begann zu
essen.“
10) Ganz gerne
Einmal sagte ihm Père Makarios: „Hier bleibt noch ein
kleiner Essensrest, den ich für den Teller der Katze übrig
gelassen habe, denn ich habe dich vergessen.“ Er antwortete
ihm: „Mein Vater, mich stört das nicht. Ich könnte mich
auch gerne mit der Portion zufrieden geben, die das geringste
Tier essen würde.“
11) Eine oxydierte
Metallbüchse
Père Boulos Sibrini berichtet: „Ich habe einmal die
Einsiedelei aufgesucht und habe gesehen, wie Père Charbel
ruhig, achtsam und friedlich aß. Sein Blick war zur Erde
gesenkt, als ob er die Krumen und die kleinen gerösteten
Brotstückchen suchte, um sie zu verspeisen. Nach dem Essen
erhob er sich, nahm den Teller seines Gefährten und seinen
hölzernen Speisenapf, wusch sie, goss das Spülwasser in eine
kleine oxydierte Metallbüchse und trug sie in seine Zelle. Ich
fragte Père Makarios, seinen Gefährten: „Was macht Père
Charbel mit diesem Spülwasser, das er bei sich führt?“ Er
erwiderte mir: „Er wird es trinken, so macht er es doch
immer.“ Und ich fragte mich, wie er in diesem Zustand und von
dieser Art Ernährung leben könne.“
12) Zu Tränen
gerührt
„Ich, Père Semaan Bchara, setzte mich gegen Abend, als
Père Charbel und sein Gefährte Père Makarios aßen, neben sie
und schaute ihnen zu, wie sie eine Ratatouille mit
Bratkartoffeln zu sich nahmen. Ich sah, wie Père Charbel das
geröstete Brot und die kleinen Brotstückchen nahm und sie
sorgsam in seinen Holznapf legte. Da erfasste mich ein solches
Mitleid, dass mir die Tränen über die Wangen liefen und ich
mir sagte: „Während dieser Eremit sich allen mühseligen
Kasteiungen unterzieht, haben wir anderen Mönche nur die
schmackhaften Gerichte und die bequemsten Betten im
Sinn.“
13) Ohne eine einzige Traube zu
verkosten
„Als der Obere des Klosters Saint-Maron, Père
Ighnatios Al-Tannoury, nach mir, Boulos Sibrini, schickte,
damit ich bei der Weinernte der Einsiedelei helfe, wies Père
Makarios Père Charbel an, er solle mich beim Ernten begleiten.
Er nahm keine einzige Traubenbeere zu sich. Als ich ihn dann
in der Eremitage alleine antraf, bat ich ihn, er solle mir
beim Weintraubenlesen helfen. Er gab mir keine Antwort und
wartete die Weisung seines Gefährten ab.“
14) Niemand hat mich dazu
aufgefordert!
Sie waren alle zum Essen in den Weinbergen versammelt,
Mönche wie Arbeiter, aber sie hatten Père Charbel vergessen.
Auch am Folgetag hat er nichts zu sich genommen. Der Obere
bemerkte das Versäumnis, rief Père Charbel zu sich und sagte
ihm: „Hast du heute schon gegessen?“ Er antwortete: „Nein“.
Der Obere fuhr fort: „Hast du gestern gegessen?“ Er
entgegnete: „Auch nicht.“. Der Obere dann: „Warum nicht?“
Charbel erwiderte: „Niemand hat mich dazu
aufgefordert!“ Auf der Stelle befahl der Obere, ihm zu
essen zu bringen.
15) Ich esse nicht
freiwillig.
„Ich, Père Boulos Sibrini,
versichere, dass er, selbst wenn er zwei Tage lang nichts
gegessen hatte, kein Essen für sich beanspruchte. Er setzte
sich erst dann an den Tisch, wenn sein Gefährte ihm dazu
Weisung gab. Ich war selbst Zeuge folgender Episode: Als die
Mittagszeit vorbei war, lud ich ihn zum Essen ein. Er
entgegnete mir: Ich esse nicht von mir aus, ich warte, bis
mein Gefährte mir dazu die Weisung gibt.“
16) Geh und bete!
„Eines Tages war ich zur Essenszeit anwesend. Als Père
Charbel zu Ende gegessen hatte, kreuzte er seine Arme vor der
Brust, beugte sich vor seinem Gefährten und fragte ihn:
„Père, was soll ich jetzt tun?“ Er antwortete ihm:
„Geh und bete!“ So verhielt er sich in allem, was er
tat.“
17) Überfluss an Vorräten
(Mk 6,30-44)
„Mein Großvater
mütterlicherseits erzählte mir, Youssef Khalifé, dass eines
Tages die Vorräte im Kloster fast zur Neige gegangen waren.
Einer der Mönche unterrichtete den Oberen über diese
Angelegenheit. So rief er Père Charbel zu sich und bat ihn,
den Vorratsbehälter für Korn mit Weihwasser zu besprengen und
zu beten. Er kam diesem Wunsch nach und der Behälter quoll vom
Weizen über.“
Père Youssef Hasrouni bestätigt: „Unter den anderen
Wundern sei jenes erzählt, das sich in einem Jahr ereignete,
als die Vorräte des Klosters zur Neige gegangen waren. Der
Obere rief den Einsiedler Père Charbel zu sich. Dieser betete
und segnete, und die Vorräte vermehrten sich. Dieses Phänomen
trat nach Aussage mehrerer Zeugen vermehrt auf. Unter ihnen
seien die folgenden heute noch Lebenden genannt: Père
Ighnatios aus Mechmech, Père Nehemtallah aus Mechmech, Frère
Elias Al-Mahrini, Frère Boulos Nassif aus Maïfouq und andere.
Gleiches geschah, als der Obere erfuhr, dass die Ölkrüge leer
geworden waren. Dank der Gebete Père Charbels füllten sie sich
von neuem.
H:
Charbels Nüchternheit
I:
Darstellung
Er lebte auch im Sommer
nüchtern und war bestrebt, um Gott zu gefallen, nie von der
Nüchternheit zu lassen. Wohin seine Vorgesetzten ihn auch
schickten, an allem fand er Freude und blieb gelassen – sei es
beim Fegen, beim Kochen oder Hacken, in all diesen Diensten
sah er ein liebenswürdiges Zeichen Gottes. Sein Gefährte
kümmerte sich von sich aus um ihn und versorgte ihn beim
Oberen mit allem Notwendigen. Charbel verzichtete sogar auf
alltäglich notwendige Dinge und zog die bescheidensten und
schwierigsten vor. Er war ruhig und sanft, von faszinierender
Liebenswürdigkeit und Herr seiner Neigungen und
Stimmungen.
Unschuldig wie ein Kind wich er allem aus, was mit
Überheblichkeit, Missachtung und Schmeichelei zu tun hatte. Zu
seinen Mitbrüdern war er nachsichtig, sich selbst gegenüber
aber war er streng. Aufrichtigkeit bestimmte sein Verhalten.
Er war nie ungerecht gegenüber seinen Mitmenschen, aber
zunehmend anspruchsloser gegenüber sich selbst. Er rühmte sich
nie einer Sache und tat nichts auf eigene Initiative hin –
weder bei der Arbeit noch beim gemeinschaftlichen Beten oder
bei den Gottesdiensten. Er begründete dies mit seinem
Gehorsamsgelübde. Der einmal gegebenen Unterweisung folgte er
freudig. In seinem Verhalten war er beständig und eifrig in
den Kasteiungen. So hielt er es bis zu seinem letzten Atemzug.
Während seines ganzen Lebens kam keine einzige Klage über
seine Lippen. Er war von äußerster Bescheidenheit beim Essen,
Trinken und in der Kleidung. Er mischte sich bei niemandem ein
und ergriff auch keine Initiative in den zwischenmenschlichen
Beziehungen, es sei denn, dass das Gehorsamsgelübde ihn dazu
anhielt.
II:
Erzählungen und Ereignisse
1)
Oh! Pater Generaloberer!
Während seiner Zeit als Generaloberer stattete
Moubarak Al-Matni dem Konvent einen Besuch ab. Er nutzte die
Gelegenheit, mit seinen studierenden Novizen zu Mittag zu
essen. Der Einsiedler Père Charbel kam, um ihn zu begrüßen und
wurde von ihm dazu eingeladen: „Père Charbel“, sagte der
Obere, „du wirst heute mit uns zu Mittag speisen. Wir werden
dir ein schmackhaftes Gericht auftischen.“ Père Charbel
antwortete: „Wir, wir haben das Gelübde des Gehorsams
abgelegt für schwierige Dinge. Daher fällt es mir recht
leicht, Ihre Bitte anzunehmen! Gehorsam zu sein ist etwas sehr
Gutes.“ Der Generalobere glaubte, Père Charbel werde jetzt
essen, was man ihm bei Tische vorsetzte, alleine schon
deshalb, um dem Generaloberen einen Gefallen zu tun. Zur
Essenszeit rief dieser Père Charbel zu sich. Mit verschränkten
Armen stand Père Charbel vor ihm, als er ihn mit den Worten
einlud: „Willst du mit uns essen?“ Verlegen rieb sich der
Einsiedler die Hände und antwortete ganz leise und
ehrfurchtsvoll: „Mein Vater Generaloberer!“ „Mein
Vater Generaloberer!“ Einerseits wollte er sich seiner
Anweisung nicht widersetzen, eher schon seinem Wunsch,
andererseits wollte er das für ihn und seine Mitbrüder
zubereitete Essen nicht annehmen. Der Generalobere merkte sein
Zögern und entließ ihn. So kehrte der Einsiedler in seine
Einsiedelei zurück.
2)
Schauen Sie, was Ihr Diener mir geben hat!
„Da kommt mir, Chebli Chebli, die Episode in den Sinn,
als man in der Einsiedelei Taschentücher mit einem Ex-voto
anbot. Er trug sie aufeinander gestapelt zum Oberen, der ihm
sagte: „Geben Sie diese dem Diener!“ Er gab sie ihm, schaute
dabei den Oberen an und sagte ihm: „Meister, können Sie mir
bitte ein Taschentuch geben, damit ich mir die Hände
abtrocknen kann?“ Er entgegnete: „Du hast sie doch alle
gehabt, warum hast du keines für Dich genommen?“ Er erwiderte
ihm: „Ich nehme nichts ohne Ihre Erlaubnis.“ Der Obere
sagte meinem Vater: „Gib ihm eines!“ Mein Vater wählte für ihn
ein frisches rotes aus. Lächelnd sagte Père Charbel dem
Oberen: „Sehen Sie, was Euer Diener mir gibt.“ Er
entgegnete: „Such dir das aus, das dir gefällt.“ Er nahm ein
blaues, gerade jenes, das am schlichtesten war.
I:
Charbels Intelligenz
I:
Darstellung
Oberflächlich
betrachtet erschien er einfältig und naiv zu sein. In
Wirklichkeit aber war er scharfsinnig und intelligent. Wenn
man ihn fragte, antwortete er in knappen klaren Worten, etwas
eigenbrötlerisch und ohne große innere Leidenschaft. Wenn er
sich ausdrücken musste, sagte er gerade das Nötigste, das den
Nächsten stärkte und seiner Seele von Nutzen war. Die
Gespräche mit ihm bewegten sich immer um theologische Fragen,
weil all sein Wirken auf das ewige Heil und auf das Wohl des
Nächsten hin ausgerichtet war. Seine Ansicht in theologischen
Fragen änderte sich nicht. Trotz seines absoluten Schweigens
war er immer geistig wach. Scharfsinn zeigte er vor allem im
genauen Ausführen seiner Arbeiten, insofern er allem seinen
rechten Platz zuwies. Und trotz seines hervorragenden
Verstandes und seines Erfahrungswissens machte er sich zum
Diener aller. In seiner Kasteiung und im Beherrschen seiner
Instinkte erreichte er eine geistliche Stufe, die an das
Psalmenwort des Propheten David erinnert: „Ich bin wie ein
scheues wildes Tier vor euch geworden, obwohl ich doch jeden
Tag mit euch lebe.“ Er war einfältig in seinem Herzen und in
seinen Absichten, die nur ein Ziel kannten: Gott. „Trotz allem
lege ich“, so Père Roukoz Mechmech, „Wert auf eine
Feststellung: Glauben Sie nur nicht, er sei dumm und
leidenschaftslos gewesen, vielmehr war er mit der Klugheit der
Heiligen begabt.“
Er
beging keinen einzigen Fehler, der ihm irgendwelche Vorwürfe
seiner Oberen und Mitbrüder zugezogen hätte. Auch gab er
seinen Vorgesetzten und anderen nie Anlass, ihn auf einen
Fehler in seinem Verhalten aufmerksam machen zu müssen, wie
Père Roukoz Mechmech bemerkt:
„Ich
habe nie vernommen, dass der Obere ihn einmal für eine noch so
kleine Verfehlung hätte maßregeln müssen.“ Sein peinliches
Beachten aller Vorschriften zeigt, dass er ihren tieferen Sinn
vollkommen verstanden hatte. Seine Worte waren geistvoll und
feinsinnig; denn seine Schritte zur Vollkommenheit folgten
einem idealen Weg, von dem er nicht abwich. In seiner
Lebensweise wies er allem seinen rechten Platz zu. Dabei kam
ihm kein unpassendes Wort über die Lippen. Seine Klugheit
schützte ihn vor verabscheuungswürdigem Aberglauben und
Übertreibungen. So zeigte er seinem Oberen und den Mönchen,
wie sie ihm nachfolgen könnten.
Sein
Rückzug von den Menschen und den Dingen dieser Welt entstand
gewiss nicht aus Leidenschaftslosigkeit oder Eigenbrötelei. Er
war vielmehr ein Mann voller Intelligenz und Scharfsinn. Seine
Schlichtheit hatte ihre tiefen Wurzeln im gelebten
Christentum, sein Mitleid beruhte auf seiner Weisheit, die
weder Skrupel noch Irritationen zuließ und die nichts
Außergewöhnliches in seiner Arbeit und in seinem Verhalten
sah. Andererseits muss ein Mensch, der die volle Zufriedenheit
seiner Oberen, seiner Gefährten, der Diener, seiner
Mitmenschen und Besucher gefunden hatte, zumal er ihnen
niemals Anlass zur Klage gab, von einer besonderen Weisheit
erfüllt sein.
Père
Roukoz Mechmech bemerkt: „Ich empfand ihm gegenüber Ehrfurcht
und Verehrung zugleich, die alle Übertreibungen und
leichtfertiges Verhalten in seiner Nähe verboten.“ In seiner
Gottesfurcht war er vorbildhaft, so dass er weder nach rechts
noch nach links geschaut hätte, selbst wenn man ihm damit
gedroht hätte, ihn in der Kirche zu enthaupten. Was seine
Achtung gegenüber seinen Vorgesetzten angeht, so stellte er
sie über alles. Er war korrekt in seinem Reden über Liturgie
und heilige Riten. Mit seinem Gefährten befolgte er in der
Einsiedelei täglich zum festgesetzten Zeitpunkt die
vorgeschriebenen Riten. Er war ein kenntnisreicher Mensch, der
seine Studien in Kfifane abgelegt hatte, obwohl man ihn vom
äußeren Erscheinungsbild her als einen naiven schrulligen
Menschen hätte ansehen können. Seine Kasteiungen und die
häufige und gesteigerte Zucht seines Körpers ließen ihn nicht
krank werden, was beweist, dass sie zu ihm passten. Dabei war
er kein Mensch, der seine Tugenden spektakulär gelebt hätte.
Vielmehr war er in ihrem Vollzug schlicht, aufrecht und
treu.
Er
war ein ernsthafter und diskreter Mensch, ausgeglichen in
seinem Verhalten, wodurch er sich den Respekt und die
Hochschätzung aller, die ihn gekannt haben, zuzog. Er war für
niemanden ein Stein des Anstoßes noch eine Scherzfigur. Jeder
hielt ihn für einen Heiligen und bat um seinen Segen. Er war
weise, aber nicht von der Weisheit dieser Welt, sondern von
jener der anderen, der jenseitigen Welt.
II:
Erzählungen und Ereignisse
1)
Bittet und ihr werdet empfangen! (Mt
7,7)
Père
Charbel besaß einen bis zum Äußersten gehenden eisernen
Willen, der ihn zum Herrn seiner Neigungen und Gefühle machte.
„Er sagte zu mir, Père
Youssef Ehmej: „Mein Bruder, das Leben ist trügerisch. Gott
kennt unser ganzes Innere. Wer mit Vertrauen um seine Gnade
bittet, wird nicht enttäuscht werden. Bitte ihn, dass er dir
all das geben möge, was du zum Leben brauchst.“ Während
der ganzen Zeit, die ich in Saint-Maron verbracht habe, sahen
weder ich noch die vorgesetzten Mönche und Diener irgendeinen
Fehler in seinem Verhalten. Er bat Vorgesetzte wie Mitbrüder
und Arbeiter des Klosters um Arbeiten, denen er nachgehen
könne. So bat ihn ein Diener, er solle Werkzeuge an einen
anderen Ort tragen. Er kam diesem Wunsch auf der Stelle nach.
Ich selbst war Zeuge vieler Anweisungen, die man ihm gegeben
hat. Ich habe nie eine Klage oder einen Vorwurf von einem
seiner Vorgesetzten und Mitbrüder gehört. Sie achteten und
schätzten ihn und baten ihn um sein Gebet in Krankheit und
Trauer. Sein Mitleiden übte einen großen Einfluss auf seine
Mitmenschen aus.“
2)
Bei uns gibt es keine Diebe!
Einmal,
es war an einem Sonntag, kam ein Mann ins Kloster, um an der
heiligen Messe teilzunehmen, zu der sich auch die dem Kloster
verpflichteten Bauern an allen Sonn- und Feiertagen
versammelten. Er ließ seinen Stock an der Türe stehen und
betrat die Kirche. Zu dieser Zeit war Père Charbel noch nicht
in der Einsiedelei. Nach der Messe fand der Mann seinen Stock
nicht mehr. Er schrie laut und fluchte. Père Charbel ging aus
der Kirche und sagte ihm in sanftem und höflichem Ton:
„Mein Bruder, niemand schreit hier laut im Kloster
herum.“ Der Mann war außer sich vor Wut und schrie weiter:
„Man hat mir meinen Stock gestohlen. Gibt es im Kloster etwa
Diebe?“ Lächelnd und heiter antwortete Père Charbel:„Nein,
mein Bruder, wir haben hier keine Diebe. Schau dir dieses
Becken aus Stein am Eingang des Klosters an. Seitdem das
Kloster steht, hat es niemand gestohlen.“ Voller Scham
verstummte der Mann. Alle Anwesenden aber lachten, denn das
Becken war ein großer Stein von mehr als zehn Doppelzentnern
Gewicht, den keine zwanzig Personen hätten wegbewegen
können.“
3)
Ein Magister voller Einfälle
Seine
Intelligenz war bemerkenswert wie auch die Gründlichkeit, mit
der er seinen Arbeiten nachkam: „Ich, Père Nehemtallah
Mechmech, erinnere mich nicht, dass sich ein Gefährte und ein
Mitarbeiter über Inkompetenz in seinem Arbeiten beklagt hätten
oder dass sie selbst oder ein Dritter irgendwelche kritische
Bemerkungen gemacht hätten. In der Tat war es unter den
Mönchen und Arbeitern üblich, dass man zum Oberen ging und ihm
den ungeschickten oder unverständigen Bruder meldete. Dies
geschah mit Worten wie: „Bitte, Pater Superior, geben Sie uns
nicht diesen oder jenen Bruder, weil er in seiner Arbeit eher
hinderlich als nützlich ist.“ Seine Klugheit zeigte sich in
ihrer ganzen Schönheit, weil er anderen keinen Anlass für
irgendwelche Skrupel oder Vorspiegelungen falscher Tatsachen
bot. Auch in der Transparenz und Klarheit seines Gewissens,
das den höchsten und feinsten Gipfel der Tugenden erreicht
hat, gab er keinen Anlass zu Bedenken oder Missverstehen. Sein
ganzes Verhalten war Ausdruck von tiefen Grundsätzen aus dem
Mund der Weisheit. Welche Klugheit von Menschen aber käme der
Klugheit jenes Menschen gleich, der die Welt verlassen hat!
Zwar hat er kein eigenes Studium dafür absolviert, aber er war
in spirituellen Dingen ein Meister voller Einfälle, gerade in
jenen, in denen sich die für ihr Wissen und ihre Erfahrung
bekannten Mönche des Ordens als schwach und kraftlos erwiesen.
J:
Charbels Bücher und seine Bildung
I: Darstellung
1) Seine Bücher
Seine Betrachtungen schöpfte er aus folgenden Büchern:
Vorbereitung auf den Tod des heiligen Alfons von
Liguori, die Bekenntnisse des heiligen Augustinus,
die christliche Vollkommenheit, Werke der
Moraltheologie, die Nachfolge Christi, ein Buch auf
syrisch—ein Buch, das ihn besonders begeisterte. Folgende
Bücher las er häufig: Theologische Bücher, der
Garten der Mönche, die Biographie des heiligen Antonius
des Großen, die Lampe der Mönche, geistliche
Interpretationen, die Heilige Schrift, die
Tugendleiter des heiligen Johannes Klimakos, Bücher der
Anachoreten, den heiligen Basilius, Dichtungen des
heiligen Ephräm, Auszüge aus Texten des Syrers Isaak
von Ninive, Dichtungen geistlicher Weisheit, das
monastische Leben von Johannes Dalyatha, das buch der
Vergänglichkeiten des Lebens des Franziskaners Didacus von
Estella, Père Jean, die Schriften des Jesuiten Eusebius Nir
Moubarak, die Waage der Zeit und die
Himmelsleiter, die Herrlichkeiten Mariä von Alfons
von Liguori, das Martyrologium, die
Novizenregeln, die Regeln und
Konstitutionen von 1732.
2) Seine Bildung
Père Charbel war ein Mensch mit einer transparenten
Heiligkeit. Man hielt ihn für naiv, in spirituellen Dingen
aber war er sehr gebildet. „Ich Père Youssef Hasroune, konnte
mich persönlich davon überzeugen, dass er klug und intelligent
war“, zudem ein Kenner der syrischen spirituellen Literatur,
die er ins Arabische übersetzte. Über seine Kenntnisse des
Arabischen hinaus war er klug und überzeugend auch in seinen
Antworten. Denn in moraltheologischen und spirituellen Fragen
gehörte er zur Schule des berühmten Père Al-Kafri. In den
theologischen Gesprächen mit den Priestern sprach er gerne
über spirituelle Themen, vor allem bezüglich der Seele und
über das Geheimnis der Wiederversöhnung. Dabei schöpfte er aus
der Erfülltheit seines Herzens für spirituelle und göttliche
Dinge.
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Fromme Gespräche
„Als ich, Père Antonios Alwan, im Kloster arbeitete,
besuchte ich auch die Einsiedelei, um Père Charbel zu helfen.
Wenn er sich im Kloster aufhielt, beispielsweise um Brot zu
backen, sprach er über theologische Fragen, die nützlich für
die Seele waren. Er war unnachgiebiger in seinen Antworten als
die anderen. Denn über genaue Kenntnisse hinaus waren sie von
Sanftmut, die von der Tugend der Demut erfüllt war,
durchdrungen. Höflich wie er war, antwortete er erst dann,
wenn man ihn um eine Antwort gebeten hatte.“ Es waren fromme
Gespräche, die miteinander geführt wurden. Sie zeugten von
Tiefe im Glauben, bei denen er Verse aus der Heiligen Schrift
zitierte und Zitate aus spirituellen Büchern anführte und in
denen er uns darum bat, einen anderen Vers zu finden, der mit
dem Schlussbuchstaben seines Zitates beginnen solle. Dann
erklärte er dessen Sinn.“
2) Lesen Sie dieses
Kapitel!
„Ich, Abbé Jean Andari, habe Père Charbel persönlich
im September 1898 in der Einsiedelei der Heiligen Petrus und
Paulus kennengelernt, als ich dem Kloster Saint-Maron in
Annaya einige Monate nach meinen feierlichen Gelübden einen
Besuch abstattete. Ich war damals in Begleitung von Père
Ibrahim Al-Haqlani, meinem Schulkameraden, der später im Ruf
der Heiligkeit verstorben ist. Bei unserer Ankunft, zur Zeit
der Abenddämmerung, betraten wir die Kapelle der Einsiedelei,
in der Père Charbel gesammelt, ohne sich zu bewegen, auf den
Knien betete. Wir verweilten vor dem Allerheiligsten, beteten
dort für einen Augenblick, ohne aus den Augen zu verlieren,
wie er in dieser gesammelten Haltung in seinem Gebet
verharrte. Dann gingen wir in einen schmalen Gang, wo ein aus
schlichten Steinen gebauter Ofen stand und wir sahen den
anderen Einsiedler Père Makarios Sawma aus Mechmech, wie er
gerade in einem Kochtopf aus Ton das Essen zubereitete. Im
Übrigen aßen die Eremiten nur einmal am Tag und zwar gegen
Abend. Ihr Gericht bestand aus Linsen, Kichererbsen, grünen
Bohnen und zerstoßenem Weizen, was sie „Suppe“ nannten. Er
empfing uns mit strahlendem Gesicht und mit einem so reinen
Lächeln, das von einem keuschen Herzen zeugte, ähnlich dem
Herzen eines Kindes. Wir setzten uns auf zwei behauene Steine,
die unten zu einem Bogen geformt waren. Nachdem die Zwiebeln
zerkleinert waren, rief er Père Charbel. Wir begrüßten ihn. Er
antwortete mit leiser kaum hörbarer Stimme, schaute dabei auf
den Boden und sprach nur ein einziges Wort „Friede!“
Dann hielt Père Makarios ihm eine metallene Grillpfanne
hin, die er mit etwas Öl und gehackten Zwiebeln gefüllt hatte
und sagte zu ihm: „Nimm und brate diese Zwiebeln an!“ Er nahm
sie, ohne uns anzuschauen. Père Makarios kehrte mit einem aus
Weide geflochtenen Tablett zurück, auf das er zwei Teller, ein
bisschen Brot und Portulak gelegt hatte, zudem Petersilie,
einige Brote, die man volkstümlich „Mönchslaibchen“ nannte,
von denen einige in Stücke geschnitten, andere gegrillt waren.
Er sagte „Père Charbel! Zupfe die Blätter des Portulak ab!“ Er
nahm seine Grillpfanne wieder, goss deren Inhalt in den
Tontopf und füllte dann die beiden irdenen Teller.
Währenddessen entblätterte Père Charbel die Portulakstengel,
legte die Blätter in einen Teller und die Stengel an den Rand
des Tabletts.
Père Makarios lud uns dann zum Essen ein, wir lehnten
dankend ab und nahmen am Essen nicht teil. Er wandte sich an
Père Charbel und sagte: „Iss!“ Er betete, dann begann er zu
essen, schweigend auf dem Boden sitzend und die Beine
überkreuzend blickte er vor sich hin. Er aß die
Portulakstengel, die andere nicht aßen. Die mit Salz und Öl
gewürzten Blätter aß er nicht. Père Makarios ging dann in den
Weinberg und brachte uns Trauben von guter Qualität mit.
Inzwischen hatte Père Charbel sein Essen beendet und wartete
in gleicher Position – gekreuzte Beine, gesenktes Haupt,
schweigend – auf eine Anweisung. Sein Gefährte sagte ihm: „Geh
jetzt und bete vor dem Allerheiligsten und dann komm und spüle
das Geschirr ab!“. Als die Sonne unterging, verabschiedeten
wir uns zutiefst bewegt und voller Ehrfurcht. Wir kehrten
voller Staunen über dieses Erlebnis ins Kloster zurück.
