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Kapitel II: Den Alltag leben

 


Sharbelogy-11

 

Das Zeugnis des libanesischen Einsiedlers
Charbel Makhlouf


Father Hanna Skandar
 

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 Inhaltsverzeichnis
 Einführung
 
 Kapitel I: Seine Kindheit
 Kapitel II: Den Alltag leben
 Kapitel III: Dem Himmel entgegen
 
 Schlussbemerkung & Die Zeugen
 Spezielle Sharbel
 

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the Transfiguration
 

A: Père Charbel als Person

B: Charbel als Apostel (Mk 4,18; Mt 10)         

C: Gebet und Arbeit

D: Charbels Armut (Mk 10,21)

E: Charbels Kleidung

F: Seine Schlafmatte, sein Schlaf und das Mobiliar seiner Zelle

G: Charbels Essen

H: Charbels Nüchternheit

I: Charbels Intelligenz

K: Charbel und die Beichte

L: Diener aller Menschen

M: Kein Laut kam aus seinem Mund hervor.(Mt 12,19)
N: Ich blieb gelassen in meinen Leiden. (Kol 1,24)

O: Für immer in Frieden leben

P: Niemand konnte ihm die Freude nehmen. (Joh 16,22)

Q: Eine erstaunliche Liebe (Joh 1,13)

R: Père Charbels innere Freiheit und sein Mut

S: Gerecht in der Verehrung seines Herrn

T: Aus Treue zum Geliebten

U: Gefangener seines geliebten Herrn

V: Seine Hoffnung ist vom Durst nach dem Geliebten erfüllt.

W: Zuflucht der Glaubenden und Armen

X: Seine Leidenschaft für das Beten

Y: Charbels Gottvertrauen

Z: Charbels Messe als Höhepunkt seiner Gottesliebe

the Institution of Eucharist
 

 A: Père Charbel als Person

 

<!--[if !vml]--><!--[endif]-->I: Darstellung

Er war rein in seinem Herzen, ein angenehmer und verständnisvoller Gesprächspartner, klar in seinen Worten, ohne jegliche Unstimmigkeit, zudem offen. Er zeichnete sich durch Gelehrsamkeit aus, war gelehriger als ein Lamm, leichter als eine Seele, die den Körper belebt. „Ich, Attanouri, habe ihn besucht und mich mit ihm unterhalten. Ich habe ihn als Urgrund an Tugenden und voller guter Eigenschaften kennengelernt.“

Er war schlank, sein Rücken gerade, er hatte lange und schmale Finger, am Hals und am Mund trug er strenge, aber ebenmäßig geformte Züge, mit langer schmaler Nase und langen Haaren wie sie Eremiten tragen. Er war schmächtig und schmal im Körperbau. Die Unterarme waren dünn wie ein Daumen. Das Gesicht war rundlich, aber lang gezogen wie ein Küchenlöffel. Es war innerlich losgelöst von allem und ein Erleuchteter, der von göttlichem Ernst gezeichnet war. Er zog alle Herzen an sich. Seine Stirn trug Falten - Zeichen des Frohsinns, der Gelehrsamkeit und der Heiterkeit des Herzens. In seinem Gesicht spiegelten sich Andacht und Gottesliebe zugleich, vor allem während des Gebetes. Ein himmlisches Licht umstrahlte sein Gesicht, denn der Herr war seine Kraft, sein Reichtum und seine immerwährende Freude geworden. Sein Gesicht war eher blass und hellbraun von der Sonnenhitze. Durch sein asketisches Leben und durch seine Nachtwachen war er nur mehr Haut und Knochen, aber er lief flink wie die Rebhühner, sogar noch im hohen Alter. Er war leidenschaftlich in allem was er tat. Sein Bart war kurz, selten in seiner Art, er war halblang, von ursprünglich blonder Färbung, durchzogen von weißen Fäden in der Mitte und an den Schläfen. Er pflegte ihn selten. Das Barthaar fiel gewellt herab.

„Als ich, Saba Al Ouwainy, ihn kennen lernte, dürfte er etwa 30 Jahre alt gewesen sein. Sein Haar zeigte noch kein Grau. Es hatte zumeist eine schwarze Färbung, die bis zu seinem Tod in etwa erhalten blieb.“ Vom Gesicht her zu urteilen sah er immer jünger aus, kein weißes Haar war zu sehen. Seine Körpergröße von der Schulter bis zu den Füßen betrug 149 cm und vom Kopf bis zu den Füßen maß er 160cm.

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Blässe

„Bei meinem ersten Besuch in der Einsiedelei habe ich die Einsiedler zusammengerufen. Père Charbel trat ein und setzte sich mir gegenüber, hielt die Augen gesenkt, die Hände lagen gekreuzt auf seinen Knien. Er hob seine Augen nicht, um uns anzublicken, mich und den Bruder, der mich begleitete, er sprach nicht und stellte uns keine einzige Frage. Auf unsere Fragen antwortete er nur kurz und klug. Sechs Jahre später bei unserem zweiten Besuch verhielt er sich wie beim ersten Mal – in seinem Auftreten, in seiner Haltung, seiner Art und Weise sich zu setzen und zu sprechen. Ich bemerkte keine Veränderung, nur, dass er blass war. Wenn sein Gesprächspartner nicht ein Blinzeln in seinen Augen bemerkt hätte, hätte man meinen können, er sei tot“, so Père Louis Blaïbel. Sein Leib schmolz wie eine Kerze in der Liebe Gottes, so dass er schwach, zerbrechlich und blass wurde. Sein Gesicht aber war durch die Arbeit in der Sonne recht gebräunt.

 

2) Sein Tagesablauf

„Wenn sehr früh am Morgen die Glocke zum Aufwachen rief, kam ich mit den Mönchen zur heiligen Messe in die Kirche. Dort sah ich Père Charbel aufrecht kniend neben der Türe, hinter allen anderen. Er verharrte in dieser Haltung, hielt sein Buch in der Hand, die andere Hand lag auf der Brust, sein Gesicht war zum Boden gewandt. Danach ging er mit einem Seil und einer Hacke ausgerüstet bis zum Sonnenuntergang aufs Feld. Auf dem Weg zur Arbeit hielt er seinen Rosenkranz und betete ihn, ohne nach links oder rechts zu schauen und ohne mit jemandem zu sprechen. Manchmal wenn ich aufs Feld ging, um einen Spaziergang zu machen und um mich nach der langweiligen Arbeit in der Schuhmacherei wieder zu bewegen, sah ich Père Charbel auf dem Feld arbeitend, manchmal hackend, ohne einmal aufzusehen. Er legte seine ganze Kraft in diese Arbeit hinein, so dass der Schweiß von seiner Stirn auf den Habit tropfte. Dann wiederum schichtete er Mauern um die Grundstücke herum auf. Er trug die Steine, schnitt auch das Gras, um den Ernteschnitt vorzubereiten. Läutete es zu Mittag, zog er sich an einen verschwiegenen Ort zurück, kniete sich auf den Steinen nieder und breitete seine Arme zum Gebet aus. Nach dieser Pause nahm er seine Arbeit wieder auf, immer in absolutem Schweigen. Um ihn herum hörte man nur den Klang der Hacke, wenn sie auf Steine stieß oder aber den Widerhall der Steine, die er für den Bau der Umfriedungsmauer aufhob oder wenn er sie auf einen Steinhaufen warf. Das Schweigen war sein innigster Freund und sein Begleiter. Am Abend band er Gras und Holz zu einem großen Bündel zusammen, das er dann, gebeugt unter der Last, ins Kloster zurücktrug, den Rosenkranz zum Gebet in der Hand. Während der ganzen Zeit meines Klosteraufenthaltes sah ich ihn nicht bei Tisch; sonntags hielt ich mich nicht im Kloster auf. Während der Woche kam ich nicht ins Refektorium der Mönche. Wenn es regnete oder schneite, wie auch an den Sonn - und Feiertagen im Sommer, ging er nur aus der Kirche, um wieder in seine Zelle zurückzukehren“, beobachtete Boutros Moussa.