Im Sommer 1898 verbrachte ich dann zusammen mit
Brüdern, die noch Scholastiker waren, die Ferien im Kloster
von Annaya. Eines Tages – es war gegen sechs Uhr – besuchten
wir die Einsiedler. Wir fanden Père Charbel in der Kirche
aufrecht auf demselben Weidengeflecht und an demselben Platz
knien, wie wir ihn schon beim letzten Mal im vergangenen Jahr
gesehen hatten. Vor dem Allerheiligsten betend blickte ich zu
ihm hinüber und sah ihn bewegungslos wie eine Statue knien,
den Rosenkranz an der Hand und den Blick auf den Altar
gerichtet. Ich hatte den Eindruck, er sei in Ekstase. Er hat
uns nicht einmal angeschaut. Während wir beteten, schauten wir
ihn an und hofften, er würde zurückblicken. Er aber blieb
regungslos und schaute nicht zu uns hin. Wir gingen dann in
den Hof der Kirche auf der Westseite. Während wir diskutierten
und lärmten, öffnete Père Charbel die Türe und betrachtete uns
schweigend. Seine Arme hielt er verschränkt und schaute uns
mit gelöstem Lächeln an, als ob er uns sagen wollte: Macht
keinen Lärm, der mein Gebet in der Einsamkeit stören könnte.
Ehrfurcht erfasste uns. Wir traten zu ihm hin, um von ihm den
Segen zu erhalten und seine Hände zu küssen. Jedes Mal wenn
sich einer von uns ihm näherte, um ihn zu grüßen, beugte er
sein rechtes Knie und neigte leicht seinen Körper nach vorne,
wobei er mit seinen Fingerspitzen jeden von uns berührte und
so verhinderte, daß wir ihm die Hand küssten. Er grüßte uns
mit einem Lächeln und wiederholte mit leiser Stimme, fast
stammelnd: „Friede!“ So gesammelt standen wir etwa eine
Minute lang vor ihm, sahen, wie er die Türe schloss, um weiter
zu beten, während wir uns in den Wald im Westen der
Einsiedelei zurückzogen. Innerlich zutiefst berührt und voller
Freude, ihn gesehen zu haben, tauschten wir uns leise, auf
Zehenspitzen gehend und nur flüsternd aus, um sein Gebet in
der Einsamkeit nicht zu stören. Dann aber verließ ich meine
Brüder und kehrte alleine zur Kirche der Einsiedelei zurück,
um ihn wieder zu sehen und mit ihm zu sprechen. Ich öffnete
die Türe zur Kapelle, aber er war nicht dort. Auf dem Flur war
er auch nicht zu finden. So nahm ich wieder den Rückweg zur
Einsiedelei, wo ich ihn auch nicht fand. Dann stieg ich auf
das Dach und sah ihn auf einem Steinzylinder an der Mauer der
Kirche sitzen, als ob er vor uns auf der Flucht sei. In der
Hand hielt er die Lebensbeschreibung des Heiligen Antonius des
Großen. Sobald ich nahe bei ihm war, streckte er mir das Buch
entgegen und sagte: „Lies dieses Kapitel!“ Ich las es,
aufrecht vor ihm stehend, während er zuhörte. Kaum hatte ich
die Lektüre beendet, nahm er das Buch, ohne etwas zu sagen und
verschwand in die Kirche. Mir kam der Gedanke, dass er mir
gerade diese Textstelle gegeben habe, um mich zur inneren
Umkehr zu bewegen. So war seine Art, Mönchen zu
begegnen.“
K:
Charbel und die Beichte
I: Darstellung
1) Enthüllte
Gedanken
In den Novizenregeln steht: „Nach der Beichte muss der
Novize seine Gedanken dem Oberen oder seinem Novizenmeister
offen legen, so in jeder Nacht, wenn es möglich ist. Er kniee
sich dann vor seinem geistlichen Vater in Demut und
Ehrerbietung nieder, das Haupt sei ohne Kapuze, er küsse die
Erde und sage respektvoll: „Mein Vater, mein Herz ist fern
von Gott ... Ich bin ein nichtswürdiger Knecht und in Schuld
und Irrtum vor Gott.“ Dann lege er seine Gedanken dar, die
guten wie die schlechten und bitte seinen geistlichen
Begleiter um Ratschläge, die er befolgen solle.“
2) Seine wöchentlichen
Beichten
Er hasste die Sünde und floh die Ursachen, die sie
hervorrufen. Er scheute sogar davor zurück, sich ihrer zu
erinnern. Alle, die ihn kannten, bezeugen, dass er mit Absicht
nicht einmal eine lässliche Sünde begangen hat. Alle stimmten
darin überein, dass er während seines ganzen Lebens nie gegen
die zehn Gebote und gegen die Gebote der Kirche verstoßen hat.
Vielmehr litt er darunter, wenn es ein anderer tat. So hielt
er es jeden Abend, dass er vor seinem Gewissen über alle Taten
des vergangenen Tages Rechenschaft ablegte wie es ein kluger
Kaufmann tut, der wissen möchte, ob er mit Gewinn oder mit
Verlust gearbeitet hat. Traf Ersteres zu, so dankte er Gott
und bat ihn um noch mehr Gnade, seine anstrengende Arbeit
steigern und so seinen Verdienst und seine Belohnung mehren zu
können. Wenn nicht, traf er, so gering die Sünde auch gewesen
sein mochte, Entscheidungen, die von ihm erkannte Schwäche
überwinde zu können. In seinen Beichtbekenntnissen ließ er
nicht nach, sowohl in seinem weltlichen, wie auch in seinem
monastischen und priesterlichen Leben. Er beichtete ein Mal in
der Woche: „Er möge einmal in der Woche beichten“, so steht es
auch in den Konstitutionen. Die Mönche sollen an allen Sonn-
und Feiertagen beichten. Er war von einer Scharfsinnigkeit und
Klugheit, ohne skrupulant zu sein und lebte aus einem echten
vertieften Wissen um Gottes Geist und war trotzdem sein ganzes
Leben lang offen für einen guten Rat.
Während seines Aufenthaltes im Kloster von Kfifane
hatte er zwei geistliche Begleiter: Père Nehemtallah Al-Kafri,
der später zum Generaloberen gewählt wurde und den heiligen
Nehemtallah Al-Hardini. Zu Beginn seines Einsiedlerlebens war
Père Alichaa sein geistlicher Begleiter. Nach dessen Tod
folgte Père Libaos Al-Ramati, der später in der Eremitage des
Klosters von Qattara lebte. Schließlich war es bis zu seinem
Tod auch Père Makarios, der zudem sein geistlicher Berater
war.
3) Im Dienst an den
Gläubigen
Die Erlaubnis, Beichte zu hören, erhielt er am 20.
Februar 1863 vom Patriarchen Boulos Massaad. Aber er hörte nur
dann die Beichte, wenn sein Oberer es ihm auftrug; denn er war
nicht für den pastoralen Dienst an den Gläubigen bestimmt, die
allerdings nach ihrer Beichte bei ihm und den Ratschlägen, die
er gegeben hat, voller Lobes waren und bezeugt haben, wie
eifrig er um ihr Seelenheil besorgt gewesen sei und welch
großen Einfluss er auf ihre Seelen gehabt habe. So haben alle
seinen Scharfsinn und seine gerechten Ratschläge gerühmt, die
immer zum Ziel hatten, Menschen aufzubauen und Fortschritte
auf dem geistlichen Weg erfahren zu lassen. Und wenn es nötig
war, hielt er mit seinen Ratschlägen an seine Besucher nicht
zurück. „Ich habe an mir selbst die Kraft seiner weisen
Ratschläge erfahren, als ich zum ersten Mal bei ihm gebeichtet
habe“, so Père Moubarak Tabet. Mehrere Male habe ich ihn auch
als geistlichen Berater aufgesucht.
Er betete für die Sünder, gab ihnen bei der Beichte
heilsame Ratschläge, ermahnte sie eindringlich, wenn sie
gesündigt hatten und legte ihnen eine strenge Buße auf. Ein
Mann, der bei Père Charbel gebeichtet hatte, erzählte, dass
seine Ratschläge tiefer in die Seele eindrangen als bei
anderen Beichtvätern, bei denen er gebeichtet habe. Er war
hellsichtiger im Geiste als alle gelehrten Doktoren.
Allerdings vermied er es, Frauen die Beichte abzunehmen, um
die Tugend der Keuschheit besser wahren zu können, aber er
beugte sich auch ohne Widerrede, wenn der Obere es ihm
befahl.
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Die Herzen mit Hoffnung
erfüllen
Sein Beispiel übte einen großen Einfluss auf die
anderen aus, auf Mönche wie Laien, weil er eifrig darum
besorgt war, Hoffnung in ihre Herzen zu säen. Wenn ein Mönch
schwer krank wurde, bat man den Oberen darum, Père Charbel zu
schicken, damit er den Kranken mit den Sterbesakramenten
versehe, mit Beichte und Kommunion, um die Sterbenden zu
stärken und ihren Herzen Hoffnung und Zuversicht einzuflößen,
damit sie ihren Weggang von dieser Welt in der Hoffnung auf
die Auferweckung annehmen könnten. Er verbrachte die ganze
Nacht am Kopfkissen des Kranken, saß auf einem Stuhl und ging
erst dann von ihm, wenn er sein Stundengebet verrichten
wollte, falls die Situation es erlaubte. Grundsätzlich
erfüllte er in jeder Situation den Auftrag des
Oberen.
2) Als einziger unter den
Mönchen
Bruder Sarkis aus Ehmej starb eines natürlichen Todes
und wurde in Anwesenheit von Pfarrer Youssef Issa und von
Père Charbel aus Bqaakafra am 14.März 1874 mit den
heiligen Sterbesakramenten versehen.
3) Ein kluger
Ratgeber
Während seines ganzen Lebens war er in seinem Reden
und in seinem Tun ein Vorbild an Einfachheit. In seinen
geistlichen Reden unterschied er sich von den anderen an
Klarsicht und Klugheit. Ich erinnere mich, dass er einmal
sagte: „Sprich nie ein Wort aus, das zur Sünde verleiten
könnte. Wenn es heilsam ist, dann sage es, wenn nicht, dann
schweige.“
4) Nach seinen Ratschlägen zur
Besinnung gekommen
Père Moubarak Tabet erzählt: „Als Père Charbel aus der
Kirche ging und sich auf seine Zelle zu bewegte, hielt ich ihn
an und bat ihn um die Beichte. Er kam zurück und sagte mir:
„Folge mir!“ Nach der Beichte ging mein Blick ins
Innere der Kirche, wo mir auffiel, dass die Dachfenster und
die Mauern der Kirche einsturzgefährdet waren. Ich sagte ihm:
„Vater, Sie verbringen die ganze Nacht in dieser Kapelle. Die
Eremitage ist Blitzen ausgesetzt. Ein heftiger Donnerschlag
genügt, und die Kapelle stürzt über ihnen zusammen. Warum
restaurieren Sie diese nicht?“ Er gab zur Antwort: „Das ist
nicht meine Sorge.“ Ich entgegnete: „Dann gehe ich selbst
zum Oberen und bitte ihn um deren Restaurierung.“ Er gab mir
zur Antwort: „Wir sagen es ihm nicht, mein Sohn, wo könnte
ich einen heiligeren Ort finden als diesen Altar, vor dem ich
sogar sterben könnte?“ Diese Antwort ergriff mich
zutiefst. Ich verglich sie mit dem Gefühl, das einen beim
Anhören der Ratschläge bei der Beichte überkommt. Dann ging er
weg in seine Zelle zurück. Und auch wir gingen
weiter.“
5) Seine Person vereinigte alle
Qualitäten eines guten Beichtvaters in sich.
„Er war berühmt für seine Heiligkeit gegenüber allen
Menschen. Intelligent und hochkompetent wie er in seinen
Ratschlägen und Anweisungen war, erfüllte er die Herzen derer,
die bei ihm beichteten mit Freude. Ich, Pfarrer Michel Ramia,
war selbst mehrere Male in seinem Beichtstuhl und ich wünschte
mir im Augenblick aus ganzem Herzen, täglich einen Beichtvater
wie ihn mein ganzes Leben lang aufsuchen zu können. Denn Père
Charbel besaß ein einzigartiges scharfsinniges Gedächtnis, bei
dem man meinen könnte, es habe Zugang sogar zur unsichtbaren
Welt, so sehr erinnerte er sich auch nach langer Zeit an
Situationen, die ihm seine Beichtkinder vorgetragen hatten.
Über seine Kenntnis und Kompetenz in der Seelenführung hinaus,
verstand er es, die Seele zu heilen. Er verstand es zudem, das
Herz des Beichtenden zu gewinnen, trotz offenkundiger Strenge
seiner Ermahnungen in einer begangenen Sünde und der Schwere
der Buße, die er auferlegte. Seine Person vereinigte alle
guten Eigenschaften eines Beichtvaters in sich: In seinen
Ratschlägen, Fragen und Ermahnungen traf er die Menschen ins
Herz. Er urteilte als ausgezeichneter Kenner spiritueller
Literatur, war ein geschickter Arzt, der das passende
Medikament zu verabreichen wusste und war schließlich ein
zärtlicher Vater, der seine Arme dem Sünder weit öffnete und
ihm die Leidenschaft zu Umkehr und Bekenntnis vermittelte.
6) Tief
beeindruckend
Er hörte immer nur die Beichtbekenntnisse derer an,
die ihn darum baten. Gewöhnlich schickte er sie zu seinem
Gefährten in der Einsiedelei. Seine Weisungen waren für alle,
die ihn im Beichtstuhl hörten, tief beeindruckend. „Das hat
mir, Fouad Khoury, mein Vater erzählt, der im Alter von 25
Jahren ungefähr sieben oder acht Mal bei ihm gebeichtet hat.“
Er fand seine Ratschläge sehr hilfreich für sein Seelenheil.
L:
Diener aller Menschen
I: Darstellung
In den Konstitutionen ist zu lesen: „Zeichen und Werke
der Mönche seien von den Mitbrüdern als gering und mit Demut
zu betrachten.“ Deshalb machten sich einige seiner Mitbrüder
über seine Naivität lustig, obwohl er doch gerade in seiner
Demut vorbildhaft für jeden Christen war, seine Tugend verbarg
und seine guten Werke verheimlichte. Er wurde traurig und
begann zu zittern, wenn andere ihn lobten. Er war die
Bescheidenheit in Person, hielt sich von Menschen und
Mitbrüdern fern, zog den abgelegenen Ort vor, die Isolation
und das Schweigen. Nach außen hin war es das Schweigen eines
Menschen dieser Welt, der aber in Wirklichkeit im Himmel schon
sein zu Hause gefunden hatte. Wenn die Leute um seine Fürbitte
ersuchten, sagte er ihnen im Weitergehen: „Haben Sie doch
Vertrauen in Gott. Er lenkt Ihren Weg.“
Wenn man ihn wegen einer Sache kritisierte, selbst
wenn sie nicht von ihm verschuldet war, kniete er sich mit
verschränken Armen nieder und bat um Verzeihung, hielt den
Kopf auf den Boden gesenkt und erhob sich erst dann, wenn man
ihn dazu aufforderte. Wenn man ihn ermahnte, kniete er sich
rasch verstummend und mit verschränkten Armen nieder, ohne zu
versuchen, sich zu rechtfertigen und er erhob sich erst dann
wieder, nachdem er dazu aufgefordert worden war und den Segen
des Oberen für die Arbeit erhalten hatte. Wenn jemand ihm
sagte: „Du bist ein Heiliger“, sprang er auf, schüttelte den
Kopf und zog die Augenbrauen zusammen, betrachtete er sich
doch als letzten aller Menschen und größten Sünder. Wenn man
ihn um Gebete bat, gab er zur Antwort: „Ich bin ein
sündiger Mensch.“
Er zeigte sich als Demut in Person, immer
darauf bedacht, kein Aufhebens um seine Person zu machen.
Folglich war er für diese Welt wie ein Toter. Einige seiner
Mitbrüder machten sich über ihn und sein asketisches Leben
lustig, so beispielsweise der für die Küchenvorräte
verantwortliche Gehilfe, der ihm in die Laterne Wasser statt
Öl goss. Die Leute rümpften die Nase über seine schlichte
Kleidung. Er ließ sich bis zur völligen Nichtung seiner Person
demütigen. Man hätte meinen können, er hätte sich dies sogar
gewünscht, wenn man bedenkt, dass er sich nach außen hin so
willen-, gedanken- und gefühllos zeigte und sich nichts aus
Kleidung, Essen, Schlaf, seiner strengen Haltung beim Knien,
aus seiner Liege, seiner Zelle und seiner erschöpfenden Arbeit
machte. Er vergaß sich ganz einfach.
Er nahm willig die Geringschätzung durch seine
Mitmenschen an und verspürte Freude, wenn man sich über ihn
lustig machte. Er tat nichts, wessen er sich hätte schämen
müssen. Obwohl er Priester und in spiritueller Literatur
bewandert war, ein schon Betagter in seinem Orden und Vorbild
an Tugenden, verrichtete er schwere, um nicht zu sagen,
niedrigste Handarbeit. Er beanspruchte nie ein Amt oder
missionarische Aufgaben, die seinem Priesterstand angemessener
gewesen wären als schändliche Handarbeit. Es drängte ihn auch
nicht zu einer Machtposition. Er suchte immer die geringsten
Dienste, die geringsten Plätze. Man hörte ihn sagen: „Ich
verdiene es gar nicht, unter meinen Mitbrüdern zu leben, noch
ihre Ehrenstellung zu erreichen, denn ich stehe unter
allen.“ Er sah sich in seinem Wesen und in seiner Person
geringer an als alle anderen Mönche und bezog jede
kleinliche Kritik auf sich selbst. Wenn man auf dem Feld
arbeitete, verhielt er sich so, als sei er der Knecht aller:
Er suchte sich die geringsten Dienste und Arbeiten aus wie das
Kehren und Spülen, Dienste also, die nicht für geweihte
Priester bestimmt waren und er kam ihnen sofort und gerne
nach. Wenn die Mönche versuchten, ihm die Hand zu küssen und
seinen Segen zu erhalten, war er immer darauf bedacht, sie
daran zu hindern.
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Fremd
Père Charbel war der Einzige im Kloster, der aus dem
Nordlibanon stammte, aus der Gegend von Jebbé und nicht aus
der Gegend von Jbeil wie alle anderen Mönche. Dennoch
gehorchte er in vorbildlicher Weise all denen, die im Kloster
lebten. Mönche wie Laien gaben ihm Anweisungen, teils aus
Mutwille, teils scherzhaft. Dennoch hat er nie eine Anweisung
zurückgewiesen. Niemand hat Position für ihn bezogen oder ihm
besonderen Respekt entgegengebracht – bis auf den Oberen, der
wütend wurde, wenn man Père Charbel muwillig zusetzte oder
sich über ihn lustig machte. Er war ganz mit seiner Arbeit,
mit Gebet und gehorsamer Erfüllung seiner Pflichten
beschäftigt, ohne über die Spötter unwillig zu werden. Er
sprach nur selten und wenn, dann nur, um Fragen zu
beantworten. „Wie viel Verachtung hast du mir hier in diesem
Jordanien zukommen lassen? Ich möchte von dieser Erde
verschwinden und für Dich, Jesus, die letzte in Allem sein“,
lesen wir in einem Gedicht der heiligen Thérèse von
Lisieux.
2) Gott gebe mir die Kraft zum
Gehorsam!
Als Abdel Ahad Al-Houssaïni Oberer im Kloster der
Heiligen Sergius und Bacchus in Qartaba war, kam Père Roukoz
ins Kloster Saint-Maron in Annaya, wo Mönche und Arbeiter
gerade damit beschäftigt waren, einen Ofen zu bauen. Père
Charbel kümmerte sich um das Brennholz. Da wandte sich Père
Roukoz Hanna aus Mechmech an ihn, scherzte vor allen
Anwesenden und sagte: „Alle Mönche haben einmütig beschlossen,
dich in den Ofen zu stecken. Er hat kein Brennholz und ein
menschlicher Körper brennt besser als Holzscheite. Fleisch
heizt dem Ofen zudem gut ein. So wird der Stein rasch
gebrannt.“ Kaum hatte Père Charbel dies gehört, kniete er sich
nieder und sagte: „Gott gebe mir die Kraft zum Gehorsam!“
Das aber heißt: Ich bin bereit, für den Gehorsam mein
Leben zu opfern. Zutiefst berührt tadelte ihn Père Elias aus
Mechmech, der dabeistand und sagte: „Schäm dich! Warum scherzt
du auf diese Weise mit Père Charbel? Weißt du nicht, dass er
den heiligen Geist in sich trägt? Gott schenke uns den Segen
seines Fürbittgebetes.“ Daraufhin bat Père Roukoz Père Charbel
um Verzeihung. Er gab zur Antwort: „Gott verzeihe einem
jedem von uns.“
3) Ich bin ein großer Sünder.
Niemand war sich seiner Anwesenheit bewusst, so
zurückgezogen lebte er. Wenn Besucher kamen, um ihn um den
Segen und um seine Fürbitte vor Gott zu bitten, traf er sich
mit ihnen, ohne sie anzuschauen und sagte immer wieder nur:
„Bitten Sie den Herrn, er möge Ihr Gebet so erhören, wie es
Ihrem Glauben entspricht.“ Wenn man zu ihm sagte: „Sie
sind ein Heiliger!“, wurde er unwirsch und sagte „Ich bin
ein großer Sünder!“ In der Einsiedelei verrichtete er die
niedrigsten und demütigenden Arbeiten. Obwohl er zuweilen der
Obere in der Einsiedelei und Vorgesetzter seines jüngeren
Gefährten Père Makarios war, unterwarf er sich ihm in vollem
Gehorsam. Er spülte das Geschirr ab und fegte die Einsiedelei.
Wenn der Obere einen Mönch in seiner Anwesenheit tadelte und
wenn er selbst eine Sache anmahnte, kniete er sich, auch wenn
er sich nichts hatte zu Schulden kommen lassen, nach
Gewohnheit der Mönche nieder und bat wie ein Schuldiger um
Verzeihung. Er erhob sich erst dann wieder, wenn der
Obere ihn dazu aufforderte.
4) Essen, was die Katze übrig
gelassen hat
„Im Folgenden erzähle ich, Père Bernard Ehmej, eine
Geschichte, die ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe und
die mich zutiefst berührt hat. Ich erinnere mich an sie
innerlich tief bewegt, voller Respekt und Verwunderung: Père
Charbel nahm gerade sein Essen zu sich, während ich anwesend
war. Das Gericht bestand aus gekochtem zerstoßenen Weizen mit
Löwenzahnblättern von den Wiesen. Nach dem Essen reinigte Père
Makarios die Bratpfanne mit einem Stück Brot, das er der Katze
hinwarf. Nachdem sie keinen Hunger hatte, leckte sie die Reste
der Speise ab, ließ aber das Brot liegen. Inzwischen reinigte
Père Charbel die Teller, kehrte zurück und fand das Brot
mitten auf dem Weg, wo man es hätte zertreten können. Er hob
es auf Höhe des Gesichtes, schüttelte den Staub von ihm ab,
machte das Kreuzzeichen darüber und aß es, ohne darauf zu
achten, dass ich anwesend war. Er hob ja nie seinen Blick. In
diesem Augenblick wurde ich mir bewusst, dass er überhaupt
niemanden ansah und mich wiederholt gefragt hatte: „Wer
bist du?“ Ich erinnerte ihn vergeblich an meinen Namen. Am
folgenden Tag kam er noch einmal darauf zurück, wiederum ohne
die Augen zu heben, um mir ins Gesicht zu schauen.“
5) Was soll ich
damit?
Während seines ganzen Lebens war er darauf bedacht,
von allen gering geschätzt zu werden und hielt deshalb seinen
Blick immer gesenkt. Er hatte weder einen Blick für seine
Mitbrüder noch für die Schönheit der Landschaft. Eines Tages
hielt ich in Begleitung von Père Nehemtallah aus Mechmech ein
Fernglas in der Hand und richtete es auf Beirut. Père Charbel
kam in unsere Nähe und trug ein Seil, um ein Bündel Holz
festzuzurren. Ich sagte ihm: „Nehmen Sie das Fernglas und
schauen Sie Beirut einmal ganz aus der Nähe an.“ Er
entgegnete: „Nein, was soll ich damit?“ Dann setzte er
seine Arbeit fort.“
6) Um ihn nicht auf die Probe zu
stellen
„Ich Hanna, Houssaïni, hörte, wie Père Elias aus
Mechmech die Besucher des Konvents davor warnte, Père Charbel
mit Worten oder sonstwie auf die Probe zu stellen. Er sagte
dabei: „Er ist ein Mann Gottes, der den heiligen Geist
verborgen in sich trägt. Haben Sie Achtung vor ihm!“ Père
Élias mochte und schätzte ihn wegen seiner einzigartigen
Tugenden. Einmal sagt er mir: „Ich habe oft versucht, Père
Charbel von seiner mühsamen Arbeit auf dem Feld abzubringen,
um ihm eine weniger schwierige im Kloster anzubieten und um
ihm ein bisschen Ruhe zu gönnen. Er aber kehrt nach getaner
Arbeit im Kloster sofort wieder aufs Feld zurück.“
7) Spott
- Selig seid ihr, wenn man euch
verspottet und verfolgt! (Mt 5,11)
Einmal war er gerade dabei, das Offizium zu beten, als
Père Ighnatios aus Mechmech ihn rief und anherrschte: „Lass
das Gebet und komme hierher!“ Er gehorchte ehrfurchtsvoll und
ertrug den Spott und die Witzeleien der anderen bald demütig,
bald geduldig und heiter. „Wer sich erniedrigt, wird erhöht
und wer demütigen Sinnes ist, der wird Frieden in seiner Seele
finden. Wem man Schlimmes nachsagt, der wird große Belohnung
im Himmel erhalten.“ Deshalb war er so gelassen und in sich
zufrieden.
- Freut euch und jubelt laut,
denn euer Lohn im Himmel wird groß sein. (Mt 5,11)
„Bei der Weinlese im Weinberg der Einsiedelei bat der
Obere mich, Frère Francis Qartaba, das Kühlgefäß am Brunnen
der Einsiedelei zu füllen. Als ich dort ankam, band ich rasch
ein Seil an den Henkel und warf es so mir nichts dir nichts in
den Brunnen, ohne zu merken, dass Père Charbel hinter mir
stand und mich beobachtete. Er sagte mir: „Mein Bruder, der
heilige Antonius hat sich für die Unterscheidung der Geister
stark gemacht. Du hingegen nimmst das Risiko in Kauf, dass das
Gefäß zerbricht, wenn du es mit aller Wucht in den Brunnen
wirfst. Das zeugt nicht gerade von
Bescheidenheit und Armut.“ Ich
erwiderte ihm energisch: „Geh in deine Kirche! Du residierst
in deiner Einsiedelei und tust gerade so, als seiest du ein
Heiliger!“ Er antwortete höflich und sanft mit geneigtem
Haupt: „Verzeihen Sie mir, mein Bruder, um der Liebe
Christi willen.“ Jeder von uns ging dann seiner Wege, er
in die Kirche, ich in den Weinberg und jedes Mal wenn ein
Gespräch auf einen Protest hinauslief, kam sein Gefährte ihm
zuvor und sagte: „Verzeihen Sie mir!“
- So haben sie schon die
Propheten vor euch verfolgt. (Mt 5,11)
Frère Boutros Jawad Mechmech erzählt: „Eines Tages,
als ich den Weinberg der Einsiedelei mit einigen Knechten des
Klosters umgrub, sah ich Père Charbel, wie er gerade die
Rebstöcke vor den vorüberziehenden Kühen hochhielt. Da geschah
es, dass eine von ihnen auf einen Weinstock trat. Père
Makarios kam dazu und sagte zu Père Charbel:„Sieh dir nur den Weinstock an,
den Du in Deiner Nachlässigkeit hast zertreten lassen. Was
tust Du eigentlich? Weshalb lässt Du ihn so einfach von den
Füßen der Kühe zertrampeln!“ Auf der Stelle kniete er sich mit
verschränkten Armen hin und sagte: „Verzeihen Sie mir um
der Liebe Christi willen!“ Dann schwieg er, betete und bat
umVerzeihung für seine Missetat. Auch hat mir Père Makarios
erzählt: „Père Charbel sagte mir einmal: „Wenn ich schon
ein Esel bin, sei geduldig mit mir und ertrag mich um der
Liebe Christi willen.“
M: Kein
Laut kam aus seinem Mund. (Mt 12,19)
I: Darstellung
„Der Mönch muss bewusst Stille wahren“, fordern die
Konstitutionen. Deshalb sprach er nur sehr selten. Man hörte
ihn nur, wenn er in der Kirche die Konsekrationsworte sprach
und auch im Chor der Mönche. Er wandte sich von sich aus nie
an Gesprächspartner wie Männer, Frauen oder Mönche. Er hatte
die Regel verinnerlicht, so dass man ihn immer nur
stillschweigend in der Kirche oder bei der Arbeit sah. Keine
überflüssigen Worte mit einem Besucher oder zu einem
Maultiertreiber kamen aus seinem Mund. Bei der Arbeit sprach
er mit niemandem und war auch nicht darauf erpicht,
Neuigkeiten von Leuten oder von einer bestimmten Person zu
erhaschen. Wenn man ihn aber fragte, so antwortete er höflich,
in ruhigen Worten kurz und knapp.
Um sich zu kasteien, verbrachte er die Abendstunden in
Stille, zeigte sich aber offen für Gespräche, wenn es um
spirituelle oder theologische Themen ging. Dann sprudelte es
aus ihm wie von selbst hervor. Sein Leben glich dem eines
Mönchs aus einem Schweigeorden. Seine Sprache war nur dem
vertraulichen Gespräch mit Gott und der Kontemplation geweiht.
Er war ein Mönch der Arbeit, des Gebetes und des
kontemplativen Schweigens. Seine Worte waren von tiefer Demut
geprägt und so vom himmlischen Geist erfüllt, dass man hätte
glauben können, er stamme aus einer anderen Welt. Abgesehen
von den Gesprächen mit seinen Vorgesetzten gestattete er sich
nur Gespräche über spirituelle Themen.
In der Kirche wie in der Einsiedelei verhielt er sich
wie ein Engel. Er machte nicht auf sich aufmerksam, es sei
denn bei der heiligen Messe und er war schweigsam bei seiner
Arbeit. Seine Verschwiegenheit war erstaunlich. Man wunderte
sich, wie er so im Schweigen, in seinem asketischen Leben, in
Gebet und Arbeit verharren konnte. „Damals verstand ich, P.
Bernard Ehmej, weder den Sinn noch die Bedeutung eines solchen
Verhaltens. Schließlich begann ich zu begreifen, dass er ein
Heiliger ist. Diesen Gedanken wiederholten einmütig alle, die
ihn gekannt haben.“ Dass man sich jeglichen Sprechens enthält,
ist ein schwer verständliches Phänomen. Umso mehr bei Père
Charbel, der fünfzig Jahre lang in Kloster und Einsiedelei
gelebt hat, schweigend bei der Arbeit, schweigend im Gebet,
asketisch in seiner Kleidung und in seinem Essen, ohne sich
Ruhe und menschliche Annehmlichkeiten zu gönnen.
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Nur im Notfall
Die Regel gebietet das Schweigen nach der Komplet, im
Refektorium und in der Kirche. Während dieser Stunden
antwortete er den Mönchen nur, wenn es nötig war. Die
Mitbrüder ahmten ihn darin nach und stellten sein Schweigen
noch zu seinen Lebzeiten und auch nach seinem Tod als Ideal
für die Novizen hin. Unter allen Mönchen gab es keinen, der
ihm in der Beobachtung der Regel gleich kam.
2) Ein Docht, der nie erlischt
(Mt
12, 19-20)
Wenn einer der Novizen die Regel überschritt, klagte
er ihn nicht beim Oberen an. Vielmehr tat er so, als sei er
taubstumm, mischte sich in nichts ein und achtete nur auf die
Anweisungen, die man ihm persönlich gab.
3) Ich bin vom Weg
abgekommen.
„Einmal ging er nach Mechmech zu einer Beerdigung und
kehrte erst am Abend zurück. Ich, Père Éphrem Nakad, fragte
ihn, warum er so spät komme. Er antwortete: „Ich bin vom
Weg abgekommen. Der Nebel war zu dicht, und ich fand mich in
Houjoula wieder. Dort stieß ich wieder auf den Weg und trat
nach und nach den Rückweg ins Kloster an.“ Ich erwiderte:
„Hast du niemanden getroffen?“ Er entgegnete mir: „Doch
mehrere Personen.“ Ich fragte erneut: „Warum hast du dich bei
ihnen nicht nach dem Weg erkundigt?“ Er verstummte. In der Tat
fragte er niemanden, noch richtete er sich fragend an
jemanden, selbst wenn er vom Weg abgekommen war. Sein Fall ist
ein Einzelfall! Kein Anachoret und kein Eremit hat so gelebt
wie er. Weder vor noch nach ihm bin ich einem Menschen wie ihm
begegnet, weder unter den Mönchen, noch unter Laien, Priestern
und Bischöfen. Gott ist wunderbar in seinen Heiligen! Der Fall
dieses Mönchs lässt einen zutiefst staunen.“
4) Äußerst sparsam an
Worten
Père Bernard Ehmej berichtet: „Ich habe ihn nur als
sehr sehr sparsam an Worten kennengelernt. Einmal hat er mich
gefragt: „Woher kommst du?“ Ein anderes Mal: „Wo
studierst du?“ Ich antwortete: „In Kfifane.“ Er fuhr dann
fort: „Im Evangelium steht: Ihr seid wahrhaftig meine
Jünger. Welche grammatikalische Funktion erfüllt hier
„wahrhaftig“? Ich antwortete so wie ich es gelernt hatte.
Dann habe ich ihm meinerseits eine Frage bezüglich der
Grammatik gestellt. Er antwortetet mir: „Mein Bruder, ich
weiß es nicht.“
5) Kein Wort kam über seine
Lippen.
„Ich, Père Moubarak Tabet, habe Père Charbel in den
Jahren 1893 bis 1895 kennengelernt, als ich die Einsiedler
meines Ordens reihum besuchte. Ich befand mich in Begleitung
von vier Mönchen, darunter Père Ibrahim Harfouche, Père
Youssef, Père Youssef Ghébalé. An die Namen der beiden anderen
erinnere ich mich nicht mehr. Wir sind von Père Makarios
empfangen worden, den wir darum baten, uns Père Charbel zu
rufen, der dann auch kam. Wir begrüßten ihn, küssten ihm die
Hand und baten ihn um seinen Segen. Er fragte mich: „Woher
kommt ihr, meine Brüder?“ Wir antworteten auf seine Frage,
stellten uns der Reihe nach vor und nannten unseren Namen,
unser Kloster und den Geburtsort. Er antwortete: „Habt ihr
vom Tod eines unserer Mitbrüder in den visitierten Klöstern
gehört, für den ihr eine heilige Messe zu seiner Seelenruhe
lesen könntet?“ Wir verneinten. Er zog sich in seine Zelle
zurück und überließ uns seinem Gefährten, der uns sagte:
„Lassen Sie mich das Essen zubereiten. Es ist Essenszeit und
Sie sind zum Essen eingeladen.“ Er brachte eine Platte aus
Ton, auf die er trockene Brotstücke mit etwas Gemüse gelegt
hatte, dazu etwas Essig, Zwiebel und Knoblauch. Dann rief er
Père Charbel zum Essen und lud auch uns ein, mit ihnen zu
speisen. Wir dankten, aßen aber nichts. Während des Essens kam
kein Wort über seine Lippen, um das Schweigen bei Tisch zu
wahren, während Père Makarios sein Gespräch mit uns
fortsetzte.“
6) Kommst du deinen geistlichen
Pflichten nach?
Einmal kam sein Bruder aus Bqaakafra um ihn zu
besuchen. Er läutete. Père Charbel kam, um nachzusehen, wer
geläutet habe, öffnete die Tür aber nicht. Der Besucher
antwortete: „Ich bin der Bruder des Einsiedlers Charbel.“ Er
antwortete: „Warte einen Augenblick! Ich werde meinen
Gefährten fragen, ob er damit einverstanden ist, dass ich die
Türe öffne.“. Er ging zu seinem Gefährten und sagte ihm:
„Mein Bruder steht an der Türe, willst du, dass ich
öffne?“ Er entgegnete: „Aber ja. Empfange ihn!“ Während
ihres Zusammentreffens wiederholte er immer wieder dieselben
Worte: „Wie geht es dir? Geht es dir gut? Ist alles in
Ordnung? Kommt ihr, du und deine Familie, euren geistlichen
Pflichten nach?“ Kurz darauf verabschiedete er sich von
ihm.“
7) Wie der Heilige
Nestor
Er verhielt sich wie der heilige Nestor. Als dieser am
Tag seines Eintritts in den Orden einen Esel am Portal
vorfand, sagte er zu sich selbst: „Nestor, Nestor, du und
dieser Esel, ihr seid doch ganz ähnlich. Falls letzterer reden
kann, dann wirst auch du im Kloster reden können.“ „Aus
eigener Erfahrung mit Père Charbel hielt ich, P. Ephrem Nakad,
ihn zwar für einen intelligenten Kenner spiritueller
Theologie, der sich für das Studium begeisterte, aber er
verhielt sich doch manchmal wie der heilige Nestor: Er war ein
Esel in seinem Schweigen, ein Philosoph in Gebet und Leben,
ein Anachoret im Kloster. Ich habe nie von ihm Worte gehört
wie: „Ich bin müde, ich habe Hunger, ich habe
Durst.“
8) Auf den Geliebten hören
(Lk 10,
39)
Obwohl Père Charbel weder ein einfältiger, noch ein
melancholischer oder depressiver Mensch war, wie Menschen nun
einmal sind, wenn sie den Kontakt mit anderen meiden, muss man
sich doch bewusst sein, dass für ihn die Zunge wohl nur für
das Lob Gottes geschaffen worden war, für den Gehorsam
gegenüber den Oberen, wie auch für das geistliche Wohl des
Nächsten. Deshalb sprach er nur sehr wenig und ergriff nur
sehr selten im Gespräch die Initiative, meistens dann, wenn er
auf eine Frage antworten wollte. So zeichnete er sich unter
den Einsiedlern nicht nur deshalb aus, weil er die
Eremitenregel befolgte, sondern auch, weil er das Schweigen
permanent wahrte und an seiner Hände Arbeit festhielt. Sein
Leben glich einer Endloskette mit drei Ringen: Beachtung der
Regel, Gebet und Arbeit, dazu das Schweigen. Er ähnelte eher
den Mönchen kontemplativer Orden als Mönchen des Libanesischen
Ordens. Alle anderen Eremiten wunderten sich über sein
machtvolles unaufhörliches Schweigen.
9) Er gab mir keine
Antwort.
„Als ich, Moussa Moussa, ihm dabei half, Dornenhecken
und Baumstümpfe auszureißen, blieb er still und sprach mich
nicht an. Als ich mich wegen des Schweigens auf dem Feld
langweilte und ihn anredete, antwortete er mir
nicht.“
10) Zerstreuungen irgendwelcher
Art kannte er nicht.
Boutros Moussa erzählt: „Ich habe mehrere Mönche und
Einsiedler besucht, die allesamt ehrenwerte Personen waren,
aber niemand ähnelte Père Charbel. Die anderen, mittlerweile
verstorbenen Eremiten sprachen mit uns und auch die jetzt noch
Lebenden sprechen gerne mit uns, wenn wir sie besuchen. Sie
fragen uns nach Neuigkeiten, schauen uns an und empfangen
gerne ihre Eltern bei sich. Père Charbel hingegen sprach mit
niemandem, suchte keine Zerstreuungen und schaute seine
Gesprächspartner nicht an.“
11) Die Leute hielten ihn für
stumm.
Père Charbel war ein Engel in Menschengestalt,
ein Philosoph ohne Philosophie, ein Ideal an Heiligkeit und
Vollkommenheit. Er hatte wohl eine Zunge, doch die Leute
hielten ihn für einen Stummen, wie ein kleines Kind in den
Armen seiner Mutter – mit dem einzigen Unterschied, dass kein
Laut aus seinem Mund hervorkam.
12) Er sprach nur
selten.
„Während meiner Zeit in Saint-Maron, zu Lebzeiten von
Père Charbel also, sah ich, Père Antonios Alwan, in ihm nur
einen schweigsamen Menschen, der nicht nur von den Menschen,
sondern auch von den Mönchen isoliert lebte. Er bewegte sich
nur, wenn man ihn dazu aufforderte. Er war geradeso wie eine
Maschine. Er sprach nicht zu mir, um Anekdoten aus seinem
Leben zu erzählen. Er mischte sich im Umgang mit den Menschen
in nichts ein.“ Er arbeitete vier oder fünf Stunden lang mit
den Novizen, die um ihn herum eifrig plapperten. Er aber blieb
schweigsam und sprach nur selten.
13) Er sprach nicht mit
mir.
„Er hat nie das Gespräch mit mir, David David,
gesucht, im Gegensatz zu den beiden anderen Einsiedlern, die
frei heraus mit mir sprachen. Ich habe nie gesehen, dass er
sich in Angelegenheiten anderer, auch nicht der Besucher,
einmischte. Wenn man ihn darum bat, das Wasser zu weihen, tat
er es und spendete es als erster.“
N: Ich
blieb gelassen in meinen Leiden. (Kol 1,24)
I: Darstellung
Die Konstitutionen schreiben vor: „Der Mönch muss Gott
mehr für die Krankheit danken als für die Gesundheit, im
Vertrauen darauf, dass sie eine Prüfung des Herrn zum Heil des
Kranken ist.“ Père Charbel litt an entsetzlichen
Magenschmerzen, ohne sich behandeln zu lassen und ohne ein
Schmerzmittel zu nehmen, selbst wenn der Schmerz unerträglich
wurde. Er wiederholte immer wieder: „Gottes Wille
geschehe!“
Er ertrug die chronische Kolik ohne Klage und ohne
Behandlung, selbst dann, als sie sich während des Schneefalls
im Winter noch verschlimmerte. Er hat nie zu jemandem über
seinen Gesundheitszustand gesprochen, noch hat er um den
Besuch eines Arztes gebeten. Zudem fand er keinen Geschmack an
Erfrischungen im Sommer oder an einem heißen Getränk im Winter
und dies trotz der bissigen Kälte in der Einsiedelei. Er sagte
nie, dass er krank sei, trug ein und denselben Habit im Sommer
wie im Winter und wärmte sich auch nicht am Feuer wie die
anderen Einsiedler. Vielmehr verbrachte er seine Zeit in der
Kirche mit Beten – meist auf nacktem Boden kniend.
Er trug ständig den Bußgürtel, direkt auf seinem Leib
aufliegend und nicht über einem Flanellstoff, wie dies
heutzutage geschieht. „Ich, Boutros Moussa, fragte mich, wie
er das alles vor allem im Sommer aushalten konnte.“ Er legte
sich diesen Gürtel mit spitzen Eisenstacheln auf sein Fleisch.
Nach dem Zeugnis seiner Gefährten war dies Ausdruck seiner
Askese. „Überlasst mich nicht den irdischen Versuchungen,
führt mich zum reinen Licht. So erst werde ich ein
menschliches Wesen. Lasst mich das Leiden meines Herrn
nachahmen“, schreibt Ignatius von Antiochien in seinem Brief
an die Römer.
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Ohne zu arbeiten die Armut
überwinden – dies widerstrebt meinem Gewissen.
Alles, was von Gott oder den Menschen kam, nahm er mit
Geduld und Gelassenheit an, wie beispielsweise die Kolik, die
ihn überkam. Er hat sich nie einer Behandlung unterzogen,
ertrug seine Schmerzen mit erstaunlicher Geduld und verbarg
diskret sein Leiden vor den anderen. „So geschah es eines
Tages, als wir im Weinberg der Einsiedelei arbeiteten, - das
waren ich, Bruder Élias Al-Mahrini, als Verantwortlicher für
das Feld, der Knecht Sleiman Al-Manzili, Père Charbel und sein
Gefährte in der Einsiedelei, Père Makarios, die uns gemeinsam
halfen - , dass Père Charbel Krämpfe bekam, seinen Rücken
beugte, mit den Händen an die Hüfte fasste und laut über
Schmerzen klagte. Ich fragte Père Makarios: „Was ist mit dem
Einsiedler? Ich sehe, wie sehr er leidet!“ Er gab mir zur
Antwort: „Er hat eine Nierenkolik“ Ich entgegnete: „Dann soll
er sich ausruhen, und wir lassen einen Arbeiter an seiner
Stelle kommen.“ Père Makarios antwortete mir: „Er will selbst
damit klar kommen.“ So setzten wir unsere Arbeit fort, und als
uns ein anderer Pflüger in der Ackerscholle überholte, lief
Père Charbel auf einen Weinstock zu, um ihn vor den
vorbeiziehenden Rindern hoch zu binden. Dabei stieß er noch
eindringlichere Klagerufe aus als zuvor, was bedeutete, dass
er noch größere Schmerzen hatte. Ich sagte ihm: „Gehen Sie
langsam weiter, Magister, ich kann auch die Rinder anhalten.“
Er antwortete mit schwacher, abgehackter Stimme: „Mein Herr,
ohne zu arbeiten die Armut überwinden – dies widerstrebt
meinem Gewissen“ und setzte seine Arbeit den ganzen Tag über
trotz seiner Schmerzen fort. Am Abend aßen wir Linsen und
Portulaksalat. Ich sah, wie Père Charbel die Salatstengel
aufhob, schnitt und aß. Am Morgen dann bemerkte ich, dass er
sich auf Grund unerträglicher Schmerzen ganz ungewöhnlich
benahm. Auf meine Frage hin antwortete mir Père Makarios: „Die
Kolik ist zurückgekommen.“ Ich hatte Mitleid mit ihm und bat
ihn, die Arbeit einzustellen. Er weigerte sich jedoch, uns
alleine zu lassen und fuhr den ganzen Tag über unermüdlich mit
der Arbeit fort als ob er bei bester Gesundheit
sei.“
2) Ich hatte Tränen in den
Augen.
Man sah, dass sein ganzes Leben eine Abfolge von
Kasteiungen war, an die sich sein Körper schon gewöhnt hatte.
Auch seine Seele hatte sich damit abgefunden – so sehr waren
seine Sinne völlig vom Geist beseelt. Die Auslöschung seiner
selbst war ihm zur Natur geworden, genauer gesagt, es war sein
unverwechselbarer Weg, den er nach vielen Jahren asketischen
Lebens für sich als richtig erkannt hatte. „Ich, Père Youssef
Hasrouni, erinnere mich an Mai 1897, als wir damit beschäftigt
waren, den Weinberg der Einsiedelei umzupflügen. Es war gerade
Zeit zum Frühstück. Père Charbel fuhr fort, die Mauern um den
Weinberg aufzuschichten. Ich bat seinen Gefährten, Père
Makarios, ihn zum Frühstück zu rufen. Er antwortete mir: „Er,
er isst am Nachmittag.“ Zur Zeit des Mittagessens setzte er
seine Arbeit an dem Mäuerchen fort. Daher bat ich Père
Makarios aus Sorge um seine zerbrechliche Gesundheit, ihm zu
befehlen, er solle mit uns essen. Aber sein Gefährte hat mir
geantwortet: „Er wird danach erst essen.“ Am Abend haben wir
dann das Vieh auf die Weide in den Wald geführt. Kurz darauf
bin ich in die Einsiedelei zurückgekehrt, um etwas zu trinken.
Da habe ich Père Charbel gesehen, wie er gerade die
Portulakstengel aufhob, zerkleinerte und aß. Als ich das sah,
traten mir Tränen in die Augen. Ich verwies Père Makarios auf
seine Aufsichtspflicht und sagte ihm: „Haben Sie Mitleid mit
dem Einsiedler! Lassen Sie ihn doch nach so anstrengender
Arbeit wegen seiner Krankheit und seinen Schmerzen Arbeit
nicht die Portulakstengel essen!“ Er gab mir zur Antwort: „Er
ist zufrieden mit dem, was er isst, lassen Sie ihn!“ Dann
sagte ich mir: „Wie steht es bei uns mit unseren Tugenden, die
dieser Pater uns vorlebt? Er verkörpert in der Tat alle
Tugenden der Anachoreten in der Sketis (Oberägypten) und
übertrifft bei weitem, was im „Garten der Mönche“ und im Buch
über die christliche Vollkommenheit geschrieben
steht.“
3) Ich wurde von tiefstem
Mitleid ergriffen.
„Ich, Père Youssef Hasrouni, sah ihn einmal
Holzscheite auf dem Rücken vom Wald zum Weinberg tragen. Diese
band er zu schweren Bündeln zusammen und trug sie zur
Einsiedelei. Dort wurde ich von tiefstem Mitleid ergriffen,
als ich diesen Greis mit über 65 Jahren sah. Ich habe seinen
Gefährten Père Makarios wegen seiner Verantwortung für ihn
angesprochen, der mir aber, alles Versäumen von sich weisend,
zu verstehen gab: „Er will seine Kräfte züchtigen.“
4) Reis mit Butter in der
Einsiedelei?
Einmal sagte ihm Père Makarios: „Du lässt Deine
Nierenschmerzen so anstehen, lass mich Dir eine Reissuppe mit
Butter machen.“ Er antwortete mit sehr leiser Stimme: „Reis
mit Butter in der Einsiedelei!? Das bitte
nicht!“
5) Um des Leidens Jesu
willen
„Als ich, David David, ihn fragte, warum er sich einen
kleinen Zweig vom Weinstock um sein Haupt und ein Ziegenfell
um sein Handgelenk gebunden habe, antwortete er mir: „Ich habe
Kopfschmerzen: Sie sollen mich an das Leiden Jesu
erinnern.“
6) Niemand war sich seiner
Leiden bewusst.
„Ich, Père Elias Ehmej, habe
gehört, die Einsiedler hätten ein Essen aus wilden Kräutern
zubereitet, unter denen sich eine für den Körper bedenkliche
Pflanzenart befunden habe. Père Charbel aß davon und wurde
krank, ohne sich allerdings zu beklagen. Zumindest hat niemand
seine Unpässlichkeit bemerkt und niemand war sich seiner
Schmerzen und Krankheiten bewusst.“
7) Mit bloßen Füßen trat er auf die Dornenhecken
„Als er in der Einsiedelei
lebte, sah ich, Moussa Moussa, ihn mit zerschlissenem Gewand,
ein Bündel Dornengebüsch auf seinem Rücken, das er mit einer
Schnur zusammengebunden hatte. Dabei trat er mit bloßen Füßen
in das Bündel hinein, so dass sie wegen der Stacheln
bluteten.“
8) Wollstrümpfe
„Einmal gab ihm der Obere die
Anweisung, Wollstrümpfe zu tragen, die nach ortsüblicher Weise
mit dicken Wollfäden gestrickt worden waren, um seine Füße vor
Feuchtigkeit zu schützen. Denn er litt gerade an
Magenbeschwerden. Er trug sie nur ein einziges Mal und dies
aus Gehorsam, um sie von da an nie mehr
anzuziehen.“
9) Er wärmte sich für einen
kurzen Augenblick.
Als es im Winter sehr kalt
war, rief ihn Père Makarios in die Küche, damit er sich dort
aufwärme. Aus Gehorsam ging er für einen Augenblick dorthin,
zog sich dann aber wieder zurück, um in seiner Zelle zu
schlafen, während sein Gefährte angesichts der beißenden Kälte
in der Einsiedelei neben dem Feuer schlief.
10) Ich habe mich über ihn
lustig gemacht.
„Einmal riss er die
Dornenhecken auf dem Feld aus, um sie als Hecke für den
Weinberg zu nutzen. In der Meinung, niemand sehe ihn, suchte
er einen abgelegenen Ort auf. Dann legte er seinen Habit ab,
um daraus die Flöhe und Wanzen zu entfernen. Meine Neugier
trieb mich, ihn so ohne Habit zu sehen und ich, Moussa Moussa,
konnte beobachten, dass er den Bußgürtel ohne Flanellstoff
darunter trug. Ein solches Verhalten belustigte mich eher.
Erst nach seinem Tod und mit den sich häufenden Wundern wurde
ich mir der Tragweite seines asketischen Lebens
bewusst.“
11) Weshalb sollte ich mich über
Süßes freuen können?
Einmal schlug ihm Père
Makarios vor, einen Beruhigungstee aus Bitterkräutern gegen
seine andauernden Schmerzen zu trinken. Er war unter der
Bedingung einverstanden, dass man ihm keinen Zucker beifüge.
Sein Gefährte sagte ihm: „Aber die Kräuter sind sehr bitter,
du kannst den Tee so unmöglich trinken!“ Père Charbel
entgegnete: „Ich habe kein Recht, mich an süßen Dingen zu
freuen! Schließlich hat Jesus am Kreuz Essig mit Myrrhe
getrunken, als Durst und Schmerzen am größten waren.“ „Ich
lache angesichts meiner Tränen, wenn ich an deine Schmerzen
denke, oh Jesus“, sagte die heilige Theresia von
Lisieux.
12) Schlaganfall
Wardé Makhlouf erzählte, dass Père
Charbel vier Jahre vor seinem Tod einen Schlaganfall erlitten
hat, von dem er geheilt wurde.
O: Für
immer in Frieden leben
I: Darstellung
1) Trotz aller
Leiden
„Sein Mut war einmalig; denn
er kam vom Himmel und nicht von dieser Welt. Man sah ihn immer
liebenswürdig und heiter, als ob alles in bester Ordnung sei.
„Ich, Frère Élias Mahrini, habe ihn nie über andere murren
oder seine Arbeit in Frage stellen oder klagen hören, und dies
im Sommer wie auch im Winter. Als die Blitze in den
Blitzableiter der Einsiedelei einschlugen, wich er in der
Kirche, in der er gerade betete, nicht vom Fleck. Er ertrug
alle Hindernisse trotz aller Unannehmlichkeiten, die sie nach
sich zogen; denn er hatte nur sein übernatürliches Ziel vor
Augen. Er unterzog sich Kasteiungen, die gar nicht zu seinen
Pflichten gehörten, wie tägliches Fasten, lange Nachtwachen,
ein Leben ohne Heizung trotz der bissigen Kälte und trotz der
Kolik, die manchmal stundenlang über ihn kam, wenn er
arbeitete. Sein Gefährte, Père Makarios sagte ihm: „Geh und
ruh dich aus. Bete vor dem Allerheiligsten.“ Er gehorchte ihm.
Seine Leiden waren ihm nicht lästig, noch beklagte er sich
darüber. Er ging trotz der Schmerzen seiner Arbeit schweigend
nach, ohne nach Mitteln zu greifen, die sie hätten lindern
können. Er wiederholte immer: „O Jesus! O
Maria!“
2) Trotz allen
Ärgers
„Wenn man ihn rief, stellte
er sich vor und grüßte gewöhnlich mit dem Gruß: „Gelobt sei
Gott!“ Dann setzte er sich mit verschränkten Armen hin,
wenn man ihn dazu aufforderte. Wenn nicht, blieb er aufrecht
stehen. Wenn jemand ihn grüßte und „Gelobt sei Gott“ zu ihm
sagte, antwortete er ihm: „Gott segne dich!“ Er blieb
gelassen, war ernsthaft, sanft in seinem Wesen und friedvoll
wie eine Taube. Vielleicht war er die Friedfertigkeit,
Höflichkeit und Liebenswürdigkeit in Person. Wer ihn
anschaute, empfand spontan Sympathie für ihn. Wenn jemand ihn
ärgerte, ertrug er es mit Großmut und
Freundlichkeit.
Wenn man ihn so betend und in ein inniges Gespräch mit
Gott vertieft sah, war man zutiefst gerührt wegen seiner
gesammelten, erbaulichen, vorbildhaften Haltung. Sie war
Ausdruck von Andacht und unaufhörlichem Mitleiden, wie auf
seinen Gesichtszügen erkennbar war. Besonders wenn er betete,
leuchtet auf seinem Gesicht das himmlische Licht.