 

3) Was ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe

Entsprechend der Regel für Einsiedler aß er nur ein Mal am Tag. Am Abend rief ihn sein Mitbewohner in der Einsiedlerzelle zum Essen. Er betrat den Raum, seine Arme vor der Brust gekreuzt, den Kopf und den Blick zur Erde gesenkt. Dabei reichte seine Kapuze bis zu seinen Augen. Er blieb aufrecht stehen. Sein Kollege in der Einsiedlerzelle hieß ihn dann, sich zu setzen und er setzte sich nach dem Gebet. Auf dem Boden sitzend, einen Fuß über dem anderen gekreuzt, den Saum seines Habits über die Füße gezogen, um sie verbergen, immer noch mit gekreuzten Armen, wie oben erwähnt, wartete er darauf, dass sein Mitbewohner ihm sagte: „Iss!“ Er stellte dann seinen Tonteller vor sich hin, machte bedacht und andächtig das Kreuzzeichen wie in der Kirche und begann stillschweigend, in Ruhe und mit Anstand zu essen. Er verlangte nie eine zweite Mahlzeit, sagte nie, dass das Essen versalzen sei, das andere zu wenig Salz habe, dass dies geschmackvoll sei, jenes fade. Er hielt sich an das Wort aus dem Evangelium: „Esst, was man euch vorsetzt!“ Er schaute auch nicht um sich, noch blickte er in den Teller seines Mitbruders. Seine Mahlzeit bestand aus Gemüse und Getreidekost, die mit Öl aufbereitet waren, manchmal auch mit Butter. Nach dem Essen hielt ihn einer seiner beiden Begleiter an, zu spülen. Dann erhob er sich energisch, in einem Schwung, ohne sich aufzustützen, betete und kam dem Wunsch nach. Man erzählte mir, er trinke auch das Spülwasser. Ich selbst habe dies nicht gesehen, denn er kasteite sich nicht, um sich zur Schau zu stellen; vielmehr wollte er, dass dies verborgen blieb. Deshalb hatte jeder ein Augenmerk darauf, was man von ihm als Geste erhaschen konnte. Und wenn etwas passierte, wenn etwas vom Teller des Nachbarn fiel oder wenn einige Krümel auf der Erde lagen, nutze er die Unaufmerksamkeit seines Begleiters, um sie aufzuheben und sie mit allem Staub zu essen. Falls sein Begleiter es vergaß, ihn zum Essen zu rufen, beklagte er sich nicht, ganz wie ein Kochtopf, der nicht nach Zutaten verlangt, wenn man sie vergessen haben sollte. So war es auch mit Père Charbel. „Ich habe ihn nie vom Essen reden hören, weder von Vorlieben für bestimmte Mahlzeiten, noch von irgendwelche Abneigungen“, gab Père Élias Ehmej zu Protokoll.

 

4) Empfang der Besucher

„Ich, Père Boutros Abi Younesse, habe Père Charbel im Sommer 1897 kennengelernt, als ich 24 Jahre alt war. Zu dieser Zeit besuchte man jeden Sommer Freunde an Orten im Hochgebirge. Dort gab es keine großen Hotels, keine Autos, keine asphaltierten Straßen. So nutzte man Pferde und Esel als Transportmittel. In diesem Jahr kam mein Freund Chikri Beik Arqach aus Paris zurück, wo er sein Studium mit einem Juradiplom abgeschlossen hatte. Ich beschloss, mit ihm einen Ausflug nach Mayrouba zum Hochverehrten Bechara Al-Khazen zu machen. Dann gingen wir in Richtung Al-Aakoura und Al-Laqlouq und überquerten dazu das Gebirge. Als wir schon ganz in der Nähe einer Einsiedelei waren, wollten wir den Einsiedler sehen, der bereits für sein tugendhaftes und heiligmäßiges Leben in der Gegend berühmt war. Wir gingen hinunter nach Ouwaïny und von dort aus zur Eremitage Saints-Pierre-et-Paul. Wir hielten dort inne, um uns unter einer Eiche auszuruhen. In ihrem Schatten hielten sich seit einigen Tagen schon andere Personen auf, um den Segen des Eremiten zu erhalten.

Während unser Führer das Essen zubereitete, kam ein hoch gewachsener magerer Einsiedler vom Feld zurück, in der Hand eine Sichel und ein Bündel mit Gras. Er grüßte uns mit gesenktem Kopf. Wir baten ihn um die Erlaubnis uns zu setzen und zu essen. Gastfreundlich und wohlwollend willigte er ein. Dann wollte er uns selbst bedienen, bot uns Wein und Wasser an, ohne zu sehr auf uns einzugehen. Wir luden ihn ein, mit uns zu essen, er aber entschuldigte sich behutsam und dezent und stammelte: „Danke, ich habe schon im Kloster gegessen.“ Von seinem Gespräch mit Choukri Beik erinnere ich mich noch an folgende Worte: „Gott war es, der uns geschaffen hat; er kümmert sich um uns. Gott ist allmächtig. Wir unsererseits leben gut, ohne es verdient zu haben. Gott sei mit euch!“

Als wir ausführlich die Schönheit der weiten, uns zu Füßen liegenden Landschaften vom Gebirge bis zum Meer hin beschrieben, antwortete der Einsiedler: „Dies ist ein Geschenk Gottes an die Libanesen. Diese Lage ist ein himmlisches Geschenk, gerade hier seinen heiligen Namen preisen zu können. Alles was wir besitzen, gehört ihm.“ Er hat von uns weder eine Gabe, noch ein Geschenk angenommen. Der Eremit Charbel hörte sich die Ausführungen von Monsieur Arqach über das Wirken der Einsiedler und Frommen in Frankreich an und sagte dann: „Frankreich ist die älteste Tochter der Kirche.“ In diesem Augenblick läutete die Glocke des Konvents Saint-Maron zum Angelus. Ich bat ihn, den Engel des Herrn zu sprechen. Er tat dies und ließ eine Marienlitanei und Gebete zur Verehrung Marias folgen. Gesammelt und andächtig kniend sprachen wir ihm das Gebet nach. Er sang mit leiser Stimme, wobei sein Haupt von seiner Kapuze umhüllt war. Zur Erde gesenkt und mit geschlossenen Augen sah er für uns wie ein Engel aus, der vom Geist Gottes in den Himmel emporgehoben wird. Beim Abschied stand der Eremit mit unvergleichlicher Bescheidenheit und Behutsamkeit vor uns, seine Augen in eine Welt jenseits des Kosmos gerichtet, seine Hände vor seiner Brust gekreuzt. Er stammelte die Worte: „Gott begleite euch.“

Ich erinnere mich noch, dass Chikri unaufhörlich vom Einsiedler sprach und sagte: „Diese gottesfürchtigen Eremiten auf den Gipfeln der Berge bilden das Geheimnis des Libanon in seiner Reinheit und Güte“, so nachzulesen in den Schriftstücken von Père Boutros Abi Youness.

 

5) Charbels Schlichtheit im Verhalten

„Eines Tages begleitete ich ihn, als er auf seinem Rücken dornige Büsche für eine zu errichtende Weinberghecke trug. Auf dem Boden erblickte er eine winzig kleine Hülle Zigarettenpapier mit dem Bildnis eines Reiters darauf. Nach einigen Schritten machte er kehrt und hob das Papier auf. In der Eremitage angekommen legte er es neben andere Bilder und kniete sich nieder, um zu beten. Ich sagte zu ihm: „Was machst du da?“ Er antwortete: „Es ist der heilige Georg. Ich bete zu ihm vor seinem Bildnis.“ Ich antwortete ihm lachend: „Das ist nur die Hülle fürs Zigarettenpapier.“ Er gab sie mir zurück, damit ich sie weg werfe“, beobachtete Moussa Moussa.

        

 

B: Charbel als Apostel (Mk 4,18; Mt 10)

 

I: Kontakte nach Außen

1) Seine Begräbnisse

Als man ihm mitteilen ließ, dass jemand im Nachbardorf gestorben sei, nahm er bereitwillig die Beerdigung vor, um sich dem Gelübde des Gehorsams zu fügen. An Ort und Stelle angekommen, ging er direkt zur Kirche, während der Obere gewöhnlich in Begleitung der Mönche zunächst am Haus der Verwandten des Verstorbenen vorbeiging, um den Sarg bis zur Kirche hin zu begleiten. Nachdem das Totengebet beendet war, kehrte er schnell, ohne zu essen, zur Eremitage zurück Und wenn man ihm Geld anbot, nahm er es in seine Faust, ohne es anzuschauen und legte es dann dem Oberen vor.

 

2) Die heiligen Messen

Wenn der Obere anordnete, für die Klosterbauern die heilige Messe an den Sonn- und Feiertagen zu zelebrieren, gehorchte er und kehrte dann zum Kloster zurück, ohne mit jemandem darüber zu sprechen.

 

3) Dienste (Apk 26,17-18)

Père Charbel war weder Gemeindepfarrer noch Missionar. Jedes Mal aber, wenn sich die Gelegenheit dazu bot, den Seelen einen Dienst zu erweisen, antwortete er darauf mit freudiger Zustimmung. Manchmal hörte er die Beichte von Menschen, zu der seine Mitbrüder, Mönche und Priester empfohlen hatten, wie einige erzählt haben. Seine Ratschläge galten als nützlich und äußerst segensreich. Wenn man ihn zu Kranken und Trauernden rief, tat er sein Bestes, um die Verwandten zu trösten und sie dazu einzuladen, sich ganz dem Willen Gottes zu überlassen. Zugleich betete er selbst für sie und für ihre Krankheiten. Er betete auch für die Wohltäter und Sünder und trug alle ihre Anliegen beim Messopfer mit. Er predigte nicht, aber er stand mit seinem Rat bereitwillig dem zur Seite, der ihn darum bat.