Wenn er jemandem im langen engen Flur der Einsiedelei
begegnete, drückte er sich eng gegen die Mauer und vermied es,
dass sein Habit einen der Vorbeigehenden berührte.
3) In allen
Dingen
Er lebte im Angesicht Gottes. Sein
äußeres Erscheinungsbild und sein Inneres zeugten davon, dass
für ihn nur Gott im Mittelpunkt stand. In seinen Gebeten, bei
der heiligen Messe und bei der Arbeit war er immer mit Gott
verbunden. Mochte man ihn loben oder belächeln, mit ihm von
Seiten der Mönche zufrieden oder unzufrieden sein, all das
spielte für ihn kaum eine Rolle. Er war nüchtern, enthaltsam
in den Verlockungen und Eitelkeiten dieser Welt, gerecht in
seinem Verhalten. Er sorgte sich nur um die rechte Erfüllung
seiner Pflichten, ohne auf Lob von anderer Seite bedacht zu
sein und er erlaubte sich keine Schmeicheleien anderen
gegenüber. Wenn er besonderes Interesse an einem seiner
Mitbrüder bekundete, dann nur im Rahmen des Gebotes der
Nächstenliebe. Er führte ein schlichtes monastisches Leben in
Wort, Tat und Kleidung. Er beklagte sich auch über keinen
seiner Mitbrüder oder Bediensteten bei den Oberen, noch
mischte er sich in irgendwelche Angelegenheiten mit jemandem
ein.
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Gott richtet alles zum
Besten.
Er ließ sich nicht von seinen
Gefühlen hinreißen, vom Gefühl der Traurigkeit zum Beispiel.
Was auch immer im Kloster geschah, Ärger mit einem Mitbruder
oder auch erfreuliche Dinge, in allen Situationen bewahrte er
seinen Gleichmut im Vertrauen auf Gott und wiederholte immer
wieder: „Gott richtet alles zum Besten. So ist der Wille
Gottes.“
2) Pilger in die
Ewigkeit
„Ich, Père Youssef
Ehmej, weiß um sein bedingungsloses Gottvertrauen. Um Gottes
willen hat er der Welt entsagt und sich in Seinen Dienst
gestellt. Sein ganzes Leben war von Arbeit bestimmt, die
jeglicher weltlicher Absichten und Eitelkeiten entbehrten.
Sein einziges Ziel war die Ewigkeit. An weltlichen Genüssen
fand er ebenso wenig Gefallen wie an Trauer über irdische
Dinge. Er sagte nur immer wieder: „Der Wille Gottes
geschehe! Was haben wir schon von dieser Welt? Wir sind Pilger
in die Ewigkeit.“
3) Sein Herz und seine Gedanken
waren auf den Himmel gerichtet.
Von irdischen Dingen sprach
er nie, eher vom Himmel. Er ersehnte sich nichts hier auf
Erden, erhoffte sich keine Reichtümer vom Kloster, wie
beispielsweise den Besitz von Ländereien. Er empfand auch
keine Freude über eine gute Ernte, über eine gute Gesundheit
oder über eine sonstige Annehmlichkeit. Auch eine schlechte
Ernte belastete ihn nicht. Sein Gesicht trug weder heitere
noch melancholische Züge, vielmehr Züge des Vertrauens auf die
göttliche Vorsehung. Er sprach weder von seiner Familie noch
von seinen Eltern, unterzog sich keiner Arbeit um eines Dankes
willen. Er erwartete von niemandem Hilfe. Er suchte nie nach
Bestätigung von Seiten eines Oberen, wenn er um einen Dienst
gebeten worden war. Kurzum, sein Herz und seine Gedanken waren
auf den Himmel gerichtet. Alles, was aus dieser Welt stammte,
betrachtete er als Unrat, wie es der heilige Paulus gesagt
hatte.
4) Beten Sie für
ihn!
Sein Leben war Zeugnis eines
grenzenlosen Gottvertrauens. So konnte er den Eltern eines
Kranken, die gekommen waren, um ihn zu bitten, für die
Genesung ihres Kranken zu beten, zuweilen antworten: „Ihr
Kranker ist bei guter Gesundheit, beten Sie für ihn!“
Es war, als hätte der Wille Gottes ihn zu diesen
Worten des Trostes angeregt. Anderen wiederholte er immer
wieder: „Flehen Sie, beten Sie für ihn!“ Wenn er dies
sagte, schloss er sich ihrem Beten an mit ihnen und empfahl
ihnen das Vertrauen in Gottes Fügungen. Bei anderen
Gelegenheiten tröstete er sie und riet ihnen, sich in Geduld
und Ergebung mit Gottes Willen zu wappnen. „Was ich, Père
Ighnatios Mechmech, gerade vorgetragen habe, kann ich auch von
der genauen Erfüllung seiner Pflichten sagen, von der
Beobachtung der Regel, von seinem außergewöhnlichen
Asketentum. So könnte ich seine Hoffnung in ihren schönsten
Ausdrucksformen aufzeigen. Er empfand keine Freude, wenn einer
seiner Patres eine bestimmte Stellung erreicht hatte oder wenn
einer seiner Mitbrüder starb, noch kümmerte er sich um die
Armut oder den Reichtum seiner Eltern. In einem Wort – er
wahrte seine innere Einheit in Freude wie in Trauer, in
traurigen wie in angenehmen Angelegenheiten.“
5) Sein Wille
geschehe!
Er vertraute sich niemandem
an, nur Gott. Das Leben zählte für ihn nicht. Er hängte sein
Herz nicht an Geld, noch an Reichtum oder Verwandten. Bei
Unglücksfällen blieb er gelassen und wiederholte seinen zur
Gewohnheit gewordenen Ausspruch: „Sein Wille geschehe!“
Er kümmerte sich nie um die Angelegenheiten anderer. Gegenüber
seinen Vorgesetzten verhielt er sich reserviert: Man gab ihm
Anweisungen und er gehorchte, ohne zu zögern. Man erzählte, er
habe seine Verwandten, als sie zu Besuch kamen, nicht einmal
angeschaut.
6) Verstreute Glut und
Asche
Abbé Jean Andari erzählte das
Erlebnis von Père Semaan aus Ehmej, einem Einsiedler, der
einige Zeit mit Père Charbel in der Einsiedelei von
Saint-Maron gelebt hatte. Père Charbel sei in seinen
Kasteiungen, Gebeten, in seiner Armut, seinem Gehorsam und im
Erfüllen der mönchischen Tugenden immer vorbildhaft gewesen.
Père Semaan zufolge mussten die Einsiedler die heilige Messe
getrennt, jeder für sich also, lesen. Père Charbel
ministrierte bei den heiligen Messen seiner Gefährten Père
Makarios aus Mechmech und Père Semaan aus Ehmej. Umgekehrt
ministrierten sie abwechselnd auch bei ihm, was sie die
Winterkälte nicht so spüren ließ. Als es einmal sehr kalt war,
und der Schnee sich aufgehäuft hatte, ministrierte Père
Charbel bei seinen beiden Gefährten, die sich kurz danach am
Feuer aufwärmten, als Père Charbel sich gerade anschickte, die
heilige Messe zu lesen. Da schliefen die beiden Einsiedler
über der Wärme ein. Plötzlich kippte der Ofen zur Wand hin und
schüttete Glut und Asche über sie. Erschreckt wachten sie auf,
gingen zur Kirche und fanden Père Charbel im Messgewand vor.
Er stand vor dem Altar und wartete darauf, dass einer zum
Ministrieren komme. Als dann beide gelaufen kamen, zeigte er
keinen Missmut und sagte kein einziges Wort. Später dann
betrachteten sie den Vorfall mit der Feuersglut als Mahnung an
sie, wach zu bleiben und ihm bei der heiligen Messe zu
ministrieren.
7) Er sorgte sich nur um die
Ruhe der Mönche.
Es ging ihm nicht darum, den
Mönchen und seinen Bekannten zu gefallen, damit sie ihn lobten
oder ihm Komplimente machten. In allem was er tat, sorgte er
sich nur um den Frieden der Mönche und um das Wohlergehen des
Klosters. Denn er war davon überzeugt, dass dies zur Ehre
Gottes und zu seinem Seelenheil gereiche. Wenn er spürte, dass
einer seiner Mitbrüder, dem man den Auftrag gegeben hatte,
sich um die Arbeit wie beispielsweise um das Brotbacken zu
kümmern, müde war, Ruhe benötigte oder etwas anderes zu tun
hatte, bat Père Charbel seinen Gefährten um die Erlaubnis, ihn
zu ersetzen. Diese Arbeit konnte bis Mitternacht andauern.
Dabei verließ er die Mitarbeiter erst dann, wenn der Auftrag
ganz erfüllt war, selbst wenn er fastete. Jedem, der ihn um
einen Dienst bat, antwortete er: „Ich stehe zu Ihren
Diensten, mein Bruder.“
P:
Niemand konnte ihm die Freude nehmen. (Joh 16,22)
I: Darstellung
1) Heiter
Er war immer heiter gestimmt
und ein sanfter Mensch, der glücklich war, in Gott zu ruhen,
freundlich und froh über sein Leben, das er führte. Er klagte
weder über Kälte noch Hitze. Er beklagte sich über nichts, war
nüchtern, geduldig, froh gestimmt, kannte weder Langeweile
noch Traurigkeit, keine Aufgeregtheiten oder
Niedergeschlagensein. Bis zu seinem letzten Tag stand er
freiwillig, gerne und mit Freude zu seinem asketischen Leben.
Er arbeitete mit Eifer und hoch gestimmt, war flink in all
seinem Tun, zudem beständig und lebte in einem Rhythmus, den
nur wenige erreicht haben. Er war immer froh und ausgeglichen,
rasch und auf schlichte Weise um ein Weiterkommen bemüht. Er
kannte weder Zaudern noch Missfallen. Sein Lebensstil war von
Kontinuität und Freude bestimmt.
2) Er diente mit
Freude.
Er betrachtete sich als
Diener für andere und führte nicht nur das aus, was ihm andere
auftrugen, sondern auch, worum andere ihn baten,
einschließlich der Novizen und Diener. Er verhielt sich zu
ihnen wie eine Eselin zu ihrem Besitzer. Er gehorchte mit
Freude und beherzt den Knechten und Dienern des Klosters, war
liebenswürdig und respektvoll zu allen. Er war mit allen
Diensten, um die man ihn bat, zufrieden, selbst wenn sie von
seinen Untergebenen oder Dienern ausgingen oder von Arbeitern,
die auf den Feldern des Klosters oder aber im Weinberg der
Einsiedelei arbeiteten. Er erfüllte diese Dienste zur vollen
Zufriedenheit aller, mit einem Gefühl des Glücks und der
Freude. So war es bei allen Diensten und Arbeiten. Er empfand
Genugtuung darin, wenn man ihm auftrug, auch schwierige
Arbeiten stellvertretend für einen Mitbruder zu übernehmen.
Er erfüllte sie alle mit
Liebenswürdigkeit.
Wenn ihn der Obere um einen Krankenbesuch, um Gebete
oder den Segen für sie bat, war er dazu gerne und mit Freude
bereit. Das Seelenheil der Menschen lag ihm am Herzen. So
empfing er bevorzugt Menschen, die bei ihm beichten wollten.
Dabei war er vor allem darum bemüht, sie zur Umkehr zu
bewegen.
3) Freude für die
Seele
Wenn man ihm ein außergewöhnliches
oder ein zum Lachen reizendes Ereignis erzählte, antwortete er
darauf nur kurz und mit einem liebenswürdigen Lächeln. Denn
ganz selten nur sah man ihn lachen. Wenn er aber aus Gehorsam
einen Vortrag theologischen Inhalts halten sollte, tat er dies
auf freundliche Weise. „Der Novize möge sich mit
Freundlichkeit an alle Menschen wenden“, heißt es in den
Novizenregeln. Er legte keinen Wert auf irgendwelches
Interesse, das man ihm entgegenbrachte, damit er in seiner
Liebe zu Gott nicht behindert werde und all seinen
Verpflichtungen mit Freude nachkommen könne. Geistliche Dinge
waren ihm nie langweilig. Im Gegenteil. In ihnen fand er volle
Genugtuung. Vor dem Allerheiligsten stieß er laut hörbare
Seufzer aus, die seine innige Liebe zum verborgenen Gott im
Allerheiligsten Altarsakrament ausdrückten. Wenn er den Leib
und das Blut Christi zu sich nahm, schien es, als ob er am
wunderbarsten Bankett der Welt teilnehme und als ob er aus der
himmlischen Schale trinke. Nur in der Kirche und vor dem
Allerheiligsten empfand er tiefen inneren Genuss, Ruhe und
Freude, nur in der heiligen Messe und im Gebet.
4) Eine ansteckende
Freude
„Ich empfand eine tiefe Freude,
wenn ich, Frère Boutros Jawad Mechmech, ihm bei der heiligen
Messe ministrierte. Ohne zu wissen, warum! Gott sei es
gelobt!“ Frère Élias Mahrini erzählt: „Nach Mitternacht betete
ich manchmal mit ihm gemeinsam den Rosenkranz. Kniend betete
er ihn mit Hingabe und Wärme, die von ihm ausgingen und mich
erfüllten. Ich wünschte mir von ganzem Herzen, dass er mich
zum gemeinsamen Rosenkranzbeten einlade.“ Denn in seiner Nähe
wurde die Seele von einem nicht gekannten Feuer der
Begeisterung erfüllt. Schweigsam wie er war, zog er jeden in
sein Schweigen hinein und weckte in ihnen Worte, die von
Ehrfurcht und Achtsamkeit geprägt waren. Alle waren glücklich,
mit ihm zu arbeiten.“
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Köstlicher als alle Süße
dieser Welt
„Nach meiner Ankunft in der
Einsiedelei zeigte ich, Al-Tannouri, ihm die Erlaubnis des
Generaloberen, dass er mich bei den Exerzitien vor meiner
Priesterweihe begleiten dürfe. Père Charbel sagte mir: „Du
bist der Lehrer Israels und gerade du sollst eines Menschen
wie Père Charbel bedürfen, um dich bei deinen Exerzitien zu
begleiten?! Wenn du mich brauchst, so kannst du dich an mich
wenden.“ Ich bat ihn um eine mehr als einwöchige
Exerzitiendauer. Als ich seine Worte hörte, war mir, als
verkostete ich Manna und Honig. Denn seine Worte durchdrangen
sogar die Felsen im Herzen des Zuhörers. Sie waren köstlicher
als alle Süße der Welt! Deshalb entschied ich mich dafür,
meine Ferienzeit bei ihm in seiner Einsiedelei bis zum Ende
seines Lebens zu verbringen. So verbrachte ich vier Jahre in
Folge bei ihm und jedes Mal empfing er mich mit einer
engelgleichen Freundlichkeit.“
2) Er antwortete
lächelnd.
„Recht oft begleitete er
uns“, so erzählt Père Youssef Hasrouni, „bei der Aussaat des
Weizens, wenn der für die Arbeit Verantwortliche uns darum
gebeten, und wenn der Obere des Klosters die Einwilligung dazu
gegeben hatte. Eines Tages mussten wir alle, Novizen wie
Feldarbeiter, nach der Aussaat auf einem Feld oberhalb der
Quelle auf ein anderes Feld überwechseln und infolgedessen das
ganze Material und die nötigen Gerätschaften hinübertragen.
Die Feldarbeiter und ich kümmerten sich um die Ochsen und den
Pflug, während die anderen Novizen, Père Charbel und die
übrigen Arbeiter die restlichen Dinge, die wir brauchten,
hinübertrugen.“ Sie wussten, wie bereitwillig Père Charbel des
Gehorsams wegen diese Arbeit auf sich nahm und so stellten sie
diese Tugend, neugierig wie sie waren, auf die Probe.
„Ich muss der Vollständigkeit halber noch anführen, dass sich
dieses Ereignis vor meinen Augen abgespielt hat: Wir haben
Hacken, Wasserkrüge, Tongefäße, den Saatkorb und den Eimer mit
den Essensvorräten zusammengetragen. Spaßes halber bat ich
Père Charbel, alle diese Gegenstände zu tragen, worauf er mir
zur Antwort gab: „Auf Ihren Befehl hin!“ Wir begannen
dann, ihm diese Gegenstände, Stück für Stück aufzuladen, was
er bereitwillig annahm. Die Hacken nahm er auf die eine
Schulter, hing den Saatkorb über die andere, den Wasserkrug in
die eine Hand, den Eimer hängte er um den Ellenbogen. Wir
sagten ihm: „Nimm auch noch den Tonkrug!“ Er erwiderte:
„Wie soll ich ihn denn tragen?“ Wir entgegneten: „Trag
ihn am kleinen Finger.“ Auch das tat er. Einige Gegenstände
waren noch auf dem Boden liegen geblieben, weil er sie nicht
alle tragen konnte. Als er uns lachen hörte, schaute er uns an
und sagte lächelnd: „Unheil über die Menschen, die anderen
schwere Lasten aufladen, während sie selbst mit keinem Finger
daran rühren!“ Dann ging er mit seiner Last zufrieden und
voller Genugtuung weg und wir nahmen die anderen Gegenstände
mit.
3) Mit Freude und heiterer
Gelassenheit
Père Charbel hat nicht nur
auf Güter und Ehrungen dieser Welt verzichtet, er hat auch
seinen Willen, das teuerste und kostspieligste des Menschen,
geopfert. Er hat ihn als Erfüllung von Jesu Gebot verachtet
und ganz zurückgestellt, wenn Jesus etwa sagt: „Wer nicht
alles aufgibt, sogar sich selbst, das heißt seinen Willen,
kann mein Jünger nicht sein.“ Dies bedeutet wahren Gehorsam.
Deshalb war seine Unterwerfung unter die Anweisungen des
Oberen so blind, wie die eines kleinen Kindes gegenüber den
Eltern. Er unterwarf sich auch seinen Mitbrüdern, sogar den
Jüngsten unter ihnen, nicht nur wenn es gut oder nützlich war,
sondern auch dann, wenn es gegen seine Ansicht war. Es drängte
ihn, Anweisungen, ohne zu fragen oder zu widersprechen, eher
mit Freude und heiterer Gelassenheit zu folgen. Jeder wusste,
dass er sich am Ende seiner Arbeit, die ihm von seinem
Gefährten oder einem Knecht in der Einsiedelei aufgetragen
worden war, aufrecht hinstellte, die Arme verschränkte und
sagte: „Mein Vater (oder mein Bruder)! Ich habe meine
Arbeit getan, was soll ich jetzt noch für euch
tun?“
Q:
Erstaunlich in seiner Liebe (Joh 1,13)
I: Darstellung
1) Sein Herz war bereit für
Gott.
„Beim Jüngsten Gericht wird
sich der Sünder nicht so sehr über die Schwere des göttlichen
Urteils als über seinen erbärmlichen Zustand angesichts der
göttlichen Liebe schämen müssen. Wer vor dem Herrn ohne Liebe
erscheint, wird vor Scham sterben“,
so Père Charbel. Deshalb drückte er was sein Herz bewegte mit
Worten aus wie: „Mein Gott, Euch gehört mein Herz.“ Er
hatte es ihm ganz geschenkt, ohne je irdische Liebe gekostet
zu haben. Seine Seele entflammte im Feuer seiner Liebe zu
Gott. Die Zeit, die er vor dem Allerheiligsten verbrachte,
berührte sein Innerstes. Dies darf nicht überraschen, denn der
Liebende sucht nichts anderes als den Schatten seiner
Geliebten und umkost ihre Nähe. „Das Herz des Menschen ist
dort, wo sein Schatz ist“, so heißt es im Buch der Sprüche.
Père Charbel verbrachte die ihm verbleibende Zeit zumeist
kniend und in Ekstase vor dem Allerheiligsten, selbst dann,
als der Blitz in die Einsiedelei einschlug.
Er zog seine Gottesliebe der Selbstliebe, die er
kasteite, vor. Er hing an nichts, weder an Kleidung, noch am
Essen, noch an Ruhe: All dies opferte er aus Liebe zum
Allerhöchsten auf. Diese Liebe drängte ihn sogar dazu, dass er
eher verachtet und als ein Nichts betrachtet werden wollte.
Denn in seinem ganzen Leben war er nie auf das Wohlwollen
eines Oberen oder auf die Freundschaft eines Mitbruders
bedacht oder auf Neuigkeiten von seinen Verwandten, von seinen
Mitmenschen oder von den Mönchen. Er ließ sich nie in eine
Diskussion mit seinen Mitmenschen ein, tat nie eine Arbeit, um
einem anderen oder sich selbst zu gefallen. Es ging ihm nur um
den Gehorsam. Er tat nichts um seiner selbst willen, sondern
ausschließlich für Gott. In seiner Gottesliebe erreichte er
einen Grad an Größe und Erhabenheit, die uns schwer
verständlich erscheinen, da er nichts anderes wollte als immer
in der Nähe Gottes im Raum der Kirche zu sein. Er freute sich
über die Zeit, die ihm seine Vorgesetzten gaben, um in
Meditation mit Jesus, seinem Geliebten, vereint zu
sein.
2) Sein für alle offenes
Herz
Er diente dem Nächsten durch sein Gebet, ohne je auf
dessen Lob bedacht zu sein. Er pflegte keine besondere
Freundschaft noch zog er einen Mitbruder dem anderen vor. Er
betrachtete sie alle als Brüder in Christo, obwohl es ihn mehr
zu den Tugendhafteren hinzog. Rein menschliche Gefühle waren
ihm fremd. Er lud sich die mühevollen Arbeiten seiner
Mitbrüder auf, damit sie sich erholen könnten, wobei ihn
selbst die niedrigsten Arbeiten nicht störten. Er nahm Trauben
wie auch Holz auf seinen Rücken, ohne dass der Obere ihn dazu
angewiesen hatte: Vielmehr fühlte er sich aus Nächstenliebe zu
ihnen heraus dazu gedrängt, weil er es als seine Aufgabe
ansah, Gott und den Nächsten zu lieben und nicht, sie zu
verachten. Er kam, um Leid und Verachtung auf sich zu nehmen
und nicht Lob oder ein bequemes Leben. Er kam, um zu dienen
und nicht, um bedient zu werden.
Er betete für die Umkehr der Sünder und für die
Rückkehr der Verirrten auf den rechten Weg. Keiner hat über
ihn gesagt, er habe feindselige Gefühle ihm gegenüber gehegt.
Manchmal, besonders an den Sonn- und Feiertagen, verzögerte er
den Beginn der heiligen Messe etwas, um den Schäfern, die von
weit her kamen, die Möglichkeit zu geben, an der Eucharistie
teilzunehmen.
Zärtlich und mitleidvoll war auch sein Umgang mit den
Armen und Leidenden, die er bei sich eintreten ließ, damit sie
sich wärmen und ihre regennassen Kleider trocknen könnten. Was
die Frauen angeht, so kamen sie nicht bei Kälte und
Regenwetter zu ihm; denn sie wussten, dass Père Charbel sie
nicht in seine Einsiedelei werde eintreten lassen. Er war
liebevoll zu jedermann, zu den Armen wie zu den Reichen.
Obwohl es Père Charbel um das geistliche Leben seiner Besucher
ging - wobei er seinen Gefährten den Empfang der Gäste und
deren Versorgung anvertraute - ließ er es sich nicht nehmen,
bei dessen Abwesenheit selbst den Besuchern oder Armen und
Hungernden sein eigenes kärgliches Mahl anzubieten. Er selbst
fastete dann. So folgte er dem Beispiel Christi, von dem es im
Göttlichen Offizium zur Weihnachtszeit heißt: „O Zimmermann!
Du warst freigiebig und voller Hingabe. Großmütig warst du und
gabst den Bedürftigen dein Brot.“
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Charbels Familie
(Mt 12,46-50)
Einmal besuchten ihn sein
Bruder und seine Schwester in der Einsiedelei. Sein Gefährte
Makarios teilte ihm ihre Ankunft mit. Er gab ihm zur Antwort:
„Mein Bruder und meine Schwester bist du. Biete ihnen etwas
zu essen und zu trinken an.“ Dann verabschiedete er sie
und sagte ihnen, dass er für sie beten werde, damit sie von
den Fallstricken dieser Welt befreit würden. Er hat sich nicht
mit ihnen unterhalten. Im Übrigen ist er vom Tag seines
Klostereintrittes an bis zu seinem Tod nie mehr in sein
Heimatdorf und zu seinen Verwandten zurückgekehrt.
2) Was wollt ihr
essen?
„Der ehrwürdige Père Moubarak
Massaad aus Achqout hat mir, Père Antonios Chebli, erzählt,
dass er die Einsiedler einmal zur Essenszeit besucht habe.
Beide haben ihn gefragt: „Wollen Sie zu Mittag essen?“ Er
willigte ein, doch das Mahl reichte gerade für zwei Personen.
So zog sich Père Charbel diskret zurück und überließ dem
Besucher seinen Teil. Er selbst aß nur hinterher das Grattin
aus dem Topf. Bekanntlich nehmen die Einsiedler gewöhnlich nur
einmal pro Tag Essen zu sich.“
3) Arbeiten Sie für eine
Nahrung, die anhält! (Joh 6,
27)
Père Charbel betete viel für
die Kranken und für die Bekehrung der Sünder, gab heilsame und
gezielte Ratschläge, je nach Situation. „Ich, Père Youssef
Ehmej, erinnere mich an die Worte, die er mir einmal sagte:
„Sorge dich nicht um die Dinge dieser Welt, sondern um die
Jenseitigen und um das Jüngste Gericht. Denn der, der uns
richtet, kennt jeden und er braucht niemanden, um Ihm das zu
sagen.“ Er hatte besonderes Mitleid mit den Armen Seelen
im Fegefeuer, vor allen für die, die keine Angehörigen mehr
auf Erden haben. Er betete für sie und lud andere dazu ein,
für sie zu beten.“
4) Aus Mitleid mit
ihr
Père Élie Ehmej berichtet:
„Als Kind begleitete ich einmal im November meine Mutter zur
heiligen Messe in die Einsiedelei. Unterwegs fiel so viel
Schnee, dass wir durchnässt in der Einsiedelei ankamen. Ich
betrat die Kirche, richtete den Altar her und wollte bei Père
Charbel ministrieren. Als er mich so von Kopf bis Fuß
durchnässt sah, bat er mich, ich solle in die Küche gehen,
um meine Kleidung zu trocknen. Da ich seinen Vorschlag
nicht annahm, hatte er Mitleid mit mir und brachte mir ein
Paar Schuhe, die mir allerdings zu groß waren. Zu Beginn der
heiligen Messe wandte er sich uns zu, um uns zu inzensieren.
Da erblickte er meine Mutter unter der Türe. Vom Regen
durchnässt stand sie draußen vor der Türe und nahm so an der
heiligen Messe teil. Da hatte er Mitleid mit ihr und bat
mich, sie ins Innere zu führen, damit sie der heiligen Messe
von hinten her beiwohnen könne. Dies war auffallend, weil
er sonst nie Frauen gestattete, die Kirche zu betreten. Aber
die eisige Kälte und der stürmische Wind hatten sein Mitleid
erregt, und so erlaubte er ihr, einzutreten.“
5) Seine Liebe zu den
Mitbrüdern
Eine seiner besonderen
Tugenden war die Liebe zu seinen Mitbrüdern. Er schwärzte
niemanden an und kam seinen Pflichten ergeben nach. Er war
streng zu sich selbst, aber milde zu seinen Mitmenschen. Er
verbrachte eine lange Zeit seines Mönchslebens im Kloster des
heiligen Maron in Annaya und wurde von allen, so verschieden
sie auch waren, geliebt. Er fiel durch seine fehlende
Parteinahme und seine Diskretion gegenüber allen auf. Er
kümmerte sich gerade um solche Arbeiten im Kloster, die
unerledigt geblieben waren. Der damalige Obere des Klosters
Père Antonios aus Mechmech sagte: „Ich habe in meinem Kloster
zwei hervorragende Mönche. Es sind nicht nur die Besten
unseres Ordens, sondern aller bestehenden Orden in der Kirche.
Dies sind: Père Charbel und Bruder Élias
Al-Mahrini.“
6) Seine Liebe zu den
Mitmenschen
Seine Nächstenliebe zeigte
sich in den heilsamen Ratschlägen für alle, die ihn darum
baten und die zum Teil aus weiter Entfernung zu ihm zur
Beichte kamen. Er war zärtlich zu den Kranken und
Notleidenden, weihte das Wasser zur Heilung der Kranken und
zum Besprengen der Felder. Wenn ihm der Obere eine Mission
anvertraute, verließ er Kloster oder Einsiedelei. Manchmal
ging er auch nachts ans Krankenbett, um dort zu beten und aus
der Kraft seiner Fürbitte heraus zu heilen. Er war
liebenswürdig zu allen Menschen, gab seinen Mitbrüdern,
Dienern und den Bauern Ratschläge und Anweisungen und half
ihnen bei ihren täglichen Aufgaben.
7) Wie eine Mutter, die sich um
ihr kleines Kind kümmert
Wenn in früheren Zeiten ein
Mönch alt und krank wurde und er im Kloster einen Verwandten
oder einen Mitbruder aus seiner Heimat hatte, so war es
üblich, dass dieser sich um ihn kümmerte. Père Charbel
hingegen verfuhr mit ihnen nicht anders als mit den anderen
Mönchen auch. Er kümmerte sich Tag und Nacht um die kranken
und alten Mönche, die keine verwandten Mitbrüder oder
Bekannten aus der Heimat hatten, und sorgte sich im
Kloster um sie wie sich eine Mutter um ihr Kind sorgt, so um
einen Mönch namens Moussa aus Ehmej. Er war krank, alt, etwas
behindert und hatte niemanden bis auf Père Alichaa. Dieser war
allerdings ebenfalls schon alt und etwas schwatzhaft. Père
Charbel nahm sich seiner in der Krankenzelle an und wich nicht
von seiner Seite. Nachts schlief er sogar auf dem Erdboden
neben ihm. Eines Tages trat er aus der Zelle des Kranken, um
zur Kirche zu gehen und die heilige Messe zu lesen. „Dabei
bemerkte ich, Père Ephrem Nakad, dass sein Habit auf dem
Rücken über und über mit Schmutz bedeckt war. Ich sprach ihn
an und sagte: „Wenn Sie die heilige Messe in diesem
schmutzigen Habit lesen, ist das unwürdig.“ Daraufhin zog er
sich um. Der Kranke übergab sich dann noch die ganze Nacht,
während Père Charbel neben ihm auf dem Boden Wache
hielt.“
8) Charbel – „der
leidenschaftlich Liebende"
„Die Liebe zu dir ist mein
einziges Leiden. Je mehr ich sie in mir fühle, desto mehr
brennt meine Seele in Sehnsucht nach dir. O mein Jesus, lass
mich aus Liebe zu dir sterben“, lesen wir bei der heiligen
Thérèse von Lisieux. Das Herz von Père Charbel war in Jesus
verliebt. Niemand und nichts zog ihn mehr an. Deshalb
wiederholte er immer wieder:„Gott ist meine Liebe und dies
genügt mir.“ Alles was er tat, geschah aus Liebe zu Gott.
Der Liebende verschenkt sich. Deshalb opferte er seinen Leib,
seinen Willen, seinen Verstand und seine Gefühle allein aus
Liebe zu Gott. Seinetwillen hat er sein Herz von der Liebe zu
seinen Eltern und nächsten Verwandten gereinigt, hat den
Ehrerweisungen dieser Welt abgesagt und auf jegliche
Annehmlichkeiten verzichtet. Gefallen, Ruhe und Freude empfand
er nur vor dem Allerheiligsten in der Kirche. Wenn es kalt war
und schneite, so dass man unmöglich im Freien arbeiten konnte
und auch im Inneren keine Arbeit anstand, verbrachte er seine
Zeit mit Gott, indem er lange vor dem Allerheiligsten
verweilte. Wer liebt, denkt immer an seinen Geliebten und
möchte möglichst lange mit ihm verweilen. Das ganze Leben von
Père Charbel war erfüllt von Gott. Wenn jemand ihn anredete,
war es, als erwache er aus einem tiefen Schlaf und auch
während seiner Arbeit war er immer in Gott vertieft. „Ich,
Frère Élias Mahrini, kann mir nicht vorstellen, dass er an
irgendetwas in dieser Welt hing oder dass er je gesagt hätte:
„Dies gehört mir, dies oder jenes möchte ich haben.“ Sein Herz
hängte er nie an eine Person. Wenn die Liebe zu Gott ihren
Höhepunkt erreicht, wird der Körper schwach und nimmt aus
Leidenschaft für den Geliebten ab. Deshalb wurde er schwach
und magerte bis auf Haut und Knochen ab.
9) Lass es mich für dich
tun!
Seine Liebe zum Nächsten war
anders, es war kein einfaches Hingezogensein zu einem
Menschen. Wenn er einen Diener oder Mitbruder bei einer
mühseligen Arbeit sah, lief er herbei und sagte:„Lass mich
es für dich tun!“ Dann machte er sich an die mühevolle
Arbeit und führte sie zu Ende, obwohl ihn keiner zu einer
Arbeit wie Brotbacken oder zu anderen Verrichtungen gedrängt
hatte. Dennoch bat er immer zuerst den Oberen um Erlaubnis und
kam uns dann unterschiedslos zu Hilfe. Allen brachte er
Hochachtung entgegen als sei der Nächste sein Oberer im
Kloster. Was die Besucher angeht, so hielt er sich von ihnen
fern und begnügte sich damit, für ihre Anliegen zu beten. Wenn
der Obere es ihm auftrug, so besuchte er Kranke und betete für
sie.
10) Aus Liebe zu
Gott
Mit innerer Freude tat er
alles, damit seine Liebe zu Gott lebendig bleibe und stellte
sie auch unter Beweis, indem er für seine Mitbrüder und Diener
aufreibende Arbeiten verrichtete, um sie zu entlasten. Dies
tat er aus reiner Liebe zu Gott und zum Nächsten. Er liebte
sie alle gleich ohne zwischen Oberem, Untergebenem, Diener,
Mitbruder zu unterscheiden und er vermied es, den Nächsten zu
belasten. Vielmehr setzte er alles daran, einen anderen zu
ersetzen, um ihm seine anstrengende Arbeit abzunehmen und ihm
Ruhe zu gönnen. Auch betete er für ihn, damit ihm himmlische
Gnade und Seelenheil zuteil würde. Er hat nie jemanden
zurückgewiesen, der ihn um seinen geistlichen Beistand
bat.
11) Eine grenzenlose
Liebe
„Er zog mich, Père Ephrem Nakad,
und die Novizen vom selben Ort in keiner Weise vor und hüllte
sich auch uns gegenüber in Schweigen. Einmal sagte ihm der
Klosterobere Père Elias aus Mechmech: „Père Charbel,
empfindest du nicht mehr Zuneigung zu den Novizen, die aus
deinem Heimatort kommen als zu den anderen? Dies ist doch ein
natürlicher innerer Hang des Menschen.“ Er antwortete ihm wie
immer ganz leise:„Nein, ich hänge weder innerlich noch
äußerlich an ihnen, denn in meinen Augen sind alle Mitbrüder
gleich.“ Barmherzig zeigte er sich auch gegenüber den
Arbeitern des Klosters, denen er nie Anweisungen gab. Ganz im
Gegenteil! Er gehorchte ihnen, wenn sie ihm eine Arbeit
auftrugen.“
12) Er schaute uns nicht einmal
an.
„Wir, Père Rouphaël Nakad und
Père Ephrem, beide aus Bqaakafra stammend, gingen zum Kloster
von Annaya, um unseren Eintritt ins Kloster anzukündigen. Wir
glaubten, wir wären dort zufrieden und hätten eine besondere
Chance, Père Charbel zu treffen, der sich um uns kümmern und
umsorgen würde. Das Gegenteil war der Fall! Er schaute uns
nicht einmal an und sprach auch nicht mit uns. Auch zeigte er
uns gegenüber keine besondere Zuneigung, obwohl wir doch aus
seinem Geburtsort stammten.“
13) Er weinte über den Tod eines
Schiiten. (Lk 19,41)
Père Charbel sorgte sich sehr
um das Seelenheil der Menschen und er litt persönlich
darunter, wenn sich Menschen von Gott entfernt hatten. So
erzählte Père Youssef Beyrouthi aus dem Dorf Qartaba, in
dem er in der Nähe von Baalbek Pfarrer war, er habe eines
Tages die Einsiedelei betreten und Père Charbel bitterlich
weinen sehen. Er schlug sich dabei voller Gram mit den Händen
an den Kopf. Er fragte ihn, warum er denn weine, doch er gab
keine Antwort, auch nicht, als er ein zweites und drittes Mal
gefragt wurde. „Als ich insistierte, sagte er: „Was ich Ihnen
jetzt sage, muss unter uns bleiben. Sie dürfen es niemandem
sagen, erst nach meinem Tod. Heute ist ein Mann aus Ilmat, ein
Schiit, verstorben und seine Seele ist in der Hölle. Kurz
darauf hörten wir Schüsse, die aus Ilmat heraufdrangen und mit
ihnen die Nachricht, dass ein reicher Mann aus Amerika
verstorben sei“, so Père Youssef Hasrouni.
14) Selbst die
Tiere
- Sie können sogar Schlangen
anfassen. (Mk 16,18)
Während der Jahreszeit, in
der man die Erde umgräbt und die Weinstöcke schneidet, ging
das ganze Personal des Klosters mit Mönchen und Knechten den
Weinberg der Einsiedelei hinauf, um dort zu arbeiten.
Plötzlich sahen wir eine furchterregende gefleckte Schlange
und sprangen alle auf sie zu, um sie zu töten. Trotz größter
Anstrengungen gelang es uns nicht. Die Viper wandte sich auf
dem Boden, stieß entsetzliche und schauerliche Pfeiflaute aus.
Bald hob sie den Kopf, dann wieder den Schwanz und war
außerstande einen Fluchtweg zu finden. Von Angst gepackt rief
ich: „Wo ist Père Charbel? Ruft ihn!“ Er war nicht in
Sichtweite, denn er arbeitete an einem Abhang. Sobald er uns
hörte, kam er herbei und stellte sich vor die Schlange. Sie
wurde starr. Er sagte uns: „Holt sie nicht näher heran!“
Jeder von uns hielt etwas in der Hand - einen Stein, eine
Hacke, ein dritter einen Treibstock. Père Charbel wandte sich
an die Viper und sagte ihr, indem er seine Hand in ihre
Richtung ausstreckte: „Geh weg von hier!“ Sie
schlängelte sich vor ihm, und Père Charbel winkte sie
unaufhörlich weg, so dass sie schließlich verschwand. Dann
kehrte er zu seiner Arbeit zurück. Wir dankten Gott, dass er
uns aus dieser Gefahr errettet hatte. Wie gewöhnlich tötete
Père Charbel keine Tiere – keine giftigen Insekten, keine
Ameisen oder Skorpione. Darin war er sehr empfindsam. In den
Biographien der Heiligen kann man lesen, dass einige Heilige
es sich verbaten, den Insekten oder Tieren zu schaden, weil
sie davon überzeugt waren, dass sie Geschöpfe Gottes sind und
dass nur Er über ihr Leben verfügen könne.“
-Das Kind spielt mit der
Viper.
„Einmal waren wir“, so
erzählt Gerges Sassine, „gerade dabei, einen Weinberg nahe der
Einsiedelei umzugraben. Zur Essenszeit riefen wir Père
Charbel, er solle doch mit den Einsiedlern speisen. Da tauchte
eine große Viper auf und glitt in die Mauer hinein. Wir
stürzten uns auf die Mauer, um sie abzubauen, damit wir die
Viper töten könnten. Père Charbel widersetzte sich unserem
Ansinnen und sagte: „Ich erlaube euch nicht, sie zu töten.
Alle Geschöpfe, seien sie giftig oder nicht, sind Geschöpfe
Gottes und wurden für ein nützliches Ziel geschaffen. Deshalb
darf man sie nicht töten.“ Dann sprach er sie mit den
Worten an: „Zieh weiter! Du Gesegnete!" Sie tauchte
wieder aus der Mauer auf, glitt zwischen uns hindurch und
verließ den Weinberg durch das Tor. Wir waren damals bei der
Arbeit im Weinberg zu acht. Dazu kamen die
Einsiedler.“
- Der Wolf liegt beim Lamm. (Ies
11,16)
„Als ich Student war, habe ich, Père Semaan Bchara,
einen Sommer lang im Kloster Notre-Dame von Maïfouq verbracht,
wo ich mit Bruder Bartholomé aus Aïto das Zimmer teilte. Auf
meinem Strohsack und überm Bett sah ich Wanzen, magere und
fette. Sie krabbelten über mein Gesicht und Hände, ohne mich
allerdings zu stechen. Dies verwunderte mich und ich bat
Bruder Bartholomé, mir dieses seltsame Phänomen zu erklären.
Er sagte mir: „Siehst du nicht das Weihwasser, das Père
Charbel gesegnet hat? Seitdem ich mein Zimmer damit besprengt
habe, magerten die Wanzen ab und konnten mich nicht mehr
stechen!“
- Die Ärmste!
„In der Nähe der Einsiedelei
gab es einen Bienenstock. Drei der Bienen waren in eine
Schüssel gefallen, die zum Tränken bestimmt war. Père Charbel
kam und begann, sie mit der Fingerspitze aus dem Wasser zu
holen – eine nach der anderen. Er setzte sie an die Sonne, um
sie zu trocken. Eine von ihnen stach ihn. Er zog den Stachel
aus dem Finger, setzte die Biene dann wieder in die Sonne, um
ihre Flügel zu trocknen, und sie flog davon. Da sagte Gerges
Sassine: „Magister, die Biene wird ohne den Stachel umkommen.“
Er entgegnete: „Das ist wahr, die Ärmste!“ Dann ging er
in die Kirche.
R: Père
Charbels Freiheit und sein Mut
I: Darstellung
„Wenn ihr euch an mein Wort haltet,
werdet ihr die Wahrheit erkennen, und sie wird euch frei
machen. Wer eine Sünde begeht, ist auch ihr Sklave!“ (Joh
8,32-33) Von dieser Weisung Jesu ausgehend, hatte er an nichts
auf dieser Welt Interesse, auch nicht an den persönlichen
Dingen anderer. Mit Sorgfalt ging er seinen Verpflichtungen
nach und suchte nie die Anteilnahme anderer zu bekommen.
Insbesondere in der Befolgung der göttlichen Wahrheit war er
von einzigartiger Kühnheit und kannte weder Furcht noch
Vorliebe für jemanden. Einer Amtswürde maß er keine besondere
Bedeutung bei, freute sich über Spott, war ohne innere Regung,
wenn man ihn lobte oder verachtete. Sein Wort dazu ist berühmt
geworden: „Begnadet ist nicht derjenige, der sich lobt oder
von anderen gelobt wird, vielmehr derjenige, dem der Herr
seine Gnade schenkt.“ Er war nicht gerade in Eile, wenn es
darum ging, Bischöfe oder Würdenträger zu empfangen, wenn sie
zu Besuch kamen. Kurzum, er lebte auf der Erde, aber seine
Gedanken und sein Herz waren schon im Himmel. Was um ihn herum
geschah, interessierte ihn nicht, als ob er auf Erden im Exil
lebte und sich dabei sicher war, dass er der himmlischen
Heimat angehörte.
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Nichts war ihm wertvoll
genug.
Sein Herz hing an nichts,
nicht einmal am Erfüllen seiner persönlichen
Frömmigkeitsübungen oder an geistlichen Pflichten. Wenn er
dazu die Anweisung erhielt, verzichtete er sogar auf
Stundengebete und sonstige geistliche Übungen, vielleicht
sogar mit Freude. Man erzählt sich, dass er eines Nachts mit
seinem Gefährten das Mitternachtsgebet in der Kirche sprach,
als ein Bote kam und ihm sagte: „Der Obere möchte Sie
sprechen.“ Er zögerte keinen Augenblick, hielt im Chorgebet
inne, ging sofort zu seinem Oberen, der ihn darum bat, Wasser
zu weihen und damit die Ziegen zu besprengen, die an der
Gallenblase erkrankt waren. Nachdem er sie mit Weihwasser
gesegnet hatte, wurden sie wieder gesund. Und trotz der
eindringlichen Bitte des Oberen, er solle die Nacht doch im
Kloster verbringen, verabschiedete sich Père Charbel von ihm
und kehrte in die Einsiedelei zurück.
2) Wo nimmt die Sünde Ihre Seele
gefangen?
Père Charbel war ein Mensch,
der immer darauf bedacht war, die Regel zu erfüllen und still
am Backofen zu arbeiten, während die anderen scherzten.
Zuweilen nutzte er trotz seines ständigen Schweigens einzelne
passende Gelegenheiten, um eine geistliche Lektion zu
erteilen, die von tiefer Weisheit geprägt war, ohne den
Nächsten verletzen zu wollen. Antworten seinerseits waren
selten, aber wenn, dann scharfsinnig und in Kenntnis der
Zusammenhänge im Orden und anderswo. Sehr viele Mönche
erzählten, dass an einem Wintertag, als Père Charbel gerade am
Backofen half, der Pfarrer Youhanna Chéhadé aus Mechmech, in
die Backstube kam, um zu sehen, was man dort tue. Er war der
Vikar des Patriarchen aus der Gegend von Jbeil (Byblos), eine
ehrenwerte Person aus würdigem Hause, reich, bekannt für seine
Beziehungen zu großen Persönlichkeiten seines Landes, stolz
auf sich selbst, korpulent und Freund eines angenehmen Lebens,
das mit seinem Priesterstand und der Armut unvereinbar war.
Über seiner Soutane trug er einen dicken Pelzmantel, den nur
Fürsten und Adelige tragen. Er betrat also die Backstube,
unterhielt sich mit den Mönchen über die Sünde und ihre
Ursachen. Der Pfarrer beglückwünschte die Mönche dazu, dass
sie weit von irgendwelchen Versuchungen zur Sünde entfernt
seien. Père Charbel blieb wie immer stumm, verfolgte aber das
Gespräch. Seine Hände zeugten von harter Arbeit, und sein
Schweigen war in eloquentester Weise Rat und Predigt zugleich.
Plötzlich wandten sich alle Père Charbel zu, der, anders als
gewohnt, das Wort ergriff und mit einem flüchtigen Blick auf
Pfarrer Youhanna lächelnd sagte: „Und bei Ihnen, wo kann
bei Ihnen die Sünde in die Seele eindringen? Bei diesem dicken
Pelz, den Sie tragen, wird sie es nicht schaffen!“ Alle
lachten und blinzelten sich zu, weil sie die feinsinnige
Lektion verstanden, die Père Charbel dem oben erwähnten Abbé
erteilt hatte. Andererseits zeigte diese Begegnung auch, dass
Père Charbel, trotz seiner Trennung von der Welt, trotz seines
Schweigens und seiner Enthaltung jeglicher Worte, wenn sie
nicht gerade den Orden betrafen, beim flüchtigen Auffangen
eines gehörten Wortes durchaus verstanden hatte, worum es bei
seinen Zeitgenossen ging und was sie bewegte. Dazu kam sein
Missbilligen des Luxus, den sich dieser Pfarrer gegönnt
hatte.
3) Nur wenn man nicht arbeiten
muss, kann man feiern!
Einmal sagte der Obere Père
Roukoz aus Mechmech zu Père Charbel vor der heiligen Messe:
„Zelebriere Du diese feierliche Messe und verkündige, dass das
Himmelfahrtsfest in der nächsten Woche ein Feiertag sein
wird.“ Er gehorchte unverzüglich. Als er die Messe beendet
hatte, ohne den Feiertag vermeldet zu haben, sagte ihm der
Obere: „Du hast den Himmelfahrtstag für kommenden Donnerstag
nicht vermeldet! Weißt du nicht, dass das ein Feiertag ist?
Hole es morgen nach, wenn die Bauern zur heiligen Messe
kommen.“ Père Charbel antwortete mit Liebenswürdigkeit und
Demut: „Mein Herr, anderswo hat man frei, aber nicht hier.
Für die aber, die weder an Sonn- noch an besonders feierlichen
Festtagen frei haben, muss man diesen Tag nicht eigens
ankündigen. Man möge das dann tun, wenn es wirklich ein
Feiertag ist.“ Damit spielte er auf die Entscheidung des
Oberen an, die Novizen an Sonn- und Feiertagen arbeiten zu
lassen, damit sie den verschiedenen Arbeiten im Kloster
nachkommen und je nach Bedarf einspringen konnten. Denn in
diesem Jahr war die Teuerung groß.
Verständlich, dass sich Père Charbel hier nicht an die
Weisung des Oberen hielt. Dennoch wagte niemand aus Respekt
vor seiner Tugend und seiner Heiligkeit, ihn während dieser
Feiertage zur Arbeit zu rufen. Was er gesagt hatte, war
Kirchenrecht und göttliches Gebot, das es zu beachten gilt,
ohne vor jemandem Angst zu haben. Der Obere seinerseits hat
die Aussageabsicht Père Charbels sehr wohl verstanden und
seinen Fehler, auf den ihn der Einsiedler sehr diskret
aufmerksam gemacht hatte, gemerkt. Er sah ihn sogar als
zutiefst beachtenswerte Lektion an, in deren Folge er alle
Maßnahmen bezüglich der Arbeit von Novizen oder Bediensteten
an Sonn- und Feiertagen einstellen ließ. Das ganze Personal
erkannte in dieser Bemerkung die unmittelbare Stimme Gottes
und freute sich darüber.
4) Seine Heimat ist der
Himmel. (Phil 3,20)
„Kurz nach meiner Profess
stellte ich, Père Roukoz Mechmech, sein tugendhaftes Leben auf
die Probe und sagte ihm: „Folge mir auf die Terrasse!“ Er
gehorchte. Ich hielt ihm ein Fernglas hin und bat ihn, er möge
in Richtung Beirut blicken. Er erwiderte: „Schau Du alleine
dorthin!“ Dann ging er weg.“
S:
Aufrichtig in der Verehrung seines Herrn
I: Darstellung
1) Immer dem Herrn
zugewandt
Man hat Charbel so charakterisiert: Er ist wie ein
Geschöpf, das seinen Schöpfer mit aller Würde bis zur
Vollkommenheit ehrt. Er war mit den Gesetzen und Geboten
Gottes zutiefst verbunden. Sein Herz wie auch seine Hände
waren zu Gott erhoben und zeugten so von gebührender
Verehrung, die bis zu seinem Tod währen sollte.
2) Seine Haltung zu den
Mitmenschen
Er schadete niemandem,
übertrat kein Gesetz, behinderte niemanden, sondern
betrachtete sich als Diener aller, vor allem seines geliebten
Herrn. Peinlich genau beachtete er seine Gelübde und zog den
Respekt aller seiner Mitbrüder auf sich, wenn sie ins Kloster
kamen, sich um ihn drängten, um ihn zu grüßen und ihm die Hand
zu küssen. Er behandelte sie zuvorkommend und kam ihnen mit
äußerster Liebenswürdigkeit entgegen. Er tat niemandem weh,
weder von Angesicht zu Angesicht noch aus der Ferne, weder mit
dem, was er besaß noch mit seinem Ruf.
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) In der Kirche bleiben bis
alle draußen waren
Nach der Komplet ging er in seine
Zelle, um zu schlafen oder im Gebet zu verweilen. Zur
Mitternachtszeit eilte er noch vor allen anderen Mönchen in
die Kirche. Nach dem Offizium gingen die Mönche wieder
schlafen, bis sie die Glocke zur Laudes rief. Père Charbel
verharrte mit seiner Nachtlampe auch die Vigil über in der
Kirche, blieb bis zum Morgengrauen und zum Wiederkommen der
Mönche zur Laudes in seinem selbst gewählten Rhythmus und
verließ die Kirche als letzter.
2) Knien und
wachen
„Père Charbel gab vor,
schlafen zu gehen, wenn sich die Mönche zum Schlaf
niederlegten und er war zur gleichen Zeit wie sie wach.
Tatsächlich schlief er nur sehr wenig und verbrachte seine
Nächte im Gebet. Ich, Père Ighnatios Mechmech, sage Ihnen das
deshalb, weil man ihn des Nachts oft genug in der Kirche sah,
während alle Mönche schliefen. Zudem hatte er meist die
Aufgabe, zum Mitternachtsgebet zu läuten, nachdem er nachts
nicht schlafen ging. Jedes Mal wenn ich nachts aufwachte, sah
ich sein hell erleuchtetes Zimmer. Dort saß er vor seinen
Büchern oder er betete kniend aus ihnen. Nach dem
Mitternachtsgebet ging er nicht mehr zu Bett, kniete sich
vielmehr auf eine Weidenmatte, um sich für den Rest der Nacht
zu kasteien.“
3) Im Gebet für die
Novizen
„Ich, Fouad Khoury, erinnere
mich, dass der Obere des Noviziates von Naamé im Jahr 1888 zu
den Eremiten ging, unter denen auch Père Charbel war. Er saß
gerade mit seinen Gefährten bei einem Salat aus
Portulakstengeln. Zurück in Naamé sagte uns der Obere, er habe
die Einsiedler um ihr Gebet für die Novizen gebeten. Sie
versprachen es ihm.“
4) Er betete auch für die Armen
Seelen im Fegefeuer
Père Louis Blaïbel erinnerte sich daran, dass „Père
Charbel oft seinen Segen mit dem Kreuzzeichen machte. Ich
fragte ihn deshalb: Mein Lehrer, Père Charbel, warum geben Sie
entgegen Ihrer sonstigen Gewohnheit häufiger den Segen mit dem
Kreuzzeichen? Ist dies von besonderem Wert?“ Mit strahlendem
Gesicht antwortete er: „Heute ist der Freitag für die
Verstorbenen. Das Kreuzzeichen birgt einen großen Schatz von
Ablässen, den der, der sie gewinnt, als Hilfe den leidenden
Armen Seelen im Fegefeuer schenken kann, und zwar gerade
denjenigen, an die niemand denkt. Jedes Mal wenn du gläubig
das Kreuzzeichen machst und im Zustand der Gnade bist,
gewinnst du fünfzig Tage Ablass. Wenn du die Kirche betrittst
und sie wieder verlässt und dabei dein Haupt mit Weihwasser
benetzt, das Kreuzzeichen machst und im Zustand der Gnade
bist, gewinnst du manches Mal hundert Tage Ablass. Jedes Mal
wenn du „O Maria hilf!“ sagst, gewinnst du 25 Tage Ablass.
Wenn du das Kreuzzeichen beispielsweise zwanzig Mal am Tag
machst, gewinnst du tausend Tage Ablass. Wenn du all deine
Ablassgebete für die Seelenruhe einer oder mehrerer Seelen,
die im Fegefeuer leiden, aufopferst, wie sehr wirst du ihre
Leiden dann gemildert haben! Welchen Schatz verschiedener
Gnadengaben wirst du dann selbst gewonnen haben, wenn du dies
tust! Kostet dich das irgendwelche Mühe oder Anstrengung?
Gewiss nicht!