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Frohe Gelassenheit

Pfarrer Mikhaël Ramia berichtet: „Eines Tages rief mich der Eremit Père Makarios zu sich. Ich war damals noch Laie und wohnte in Al-Ouwaini nahe der Einsiedelei. Als ich dort ankam, erblickte ich einen Mann aus Bqaakafra, den Bruder von Père Charbel, in Begleitung seiner Frau, die zu Besuch gekommen waren, um ihr Kind taufen zu lassen. Père Charbel unterhielt sich nur drei Minuten lang mit seinem Bruder und weigerte sich konsequent, mit seiner Schwägerin zu sprechen. Dennoch zog sie froh weiter, obwohl sich doch der Einsiedler geweigert hatte, sie zu sehen. Denn alle Verwandten der Familie von Père Charbel führten nach dem Vorbild Père Charbels ein heiligmäßiges Leben. Das Kind, dessen Pate ich war, wurde von Père Makarios in Abwesenheit von Père Charbel getauft. Lange Zeit später ist seine Schwägerin noch einmal zu Besuch zur Eremitage gekommen. Sie sah mich, als ich bereits die Priesterweihe empfangen hatte auf dem Weg durch Al-Ouwaïni und sagte mir: „Euer verstorbenes Patenkind sagte mir vor seinem Tod: „Führe mich zu meinem Onkel, dem Père Charbel. Ich möchte ihn sehen.“ Ich wurde traurig und ich habe geweint. Darauf entgegnete sie mir: „Er ist ein Seliger, er ist im Himmel“. Sie sagte dies, ohne eine Träne zu vergießen.“

 

2) Seine Weigerung zu taufen

Einmal brachte meine Mutter meinen Bruder Boutrous zu seinem Onkel, dem Eremiten Charbel, um ihn taufen zu lassen. Er wollte sie nicht empfangen und richtete nur ein paar Worte hinter einer verschlossenen Türe an sie, ohne dass sie ihn sehen konnte. Er weigerte sich auch, das Kind zu taufen. Es hat dann die Taufe aus den Händen des anderen Eremiten und Begleiters von Père Charbel erhalten. Im Übrigen hat er meiner Mutter und ihrer Cousine nicht erlaubt, die Kirche zu betreten, um an der heiligen Messe teilzunehmen. Sie verfolgte die heilige Messe dann durch eine Luke in der verschlossenen Kirchentüre“, so Iid Nakad.

 

3) Tauft sie! (Mt 28,19)

Im Taufregister von Annaya findet sich die Aufzeichnung: „Ich der Unterzeichnende, Père Charbel aus Bqaakafra, habe Mikhaël, Sohn des Rouphaël Rizqallah Al-Chababi am 8. Dezember 1873 getauft.“ Und: „Boutros, Sohn von Challita aus Bqaakafra, dessen Pate Mikaël Al -Khoury aus Chakhnaya ist, hat die heilige Taufe aus meinen Händen am 7. September 1887 erhalten. Ausgestellt von Père Charbel, Eremit.“

 

4) Heilt die Kranken! (Mt 10,8)

Einmal gab Patriarch Boulos Massaad die Anweisung, man solle Père Charbel zu Ftouh Kesserwan nach Ghadress schicken, um zu beten und die kranken Kinder des erlauchten Salloum Al-Dahdah zu segnen. Letzterer hatte fünf Knaben, von denen drei an Tuberkulose gestorben waren. Die beiden überlebenden waren ebenfalls daran erkrankt. Ihr Vater bat den Oberen inständig, ihm Père Charbel zu schicken, damit er eine gewisse Zeit bei ihm verbringe um für seine Kinder zu beten und sie zu heilen. Charbel ging in Begleitung von Père Youssef Al-Kfouri, des Bruders Boutros aus Mechmech und von Abdallah Youssef Aoun dorthin. Sie blieben etwa einen Monat lang bei dem oben genannten Würdenträger. Bereits bei seiner Ankunft bestand Père Charbel darauf, dass die Frauen das Haus verlassen sollten, damit er dort bleiben könne. Er verließ das Haus des genannten Würdenträgers erst nach der Heilung der beiden Kranken etwa nach einem Monat. Nach seiner Rückkehr in die Einsiedelei bin ich, Pfarrer Mikhaël Ramia, bei ihm vorstellig geworden, um ihn zu fragen: „Wie geht es Ihnen? Was haben Sie auf dem Weg erlebt?“ Er antwortete mir: „Ich bin von hier nach dorthin gegangen und ich bin von dort wieder hierher zurückgekehrt.“

 

5) Sich zu Gott bekehren (Apg 20,21)

Anlässlich der Heiligen Woche schickte Père Elias aus Mechmech, Oberer des Klosters Saint-Maron von Annaya, Père Charbel nach Mazraat Kfarbaal, wo die Bauern des Klosters lebten, um ihnen zu helfen, ihren geistlichen Pflichten während der Fastenzeit nachzukommen, nachdem ihr Pfarrer keine hinreichenden theologischen Kenntnisse hatte. Er nahm die Weisung sehr gerne an und verbrachte aus Gehorsam eine ganze Woche bei ihnen im Dienst.

 

6) Ich erfülle den Dienst, zu dem ich vom Herrn beauftragt bin. (Apg 20,24)

„Ich, Bruder Élias Mahrini, weiß, dass er ein engelgleiches Leben führte und seinen priesterlichen Pflichten nachkam, die er peinlich genau erfüllte. Er sprach mit keinem der Mönche, es sei denn, sie sprachen ihn an. Dann erst gab er Antwort. Ich erinnere mich nicht, dass er je ein Gespräch begonnen hätte. Er verbrachte seine Zeit zwischen Kirche und Feldarbeit. Obwohl er Priester war, tat er nichts aus eigener Initiative, vielmehr wartete er den Auftrag des Verantwortlichen für die Feldarbeit ab. Wenn dieser nicht da war, erbat er sich die Erlaubnis bei einem Bruder oder einem Gehilfen. Er bat auch nicht darum, vom Kloster weggehen zu können, um seinem seelsorgerlichen Dienst oder einer anderen Arbeit nachzukommen. Einmal zelebrierte er eine heilige Messe in Kfar Baal, für die ihm jemand Geld in die Hand drückte. Im Kloster angekommen gab er es dem Oberen und sagte dabei: „Nehmen Sie das Geld, das mir jemand gegeben hat.“

 

7) Er bat uns darum, Amulette abzuschreiben

„Père Charbel bat mich und meinen Bruder Mikhaël, der später Mönch wurde, darum, sonntags zu ihm zu kommen, um für ihn Schriftamulette der Heiligen Antonius und Cyprian zu kopieren. Er wollte sie an Menschen weiterschenken, die ihn darum baten, um sie nach Hause mit zu nehmen und als Segensspruch über ihre Seidenraupen zu legen. So tat ich es vier Jahre lang ab dem Alter von etwa 18 Jahren“, berichtet Youssef Khalifé.

 

8) Sie liefen auf ihn zu. (Mk 3,8-10)

Wenn er in ein Dorf zur Beerdigung kam, ging er zuerst in die Kirche, wo er so lange blieb, bis alle die Kirche verlassen hatten. Dann kehrte er in den Konvent zurück. Soll man erzählen, wie sehr sich die Menschen um ihn drängten und wie sehr sie ihn schätzten? Sobald sie seine Ankunft auch nur erahnten, stürzten sie sich auf ihn, damit er ihnen das Wasser segne.

 

9) Meine Speise kennt ihr nicht. (Joh 4,32)

Einmal begleitete er die Mönche zu einer Beerdigung im Dorf Mechmech. Nach dem Begräbnis luden die Verwandten des Toten die Patres zum Mittagessen ein. Père Charbel, dessen Vorbehalt sie kannten, nahmen sie aus, weil sie wussten, dass er sofort danach seinen Rückweg in Richtung Kloster antreten würde.

 

10) Das Mahl der Liebe

Einmal bekam Père Charbel vom Oberen den Auftrag, den Bewohnern von Kfar-Baal die heilige Messe zu lesen. Mein Großvater bat ihn, die heilige Messe für das Wohl der Toten zu lesen. Diese Bitte wurde von Père Charbel angenommen. Nach der Messe steckte mein Großvater eine Summe Geldes in ein Taschentuch und hielt es ihm hin. Sobald Père Charbel merkte, dass es Geld enthielt, nahm er es nicht an und sagte ihm: „Gib du es direkt dem Oberen!“

 

 

 

11) Jüngling, ich sage dir, steh auf! (Lk 7,14)

Père Élias Ehmej erzählt mit anderen Zeugen: „Mein Vater lag an Typhus darnieder und wurde von Personen behandelt, die für ihre medizinischen Kenntnisse berühmt waren. Seine Krankheit verschlimmerte sich so sehr, dass sie jegliche Hoffnung auf Heilung aufgegeben hatten und jegliche weitere Behandlung abbrachen. Er verlor sein Bewusstsein, und der Todeskampf trat ein. Seine Geschwister und Verwandten wandten sich an den Oberen, Père Élias aus Mechmech, damit Père Charbel komme und am Krankenbett bete. Der Obere kam dem Wunsch nach, und Père Charbel eilte noch in der Nacht herbei. Die Männer und Frauen waren bereits im Hause versammelt. Sobald die Frauen davon erfuhren, dass er komme, verließen sie das Haus bis auf meine Mutter, die sich mit einem Tuch bedeckte. Er trat ein, rief drei Mal meinen Vater bei seinem Namen: „Richa!“. Mein Vater öffnete die Augen, und Père Charbel fügte noch an: „Hab keine Angst!“ Er mochte meinen Vater, der ihm zuweilen bei der heiligen Messe ministrierte. Er betete und segnete das Wasser, mit dem er meinen Vater besprengte und er gab ihm zu trinken. Beim Hinausgehen sagte er noch: „Es ist nichts mehr zu befürchten.“. In der Tat erwachte mein Vater wieder zu vollem Bewusstsein, aß und trank. Kurz darauf hatte er sich völlig erholt und konnte sein Krankenbett verlassen.