Der Mensch, der sich um seinen Besitz müht, ihn mit
dem Schweiße seines Angesichtes tränkt, dann ein Jahr oder
fast ein Jahr auf die Ernte wartet, auch wenn sie gering ist,
und wenn er dann etwas erntet, und diese Ernte auch noch
reichlich ist, wird überglücklich sein. Besser noch steht es
um den, der den Namen der Jungfrau Maria nennt und sie
ehrfurchtvoll hundert Mal am Tag mit „O Maria, hilf!“ anruft,
dann wird er mühelos und unverzüglich 2500 Tage Ablass
gewinnen. Und dann kann er wie gewohnt in seiner Arbeit ohne
Unterlass fortfahren. So wird er selbst für sich daraus Nutzen
ziehen, wird den Seelen im Fegefeuer die Ruhe ihrer Seelen
gewähren und die Zeit ihres Leidens verkürzen. Auch wird er
sich hinter diesem großen Namen einen Schutzwall gegen
jegliche satanische Versuchung errichten können. Wenn für den
Menschen das Kreuzzeichen schließlich zur alltäglichen Übung
geworden ist, und er die Jungfrau Maria anruft, wird er
jeglicher Versuchung ihre Kraft genommen haben. Denn das
Kreuzzeichen ist ein Hilfsmittel gegen die Dämonen, und das
Anrufen des Namens Mariens hält sie klein und stürzt sie in
den tiefsten Abgrund. Wenn du mir folgst, halte dich an das
Gebet für die Armen Seelen im Fegefeuer. Denn so misst du Gott
eine große Bedeutung bei, wie die Heilige Schrift sagt: „Wer
dem Armen gibt, ehrt Gott.“ Wer verzichtete auf den Lohn eines
Glases frischen Wassers, das in seinem Namen geschenkt wird?
Was wäre der Lohn eines Wohltäters für eine geliebte leidende
Seele, wenn nicht das sichere Seelenheil? Ihre Zeit im
Fegefeuer muss verkürzt werden.“
T: Aus
Treue zum Geliebten
I: Darstellung
„Wer eine Frau ansieht, um sie zu
begehren, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mir ihr
begangen.“ (Mt 5,28)„Die Menschen
suchen lieber das Glück in der Sünde (im Ehebruch).
Aber Sünde bringt nur Unruhe, Traurigkeit, Elend und Leere
hervor. Nur Jesus Christus kann einem Menschen das wahre Glück
schenken.“ Deshalb hat er seine engelgleiche Keuschheit
bewahrt, die sich in seinen Kasteiungen, in seinem
Geringschätzen von Essen, Trinkens und Kleidung zeigte. Sein
abgetragener Habit ist ein beredtes Bild dafür, was Keuschheit
heißt. Sie zeigte sich auch in seiner Verachtung der
Annehmlichkeiten des Lebens: So wusch er sich nach Aussage
eines Zeugen nie die Füße. Seine Kapuze reichte ihm bis zu den
Augen. Er war so sehr Asket, dass er wie ein Schatten seiner
selbst wurde, schwach und zerbrechlich. Mit vielen anderen
sagten wir uns: So lebt kein menschliches Wesen, eher schon
ein irdischer Engel. So sehr hat er seine menschliche Natur
abgetötet.
Wer es auch sein mochte, er schaute die betreffende
Person nicht an. Sein Blick war immer zu Boden gesenkt. Er
vermied regelmäßigen Besuch, um ganz für seinen Schöpfer da
sein zu können. Wenn er mit Menschen zu sprechen hatte, so
geschah dies nur für einige Minuten. Ohne etwas anzuschauen,
senkte er in und außerhalb der Kirche wie zur Meditation die
Augen. Frauen schaute er gar nicht an. „Der Mönch muss seine
Sinne gänzlich unterdrücken“, so steht es in der Positio.
Frauen sah er nie an, weder in der Einsiedelei noch in
ihrer Umgebung. Er ging ihnen sogar dann aus dem Weg, wenn sie
gesittet und in der schlichten Tracht dieser Region zu Besuch
kamen. Aber Frauen begegnete er recht oft auf der Hauptstraße
oder auf dem Weg zum Feld oder zum Weinberg oder wenn er zum
Trinkwasserschöpfen an die Quelle kam. Wenn er sie dann sah,
änderte er sofort seinen Weg, sie hingegen taten aus Respekt
vor ihm ebenso. „Wir alle wussten, dass dort ein Einsiedler
namens Charbel lebte und dass er sich zurückzog, wenn er einer
Frau, wer sie auch sein mochte, begegnete“, so Miladé Chhadé.
Maryam Chamoun bemerkte: „Wenn ich mich recht entsinne, hat er
nie eine der Frauen auf ihrem Weg zur Einsiedelei empfangen.“
So vermied er jeden Anlass für eine Schwächung seiner
Keuschheit.
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Die
Sonntagsmesse
Er erlaubte keiner Frau, die
Kirche der Einsiedelei zu betreten, es sei denn, er hatte
erfahren, dass sie nirgendwo sonst an einer Sonntagsmesse
hätte teilnehmen können. Er gestattete ihnen höchstens den
Zutritt über den Flur neben der Kirchentüre. Andererseits zog
er sich, wenn Besucher in Begleitung von Frauen kamen, in
seine Zelle zurück, um sie erst dann wieder zu verlassen, wenn
sie weggegangen waren.
2) Verwendung des maskulinen
Genus
Frauen, die sich an der
Pforte einfanden, um Weihwasser zu holen oder andere Dienste
benötigten, stellte er aus dem Guckloch seiner Zellentüre im
maskulinen Genus, als ob er sich an ein männliches Wesen
wendete, die Frage: „Was willst du?“ Nachdem er den
Grund für den Besuch erfahren hatte, schickte er ihnen seinen
Gefährten.
„Einmal stieg ich, Gerges Sassine, zur Einsiedelei
hoch, wo ich eine Frau sah, die vor dem Zaun stand. Ich fragte
sie: „Wer bist du?“ Sie gab mir zur Antwort: „Die Schwester
von Père Charbel. Sag ihm, er solle zu mir kommen!“ Ich trat
ein und erzählte ihm vom Besuch seiner Schwester. Er
entgegnete: „Geh und sag es Père Makarios!“ Er wies ihn
an, sie zu empfangen. Père Charbel stellte sich dann hinter
die geschlossene Türe, wandte ihr den Rücken zu und sagte ihr:
„Wie geht es dir?“ „Dann zog er sich in die Kirche
zurück. Ich habe aber nicht verstanden, warum er sie im
maskulinen Genus angesprochen hatte.“
3) Heb den Korb mit mir zusammen
hoch!
Einmal trug Père Charbel zur
Zeit der Ernte auf seinem Rücken die Traubenkörbe vom Weinberg
der Einsiedelei zur Kelter, während Männer, Frauen und Kinder
die Reben lasen. Père Charbel kehrte zu einem vollen Weinkorb,
der neben der Mauer stand, zurück. Es waren aber keine Männer
da, die ihm hätten helfen können, den Korb auf den Rücken zu
heben. Aufrecht mit gesenktem Blick wartete er auf einen
Helfer. Als er lange genug gewartet hatte, wandte er sich um,
nahm seinen Strick in die Hand und sagte mit vernehmbarer
Stimme: „Heb den Korb mit mir hoch!“ (Heb hoch! ist ein
maskuliner Imperativ, der hier an eine Frau ergeht.) Eine Frau
trat dann an ihn heran und half ihm. Meine Kameraden und ich
waren erstaunt, dass Père Charbel Frauen im maskulinen Genus
angesprochen hatte, gerade so, als ob sie Männer
seien.
4) Wo ist die Tochter von
Monsieur (Beik)?
„Meine Mutter, deren Vater Mr.
Rachid (Beik) Al-Khoury Präfekt der Region war, erzählte mir,
Fouad Khoury, sie sei einmal mit ihren Freundinnen, Verwandte
von uns, zu Besuch in der Einsiedelei gewesen. Nach dem Besuch
gingen sie auf den Platz vor der Einsiedelei, um sich
auszuruhen und zu Mittag zu essen. Kurz darauf hörten sie
jemanden vom Inneren der geschlossenen Türe her klopfen und
rufen: „Wo ist die Tochter von Monsieur (Beik)?“
Meine Mutter antwortete: „Das bin ich. Was möchten Sie?“ Da
öffnete er das Fensterchen in der Türe, streckte seine Hand
nach draußen und gab ihr, ohne sie anzusehen, einen Teller mit
Honig. Für meine Mutter war dies bei all ihren häufigen
Besuchen in der Einsiedelei das einzige Mal, dass sie die
Stimme von Père Charbel gehört hatte.“
5) Er segnete
sie.
„Einmal war ich, Jibraël
Jibraël, in der Einsiedelei, als sich auch eine Gruppe von
Männern und Frauen in der Kirche aufhielt. Père Makarios kam
und bat die Frauen, aus der Kirche zu gehen, weil Père Charbel
dort die heilige Messe feiern wolle. Beim Hinausgehen baten
sie Père Charbel um den Segen. Sie stellten sich unter das
Fenster und senkten den Kopf, den sie mit einem Tuch bedeckt
hatten. Der Einsiedler streckte die Hand aus dem Fenster und
segnete sie.“
6) Der Körper ist ein rechter
Esel.
Die Mönche hörten ihn oft
dieselben Worte wiederholen: „Dieser Körper ist ein rechter
Esel. Wenn man ihm zu essen gibt, schlägt er aus. Wenn man ihn
hungern lässt, wird er demütig und klein.“
7) Stellt die Flasche auf den
Boden und geht weg!
Als die Frauen kamen, um ihre
mitgebrachten Weihwasserflaschen weihen zu lassen, und er
gerade alleine in der Einsiedelei war, antwortete er ihnen von
Innen her: „Stellt die Flaschen auf den Boden und geht dann
weg!“ Dann nahm er die Flaschen, füllte sie mit
Weihwasser, stellte sie wieder an ihren Platz zurück und
verschwand. Wenn ihn unterwegs eine Frau überraschend antraf,
schreckte er auf und schlug einen anderen Weg ein, der ihn
durch Dornen führte. Dabei schaute er niemanden an.
8) Bleibt
draußen!
Als Frauen ihre Kinder zu
Père Charbel brachten, damit er sie segne, bat er seinen
Gefährten um Begleitung und sagte zu den Müttern: „Bleibt
draußen!“ Dann segnete er die Kinder und betete für die
Kleinen. Als sich ein Kind nicht von seiner Mutter entfernen
wollte, schickte er es zu seinem Gefährten und bat die Mutter,
sie solle sich entfernen.
9) Bis er weg
war.
Die Frauen schätzten Père
Charbel über die Maßen, sogar so sehr, dass sie, wenn sie im
Voraus wussten, dass sie an dem Ort, wohin er ging, auch
waren, sich zurückzogen, bis er weggegangen war. „Solche
Szenen habe ich, Père Élias Ehmej, mit eigenen Augen gesehen.“
„Und ich, Père Semaan Ehmej, erinnere mich, dass mir bei der
Arbeit auf dem Feld südwestlich vom Kloster zusammen mit dem
für die Arbeit verantwortlichen Bruder Élias Al-Mahriny und
seinem Gehilfen Sleiman Al-Manzili plötzlich Frauen auffielen,
die auf dem Rückweg von der Messe im Kloster waren und eilends
davon rannten, um sich hinter Felsen und Bäumen zu verbergen.
Ich fragte Bruder Élias nach dem Grund ihre Eile, woraufhin er
mir zur Antwort gab: „Vielleicht kam gerade Père Charbel in
die Einsiedelei des Klosters.“ „Und weil diese Frauen wissen,
dass der Einsiedler den Frauen aus dem Weg geht, verbargen sie
sich aus Achtung vor ihm. Tatsächlich näherte sich Père
Charbel kurz darauf dem Kloster. Nachdem er vorbei gegangen
war, machten sie sich wieder auf den Heimweg.“
10) Eine Versuchung hatte mich
bedrängt.
Père Charbel befand sich
einmal auf den Besitzungen zwischen dem Kloster von Annaya und
Laqlouq, um die heilige Messe für den für die Feldarbeiten
verantwortlichen Bruder Boulos aus Mechmech, mit dem er
gewöhnlich das Feld umgrub, zu lesen. Während der Bruder
gerade auf dem Feld arbeitete, hörte er Père Charbel, der
etwas weiter entfernt von ihm den Acker bearbeitete, wie ein
kleines Kind um Hilfe schreien. Er ließ von seiner Arbeit ab
und eilte herbei, um zu sehen, was denn los sei. Er fand ihn
gesund und wohlbehalten vor und sagte ihm: „Was haben Sie?“ Er
erwiderte: „Nichts!“ Kaum hatte der Bruder seine Arbeit
wieder aufgenommen, hörte er ihn erneut schreien, trat zu ihm
und sagte: „Bist du verrückt geworden? Warum diese Schreie?
Sag es mir! Kann ich Dir helfen!? Was ist los!?“ Er antwortete
in aller Ruhe und mit leiser Stimme: „Eine Versuchung hatte
mich bedrängt. Verzeihen Sie mir und beten Sie für
mich.“
11) Warum dieses merkwürdige
Verhalten?
Seine Liebe zu Gott hatte
jegliche andere irdische Liebe in seinem Herzen ausgelöscht,
selbst die zu seinen Eltern. Er gehörte dem Allmächtigen, dem
er sich mit einer solchen Liebe völlig hingeben wollte. Sein
Herz hat er von der Liebe zu seinen Verwandten gereinigt. „Als
ich, Père Élias Ehmej, den Sommer im Kloster von Saint-Maron
in Annaya verbrachte, besuchte ich auch die Einsiedler. Als
ich in die Nähe der Einsiedelei kam, sah ich eine Anzahl von
Frauen, die warteten. Sie grüßten mich und sagten mir: „Wir
kommen aus Bqaakafra und warten schon lange hier. Einen ganzen
Tag lang mussten wir gehen, um Bruder Charbel zu sehen, der
uns allerdings nicht empfangen will.“ Ich gab ihnen zur
Antwort: „Wer seid ihr?“ Sie erwiderten: „Diese hier ist seine
Schwester und wir, wir begleiten sie. Bitte, überreden Sie
ihn, seiner Schwester zu gestatten, ihm die Hand zu küssen. Er
fehlt ihr sehr, nachdem sie ihn lange nicht gesehen hat.“ Ich
war sehr gerührt und eilte zu Père Charbel, der sich gerade in
der Kirche aufhielt. Ich bat ihn, er solle sich doch seiner
armen Schwester erbarmen, die von weit her gekommen sei, solle
ihrer zärtlichen Geste entgegenkommen, wenn auch nur für einen
kurzen Augenblick. Er antwortete: „Nein, ich gehe nicht aus
der Kirche!“ Ich kam dann noch einmal und sagte ihm:
„Deine Schwester bittet dich, zumindest deine Hand durch das
Fenster zu strecken, damit sie diese küssen könne, um dann
wieder, wie versprochen, nach Hause zurückzukehren.“ Er
entgegnete: „Ich werde meine Hand nicht aus dem Fenster
strecken.“ Dann bat ich ihn ein drittes Mal: „Deine
Schwester bittet dich, dein Taschentuch in die Hand zu nehmen
und mit ihm über das Bildnis der Heiligen Petrus und Paulus zu
fahren.“ Er antwortete: „Mach du es und gib ihr dann das
Taschentuch wieder zurück!“ Ich fuhr fort: „Warum
verhältst du dich so merkwürdig?“ Darauf gab er mir keine
Antwort. So nahm ich das Taschentuch an einem langen Stecken,
fuhr mit ihm über das Bildnis der Heiligen, das ganz oben
angebracht war und gab es seiner Schwester wieder zurück, die
traurig und mit Tränen in den Augen von dannen zog. Ich selbst
war verblüfft über dieses harte Verhalten und verstand seinen
Sinn nicht. Nachdem er die Kirche verlassen hatte, stellte ich
ihn zur Rede und sagte: „Du hättest deine arme Schwester nicht
ungetröstet zurückschicken sollen. Wo ist hier Zärtlichkeit,
wo Mitleid?“ Er gab mir keine Antwort. Da verstand ich sein
Schweigen: Er hatte keinen Platz in seinem Herzen für irdische
Liebe. Sein Herz schlug nur für Gott.“
12) Selbst seine
Nichte
„Eines Tages, ich war gerade
zehn Jahre alt geworden war, begleitete ich, Iid Nakad, meine
Mutter, obwohl ich krank war, auf ihrem Besuch in der
Einsiedelei. Er nahm mich an der Hand und führte mich ins
Innere der Kirche. Meine Mutter aber und ihre ebenfalls kranke
Begleiterin, die gekommen war, um geheilt zu werden, hat er
nicht empfangen. Er begnügte sich damit, mit ihnen hinter der
Türe zu sprechen. Ein anderes Mal begab sich meine Mutter zur
Einsiedelei, um ihren Onkel, den Einsiedler, zu besuchen. Er
sprach nur kurz mit ihr von Innen her, ohne sie zu sehen. Als
sie unbedingt an der heiligen Messe teilnehmen wollte,
gestattete er ihr, durch das Türfensterchen hindurch der
heiligen Messe beizuwohnen. Als er den Kelch hob, um ihn zu
segnen, richtete er die Augen nach oben aus Angst, ihre Blicke
könnten sich begegnen.“
U: Ein
Gefangener seines geliebten Herrn
I: Darstellung
Er tat nichts aus eigener
Initiative heraus, sondern nur aus Gehorsam vor den
Vorgesetzten, hinter denen für ihn Gott stand und um den Lohn
zu erhalten, der dem Gehorsamen zusteht. Denn der Mönch muss
in seinem Oberen Christus sehen. Daher sein seltsam anmutender
Gehorsam, erst dann eine Arbeit zu beginnen, wenn er dazu die
Anweisung bekommen hatte. Dieser Gehorsam ist sprichwörtlich
blind - ein blinder Gehorsam also. Wenn ihn der Obere zu
irgendeiner Angelegenheit rief, ließ er alles stehen und
liegen, um dem Befehl nachzukommen, ohne einen Augenblick lang
zu zögern. „Ich, Frère Elias Mahrini, erinnere mich nicht,
Père Charbel je aufgeschreckt oder ängstlich gesehen zu haben,
wenn man ihm etwas aufgetragen hatte. Dies hätte seinem
Naturell widersprochen. Vielmehr blieb er sich selbst immer
treu - ohne Eigenwillen oder persönliche Neigung, vergleichbar
einem stummen Instrument in der Hand seiner
Oberen.“
Er verharrte im Gebet, bis sein Gehilfe ihm die Arbeit
anwies oder aber er arbeitete solange, bis dieser zu ihm
sagte: „Es genügt!“ Auch aß er nicht, wenn man nicht zu ihm
sagte: „Iss!“ Er gehorchte allen, den Gehilfen wie auch dem,
der jünger war als er. Kurzum, sein ganzes Leben kann mit den
Worten zusammengefasst werden: „Man befahl, und er gehorchte.“
Im Kloster unterwarf er sich den Anweisungen seines Oberen,
auf dem Feld dem Verantwortlichen für die Feldarbeit, selbst
wenn es ein Gehilfe war, in der Einsiedelei seinem Gefährten
oder demjenigen, der diesen vertrat. Selbst wenn nur ein
Diener ihm sagte: „Tu das!“ führte er es aus. Niemand wusste
so recht, was ihn aufheitern oder betrüben könnte. Wenn man
ihn anwies, das Beten zu lassen oder eine Aufgabe außerhalb
der Einsiedelei zu erfüllen, verzichtete er in gleicher Weise
aufs Beten wie er zu beten begann, wenn man ihn darum bat oder
wenn man ihn um geistliche Übungen bat, die ihn besonders
erfreuten. Er tat nie etwas auf eigene Initiative hin. Er
folgte nicht, weil er ein Eigenbrötler war oder aus purer
Gewohnheit, sondern aus dem Geist der Ergebung und
Tugendliebe, als ob es sein innigster Wunsch sei, sogar seinen
Blutdruck dem Gehorsamsgebot zu unterwerfen.
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Recht so!
Einmal war er schon in sein
Messgewand gekleidet und begann so die heilige Messe zu lesen.
Weil alle Patres ihre Messen bereits gefeiert hatten, kam der
Obere, um ihm zu sagen: „Warten Sie noch, denn es werden noch
Leute kommen, die an ihrer Eucharistiefeier teilnehmen
wollen.“ Er gehorchte und verharrte etwa noch eine Stunde lang
aufrecht stehend vor dem Altar. Dann rief er mich, Père
Ighnatios Mechmech, damit ich ihm ministriere und fragte mich,
ob denn die Leute schon angekommen seien. Ich antwortete ihm:
„Gestatten Sie mir, dass ich den Oberen unterrichte und ihn um
die Erlaubnis bitte.“ Er entgegnete: „Recht so!“ Er
blieb aufrecht stehen bis sein Oberer kam und ihm sagte: „Fahr
jetzt mit der heiligen Messe fort!“ Er tat nichts auf eigene
Initiative hin. Selbst beim Essen wartete er auf die Anweisung
des älteren Einsiedlers oder eines Bruders, der mit der
Verwaltung der Einsiedelei beauftragt war.“
2) Bei Bruder
Makarios
Wenn man ihn um ein Essen
bat, antwortete er: „Ich weiß nicht. Iss bei Pater
Makarios!“ Wenn wir Trauben essen wollten, schickte er uns
auch zu seinem Gefährten. Wenn ein Arbeiter ihn um eine Traube
bat, antwortete er ihm: „Ich weiß nicht. Frag Père
Makarios!“ Von sich aus gab er nicht einmal ein
Weintraubenblatt her und er hat nie seinen Oberen um die
Erlaubnis gebeten, etwas weiter schenken zu dürfen.
3) Er hielt seine Hacke nach
oben gerichtet.
„Vor meiner Priesterweihe machte
ich, Père Antonios Nehmeh, Exerzitien im Kloster Saint-Maron
in Annaya. Als ich ganz am Rande der Einsiedelei stand, sah
ich Père Charbel im Weinberg hacken. Ich hatte Mitleid mit ihm
und bat Père Makarios, der gerade neben mir das Essen
zubereitete, ihn herbeizurufen, damit er sich ausruhe und
etwas esse. Als das Essen fertig war, rief ihn sein Gefährte:
„Père Charbel!“. Er reagierte nicht. So rief er ihn ein
zweites Mal, dieses Mal lauter. Als er ihn gehört hatte, hielt
er seine Hacke nach oben gerichtet und wartete auf eine
Anweisung. Als sein Gefährte ihn darum bat, zum Essen zu
kommen, legte er die Hacke weg und kam.“
4) Niemand hat mich darum
gebeten.
Die Arbeiter, die mit ihm
zusammen arbeiteten, erzählten, dass sie und die Mönche mit
der Arbeit aufhören und essen wollten. Sie vergaßen aber, ihn
zum Essen einzuladen. So fuhr er mit seiner Arbeit fort. Durch
Zufall ging der Obere vorbei und fragte Père Charbel, als die
anderen ganz in seiner Nähe standen, ob er schon gegessen
habe. Er sagte: „Nein, ich habe noch nicht gegessen.“
„Und warum nicht?“ Er erwiderte „Niemand hat mich darum
gebeten.“ Dann fragte der Obere seine Gefährten: „Warum
habt ihr ihn nicht zum Essen gerufen?“ Sie antworteten: „Wir
haben ihn ganz einfach vergessen.“
5) Er gehorcht sogar den
Novizen.
Einmal waren die Novizen gerade bei
der Arbeit, als die Glocke zum Gebet läutete. Sie hielten inne
und beteten, ohne Père Charbel zum Gebet zu rufen. Er setzte
seine Arbeit fort. Als sie ihn fragten, warum er nicht mit
ihnen gebetet habe, antwortete er: „Ihr habt mich nicht
dazu aufgefordert.“ Sie glaubten, er mache sich über sie
lustig und waren verärgert. Am folgenden Tag riefen sie ihn
wieder nicht zum Gebet. Père Charbel setzte seine Arbeit wie
gewohnt fort. Da verstanden sie, dass er nichts ohne
Anweisungen tat. Am dritten Tag schließlich ließ er seine
Arbeit ruhen und gehorchte der Einladung zum Beten, als sie
ihn dazu aufforderten.“
6) Als Scherz
Eines Tages sagte Père
Charbel seinem Gefährten Makarios: „Im Kloster brauchen sie
Holz. Hier gibt es keines. Wo soll ich welches fällen?" Er
antwortete ihm schmunzelnd: „Geh zum Wald von El-Mihal.“ (Er
liegt drei Fußstunden von der Einsiedelei entfernt.) Père
Charbel ging also zur oben genannten Anhöhe, schlug dort Holz
und brachte es auf den Schultern am Nachmittag zur Einsiedelei
zurück. Am Abend dann war er erschöpft und in Schweiß gebadet
wegen des Holzbündels, das er auf seinem Rücken getragen
hatte. Père Makarios fragte ihn: „Von wo hast du das Holz
geholt? Warum bliebst du so lange weg und kehrst nun so
erschöpft zurück?“ Er gab ihm zur Antwort: „Vom Berg
Al-Mihal, wie ihr mir befohlen habt." Père Makarios
erwiderte: „Weshalb bist du gerade dorthin gegangen, obwohl
die Einsiedelei ringsum von Holz umgeben ist?“ Er gab ihm zur
Antwort: „Hast du mir nicht den Auftrag gegeben, nach
Al-Mihal zu gehen? Du hast befohlen und ich habe
gehorcht.“ Père Makarios war sehr erstaunt über die
Strapaze, die er auf sich genommen hatte.
7) „Nein“ zu sagen, verbot er
sich.
Mr. Rachid Al-Khoury, der Präfekt
der Region, ersuchte den Oberen darum, ihm Père Charbel zu
schicken, damit er bei ihm das Wasser segne und damit die
Äcker besprenge, auf denen sich die Heuschrecken zu diesem
Zeitpunkt in Scharen niedergelassen hatten. Der Einsiedler
stand im Ruf, er könne durch sein Gebet die Heuschrecken
vertreiben. Daraufhin gebot ihm der Obere, dorthin zu gehen.
Ohne ihn zu fragen, was er denn tun solle, ging er
widerspruchslos nach Ehmej. Dort angekommen, segnete er in
Anwesenheit der Dorfbevölkerung das Wasser und trat seinen
Rückweg an. „Was uns, die Mönche seines Ordens angeht,” so
Père Youssef Ehmej, „so finden wir selbst bei den
altehrwürdigen, für Ehrfurcht und Beachtung der Ordensregel
bekannten Mönche, solche, die manchmal die Weisungen des
Oberen in Frage stellen oder Entschuldigungen gesundheitlicher
oder ethischer Art dafür finden, ihnen nicht Folge leisten zu
müssen. Père Charbel hingegen hat sich nie aus einem
gesundheitlichem oder sonstigem Vorwand heraus widersetzt,
selbst wenn eine Weigerung für jeden einsichtig gewesen
wäre.“
8) Werde dir erst einmal mit
Père Makarios einig!
„Ich, Maron Abboud, bat ihn einmal darum,
er solle mir eine heilige Messe in meiner Intention lesen und
gab ihm dafür Geld. Er wehrte ab, gab die Frage an seinen
Gehilfen weiter und sagte mir: „Werde dir erst einmal mit
Père Makarios darüber einig. Wenn er mich zum Lesen der
heiligen Messe auffordert, werde ich es tun.“
V: Seine
Hoffnung ist vom Durst nach dem Geliebten
erfüllt.
I: Darstellung
In seiner Hoffnung auf Gott
stand er fest. Er betrachtete das Leben in all seinen
Dimensionen als Unrat, um allein Christus zu gewinnen. Wenn
man im Orden neue Wege suchte, drückte er weder seine Freude
noch seine Bedenken aus und kümmerte sich in seinem Urteil
nicht darum, ob die ihm nahe stehenden Mönche eine
Vorrangstellung im Kloster hatten oder nicht, so dass er auf
sie zählen könnte. Er war auch nicht traurig darüber, wenn es
einen Wechsel in der Hierarchie der Verantwortlichen und
Amtsträger gab oder wenn Mönche abgesetzt wurden, die ihm
gewogen waren. Was auch immer sich im Orden abspielte, es
beeinflusste in keiner Weise sein geistliches Leben oder
seinen Dienst. Er interessierte sich für die Angelegenheiten
im Kloster nur in so weit, als es ihm das Gehorsamsgelübde
gebot. Wo er ein Versäumnis in einer Sache sah, dem
nachzukommen seine Oberen ihm nicht aufgetragen hatten, griff
er nicht ein. Er zeigte auch keine Freude, wenn das Kloster
materiell erstarkte, noch war er über einen Verlust traurig.