 

12) Gebt ihm zu essen! (Mk 5,43)

„Einmal war mein Onkel, der Arzt Najib Beik Al-Khoury, an Typhus erkrankt und lag im Koma. Mein Großvater, der ebenfalls Arzt war, glaubte, dass sich mein Onkel in einer kritischen Lage befinde und dass keine Chance mehr auf Heilung bestünde. Meine Großmutter schickte daraufhin jemanden zu Père Charbel und bat ihn, ihn zu segnen, in der Hoffnung, er werde ihn heilen. Père Charbel sagte dem Boten, er werde in der Nacht kommen. Der Bote erklärte ihm, der Krankheitszustand sei bereits sehr kritisch und man solle unverzüglich kommen. Er sagte darauf: „Wir werden sofort gehen, aber ich möchte nicht, dass man mich sieht.“ Aus Demut wollte er die Aufmerksamkeit der Leute nicht auf seine Person lenken. Als er ankam, war das Fieber bereits sehr hoch und er hatte das Bewusstsein verloren. Père Charbel betete dann, nahm ein Taschentuch, tauchte es ins Wasser und strich ihm damit über die Stirn. Plötzlich öffnete er die Augen, nachdem er Tage lang sein Bewusstsein verloren hatte und sprach zwei Worte: „Père Charbel!“ Seine Mutter sagte ihm: „Küss ihm die Hand!“ Père Charbel wandte sich an die Anwesenden und sagte ihnen: „Lobt Gott, der Kranke ist geheilt.“Gebt ihm zu essen!“. Sie zögerten damit, weil das kranke Kind unter Typhus gelitten hatte, und das Essen vielleicht den Tod des Kranken herbeiführen würde. Aber Père Charbel bestand darauf, ihm zu essen zu geben. Dann ging er wieder weg. So gab man dem Kranken zu essen. Er aß davon und erholte sich in kurzer Zeit. Sein Vater, mein Großvater, kam nach Hause zurück, und man erzählte ihm, was Père Charbel vollbracht hatte. Er wiederholte: „Er hat keine Lebenschance: Nachdem er jetzt gegessen hat, besteht überhaupt keine Chance mehr für ihn.“ Aber das Kind wurde geheilt, wuchs heran und wurde selbst Arzt. Er wurde 85 Jahre alt und hat Père Charbel selbst mehrere Male zu seinen Lebzeiten gepflegt, berichteten Hanna Khater und Fouad Khoury.

 

13) Talita, steh auf! (Mk 5,41)

Ein anderes Mal rief man Père Charbel, um den schwer erkrankten Gerges Jibraël aus meinem Dorf Ehmej zu segnen. Auf Anordnung des Oberen ging er zu ihm hin und verbrachte eine ganze Nacht betend bei ihm. Auf das Gebet Père Charbels hin hat ihn Gott geheilt.

 

14) Wachet und betet! (Mk 6,5)

„Ich, Pfarrer Jibraël Jibraël, erinnere mich, dass einmal Heuschrecken die Gegend, unter anderem Ehmej, überfallen haben. Die Feldhüter kamen im Kloster zusammen und baten den Oberen, ihnen Père Charbel zu schicken, er soll doch über die Heuschrecken beten, damit sie sich entfernten. Er segnete das Wasser und besprengte damit die Heuschrecken, die sich darauf hin entfernten. Damals gab es auch Typhuskranke in einem Haus im Dorf. Man bat Père Charbel, zu kommen, um sie zu segnen. Er antwortete, er könne auf Anordnung des Oberen ohne Erlaubnis des Feldhüters nicht dorthin gehen. Der Feldhüter entgegnete: „Wie kann ich dir Befehle geben, der du doch ein Mönch bist?!“ Père Charbel sagte „Der Obere hat mich dir anvertraut und ich folge dir. Ich gehe dorthin, wohin du mich führst.“ So gab ihm der Wächter die Anweisung, mit ihm zu gehen, um über sie zu beten.“

 

15) Lazarus ist tot! (Joh 11,14)

„Einmal“, so Iskandar Al Khoury, „wurde mein Großvater väterlicherseits, Boutros Saba Al-Khoury, der nach volkskundlicher Medizin allerdings ohne Approbation heilte, nach Amchit zu einem Kranken gerufen. Es war der einzige Sohn eines Würdenträgers von Amchit namens Jibraël Sleiman Abbas. Mein Großvater verbrachte vier oder fünf Tage beim Kranken und versuchte unter Anwendung aller Mittel ihn zu heilen. Als er völlig verzweifelt die Heilung aufgeben musste, schickte er einen Boten zu seinem Sohn – zu meinem Vater also – um ihm zu sagen: „Geh in die Eremitage Saint-Pierre-et-Paul und bitte den Einsiedler Père Charbel darum, er solle dich nach Amchit begleiten, um über dem Kranken zu beten.“ Mein Vater brach unverzüglich auf und kam am Nachmittag dort an. Er erklärte Père Charbel seinen Auftrag. Anfangs zögerte dieser, doch dann willigte er unter der Bedingung ein, dass ihm der Obere Père Élias aus Mechmech die Erlaubnis dazu gebe. Nach der Einwilligung des Oberen nahm Père Charbel seine Lampe auf den Weg mit: Denn er verließ seine Eremitage nur nach Einbruch der Nacht, um niemanden zu sehen und von niemandem gesehen zu werden. So hielt er es sein ganzes Einsiedlerleben lang. Er zog es vor, zu Fuß zu gehen und sagte zu seinen Begleitern Père Maron aus Mechmech, Père Élias aus Mahrin und zum Eselstreiber: „Wenn ich auf dem Rücken der Eselin reite, habe ich Angst, herunter zu fallen; ich bin das nicht gewohnt.“

Nach einer langen Wegstrecke sagte er: „Kommen wir im Gehorsam der gegebenen Weisung nach!“ An einem Ort oberhalb von Mahrin angekommen, hielt Père Charbel überrascht inne: Mein Vater fragte ihn: „Was ist los? Beeilen wir uns!“ Er antwortete meinem Vater, der etwa 20 Meter vor ihm auf dem Pferd ritt: „Hör zu! Hör zu! Sie sagen, er sei tot!“. Da hielt mein Vater das Pferd an und sagte ihm: „Mit wem sprechen Sie, Père Charbel?“ Der Pater antwortete: „Sie sagen, er sei tot!“ Mein Vater entgegnete ihm: „Warum sagen Sie das? Mit wem sprechen Sie?“ In diesem Augenblick wandte er sich an meinen Vater und sagte ihm: „Bete den Angelus! Beten wir für den Mann, denn er ist bereits verstorben!“ Dann kniete er sich nieder und begann zu beten. Da machte mein Vater bestürzt das Kreuzzeichen, stieg vom Pferd und näherte sich ganz andächtig und erschüttert wie nie zuvor Père Charbel und bat ihn vielmals, seinen Weg doch fortzusetzen, nachdem er sich die Stunde gemerkt hatte, in der die oben genannten Worte gefallen waren. Père Maron sagte zu Père Charbel: „Setzen wir unseren Weg aus Gehorsam zum Oberen fort.“ Nach einem kurzen Zögern nahm Père Charbel den Vorschlag an, nachdem mein Vater ihm auch die Schwierigkeiten deutlich gemacht hatte, denen er auf dem Rückweg zu dieser späten Nachtstunde begegnen könnte. Er setzte also seinen Weg langsam und unter Zögern fort – wie es in einem volkstümlichen libanesischen Sprichwort heißt: Einen Schritt vor und zwei zurück. Er wiederholte: „Es ist sinnlos, dorthin zu gehen. Es ist auch nicht mehr nötig, den Weg fortzusetzen, denn der Auftrag des Oberen, den wir erfüllen sollten, ist erfüllt: Der Kranke ist verstorben.“ Aber einerseits ließen ihn die Tatsache, dass mein Großvater auf die Anwesenheit von Père Charbel großen Wert legte und dass mein Vater an den Tod des Kranken nicht glauben wollte, darauf bestehen, dass der Einsiedler seinen Weg fortsetzen solle. Und schon hörten sie Schreie und Wehklagen aus 500 Metern Entfernung vom Haus des Kranken herkommend. Der Kranke war tatsächlich verstorben.

In diesem Augenblick begann mein Vater, Père Charbel nach seiner Fähigkeit fragen, wie er denn den Tod im Voraus immerhin eineinhalb Stunden vor der Ankunft in Amchit, vorhersagen konnte, da doch kein einziger Laut von dort herübergedrungen, und auch das Dorf noch nicht zu sehen war. Aber Père Charbel antwortete nicht, sondern setzte seinen Weg mit Gebet fort. Am Haus angekommen, erkundigte sich mein Vater nach der Sterbestunde. Sie fiel genau mit dem Zeitpunkt zusammen, in dem Père Charbel angehalten und unterwegs gesagt hatte: „Sie sagen, er sei tot!“ Dann erzählte mein Vater, was sich unterwegs ereignet hatte. Dies versetzte die Dabeistehenden in Erstaunen und ließ sie sagen, dass sie es bedauerten, den Einsiedler nicht früher gerufen zu haben.