Er sprach nicht über den Erwerb von Grundstücken und
interessierte sich nicht für politische Reden, die den Orden
angingen. In der Einsiedelei und im Kloster lebte er so, als
ob er nicht existierte. Alle seine Gedanken waren auf Gott
gerichtet, nie hörte man ihn über weltliche Dinge oder Wünsche
reden oder über einen seiner Mitbrüder. Er sprach auch nicht
über Leute oder über seine Eltern oder über eine Freude, wenn
ihm etwas Alltägliches gelungen war. Er hielt sich bei keiner
irdischen Sache auf, sei sie zum Besten oder zum Schlechten
gewesen. Er konzentrierte alle Kräfte auf sein Seelenheil und
auf das seiner Mitmenschen. Seine einzige Sorge war es, Gott
zu gefallen. Um dieses endzeitlichen Zieles willen ertrug er
alle Trauer, Schmerzen und die extreme Strenge, die er sich
auferlegte.
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Kompetenter als
ich
Er hat nie sein Vertrauen auf
Menschen gesetzt. Einmal soll er, erstaunt über die Bemerkung,
der Rat wolle ihn zum Oberen ernennen, gesagt haben: „Im
Orden sind viele kompetenter und geeigneter als ich. Die Geste
des Ordens, einen Nichtsnutz wie mich aufzunehmen, ist schon
edel genug.“
2) Arbeiten um der Ehre Gottes
willen.
Er kam seiner Arbeit um der Ehre Gottes
willen nach und um das ewige Heil zu erwerben. Er sagte uns
wiederholt: „Arbeitet zur Ehre Gottes und euer Lohn wird
euer Glück im Himmel sein.“ Aus dieser Hoffnung heraus
konnte er die Dinge dieses vergänglichen Lebens verachten,
sich kasteien und asketisch leben. Er wiederholte immer wieder
diesen Satz: „Dieses Leben ist vergänglich. Es kann uns
nichts bieten.“
3) Die Lichter des Himmels sind
schöner.
Père Charbel lebte die Tugend
der Hoffnung bis zur Heldenhaftigkeit. Denn er gab alles auf,
um sich zuerst ins Kloster, dann in die Einsiedelei
zurückzuziehen, wo er auf dem Gipfel eines Berges in harter
Umgebung ein streng asketisches Leben mit Nachtwachen und
ständigen Kasteiungen führte, ohne im Verlauf der Jahre darin
nachzulassen. Im Gegenteil! Er steigerte sich noch darin, so
dass ihm niemand darin gleich kam, es sei denn jemand, der
seine grenzenlose Hoffnung allein auf Gott setzen wollte. Man
erzählte sich, dass sich eines Abends ein Mönch an ihn mit den
Worten gewandt habe: „Schau die Stadt Beirut, in welch schönes
Licht sie getaucht ist!“ Ohne sich umzuwenden, antwortete er:
„Die Lichter des Himmels sind besser und schöner!“ Dann
kehrte er in seine Zelle zurück.
4) Eine solche Pflicht kenne ich
nicht.
Erfolge oder Unglücksfälle
seiner Verwandten interessierten ihn nicht. Einmal erzählte
mir sein Gefährte Père Makarios, dass ihn sein Bruder besucht
habe, um ihm Neuigkeiten von zu Hause und von der Ernte zu
erzählen. Père Charbel antwortete ihm: „Was du mir
erzählst, geht mich nichts an. Ich möchte nichts davon
hören.“. Nach diesen Worten nahm er seine Hacke und ging
in Richtung Weinberg. Er war ein Mensch, der nur physisch auf
dieser Welt lebte, sein Herz und sein Verstand aber lebten
schon im Himmel. Er zeigte keine innere Anteilnahme weder an
einem frohen noch an einem traurigen Ereignis.
5) Gott lenkt.
Er hielt die Augen immer
geschlossen als ob er seinen Blick, seinen Verstand und
sein Herz von den Dingen dieser Welt abgewandt habe. Sein
unaufhörliches Beten fand im Himmel seine Fortsetzung. Wenn
die Blitze in die Einsiedelei, die ganz oben auf einem hohen
Berg lag, einschlugen oder aber wenn ein Unglück das Kloster
traf, dann überließ er sich ganz dem Willen Gottes und sagte:
„Gott lenkt alles, es ist sein Wille.“ Immer wenn man
ihm von einem Kranken, einem Notleidenden oder Bedürftigen
erzählte, gab er zur Antwort: „Gott lenkt. Vertrauen wir
uns ihm an!“ Wenn ihn jemand um etwas bat, überzeugte er
ihn davon, er solle zu Gott seine Zuflucht nehmen und ihm
seine Sorge anvertrauen.
W:
Zuflucht der Glaubenden und Armen
I: Darstellung
„Ich, Frère Francis Qartaba,
habe ihn als Einsiedler kennen gelernt. Bevor ich ihn aber
selbst getroffen hatte, hatten mir bereits Mönche und Laien,
sogar Schiiten, von seinem Ruf erzählt. Sie strömten in
Scharen herbei und brachten ihre Kinder, damit er für sie bete
und sie trugen Wasserflaschen mit sich, damit er das Wasser
weihe, um es wieder mit nach Hause zu nehmen, um ihre Kranken
zu heilen und um Unheil von ihnen fern zu halten, für ihre
Tiere und sonstiges Eigentum, um vor Krankheiten und Epidemien
zu schützen, um Fruchtbarkeit und Ernten zu mehren oder um mit
ihm die Häuser zu besprengen. Er tat nichts, ohne zuvor von
seinem Gefährten dazu angewiesen worden zu sein. Und zudem
empfing er die Menschen, immer aus Gehorsam, mit Zärtlichkeit,
Nächstenliebe und Anteilnahme, ließ sich von ihrer Notlage
berühren, betete für sie und segnete ihnen das Wasser, von dem
eine wundersame Kraft ausging. Danach kehrte Charbel wieder in
die Einsiedelei zurück. Was die Besucher angeht, so war es
immer sein Gefährte, der sie empfing und ihnen das Weihwasser
gab. Ein Vater brachte das Wasser mit der Hand herbei.
Die Kranken, Behinderten, die Trauernden und Leidenden
strömten von allen Seiten zu ihm, um bei ihm Gottes Gnade zu
erflehen, weil sie an seine Güte glaubten und an Gottes
Erhören seines Fürbittgebetes. Er hielt sich von den Besuchern
fern, aber er betete für sie.
Seine fromme Hingabe hatte nachhaltigen Einfluss auf
viele Laien, so dass sie ihn um einen Krankenbesuch baten und
um ein Heilungsgebet am Krankenbett. Wenn der Obere es befahl,
einen Kranken zu besuchen und für ihn zu beten, gehorchte er,
ohne sich auf seinen Stand als Einsiedler zu berufen und
führte die Anweisung unter Schweigen aus. Als ob dies seine
Gewohnheit sei, besuchte er die Kranken, betete um ihre
körperliche Genesung, wobei er besonders auf ihr Seelenheil
achtete. Finanzielle Gaben oder Geschenke hingegen wies er ab.
Was er tat, geschah aus Liebe zu Gott. Der größte Dienst, den
er seinem Nächsten leistete, war sein ständiges Beten für ihn
um Gnade und um sein Seelenheil. Er wies niemanden ab, der ihn
um geistlichen Beistand bat. Der Besucher, der seine
Einsiedelei betrat, ging getröstet und glücklich über den
Besuch von dort weg, überzeugt davon, einem Heiligen begegnet
zu sein“, wie es in der Positio nachzulesen ist.
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Im Schweigen
„Wir alle waren davon
überzeugt, dass er ein Heiliger ist, zu dem wir uns, wenn wir
krank oder in Nöten sind, flüchten können. Viele tragen seinen
Namen, weil sie sich Segen von ihm erhoffen. Ich, Youssef
Sleiman, glaube ganz persönlich, dass Père Charbel ein großer
Heiliger im Himmel ist. Er tritt stillschweigend bei Gott für
uns ein, ohne dass wir uns seines Beistandes bewusst sind,
gerade so wie er es tat, als er noch lebte.“
2) Alle sind Christi
Ebenbild
Père Charbel mischte sich
nicht unter die Menschen, war aber großherzig gegen jedermann
- in seinen Gebeten für die Kranken, die Reisenden und die
Bedürftigen: Er ließ sich von ihrem Schicksal anrühren und
trat entschieden für sie ein, damit sich der Herr seiner
kranken Diener erbarme. Was seine Beziehung zu den Mitbrüdern
im Konvent, in der Einsiedelei und in seiner Bekanntschaft
angeht, so war allen klar, dass sein Herz unterschiedslos für
alle schlug, ohne in seiner Liebe Unterschiede zu machen. Er
betrachtete sie alle als Brüder und Ebenbilder Christi und
schätzte die einen wie die anderen.
3) Er schenkte sein Essen
her.
Er hatte Mitleid mit den
Armen, aber in den Grenzen seiner Möglichkeiten. Wenn er einen
Armen in der Einsiedelei empfing, bat er seinen Gefährten,
diesem sein Essen zu geben. Im Winter, wenn es kalt war, hieß
er die Leute in die Einsiedelei eintreten, damit sie sich am
Feuer wärmen könnten.
4) Ich bin nur ein sündiger
Mensch.
Den Leuten, die ihn um sein
Gebet baten, antwortete er: „Ich bin nur ein sündiger Mensch.
Möge das Gebet der Heiligen eure Bitten erwirken.“ Wenn jemand
ihn um sein Gebet oder um eine geistliche Gnade bat, erwiderte
er immer wieder: „Ich bin der Geringste, bin nur ein
sündiger Mensch.“
5) Du kannst heilig
sein.
Wenn jemand ihn darum bat,
für ihn zu beten, gab er ihm zur Antwort: „Bete du doch
auch! Was unterscheidet uns beide? Gott hört dich ebenso gut
wie mich.“ Als jemand ihm sagte, er sei heilig, erwiderte
er: „Wir sind uns alle ähnlich. Was hindert dich daran, ein
Heiliger zu sein?“
6) Habt Vertrauen in
Gott!
Wenn man ihn um ein Gebet
bat, sagte er in aller Ruhe: „Das Gebet der Heiligen sei
mit dir. Nehmt eure Zuflucht zu Gott und er wird sich um eure
Angelegenheiten kümmern“, dann ging er weiter. Besuchern,
die ihn um seinen Segen und sein Gebet baten, kam er entgegen,
ohne sie anzuschauen und sagte: „Bitten Sie den Herrn, dass
er Sie so erhöre, wie es Ihrem Glauben
entspricht.“
7) Sein Gebet heilte die
Kranken
Jedes Mal, wenn der Präfekt
von Ehmej, Mr. Rachid Al-Khoury, krank wurde, rief er Père
Charbel, damit er für seine Heilung bete, denn er glaubte an
seine Heiligkeit wie es auch die Bewohner der Umgebung taten,
die ihn um sein Gebet im Falle einer Krankheit oder bei einem
Unglück baten. Seine Frömmigkeit übte einen großen Einfluss
auf jedermann aus, denn er heilte die Kranken durch sein
Gebet. Wenn jemand in Ehmej krank wurde, kamen die Bewohner
gewöhnlich eilends zu Père Charbel gelaufen, um Weihwasser zu
holen. Viele baten ihn um sein Gebet, das in Krankheiten und
bei Unglücksfällen half. Wenn die Kranken nicht selbst zur
Einsiedelei kommen konnten, besorgten sie sich das von ihm
geweihte Wasser und wurden von ihren Krankheiten geheilt. Wer
sich damit benetzte oder dieses Wasser trank, wurde wieder
gesund.
X: Seine
Leidenschaft für das Beten
I: Darstellung
1) In vertraulichem Gespräch mit
dem Geliebten
Mit Konsequenz war er immer
vor den Mitbrüdern in der Kirche, um sie als letzter nach
allen anderen wieder zu verlassen. Deshalb ging er, wenn er
aufwachte, direkt zur Kirche, wo er etwa fünf Stunden lang
blieb. Er kniete dort nieder, bis seine Knie steif wurden, in
ganz aufrechter Haltung, ohne müde zu werden und ohne sich
aufzustützen, ohne nach links oder rechts zu schauen. „Ich,
Frère Élias Mahrini, habe ihn in der Kirche nie sitzen sehen.“
Er nahm an allen Gebeten rings um das Lesepult teil und machte
wiederholt seine Kniebeugen. Ich kann mich nicht entsinnen,
dass er jemals das gemeinsame Gebet um das Pult versäumt
hätte, es sei denn, er habe den Auftrag für irgendeine
Tätigkeit bekommen. Über das Offizium hinaus, meditierte er im
Geiste und beendete seine Meditationen, wenn es Zeit war.
Seine Stoßgebete trug er drei Stunden lang täglich vor Gott,
die eine Hälfte am Tag, die andere Hälfte in der Nacht. Er
rezitierte sein Offizium Wort für Wort. Was das Chorgebet
angeht, so betete er es im vollständigen Brevier nach Aussage
seines Gefährten so sorgsam, als stünde er vor einem König und
ganz in Ekstase. Tagsüber hat man ihn nie sitzend sein
Offizium beten sehen, immer nur kniend und mit Inbrunst
betend. Wenn er auf den Feldern arbeitete, betete er auf den
Knien und stützte sich dabei auf die Fersen, das Brevier vor
sich liegend und die Arme gekreuzt.
Er versäumte nie das Mitternachtsoffizium, das er mit
seinem Gefährten abschloss. Er erweiterte die Vigilien durch
zusätzliches Beten. „Als Ministrant oder später als Mitbruder
sah ich, Père Ighnatios Mechmech, ihn viele Male aufrecht
kniend in der Kirche beten.“ Sein Gebet erstreckte sich über
einen Großteil der Nacht, wie es die Eremitenregel vorsieht.
Danach ruhte er sich manchmal eine Stunde lang aus, um dann
seine Meditation, Gebet und Schriftlesung wieder aufzugreifen.
Er hatte alle seine Kräfte so verfeinert, dass er ein intimer
Freund Gottes und ein Vertrauter der Engel geworden ist, so
dass er den größten Teil der Nacht im Gebet verbrachte.
Gewöhnlich mussten die Mönche zum Mitternachtsoffizium
aufstehen, um sich danach wieder zum Schlafen zu legen,
während andere wie Père Nehemtallah Al-Hardini und Père
Charbel nicht mehr zu Bett gingen, sondern ihre Zeit bis zur
Messfeier mit Beten verbrachten. Dann gingen sie anderen
Beschäftigungen nach, um sich später dann zur Arbeit zu
begeben. So war sein ganzes Leben ein Leben in Versenkung,
Gebet und Liturgie. All dies tat er mit Eifer und nicht
routinemäßig, sondern aus inniger Liebe zu Gott, so dass er in
seinen Gedanken und im Herzen immer mit Gott verbunden war, so
lebendig war er in seinem Verstand, in seinem Beten, in seiner
Arbeit, beim Essen wie beim Schlafen. Kurzum, er lebte nicht
für sich selbst, sondern für Gott. Deshalb sprach er nicht
mehr über irdische Dinge und ließ sich nur auf geistliche
Gespräche ein. Er verbrachte sein ganzes Klosterleben so, als
würde er ständig Exerzitien machen. Er sah zwar wie ein Mensch
aus, bewegte sich aber von allem Irdischen losgelöst wie im
Himmel.
2) Er war in das Geheimnis der
Liebe verliebt.
Wer eine Sache oder einen
Menschen liebt, denkt an sie, spricht oft von ihnen und von
dem, was sie tun und er sucht ihre ständige Nähe. So war es
auch mit Père Charbel. Er war immer schweigsam, sein ganzes
Denken auf Gott, seinen Geliebten gerichtet. Nur selten hörte
man von ihm Sätze ohne den Namen Gottes. Jeden Augenblick
nutzte er, um sich in der Kirche aufzuhalten, um so Anteil am
Geheimnis der göttlichen Liebe zu haben. In seinem Herzen gab
es nur Platz für Gott. Die anderen Einsiedler übertraf er in
nächtlichen Anbetungen vor dem Allerheiligsten. „Ich, Père
Youssef Ehmej, sah ihn recht oft voller Demut und Sammlung vor
dem Allerheiligsten knien.“ Er war dann ganz in Meditation
versunken und blickte stundenlang starr wie eine Statue vor
sich hin, ohne sich zu regen, den Blick immer auf das
Allerheiligste ausgerichtet. Die längste Zeit seiner
Nachtwachen verbrachte er in der Kirche, um vor dem
Allerheiligsten zu beten. Wenn man Père Charbel suchte, so
fand man ihn in der Kirche vor dem Allerheiligsten in der
Haltung der Ekstase kniend.
Sobald die Mitternachtsglocke läutete, erhob er sich
und ging als erster zur Kirche, um sie als letzter wieder zu
verlassen. Er blieb dort vor dem Allerheiligsten bis zum
Morgengrauen knien. Man konnte unaufhörlich seine Seufzer der
Sehnsucht vernehmen, sein summendes Beten, das sich in
Gesichtszügen abzeichnete, die Felsen hätten erweichen können
und die dem Betrachter andächtige Sammlung und Respekt
einflössten. „Vor dem Allerheiligsten erhebt sich das Herz aus
Liebe zu Gott, und wir beginnen, vollkommene Reue gegenüber
unseren Sünden zu empfinden. Wir haben nur den einen Willen,
den Deinen, O Jesus“, liest man in den Novizenregeln.
„Mein Himmel ist in der kleinen Hostie
verborgen,
in der Jesus, mein Gatte, sich aus Liebe
verhüllt.
In diesem göttlichen Herd werde ich Leben
schöpfen,
dort, wo mich mein lieblicher Retter Tag und Nacht
hört.“
3) Geliebter
Rosenkranz
Seit seiner Kindheit betete
Youssef den Rosenkranz. Im Orden dann setzte er sein Beten im
Auf und Ab der Arbeit auf den Feldern fort. Den Blick hielt er
dabei gesenkt. Jeder wusste, dass Père Charbel höchste Freude
nur für die Stundengebete in der Kirche empfand und jeder
kannte sein beharrliches Rosenkranzgebet nach
Mitternacht.
„Manchmal nahm ich, Père Youssef Hasrouni, auf seine
Bitte hin am Rosenkranz und am Gebet vor dem Allerheiligsten
teil. Dabei kniete er regungslos, kerzengerade, seine Hände
vor der Brust gekreuzt, unter seinen Füßen ein Weidengeflecht,
das er selbst gefertigt hatte. In dieser Haltung verharrte
während der ganzen Dauer des Rosenkranzgebetes, dem sich
nahtlos das Gebet vor dem Allerheiligsten anschloss. Er war
der Verehrung des Altarsakramentes und der Jungfrau Maria
zutiefst ergeben.“ Père Ighnatios Mechmech teilte gleichfalls
mit ihm das Rosenkranzgebet.
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Das Gewand Unserer Lieben
Frau vom Berg Karmel als Reliquie
„Einmal teilte Père Charbel mir, Schwester Moujahida
Al Khayassi, seinen Wunsch mit, ihm ein dreieckiges Skapulier
mit dem Bildnis Unserer Lieben Frau vom Berg Karmel, der
Unbefleckten Empfängnis und des Leidens Christi, zu schicken,
damit er es an seinem Hals tragen könne. Ich habe es ihm
anfertigen und über einen Mann aus Aarabat Qozhaya, der am
Kloster Saint-Maron in Annaya vorbeikam, zukommen lassen.
Zuvor hatte ich ihn darum gebeten, er solle doch Père Charbel
nach den Namen von drei Verwandten aus Bqaakafra fragen und
sie mir nach seiner Rückkehr nennen. So wollte ich mich
vergewissern, dass das Skapulier auch wirklich beim Empfänger
angekommen war. Ich drückte dem Boten meinen Wunsch aus, mir
von Père Charbel den Segen oder eine Reliquie mitzubringen.
Von der Reise zurückgekehrt gab mir der Mann ein kleines Stück
Papier, das in ein Kuvert eingewickelt war und sagte mir:
„Außer diesem Papier hat der Einsiedler für Sie nichts
mitgegeben.“ Ich öffnete es und fand darin einige von ihm
selbst geschriebene Worte: „Père Charbel, Einsiedler in
Saint Maron, Annaya, Mönch aus Qozhaya, an die Person,
die um einen Segen oder um eine Reliquie bittet. Möge der
Segen der Heiligen Petrus und Paulus auf Sie herabkommen.“
Das war alles, was er mir geschickt hatte, und doch war ich
sehr froh über dieses Papier, das die Handschrift des
Einsiedlers trug. Die Worte waren auf arabisch und nicht
gerade schön geschrieben. Meine damalige Oberin, Mutter Zéarah
aus Ghosta, riet mir, das Papier gut aufzubewahren und sagte
mir: „Dieses Papier, das die Handschrift des Einsiedlers
trägt, ist eine Reliquie. Heb sie gut auf!“ Ich rollte das
Papier in einen kleinen Stoff, nähte es ein und hängte es an
meinen Hals. Später dann habe ich es meiner Schwester kurz vor
ihrer Reise nach Amerika geschenkt, damit es sie vor den
Gefahren der Reise schütze.“
Ein anderes Mal habe ich über einen Bewohner des oben
erwähnten Dorfes, der am Kloster von Annaya vorbeikam, Père
Charbel etwa zehn Halsskapuliere mit dem Gewand Unserer lieben
Frau und andere aus Qozhaya zugesandt. Dies geschah auf meine
Initiative hin. Dann bat ich den Mann, er solle mir eine
Flasche Weihwasser vom Einsiedler mitbringen. Von der Reise
zurückgekehrt sagte mir die betreffende Person: „Ich habe die
zehn Stoffmedaillons überbracht, und hier ist das von ihm
geweihte Wasser. Ich nahm es, trat in mein Zimmer, entkorkte
die Flasche, um mich damit zu benetzen, weil ich an Rheuma
litt. Bevor ich dies tat, kam mir der Gedanke, der Bote habe
dem Einsiedler die Skapuliere doch nicht übergeben, und auch
die Flasche käme nicht von ihm. Mir war, als sei mir dieser
Zweifel eingegeben worden. Eines Tages kam die Mutter des
Boten zum Kloster von Al-Qarn. Ich fragte sie argwöhnisch:
„Dein Sohn hat die Skapuliere dem Einsiedler gar nicht
gegeben, sondern sie für sich behalten und die Flasche an der
Quelle von Al-Fouskaïn in Al Aaraba gefüllt.“ Sie gab mir zur
Antwort: „Das stimmt. Er hat sie nach Amerika mitgenommen. Er
wird ihnen den Preis dafür und für die Flasche zurückzahlen.“
Da sagte ich mir: „Es muss Père Charbel gewesen sein, der mir
diese Idee eingegeben hat, ohne dass ich vorher durch einen
anderen darüber informiert worden war.“
2) Ich bin es! (Mk 6,50)
„Bevor ich, Père Ighnatios
Mechmech, Mönch in diesem Konvent wurde, war ich oft
Ministrant und Sakristan. Eines Nachts betrat ich zur
Mitternachtszeit die Kirche, um zu überprüfen, ob das ewige
Licht noch brenne. Es war erloschen. So tastete ich mich in
der Dunkelheit voran, um es wieder zu entzünden. Ich stieß
gegen jemanden und bekam Angst. Er aber sagte mir: „Hab
keine Angst. Ich bin es!" Ich erkannte ihn an seiner
Stimme: Es war Père Charbel, der in der Kirche kniete, um zur
Mitternachtszeit zu meditieren.“
3) Was nur geschieht in seiner
Nähe?!
„Er war immer, vornehmlich
aber während der Eucharistiefeier, in seine geistigen
Meditationen versunken und nachdenklich wie in den Himmel
eingetaucht. Wer ihn so sah, wurde sich bewusst, dass alle
seine Gefühle, sein ganzer Leib, alle seine Vorstellungen in
Gott ruhten und dass er deshalb alles vernachlässigte, was
irdisch war. Weil seine Gedanken so sehr auf Gott ausgerichtet
waren, vergaß er sich selbst, als ob er auf dieser Welt nicht
mehr existierte. Er wahrte immer das Schweigen und die
unendliche Stille, so dass er nicht wahrnahm, was um ihn
geschah. Die Frage, die er mir während der Arbeit im Weinberg
stellte, ist ein beredtes Zeugnis dafür: „Wie viele Paar
Ochsen pflügen gerade den Weinberg um?“ so fragte er mich.
Ich gab ihm zur Antwort: „Drei. Du arbeitest nun den ganzen
Tag über mit uns und merkst nicht, wie viele Ochsen diesen
Acker umpflügen?“ Daraufhin schwieg er.“
4) Gemeinsam mit den Engeln
wandte er sich an Gott.
„Ich beobachtete ihn, während
er betete: Er war wie außer sich und ekstatisch in Gott, ohne
Empfindung für das, was um ihn durch Personen oder durch Dinge
geschah. Er wollte nicht wahrhaben, dass es jemanden gab, der
ihn beim Beten begleitete. Wenn ich antworten sollte, und mein
Gebet dann mit leiser Stimme fortsetzte, betete er alleine
weiter. Ich stellte ihn mir schon im Himmel vor, wie er sich
mit Gott Vater von Angesicht zu Angesicht, von Mund zu Ohr,
von Herz zu Herz unterhielt, als ob sein Leib nicht mehr auf
dieser Erde weilte. Seine Seele hingegen, von ihr hatte ich
den Eindruck, dass sie mit den Engeln verschmolzen sei und
dass sie gemeinsam mit ihnen das Lob zur Ehre Gottes erklingen
lasse.“
5) Heilige Woche
Wenn ihn der Obere oder der für die
Vorräte Verantwortliche fürs Brotbacken zu Hilfe riefen,
beeilte er sich und verrichtete in aller Stille seine Arbeit.
So geschah es auch, wenn man ihn anwies, am gemeinsamen
Stundengebet teilzunehmen; denn er hatte eine gute Aussprache
und las flüssig.
6) Beruhige dich! Füge dich ganz
in Gottes Willen!
„Eines Tages, als mein Sohn
Gerges ernsthaft erkrankt war, ging ich, Youssef Abboud, zur
Einsiedelei und bat Père Charbel darum, mir Weihwasser zu
geben. Er sagte mir: „Nimm jetzt Platz und lass Gott
handeln!“ Ich wiederholte meine Bitte, und er erwiderte:
„Beruhige dich! Füge dich ganz in Gottes Willen, er wird es
dir vergelten!“. Das Weihwasser aber gab er mir nicht. Ich
ging traurig wieder von dannen und war erstaunt, dass er mir
das Weihwasser entgegen seiner Gewohnheit nicht gegeben hatte.
Als ich mich meinem Dorf näherte, hörte ich Schreie und
Wehklagen aus meinem Haus dringen. Da begriff ich, dass mein
Sohn in diesem Augenblick verstorben war. Ich erinnerte mich
an die Worte von Père Charbel: „Nimm jetzt Platz und lass
Gott handeln.“ Ich verstand jetzt, warum er sich geweigert
hatte, mir das Weihwasser zu geben. Mir war, als habe der
Heilige Geist ihm die Nachricht über den Tod meines Sohnes
eingegeben und er wollte es mir nur nicht sagen.“
7) Das ist nicht mehr
nötig.
„Mein Bruder Gerges war
ernsthaft an der Schilddrüse erkrankt, und die Ärzte hatten
jegliche Heilung durch Medikamente aufgegeben. Mein Großvater
Mikhaël Boutros Ramia wollte um das Gebet des Einsiedlers
ersuchen, denn er glaubte daran, dass er wirklich heilen
könne. Deshalb gab er mir, Youssef Khalifé, einen
ottomanischen Piaster, den ich dem Einsiedler mit der Bitte
übergeben solle, eine heilige Messe für meinen Bruder zu
lesen. Ich nahm das Geld, ging zur Einsiedelei, wo ich Père
Charbel in der Kirche auf den Knien betend vorfand. Ich sagte
ihm: „Mein Großvater schickt mich zu Ihnen, um Ihnen diesen
Piaster für eine heilige Messe zur Heilung meines Bruders zu
geben.“ Er erwiderte: „Das ist nicht mehr nötig, gib das
Geld meinem Gefährten.“ Ich legte es vor ihn auf den
Boden. Dann ging ich wieder weg. Als ich am Dorf ankam, hörte
ich aus dem Haus Weinen und Wehklagen. Mein Bruder war bereits
verschieden.“
8) Gott möge es dir
vergelten!