Die Neuigkeit dieses Ereignisses verbreitete sich in Amchit und in den umliegenden Ortschaften. Mein Vater erzählte mir und den anderen Anwesenden, unter ihnen Priester und Würdenträger, diese Geschichte an die zwanzig Mal. In der Folge kamen dann die Einwohner von Houjoula, von Bachtilda und von Aalmat, alles muslimische Schiiten, zu Père Charbel, um seinen Segen zu erhalten. Sie brachten auch ihre Kranken herbei und baten ihn um Heilung. Was Père Charbel angeht, so habe ich nie und von niemandem gehört, dass er je über dieses Ereignis oder über andere ganz ähnliche, die auf seine Fürsprache hin geschehen waren und von denen die Leute erzählten, gesprochen hätte.

 

16) Der Kranke ist verstorben!

Youssef, der Sohn des Élias Antoun aus Mechmech war schwer erkrankt. Die Verwandten des Kranken baten den Oberen, ihnen Père Charbel zu schicken, damit er für dessen Genesung bete. Aus Gehorsam ging er dorthin. Mitten auf dem Weg aber hielt er inne und schwieg überrascht etwa fünf Minuten lang. Dann sagte er dem Boten: „Ich gehe zur Eremitage zurück. Wozu nach Mechmech gehen, wenn der Kranke gerade stirbt?“ So war der Kranke in derselben Stunde verstorben, in der sich Père Charbel auf dem Rückweg befunden hatte.

 

17) Die muslimischen Schiiten eilten herbei. (Joh 4,39-42)

„Ich, Chebli Chebli, erinnere mich, dass einmal Heuschrecken die Äcker des Dorfes Tourzayya, das zweigeteilt war, überfallen hatten. In der einen Hälfte wohnten die Christen, in der anderen die muslimischen Schiiten. Die Christen und die Bediensteten des Klosters kamen zu Père Charbel und sagten ihm: „Bitte, helfen Sie uns!“ Sie schickten sie zum Oberen, der den Auftrag erteilte, er solle die Bewohner begleiten. Dann segnete er das Wasser und besprengte in Begleitung eines anderen Mönchs die Äcker. Daraufhin flogen die Heuschrecken auf die Äcker der Schiiten, die jetzt ihrerseits zu Père Charbel herbeiliefen mit der Bitte, er soll die Heuschrecken von ihren Äckern verjagen. So fuhr er fort, auch diese Felder mit Weihwasser zu besprengen. Daraufhin verließen die Heuschrecken die ganze Gegend, die mit Weihwasser besprengt worden war.“

 

18) Nur Père Charbel kann dieses Unglück noch wenden! (Mk 4,35-41)

„Einer meiner Verwandten in Ehmej, Sassine Al-Khoury, erzählte mir, Iskandar Al Khoury, dass zeitweilig Myriaden von Heuschrecken die Gegend heimsuchten, in der Père Charbel als Eremit lebte und dass sie die gesamte Aussaat und die Bäume von Aalmat, einem nahe gelegenen Dorf, abfraßen. Sie sagten sich immer wieder: „Nur Père Charbel kann dieses Unglück noch wenden.“ Jibraël Sassine ging eilends zu ihm. Père Charbel segnete das Wasser, trat vor die Eremitage und sprengte das Wasser in Richtung Ehmej. Als Jibraël nach Ehmej zurückkam, hatten die Heuschrecken bereits eine andere Richtung genommen. Seine Aussaaten blieben verschont. Ich erinnere mich auch an ein anderes Mal, als die Heuschrecken die Gegend einschließlich Ehmej überfallen hatten. Die Feldhüter baten den Oberen, Père Charbel den Auftrag zu geben, sie zu begleiten, um die Heuschrecken von ihnen fern zu halten. Er segnete das Wasser, besprengte damit die Heuschrecken, und diese entfernten sich von den Äckern.“

 

 

C: Gebet und Arbeit

 

I: Darstellung

In den Novizenregeln ist zu lesen: „Der Novize muss schweigen können, still und tatkräftig beim Arbeiten sein. Er sucht sich nicht die leichten Arbeiten und die angenehmen Dinge aus, um die weniger angenehmen den anderen zu überlassen. Er wagt sich auch an die unangenehmen Dinge heran und überlässt die angenehmen den anderen. Dies muss in aller Demut geschehen, indem der Novize die niedrigsten Dienste und Aufgaben im Kloster annimmt… Diese Regeln zielen darauf ab, sich von jeglicher Eigenliebe zu befreien, ohne die die Hölle nicht existierte.“ Deshalb hatte Père Charbel bis auf das Lesen der heiligen Messe, auf Gebet und Feldarbeit keinen anderen Diensten im Kloster nachzukommen. Er verwandte seine Zeit insbesondere auch darauf, Steine zusammenzutragen, um damit Stützmauern für landwirtschaftliche Flächen aufzuschichten. Vor seinem Eintritt in die Eremitage half er dem Ziegenhirten, die Ziegen zu hüten, sie auf die Weide zu führen und sich um sie zu kümmern. Er kannte keinen Müßiggang, sondern war vielmehr eifrig bemüht in seinen Gebeten und in seinen geistlichen Übungen. Er sprach kaum, war schweigsam, hielt sich dem Essen fern, floh den Schlaf und hatte eine besondere Vorliebe für Kasteiungen und für Handarbeit. Sein ganzes fünfzigjähriges Klosterleben lässt sich mit Gebet, Arbeit und Schweigen zusammenfassen.   

Er kümmerte sich mit seinen Brüdern und Knechten um das Feld und den Weinberg. Dabei war er tugendhaft, rücksichtsvoll und fleißig in seiner Arbeit, bis die Glocke zum Gebet läutete. Dann verabschiedete er sich von dem für die Arbeit verantwortlichen Bruder oder dem entsprechenden Knecht, wenn der Bruder nicht da war und wartete, bis er ihm die Erlaubnis gab, zum Stundengebet in die Kirche zu gehen. Während des Gebetes kniete er sich dann auf den Steinen nieder.

Er arbeitete unermüdlich, mit Leidenschaft und Liebe und schaute sich dabei nicht um. Er ging seiner Arbeit nach, bis ihn sein Begleiter ablöste. Seine Hände hatten durch vieles Arbeiten Schwielen bekommen. Wenn er etwas Luft holen wollte, ging er nach Draußen und sammelte die Steine im Weinberg ein. „Ich, Père Antonios Alwan, sah ihn nur im Weinberg der Einsiedelei oder auf dem Feld arbeiten. Er arbeitete dann, als ob er zu Zwangsarbeit verurteilt sei, wie eine Maschine, die unaufhörlich arbeitet. Er legte sein ganzes Herzblut hinein. Und wenn er innehielt, geschah dies, um mehrere Male das Kreuzzeichen zu machen. Während der Arbeit betete er unaufhörlich. Wenn der Knecht des Klosters ihn darum bat, den Pflug an einen anderen Ort zu tragen, tat er es ohne zu zögern.

Weder Hitze noch Kälte konnten ihn beim Arbeiten verdrießen. Und wenn man ihm befahl, stachelige Büsche oder andere Gegenstände zu tragen, so trug er so viele er konnte und über das Maß noch hinaus, ohne ein Wort darüber zu verlieren, ob es schwer oder leicht sei.“

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Wie war sein Tagesablauf?

„Früh am Morgen las er die heilige Messe und wandte sich dann, nachdem ihm der Obere und der für die Arbeit Verantwortliche dazu die Erlaubnis erteilt hatte, unverzüglich der Arbeit auf dem nahegelegenen Feld zu oder aber er ging in den Weinberg, ohne mit jemandem unterwegs zu sprechen oder nach links oder rechts zu schauen. Wenn jemand ihn mit „Gelobt sei Gott!“ grüßte, antwortete er: „Gott segne Sie!" Kaum an der Arbeitsstelle angekommen, nahm er seine Hacke und begann seine Arbeit energisch und liebevoll, als ob er ein gut bezahlter Knecht sei, der seinen Lohn noch erhöhen wolle. Dabei war es ihm gleichgültig, ob der Verantwortliche für die Arbeit Priester war, Bruder oder Knecht: Alle betrachtete er als von Gott gegebene Autoritäten. Wenn andere versuchten, sich auszuruhen, um frisches Wasser zu trinken und wenn sie Gefallen darin fanden, miteinander zu plaudern, hielt er sich abseits, ohne zu reden oder zu trinken und wartete geduldig auf den Fortgang der Arbeit. Wenn sein Gelübde des Gehorsams nicht auch die Ruhepause vorgeschrieben hätte, hätte er sich nicht ausgeruht. Die Mönche und Bediensteten verehrten ihn, achteten seine Tugenden und vermieden es, müßige Gespräche vor ihm zu führen. Wenn der für die Arbeit Verantwortliche bis zu später Stunde auf dem Feld verblieb, setzte Père Charbel seinerseits mit unverminderter Kraft seine Arbeit fort. Sein Eifer steigerte sich sogar noch während der Arbeit, ohne dass er den Verantwortlichen auf die Verspätung hingewiesen hätte. Denn, wie ich schon gesagt habe, Protest kannte er nicht. Wenn der Verantwortliche mit Verzögerung Père Charbel und die anderen Mönche zum Mittagessen rief, blieb er gelassen. Überhaupt sagte er nie, dass er Hunger habe oder müde sei. Solche Worte kamen ihm nie in den Sinn. Weder bei Hitze bei der Ernte oder bei Kälte im Winter nahm er seine Kapuze ab. Er interessierte sich nicht für belangloses Gerede und für aktuelle Ereignisse. Er kümmerte sich nicht um das Geschehen im Lande oder im Orden, wenn es um Fragen der Verwaltung ging. Sein Interesse bezog sich immer auf die Arbeit, um seinem Gelübde nachzukommen. Alles andere vertraute er der göttlichen Vorsehung an. Deshalb habe ich von ihm gesagt, dass er sich von den anderen Mönchen unterschied. Ebenso ging er Frauen und weltlichen Besuchern aus dem Weg. Weil jedermann sein Temperament kannte, hielt man sich auf Abstand von ihm oder man entfernte sich von ihm mit Rücksicht auf sein tugendhaftes Leben“, so Frère Elias Mahrini.