Tannous Moussa erzählt: „Mein
ältester Sohn Tanios war im Alter von eineinhalb Jahren
plötzlich erkrankt. Mein Bruder Boutros ging zur Einsiedelei,
um sich beim Einsiedler Weihwasser zu holen. Als er ihn darum
bat, antwortete er: „Gott möge es dir vergelten!“ Noch
bevor mein Bruder wieder nach Hause kam, war der Kleine
verstorben.“
Y:
Charbels Gottvertrauen
I: Darstellung
Charbels Gottvertrauen
spiegelt sich in der Feier der Heiligen Messe. Es las sie so,
als sehe er Christus hinter allen äußeren Formen vor sich und
als ob sein Gebet von Herz zu Herz geschehe. Er las die
heilige Messe achtsam, andächtig und mit äußerster Ehrfurcht,
als ob er vor Gott stehe. Er vergoss viele, viele Tränen
während der heiligen Messe, für die er sich lange durch
Meditation und Gebet, aufrecht vor dem Allerheiligsten kniend,
vorbereitete. Wie lange dauerten doch bei ihm die Vorbereitung
und die Danksagung danach! Wenn er die Konsekrationsworte und
das Oremus sprach, sammelte er sich in seiner Tiefe, und das
ganze Gesicht strahlte Andacht aus. Er erschien in sauberem
Habit, wenn er die heilige Messe lesen wollte, ein
untrügliches Zeichen für seinen Glauben an die Menschwerdung
des Sohnes Gottes und für sein Hinabsteigen auf den Altar. Nur
vor der heiligen Messe wusch er sich die Hände.
Sein Glaube zeigte sich im immerwährenden Beten, in
der zeitlichen Dauer seiner Meditationen, im sorgfältigen
Vortragen des Stundengebetes, das er Wort für Wort mit leiser
und zarter Stimme sprach. Die meiste Zeit verbrachte er also
mit Beten und Meditieren. Wenn keine körperliche Arbeit
anstand, hielt er sich in der Kirche auf, um in Gott und über
Seine Vollkommenheit zu meditieren. Er war so innig gesammelt,
dass er eine gewisse Zeit brauchte, um in die Wirklichkeit
zurückzukehren und seinem Gesprächspartner zuhören zu können.
Ich sagte mir: „Das ist ein Engel, aber kein menschliches
Wesen.“ Wenn er sich auf ein geistliches Gespräch einließ,
entflammte er vor Eifer und sprach aus vollem Herzen und in
Begeisterung über seinen Glauben. Nie in seinem Leben zeigte
er Anzeichen von Langeweile, Resignation oder Müdigkeit, wenn
es um Gespräche über geistliche Dinge ging, vielmehr lebte er
darin auf, als verkoste er Dinge, nach denen sich sein Herz
sehnte.“
Sein Gehorsam gegenüber dem Oberen oder seinem
Stellvertreter zeigte sich ganz offenkundig darin, dass er in
seinem Oberen Gott sah und dass er in dessen Stimme Gott
vernahm. Er hatte eine sehr hohe Achtung gegenüber seinen
Oberen, ohne darüber nachzudenken, ob sie dessen würdig waren
oder nicht.
Auch in seinem Verhalten bei der Arbeit zeigte sich
sein Gottvertrauen. Sein Verhalten beim Beten und während
seiner Messfeier war dasselbe. Er tat nichts aus eigenem
Antrieb, denn er glaubte fest daran, dass nur die Stimme der
Vorgesetzten auch die lebendige Stimme Gottes sei. Dieser
Gehorsam hat seinen Grund in einem lebendigen Glauben, der in
all seinen Bewegungen transparent wurde: In der heiligen
Messe, beim Beten, Essen und Schlafen. All sein Tun zeigte ein
klares und lebendiges Profil und zeugte von der Echtheit
seiner Glaubensfreude. Alle die ihn kannten und ihn beim
Feiern der heiligen Messe oder beim Stundengebet beobachteten,
waren beim Verlassen der Kirche zutiefst von seiner
andächtigen Sammlung berührt. Denn sie sahen, wie sein Gesicht
von himmlischem Glanz erstrahlte und fromme andächtige Züge
annahm. Dies war das deutlichste Anzeichen für die Größe
seines Glaubens an Gott. Auch sein Glaube strahlt in seinen
Werken auf. Dieser Glaube prägte seine Gottesverehrung, wenn
er auf einem Weidengeflecht stundenlang aufrecht und leblos
wie ein Stein niedergekniet war.
Gott hat ihn angesichts seines lebendigen und tiefen
Glaubens mit der Gabe jenseitigen Wissens begnadet, was sich
an vielen Ereignissen nachweisen lässt. Folglich war er selbst
wie eine leidenschaftlich brennende Flamme. Jeder, der Père
Charbel besuchte, konnte erfahren, dass er mehr in der Welt
des Glaubens als im Körper lebte. Das Leben draußen
interessierte ihn nicht mehr. Sein ganzes Wesen, seine
Gedanken, Gefühle und Herzschläge - alles war schon ganz auf
das Jenseits ausgerichtet. Er kasteite seinen Leib mit
äußerster Strenge. Er verzichtete auf den Anblick aller
Schönheiten dieser Welt. Sein Innerstes war allein auf die
Meditation ausgerichtet. Wenn man ihn während der heiligen
Messe und während seiner Gebete beobachtete, konnte man an
seinem Gesicht ablesen, wie tief sein Glaube in seinem Herzen
verwurzelt war.
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Ein Blitz
Eines Tages kniete Père
Charbel aufrecht in der Kirche und war ins Gebet vor dem
Allerheiligsten vertieft, als ein heftiger Blitz auf die
Einsiedelei hernieder fuhr und ein neues silbern besticktes
Messgewand, das auf dem Altar lag, entflammte. Der Blitz fuhr
durch die Mitte der Kirche, dann an ihm vorbei und steckte
sein Gewand an den Rändern in Brand, ohne ihm zu schaden. Die
Mönche des Konvents eilten zur Einsiedelei, um zu sehen, was
los sei. Sie fanden, dass der Blitz auf der Südseite
eingeschlagen und die Stützmauern der Weinbergsparzelle
zerstört hatte. Dann bemächtigte er sich der Kirche, brannte
die Altardecken mit den darüber liegenden Messgewändern an,
schleuderte den Kelch an einen anderen Ort, beschädigte die
Bilder, öffnete die Türen und verbreitete einen Geruch, dass
es den beiden Begleitern von Père Charbel in der Küche
schwindlig wurde und sie fast ohnmächtig wurden. Sie gingen
dann wieder zurück, um sich am Feuer zu wärmen und als sie zu
sich gekommen waren, glaubten sie, Père Charbel habe den Tod
gefunden. Sie stürzten sich in die Kirche, wo er gerade
betete, so, als ob nichts geschehen sei. Da sagte ihm der
Obere: „Père Charbel, hättest du nicht zumindest das Feuer an
den Tischdecken und Messgewändern löschen können?!“ Er
erwiderte ihm: „Mein Bruder, was hätte ich löschen sollen?!
Wie es begonnen hat, so hat es auch ein Ende gefunden.“
Das Ganze hatte sich blitzschnell abgespielt. Da er nichts
hatte tun können, setzte er sein Gebet fort.
2) Die vom Tod verschonten
Seidenraupen
„Zur Zeit meiner Leitung des
Klosters Saint-Serges in Qartaba setzte acht Jahre lang die
Trockenheit den Seidenraupen so heftig zu, dass sie nach der
vierten Phase und neun Tagen dahin starben. Ich, Père Antonios
Nehmeh, habe dann einen der Mönche zum Einsiedler Père Charbel
in die Einsiedelei von Annaya geschickt, um mir von ihm
Weihwasser bringen zu lassen. Nach seiner Rückkehr haben wir
die Raupen mit Weihwasser besprengt und die Seidenraupen
erholten sich. So konnte die Ernte während meiner ganzen
dreijährigen Amtszeit und auch in den folgenden Jahren
gerettet werden.“
3) Meine Ernte war in diesem
Jahr reichlich.
„Einmal wurden meine
Seidenraupen von einer Seuche befallen, weil die
Maulbeerfeigenblätter erkrankt waren. Die Raupen wurden gelb
und fielen über die Kistenränder auf die Erde. Ich eilte zur
Einsiedelei, brachte von dort das von Père Charbel geweihte
Wasser mit und besprengte damit die Raupen, die sich sofort
erholten, in ihre Kisten zurückkrochen und wieder zu fressen
begannen. Ich, Youssef Abboud hörte, dass sie wie zuvor
fraßen. In diesem Jahr hatte ich dank Père Charbel eine
reichliche Ernte.“
4) Sprich nicht mehr davon!
(Mk 1,44)
Saba Ghostine Obeid aus Ehmej
erzählte Youssef Abboud, dass sich in einem Jahr die Mäuse in
seinem Haus stark vermehrt hatten und sich an seiner
Seidenraupenzucht zu schaffen machten, sie fast vernichteten.
Er brachte Weihwasser von Père Charbel und besprengte damit
die Seidenraupen. Am folgenden Tag kam er zu den Kisten und
sah, dass die Mäuse tot waren. Daraufhin ging jemand zu Père
Charbel, um ihm die Neuigkeit mitzuteilen. Er aber sagte ihm
nur: „Sprich nicht mehr davon.“
5) Als ob er sich an eine sehr
bedeutende Persönlichkeit richtete
Frère Élias Mahrini erzählt:
„Ich sah ihn, wie er kniend sein Stundengebet verrichtete, das
er auch recht oft im Chor mit der ganzen Gemeinschaft um das
Lesepult stehend betete. Wenn er alleine in der Kirche war,
stellte er sich vor das Lesepult und rezitierte dort laut das
Stundengebet, wobei er die Worte sorgfältig und klar
artikulierte, als ob er sich an eine sehr bedeutende
Persönlichkeit richtete, die man mit bloßem Auge sehen konnte.
Dabei bewegte er sich langsam, ohne nach rechts oder links zu
schauen. Man hörte einen andächtigen und ehrfürchtigen
Summton.“ Sein Stundengebet verrichtete er aus dem Brevier,
wenn sein Begleiter ihm auftrug, es in der Gemeinschaft zu
beten. Er rezitierte mit großer Sorgfalt, als spreche er vor
einem überaus bedeutsamen König. Glaube, Andacht und
Frömmigkeit waren ihm in Fleisch und Blut
übergegangen.
6) Die Mauleselin des
Klosters
Einmal hatte die Mauleselin seines
Klosters eine Kolik. Sie stürzte mit weit aufgerissenen Augen
zu Boden als wolle sie sterben. Die Mönche und der
Maultiertreiber versuchten vergeblich, das Tier zu behandeln
und zu retten. Schließlich riefen sie Père Charbel, der sich
neben den Kopf des Tieres stellte und betete. Kaum hatte er
sein Gebet beendet, da sprang das Tier auf und stellte sich
aufrecht hin.
7) Er vertreibt die
Heuschrecken.
„Ich, Père Youssef, erinnere
mich, dass, als ich 12 Jahre alt war, die Heuschrecken unser
Land überfielen, unter anderem auch mein Dorf, Ehmej. Der
Präfekt der Region zu jener Zeit war Mr. Rachid Al-Khoury. Er
ging zum Oberen des Klosters Saint-Maron in Annaya und bat
ihn, Père Charbel nach Ehmej zu schicken, damit er die
Heuschrecken mit seinem Segen vertreibe. Der Einsiedler kam
der Bitte nach. Die Einwohner hatten inzwischen ihre
Wasserkrüge gefüllt. Père Charbel segnete in meiner
Anwesenheit das herbeigetragene Wasser, und die Einwohner
besprengten damit ihre Weinberge und Felder. Da hörten die
Heuschrecken auf, diese Gebiete kahl zu fressen. Dies habe ich
mit meinen eigenen Augen gesehen.“
8) Bin ich Gott, dass ich den
Tod verhindern könnte?
Ein Mann aus der Familie von
Abbé Jean Andari, mit Namen Chmouty aus Batroun, besaß eine
Herde Schafe, die vom Gelbfieber, einer todbringenden Seuche,
befallen war, so dass er den größten Teil seiner Schafe
verloren hatte. Er hatte vom Ruf Père Charbels gehört, kam zu
ihm und bat ihn um das Weihwasser. Als er Père Charbel von der
Erkrankung der Schafe berichtete, antwortete er ihm: „Bin
ich Gott, dass ich den Tod verhindern könnte?“ Der Mann
wandte ihm den Rücken zu, um wegzugehen. Da sagte ihm der
Einsiedler: „Hast du ein Wassergefäß?“ Dann segnete er
das Wasser, mit dem der Mann die Herde besprengte, die in der
Folge wieder gesund wurde. Später dann waren es seine
Seidenraupen, die immer mehr dezimiert wurden. Er kehrte zu
Père Charbel zurück, nahm das Weihwasser und besprengte damit
seine Raupen. Danach fand er neben seinen Raupen Insekten,
Mäuse, Igel und eine große Schlange liegen, die allesamt tot
waren.
9) Die Arche
Noah (Joh 17,15)
Père Youssef Ehmej berichtet: „Alle
Bewohner meines Dorfes Ehmej und die Schiiten von Almat,
unsere Nachbarn, erzählten, dass in einem Jahr die
Heuschrecken in großer Anzahl über die Gegend einfielen und
alles kahl fraßen. Der Obere des Klosters Père Élias aus
Mechmech bat Père Charbel, die Grundstücksgrenzen des Klosters
mit Weihwasser zu besprengen, um die Heuschrecken am
Eindringen zu hindern. Père Charbel gehorchte, nur hatte er
dabei das Grundstück übersehen, das zwischen schiitischen
Äckern lag. Die Heuschrecken überfielen die Gegend und fraßen
alles ab, Grünes wie Trockenes. Nur die Güter des Klosters
blieben verschont, bis auf das erwähnte Grundstück, das kahl
gefressen wurde.“ Alle, auch die Schiiten, erzählten sich
immer wieder dieses Ereignis. Denn sie waren erstaunt, dass
alle Ebenen, Gipfel und Hügel gänzlich kahl waren, während die
Grundstücke des Klosters grün blieben und keinen Schaden
erlitten hatten, gleich der Arche Noah, die sich auf einer
verwüsteten Erde bewegt.
10) Der Weinberg, der zu den
Gütern der Pfarrei von Ehmej gehörte
(Joh 15,15)
Saba Ouwaini erzählt: „Als vor über 30 Jahren
die Heuschrecken über das Land herfielen, schickte mein Vater
meinen Bruder Boutros zu Père Charbel, er solle doch kommen,
das Wasser weihen, um damit den Weinberg der Kirche, der ihm
übertragen war, zu besprengen. Ich entsinne mich nicht mehr
der Einzelheiten. Mein Bruder kennt sie besser als ich. Was
ich aber weiß, ist die Tatsache, dass der Weinberg und die
besprengte Aussaat vom Schaden durch Heuschrecken, die in
diesem Jahr alles abgefressen hatten, verschont geblieben
waren. Die Einwohner von Ehmej besuchten diesen Weinberg, auch
Père Élias aus Mechmech, der Obere des Klosters, dessen
Gehilfe ich war.“
11) Das Vermögen der
Heiligen
Saba Ouwaini fügte noch an:
„Zur Zeit meines Noviziates las ich Biographien von Heiligen,
insbesondere das Buch über die christliche Vollkommenheit des
Jesuitenpaters Rodrigues. Ich zweifelte damals an einigen
Tatsachen und Tugenden, die er den Einsiedlern und Heiligen
zuschrieb; denn ich glaubte, es seien Übertreibungen, und
solche Dinge würden menschliches Vermögen übersteigen. Aber
durch die Besuche bei Père Charbel und die persönlichen
Erfahrungen seines tugendhaften Lebens aus nächster Nähe,
wurde ich mir gewiss, dass Gottes Gnade in den Seelen Wunder
wirkt und dass alles, was in den Heiligenviten gesagt und
geschrieben ist, hinter dem zurückbleibt, was ich mit meinen
eigenen Augen von dieser gewaltigen Persönlichkeit, nämlich
Père Charbel, gesehen habe. Er war ein Gigant in seiner
Strenge und in der Abtötung seiner selbst.“
Z:
Charbels Messfeier als der Höhepunkt seiner
Gottesliebe
I: Darstellung
1) Im Kloster
In den Novizenregeln kann man
lesen: „Der Priester ist bei der heiligen Messe der
Stellvertreter Christi. Die Opfergabe ist gewiss Leib und Blut
Jesu Christi. Während der heiligen Messe gibt es drei Weisen
der Anbetung – die Betrachtung der Passion Jesu Christi, das
Gott-Vater dargebrachte Opfer und die geistliche Kommunion.
Die Kommunion selbst gliedert sich in sechs Teile: das
einfache Schuldbekenntnis, - das Glaubensbekenntnis, - „Ich
hoffe, dass alle Sünden dieser Welt durch einen Tropfen deines
Blutes gereinigt werden“, - „Ich liebe dich“, - das Gebet: „O
Herr, ich bin nicht würdig“, - schließlich die
Danksagung.“
Nach den Messopfern der Mitbrüder und Patres, an denen
er selbst auch teilnahm, las er seine eigene heilige Messe.
„Ich, Boutros Moussa, habe oft bei ihm ministriert, bald am
Sankt-Georgsaltar auf der Südseite, bald am Marienaltar auf
der Nordseite und manchmal auch am Hochaltar, wenn der Obere
ihn dazu anwies. Er las die heilige Messe mit Ehrfurcht und
Andacht. Er führte drei schwarze Taschentücher mit sich, die
er an eine Kerze auf der rechten Altarseite hängte. Mit dem
einen schnäuzte er sich, vor allem im Winter; nach dem
Evangelium benutzte er das zweite, das dritte dann nach den
Konsekrationsworten, wenn es nötig war. Seine Messe dauerte
eine Stunde, manchmal etwas länger, wenn er sie in inniger
Hingabe an den Allmächtigen feierte. Trotz der Länge und der
sorgsamen Beachtung des Ablaufs der heiligen Messe langweilte
sich niemand. Man verstand die Verkündigung des Evangeliums
Wort für Wort, ohne dass er lauter sprechen musste.“ Einige
immerhin entzogen sich dem Ministrantendienst bei ihm, weil
die heilige Messe auf Grund der Sorgfalt, die er darauf
verwandte, zu lange dauerte. Nach der Messe nahm er im Sommer
wie im Winter seinen Platz hinter der Türe ein, kniete
aufrecht etwa zwei Stunden lang auf dem Boden. Danach wusch er
seine Taschentücher, bevor er zur Feldarbeit ging.“
2) In der
Einsiedelei
„Ich, Boutros Moussa, kam zur
Einsiedelei, um an der heiligen Messe teilzunehmen und
manchmal auch, um bei ihm zu ministrieren. Im Kloster wie auch
in der Einsiedelei war die Messe bis in alle Einzelheiten
hinein dieselbe, sonntags wie werktags. Sie wurde in größter
Andacht mit einer großen Schar von Gläubigen gefeiert, die mit
seinem Segen wieder weiter zogen. Ich sah ihn nach dem
göttlichen Offizium ganz in der Nähe der Türe knien. Im Winter
schob er ein Weidengeflecht unter seine Knie, um sich gegen
die Feuchtigkeit zu schützen. Im Sommer kniete er auf nacktem
Boden. Ich verließ die Kirche, während er weiterhin aufrecht
knien blieb und in die Danksagung versunken war.“ „Wenn ich,
David David, ihm bei der heiligen Messe ministrierte, konnte
ich seine ruhigen Gesten beobachten, seine leise Stimme, seine
Präsenz und die Ehrfurcht, die er ausstrahlte. An den Sonn-
und Feiertagen las er die heilige Messe um 10 Uhr. An den
Werktagen früh am Morgen. Nach der Messe ging ich zur Arbeit,
und er begab sich nach der Danksagung in den Weinberg. Ich
konnte nie in Erfahrung bringen, wie lange seine Danksagung
dauerte, aber ich kann bezeugen, dass sein ganzes Leben eine
einzige Vorbereitung auf die heilige Messe und ein Akt der
Danksagung war.“ Dabei war er wie ein Ekstatiker ganz in
Meditation versunken.
3) Von Angesicht zu
Angesicht
Während seiner geistlichen
Übungen war er immer in Ekstase, besonders bei der Anrufung
des heiligen Geistes, bei der Kommunion und beim Heben der
eucharistischen Zeichen, insofern er tief in die Meditation
und ins Gebet zum barmherzigen Gott versunken war und dann
unempfindlich gegen jegliche Bewegung oder Lärm um ihn herum
wurde. Nach den Konsekrationsworten schaute er das
Allerheiligste mit tiefer innerer Bewegung an und verweilte
vor ihm in ehrfürchtiger Andacht, als ob er Gottes Glorie von
Angesicht zu Angesicht schaute. Es war, als betrachte er mit
bloßem Auge den Mensch gewordenen und verborgenen Gott, gerade
so als wende er sich an eine äußerst bedeutsame Person, die er
mit eigenen Augen vor sich sah. Er verweilte in der
Betrachtung Gottes und war mitgerissen von seinem Geist, als
ob er mit seinen Augen den Sohn Gottes persönlich schaute, vor
allem dann, wenn er das Allerheiligste hob und dabei sagte:
„Vater der Wahrheit“. So schien er von Gottes Geist
erhoben zu sein, als schaue er Gott von Angesicht zu
Angesicht.
4) Seine Sauberkeit für die
Messfeier
Beim Zelebrieren achtete er
auf Sauberkeit. Dafür hatte er einen eigenen Habit und
passende Schuhe, die er speziell für die Messfeier bereit
hielt und die er unmittelbar danach wieder auszog. So war es
auch mit dem Handtuch und der Seife, deren Benutzung er sich
bei anderen Gelegenheiten aus Achtung vor dem heiligen Dienst
versagte. Er wusch sich nur die Lippen. Auch die Hände wusch
er auf eine besondere Weise vor der heiligen Messe. Im
Allgemeinen tauchte er seine Hände nie ganz ins Wasser. Auf
die kultischen Gegenstände richtete er sein ganz besonderes
Augenmerk.
II: Erzählungen und
Ereignisse
1) Wie ein Magnet
„Als ich, Marie Chamoun, noch
ein junges Mädchen war, kam ich mit meinen Eltern aus Ehmej
zur Einsiedelei, um an allen Sonn-und Feiertagen an der
heiligen Messe teilzunehmen. Recht oft besuchten wir die
heilige Messe von Père Charbel, den ich im Übrigen nur bei der
Messe sah. Meine Familie erzählte mir, ein Bruder unserer
Familie habe diese Einsiedelei gegründet, die uns auch
besonders am Herzen lag; mehr noch, sie lag uns zutiefst am
Herzen, weil sie uns an unseren Onkel erinnerte. Zudem
verbrachten wir unsere Sommermonate in Ouwaïni, ganz in der
Nähe der Einsiedelei. Im Dorf dort gab es allerdings keine
Kirche. Zudem zog die Heiligkeit von Père Charbel die Seelen
wie ein Magnet an. Deshalb war die Einsiedelei regelmäßig von
zahlreichen Besuchern an Sonn- und Feiertagen bevölkert.
Jeder, der an der heiligen Messe von Père Charbel teilnahm,
wurde in seinem Innersten berührt und verließ die Kirche nur
ungern. Vor allem dann, wenn er die Wandlungsworte sprach,
fühlte man sich von der Andacht in seiner traurigen Stimme
angerührt. (Denn er weinte vor Freude, dass er Christus in
seinen Händen sah, und vor Schmerz, da er Christus zerschnitt,
und aus Liebe, da er die Liebe des menschgewordenen Gottes zum
sündigen Menschen fühlte.) Die Andacht, die Sorgfalt wie
auch die Atmosphäre der Ehrfurcht bestimmten alle seine
Bewegungen. Nach der Messe dann kniete er sich aufrecht wie
eine Statue auf den nackten Boden. Wenn er die Versammlung
inzensierte, schaute er niemanden an.“
2) Essen Sie eine
Getreidesuppe?
„Père Charbel war ein
ehrfurchtsvoller Priester, der vor allem während seiner
heiligen Messe auf die Gläubigen den Eindruck eines
würdevollen und gesammelten Menschen machte. Sein Gefährte
Père Makarios erzählte mir, Frère Boutros Jawad Mechmech, dass
immer dann, wenn einer der Patres seine Messe in der
Einsiedelei zu hastig las, Père Charbel sich an ihn wandte, um
ihm am Ende der heiligen Messe zu sagen: „Warum beeilen Sie
sich so? Essen Sie eine Gemüsesuppe?“ Er war ein Engel in
Menschengestalt. Mir ist nicht zu Ohren gekommen, dass sein
religiöses Leben im Kloster weniger heiligmäßig und weniger
tugendhaft war als in der Einsiedelei.“
3) Kommuniziere!
„Als ich, Elisée Nakad, mich
zum ersten Mal im Alter von 15 Jahren zur Einsiedelei begab,
um meine Mutter Wardé, die Père Charbel sehen wollte, zu
begleiten, weigerte er sich, sie zu treffen. Als sie den
Wunsch aussprach, seine Hände zu küssen, antwortete er aus dem
Inneren der Kirche bei verschlossener Türe: „Kommuniziere
bei der heiligen Messe und du wirst in deinem Mund und in
deinem Herzen den Sohn Gottes persönlich empfangen können, und
er wird dir genügen. Wozu meine Hand küssen, wenn der Sohn
Gottes in dein Herz eingekehrt ist?!“ Als ich ihm bei der
heiligen Messe ministrierte, schaute ich mir eineinhalb
Stunden lang unaufhörlich den Einsiedler vor dem Altar knieend
an. Dann gingen wir weiter und ließen ihn in der Kirche
zurück, ohne dass meine Mutter seine Hände hätte küssen oder
ihn von Angesicht zu Angesicht hätte sehen können.“
4) Tränen flossen über seine
Wangen.
„Seine Liebe brannte wie ein
offenes Feuer. In der Nähe des Altars glich sein Inneres einem
in Flammen stehenden Ofen. Seine Augen brannten und die Tränen
flossen über seine Wangen, die Wangen waren gerötet, Seufzer
drangen aus seiner Brust wie ein heißer Atem, als ob er
Christus mit seinen eigenen Augen schaute. Ich, Père Simaan
Ehmej, kann dies bezeugen, war ich doch mehrmals sein
Ministrant. Wenn er die Wandlungsworte sprach:„Dies ist
mein Leib, dies ist mein Blut!“ sah ich zwei Mal, wie
Tränen aus seinen Augen flossen. Einmal fiel eine Träne auf
die Korporale. Nachdem er den Leib und das Blut Christi
verkostet und seine Finger gewaschen hatte, sah er die
Tränenspur und war verunsichert; denn er dachte, es sei ein
Blutstropfen, der heruntergefallen sei.“ „Ich Saba Ouwaini,
fragte ihn: „Was haben Sie? Es ist nichts anderes als die Spur
einer Träne aus ihrem Auge nach den Konsekrationsworten. Meine
Bemerkung konnte ihn nicht beruhigen. So trug er das Korporale
zum Oberen und zeigte es ihm, um seine Seelenruhe wieder zu
finden.“
5) Er biss mit seinen Zähnen auf
den Kelch.
Am Ende seines Lebens, hielt
er, während er das Blut Christi trank, den Kelch lange in
seinen Händen. In seinen Gebeten in der Kirche offenbarte er
sich als ein Mensch, der mit Leidenschaft in die göttliche
Liebe verliebt war. In der heiligen Messe zeigte sich dies
besonders in den Tränen, die er vergoss. Wenn er das Blut
Christi trank, biss er mit seinen Zähnen so heftig auf den
Kelch, dass sie dort Druckstellen
hinterließen. |