 

2) Er lief zur Kirche um zu beten. (Mt 14,23)

„Père Elias aus Mechmech ließ mich, Simaan Ghata, vor 40 oder 45 Jahren zu sich kommen, damit ich ihm einen Ofen im Konvent von Saint-Maron in Annaya baue. Ich bat ihn um Arbeiter, um mir beim Bauen zu helfen, unter anderem um Père Charbel. Er arbeitete sechs Tage lang mit mir, in denen er ein Vorbild an Vollkommenheit war. Bereits zu Beginn der Arbeiten fragte er mich: „Was kann ich für Sie holen, Meister?“ Ich antwortete ihm: „Steine, kleine bearbeitete Steine und Ton.“ Er brachte sie mir unter Mühen herbei, hob dabei die schweren Steine an seine Brust, um sie noch höher auf das Gerüst zu legen. Die kleinen bearbeiteten Steine trug er mit bloßen Händen herbei, so dass sich sogar Blut unter seinen Fingernägeln zeigte. Ich sagte ihm: „Nein! Nein! Magister, passen sie doch auf! Sie ermüden sich zu sehr, arbeiten Sie doch langsamer!“ Er entgegnete mir nichts darauf, sondern fuhr mit seiner mühsamen Arbeit fort. In diesem Rhythmus verbrachte er mit mir eine ganze Woche, ohne ein Wort an mich zu richten oder mir irgendeine Frage zu stellen – bis auf: „Was soll ich für Sie tun?“ Ich hatte Mitleid mit ihm und ich tat mein Bestes, um ihm die Arbeit zu erleichtern. Während unserer Zigarettenpausen lief er in die Kirche, um zu beten.“

 

3) Direkt in die Kirche

Da das Brot nachts und im Wechsel gebacken wurde, war auch der heilige Charbel fürs Backen an der Reihe, so wie die anderen Brüder auch. Er kam am Abend ins Kloster und ging direkt in die Kirche, um dort bis Mitternacht zu verweilen und so darauf zu warten, bis der Teig gegangen war. Dann rief ihn der für die Versorgung des Klosters verantwortliche Bruder und bat ihn, seinen Mitbrüdern zu helfen, bis das Brotbacken ganz abgeschlossen war. Dann kam er in die Einsiedelei zurück, wo er die heilige Messe feierte.

 

4) Er ließ keine Gelegenheit verstreichen.

Vor seinem Eintritt ins Kloster hatte er mit den Mönchen bereits auf den Feldern gearbeitet. Wenn er nach getaner Arbeit mit den Arbeitern zur Stärkung ins Kloster kam, legte er seine Arbeitsgeräte in der Küche ab und ging in die Kirche, um sich vor das heilige Altarsakrament zurückzuziehen. So nutzte er jede Gelegenheit, seine Zeit, sei es vor dem ausgesetzten Allerheiligsten bzw. arbeitend zu verbringen.

 

5) Was man ihm auch zur Arbeit gab, er tat es im Stillen. (Mt 5,11-12 und 41)

Die meisten Mönche, die im Kloster Verantwortung trugen, waren aus Mechmech, nur Père Charbel war aus der Gegend von Jebbé (im Norden). Was auch immer man ihm zur Arbeit gab, er tat es im Stillen und schlug niemandem etwas ab oder beklagte sich darüber. Niemand schonte ihn. Francis, der Koch und Bruder des Oberen ließ ihn hart arbeiten und schimpfte dabei. Père Charbel gehorchte ihm so wie er dem Oberen gehorchte, obwohl er doch Priester war und der andere ein Konversenbruder. Sobald er von der Arbeit zurückkam, den Rücken gekrümmt, oft mit einem schweren Bündel Holz beladen, trug ihm Bruder Francis zusätzlich auf, er solle sich um das Wasser kümmern oder um eine andere Arbeit. Einmal gab man ihm die Auftrag, er solle mit einem Eimer die Tabakpflanzen gießen: Er trug den ganzen Tag über so viel Wasser herbei, dass die Haut seiner Hand ganz aufgeschürft war.

 

6) Steine, die seine Haut aufscheuerten

„Eines Tages lud ich, Père Ephrem Nakad, Père Charbel auf dem Feld Steine direkt auf die Schultern, ohne einen Stoff als schützendes Scheuertuch dazwischen zu legen. Er setzte seine Arbeit fort, bis sein Habit und sein Hemd zerrissen waren, und die Steine auf seiner bloßen Haut scheuerten. Ich hatte Mitleid mit ihm, denn er war ja ein Priester. Er ging zum Oberen und sagte ihm sanft und leise:„Schauen Sie sich meinen Habit an!“. Der Obere ließ ihm daraufhin einen neuen geben.“

 

7) Er erfüllte seine Arbeit mit Freude und Geduld.

„Ich, Père Nehemtallah Mechmech, sah, wie er eine Bürde mit Holzscheiten und Steinen in einem Korb auf dem Rücken trug. Er hackte den Boden auf und arbeitete im Weinberg bis zum Abend, ohne sich Ruhe zu gönnen oder seine Arbeit ruhen zu lassen, bis sein Begleiter ihn zum Essen rief oder zu einer sonstigen Beschäftigung. Wenn sein Begleiter ihm ein Bündel auflud, das seine Kräfte überstieg, ärgerte er sich nicht. Wenn man ihm eine schwierige Sache auftrug, erfüllte er sie mit Freude und mit Geduld, ohne zu schimpfen oder seinen Unwillen auszudrücken. Er zeigte keinerlei Reaktionen. Keine Arbeit war ihm zu viel. Er arbeitete unaufhörlich und verbarg seinen Kopf unter der Kapuze, die ihm bis zu den Augen herunter fiel. Er hob sie nicht hoch, nicht einmal um sich den Schweiß von der Stirne zu wischen.“

 

8) Was soll ich arbeiten?

Er war ein Mönch der Arbeit, des Gebets und des Schweigens. Niemand hörte seine Stimme. Wir Arbeiter, die wir mit den Mönchen auf dem Feld arbeiteten, wir erinnern uns nicht, dass er je ein Wort gesprochen hätte – bis auf: „Was soll ich arbeiten?“ Dies sagte er in aufrechter Haltung, die Arme vor dem, der für die Arbeit verantwortlich war, verschränkt, das Haupt gesenkt und mit leiser Stimme. Wenn dann der Augenblick des Gebetes kam, kniete er sich an Ort und Stelle nieder und betete. In seinem ganzen Leben gönnte er sich weder Zerstreuung noch Ruhe.

 

9) Er macht das Kreuzzeichen.

In den Novizenregeln kann man lesen: „Was man sich selbst immer wieder schenken kann, ist das Kreuzzeichen. Immer dann, wenn du deine Arbeit beginnst, opfere Gott deine Arbeit auf und sage ihm: „Mein Herr und mein Gott, ich bringe dir mein ganzes Herz, meine Seele und diese Arbeit dar. Gib mir die Kraft, sie nach deinem Willen und zur Verherrlichung deines göttlichen Namens zu vollenden.“ Wenn er dann mit den Mitbrüdern und Novizen aufs Feld ging, verrichtete er seine Arbeit wie einer von ihnen und machte von Zeit zu Zeit in aller Stille ein Kreuzzeichen. Er wandte sich bei der Arbeit an niemandem. Wenn man ihn nach etwas fragte, antwortete er mit Ja oder Nein oder aber ganz kurz wie immer. Die Arbeit auf dem Feld setzte ihm sehr zu. Trotzdem verlangte es ihn nicht nach körperlicher Erholung.

 

 

D: Charbels Armut (Mk 10,21)

 

I: Darstellung

 

1) Materielle Armut

„Warum nur rennt der Mensch dem Golde nach? Um sich aufzuwerten? Der Mensch ist doch viel mehr wert als Gold, er ist Kind Gottes, und sein Wert liegt in ihm selbst“, so Père Charbel. Deshalb war er ein treuer Anhänger der Tugend der Armut. Der Mönch darf keinen eigenen Besitz haben. Er hat nie gerne Geld in Silber oder Gold in der Hand gehalten. Um das Gelübde der Armut zu beachten, benutzte er nur die einfachsten Dinge und ließ nicht zu, dass man sie vernachlässige, so wertlos sie auch sein mochten. Alles in allem war er bescheiden in der Wahl seiner Speisen, seiner Getränke und in seinen alten abgetragenen Kleidern. Arm auch im Blick auf seine durch die Arbeit schwielig gewordenen Hände. Er weigerte sich, irgendwann ein Amt zu übernehmen; dies sollten andere verantwortungsvoll tun. Dabei achtete er peinlich genau auf Dinge, die dem Kloster gehörten, um nichts wegzuwerfen, so klein oder so wenig bedeutsam es auch sein mochte, bis hin zu den Gemüsestengeln. Und wenn er eine Traube unter einem Weinstock sah oder aber ein Brotstück auf dem Weg, hob er sie auf und brachte sie in die Küche. Der Orden hatte nie etwas ausgegeben, um ihm auf eigene Bitte hin einen neuen Habit zu kaufen. Seine Ordenskleider waren immer abgetragen, denn er zog an, was seine Mitbrüder nicht mehr anziehen wollten. Er war so arm wie ein Bettler. Selbst ein Bettler hätte sein Essen, sein Bett und seine Kleider zurückgewiesen. Er betrachtete alle Güter dieser Welt als Staub, den man mit Füßen tritt.

 

2) Armut als innere Haltung

Er lebte in äußerster Armut und übertraf darin sogar die Ärmsten der Armen. Gerade nach außen hin zeigte er seine unvergleichliche Armut. Die wahre Armut aber lag in seiner leidenschaftslosen schlichten Erscheinung, obwohl er doch seinen Reichtum an göttlichen Gaben und an höchsten Tugenden in sich trug. Er lebte losgelöst von seinen Eltern und Verwandten, denen er nie in seinem Leben einen Besuch abstattete, von denen er nie gesprochen, nach denen er nie gefragt hat. Wenn sein Bruder ein oder zwei Mal im Jahr zu Besuch kam, dann traf er kurz mit ihm zusammen und dies nur, weil sein Gefährte ihn dazu aufgefordert hatte. Seinen eigenen Willen stellte er nicht nur in den Angelegenheiten, die die Regel betrafen, völlig zurück. Er handelte so in allen Dingen; denn er hatte seinen eigenen Willen abgelegt. Trotz seiner Intelligenz und Begabung ließ er in nichts seine Weisheit durchscheinen, weder in dem, was er sagte, noch in schriftlichen Zeugnissen. Worte wie: „Dies gehört mir, dies uns oder dem Konvent“, kannte er nicht. Père Charbel war wie vom Geist Gottes getragen, der ihn zur Kirche, bei der Arbeit, beim Essen und in anderen monastischen Pflichten begleitete und ihn voll und ganz durchdrang. Während er sich mit allem Einsatz und mit Begeisterung irgendeiner Arbeit oder dem Gebet für die Kirche hingab, konnte er andererseits sofort damit aufhören, wenn sein Gefährte ihm den Auftrag gab, einer Pflicht nachzukommen. So glich er einem Schatten, der sich neben seiner Lichtquelle bewegt. Er war Einsiedler, aber sein Wille und sein Verstand wurden von seinem Gefährten gelenkt. Dies aber heißt absolute Selbstentäußerung. Er war reich, aber nur in seiner Liebe zu Gott. Darüber hinaus deutete nichts auf eine innere Beziehung zur Welt draußen hin.

 

3) Erfüllte Zeit

Seine Zeit verschwendete er nicht mit Müßiggang. So oft er konnte, betete er für die Armen und die Toten und vermied es dabei, in irgendeiner Form nachlässig zu sein, um nicht in die Fallstricke des Teufels zu geraten. So achtete er genauestens auf seine ihm zur Verfügung stehende Zeit und ließ auch nicht die geringste Gelegenheit verstreichen, in der er nicht etwas getan hätte, was dem Orden hätte nützen und woraus er für sein ewiges Leben hätte Gewinn ziehen könnte. Er tat dies im vollen Bewusstsein, dass uns die Zeit gegeben worden ist, um uns zu heiligen. Wenn er nichts zu tun hatte, widmete er sich dem Gebet und der Meditation aus einem freien Herzen heraus, das an keinen Dingen dieser Welt mehr hing.

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Nehmen Sie das hier!

Wenn er beerdigte, und man ihm dann Geld schenkte, gab er es dem Oberen sofort nach seiner Rückkehr ins Kloster zurück und sagte ihm dabei wortwörtlich: „Nehmen Sie das hier!“ Was er dann in seinen Händen hielt, waren entweder ein ottomanisches Pfund oder aber ottomanische Piaster.(Im Allgemeinen gab man den Priestern drei ottomanische Piaster, Père Charbel gab man ein Pfund.) Den Geldwert kannte er nur vage. Wenn er den Oberen nicht in seinem Zimmer fand, legte er es auf ein Tablett aus Weide unter sein Bett. Einmal war Jibraël Lahoud aus Amchit im Kloster von Annaya. Auf dem Flur traf er Père Charbel, den er um eine heilige Messe in seinem besonderen Anliegen bat. Père Charbel nahm das ottomanische Pfund, das er ihm dafür gegeben hatte und wartete, bis sich der Mann aus dem Zimmer des Oberen entfernt hatte. Dann trat er bei ihm ein und erzählte, worum Jibraël ihn gebeten hatte und sagte dann: „Nehmen Sie das hier!“ Der Obere entgegnete: „Behalte es und lies dafür die heilige Messe!“ Père Charbel sagte: „Was die heilige Messe angeht, so habe ich sie bereits ins Buch des Klosters eingetragen. Dies aber überlassen Sie mir bitte nicht, nehmen Sie es." Der Obere nahm das Pfund.

 

2) Halten Sie diesen Dämon von mir fern!

Père Charbel begleitete die Mönche des Klosters zu einer Beileidsbekundigung. Jeder von ihnen erhielt fünfzehn ottomanische Piaster. Nach Hause zurückgekehrt, wollte Père Charbel diese Piaster dem Oberen geben. Dieser sagte ihm: „Behalte sie für dich, vielleicht brauchst du sie noch, um dir ein Taschentuch oder andere Dinge zu kaufen.“ Er gehorchte der Weisung des Oberen. Allerdings behielt er nur bis zum Abend das Geld bei sich und brachte es dann dem Oberen mit den Worten: „Nehmen Sie das Geld. Ich will diesen Dämon nicht bei mir belassen!“

Ein Mann bat ihn, für ihn eine heilige Messe zu lesen und gab ihm daraufhin fünf ottomanische Piaster. Wie immer nahm er das Geld und gab es dem Oberen, Père Roukoz aus Mechmech. Dieser sagte zu ihm: „Behalte es für dich!“. Aus Gehorsam brachte er es zur Einsiedelei zurück, legte es auf ein Brett in seiner Zelle und vergaß es. Nach geraumer Zeit fand er es zufällig wieder, brachte es dem Oberen und sagte: „Mein Vater, halten Sie bitte diesen verfluchten Dämon von mir fern.“

 

 

3) Geben Sie das Geld dem Père Makarios!

„Ich, Père Youssef Hasrouni, werde im Folgenden eine Episode erzählen, die mir im Juli 1898 widerfuhr, als ich im Konvent von Saint-Antoine in Qozhaya weilte, wo Père Antonios Alwan zur Zeit seiner Profess wohnte. Nach meiner Abreise vom Konvent, so erinnere ich mich, erzählte ich einem meiner Verwandten vom tugendhaften Leben Père Charbels. Er wollte ihm Geld für das Lesen einer heiligen Messe für Bruder Antonios Alwan geben. Er gab mir ein Viertel Majidi (ottomanisches Pfund), das ich ihm zukommen lassen sollte. Ich habe meinerseits diese Bitte Père Youssef Al-Hasrouny anvertraut, indem ich ihn darum bat, diese Summe Geldes direkt an Père Charbel mit der oben genannten Intention weiterzugeben. Père Youssef Al-Hasrouny erzählte, dass er auf dem Weg zur Eremitage Père Charbel begegnet sei und ihm gesagt habe: „Nehmen Sie bitte dieses Geld für eine heilige Messe mit der Intention für Bruder Antonios aus Aïto.“ Er entgegnete mir: „Gib es dem Père Makarios!“ Ich erwiderte: „Der Bittsteller hat mich darum gebeten, es Ihnen persönlich in die Hand zu geben. Deshalb kann ich es nicht anderen geben.“ Da streckte Père Charbel seine Hand nach vorne, schloss die Augen und hielt sein Haupt nach unten gesenkt. Das Geld habe ich ihm dann in seine Hand gelegt. Danach ging er zu Père Makarios, rief ihn mit höchst ungewöhnlicher Stimme aus der Kirche und sagte: „Père Makarios! Père Makarios! Nehmen Sie dieses Geld!“. Dabei hielt er seine Hand immer noch weit von sich gestreckt als trage er einen Skorpion mit sich und übergab ihm die Summe Geldes, ohne ihren Betrag genau zu kennen.“

Wenn einer der Besucher ihm Geld als Gelübde an die Einsiedelei schenken wollte, antwortete er ihm in aller Ruhe, ohne auf das Geld oder den Betrag zu schauen: „Geh zu Père Makarios!“

Hier noch ein Beispiel für seine Haltung zum Geld, eines von vielen: Eines Tages kam ein Besucher und gab ihm Geld für eine heilige Messe nach seiner Intention. Der Besucher sagte ihm: „Beten Sie für mich, und hier ist das Geld. Ich gebe es Ihnen persönlich und nicht der Einsiedelei.“ Er antwortete: „Legen Sie es mit der Intention auf den Altar, ich brauche keines.“ Der Mann versuchte den Einsiedler zu überzeugen, was ihm mit viel Mühe gelang. Er legte ihm das Geld in seine Hand und schloss sie. Père Charbel ging dann direkt zu Père Makarios und übergab seinem Gefährten Père Makarios das Geld, ohne es anzusehen.

 

4) Im Morgengrauen

„Einmal kam er im Morgengrauen zu mir, Ighnatios Mechmech, - ich war zu dieser Zeit der Obere - und erzählte mir, Besucher seien zur Einsiedelei gegangen und hätten ihm zwanzig ottomanische Piaster gegeben und dabei gesagt: „Kaufen Sie für dieses Geld, was Sie an Besonderem zum Leben brauchen. Dabei schilderte er mir, wie er die ganze Nacht mit dem Gedanken der Versuchung durch den Feind des Guten verbracht habe, der ihn dazu drängte, das Geld für sich zu behalten und dass er ihn dank der Gnade Gottes überwunden habe.“ Ich sagte ihm: „Brauchst du etwas?“ Er erwiderte: „Wenn Sie es unbedingt wissen wollen, ich brauche einige Taschentücher, um mir den Schweiß abzuwischen und sie als Tücher zum Abtrocknen meiner Hände zu benutzen.“ Ich gab ihm vier schwarze Taschentücher.

 

5) Ich will das Geld nicht sehen. (Mk 10, 23-25)

„Wardé Hanna Antoune Zaarour, die Tante meiner Mutter, die Gattin meines Onkels Challita und leibliche Nichte von Père Charbel erzählte mir, Hawchab Nakad, dass ihre Mutter einen Silberbecher besaß, den sich die Frauen auf den Kopf setzten, um sich damit zu schmücken. Nach ihrem Tod hat ihn ihre Tochter Wardé für 300 Piaster, das sind zwei ottomanische Goldpfund, verkauft. Sie brachte diese Summe ihrem Onkel Père Charbel und bat ihn, heilige Messen für die Seelenruhe ihrer Mutter, der Schwägerin des Einsiedlers, zu lesen. Er weigerte sich, das Geld anzunehmen und wandte sich an seine Nichte vom Inneren der Zelle her, ohne ihr Gesicht zu sehen und sagte zu ihr: „Gib das Geld dem Pater Oberen!“ Sie entgegnete ihm: „Ich möchte es Ihnen persönlich geben, damit Sie auch die Messen persönlich lesen.“ Er erwiderte: „Was die heiligen Messen angeht, so notiere ich sie in mein Heft. Das Geld aber nehme ich nicht an. Gib es dem Oberen und lass es mich nicht sehen.“ Sie tat, was er ihr gesagt hatte.“

 

6) Ich werde die heiligen Messen lesen.

Nach dem Tod von Père Hanna, dem Bruder Charbels, ging meine Mutter zur Einsiedelei. Sie bat Père Charbel, Messen für die Seelenruhe ihres Vaters zu lesen. Er antwortete ihr: „Was die heiligen Messen angeht, so werde ich sie lesen, aber das Geld gibt dem Oberen!“ Sie tat, wie er es ihr geheißen hatte.

 

7) Ich starb an dem Tag, an dem ich die Welt verlassen habe. (Mt 6,24)

Élisée Nakad erzählt: „Der Anlass unseres zweiten Besuches war der Tod meines Großvaters Hanna Antoun Zaarour Makhlouf, des Bruders des Eremiten Père Charbel. Er verschied am 25. Januar 1897. Der Verstorbene hatte keine männlichen Nachfolger, deshalb sollte seine Tochter nur die Hälfte des väterlichen Erbes bekommen. Da meldeten sich die Verwandten väterlicherseits und beanspruchten die andere Hälfte. Sie führten an, dass der Bruder des Verstorbenen Mönch und Einsiedler sei, dem das Recht auf Erbschaft nach der Regel des Ordens nicht zustehe. Aber meine Mutter entgegnete, dass mein Onkel Père Charbel direkter Erbe sei. Deshalb habe ich sie an einem Frühlingstag ins Kloster Saint-Maron in Annaya begleitet, um ihn über den Tod des Vaters in Kenntnis zu setzen und ihn zu bitten, ihr ein freiwilliges Überlassungstestament in der Erbschaftsangelegenheit seines Bruders auszustellen. In der Einsiedelei angekommen, konnten wir uns nicht von Angesicht zu Angesicht unterhalten. So stellten wir uns neben die Kirchentüre, während er im Inneren stand. Er fragte sie, was sie von ihm wolle. Sie teilte ihm den Tod des Vaters mit und bat ihn um das erwähnte Testament, nicht ohne zu erwähnen, dass die Verwandten väterlicherseits die Hälfte des Erbes beanspruchten. Ich höre noch, wie er antwortete: „Meine Nichte! Mein Bruder ist vor einigen Monaten verstorben, während ich der Welt bereits an dem Tag gestorben bin, an dem ich den Habit genommen und meine ewigen Gelübde im Kloster Saint-Maron in Annaya vor 44 Jahren abgelegt habe. Ein Toter erbt nicht, noch gibt er sein Erbe weiter. In deiner Sache kann ich nichts tun. Ich kann nicht etwas weitergeben, was ich gar nicht besitze.“ So sind wir mit leeren Händen nach Hause zurückgekehrt.“Solche Sätze sind später zeichenhaft dafür geworden, den Totalverzicht von Charbel, seine Gerechtigkeit und seinen wahrhaft monastischen Geist deutlich zu machen. Seine Nichte, die den verwandtschaftlichen Anspruch beenden und das ganze Erbe für sich beanspruchen wollte, bestand darauf, dass er die freiwillige Abtretung des Erbes unterzeichne. Daraufhin nahm Père Charbel ein kleines Stück Papier, das er beschrieb und weitergab. Als sie nach Bqaakafra kam, öffnete sie das Papier und las die Worte: „Ich habe nicht geerbt und gebe auch kein Erbe weiter.“ Was seine Verwandten angeht, so stand er ihnen weder körperlich noch seelisch nahe.

 

8) Legt das Gelübdegeld auf das Regal!

Einmal haben ihn seine beiden Brüder besucht und ihm einige türkische Sous angeboten. Aber er lehnte sie ab. Nach langem Bemühen, ihn zu überzeugen, indem man ihn auf den Charakter des Gelübdes dieses für die Einsiedelei bestimmten Geldes hinwies, nahm er es, ohne sich um die Geldsumme zu kümmern mit der Bemerkung an: „Legt das Geld auf das Regal!“ Eines Tages besuchte ich, P. Francis Sibrini, ihn in der Eremitage. Dabei erklärte er mir: „Meine beiden Brüder waren zu Besuch gekommen und haben der Einsiedelei eine Summe Geldes hinterlassen. Es liegt auf dem Regal. Nehmen Sie es!“ Ich nahm es und zählte vierzig ottomanische Piaster.

 

9) Die göttliche Vorsehung wird schon sorgen. (Mt 6,25-34)

Auf Geld legte er überhaupt keinen Wert und war unfähig, die Geldstücke voneinander zu unterscheiden, nachdem er nie in seinem Leben mit Geld umgegangen war. Er interessierte sich weder für die Größe noch für die Häufigkeit der Messstipendien, auch nicht für den Ertrag, der der Einsiedelei gespendet wurde. Er betete für die Fruchtbarkeit der Ernten, ohne sich um Trockenheit oder Fruchtbarkeit Sorgen zu machen. Er sagt nur: „Die göttliche Vorsehung wird schon sorgen.“ In allem lebte er die Armut, in seiner Zelle wie in seiner Kleidung, im Essen wie im Trinken, in der Schlichtheit seines Lagers wie in den Arbeitsgeräten.“

                    

 

E: Charbels Kleidung

 

I: Darstellung

„Kleidung, Liege und Decke des Mönchs mögen dem Gelübde der Armut entsprechen“, liest man in den Mönchsregeln. Entsprechend kleidete er sich wie der Geringste der Armen und der Novizen. Er trug nie einen neuen Habit und war immer darauf bedacht, demütig die abgelegte Kleidung seiner Mitbrüder anzuziehen. Einer seiner Habite war so abgerieben, geflickt und ausgefranst, dass die Fäden hervortraten. Er war aus dicker verblasster libanesischer Wolle gewoben, von rötlicher Färbung, aber immer sauber. Er wusch sie mit eigener Hand, flickte sie selbst, ohne viel Sorgfalt darauf zu verwenden, so wie man Säcke aus Pflanzenfäden zusammenzieht, indem man alle fünf Zentimeter einen Stich macht. Im Sommer wie im Winter trug er denselben Habit. Es war ein Habit aus Wolle, darunter trug er ein roh gewebtes Hemd. Er trug beide Kleidungsstücke so lange, bis sie abgenutzt waren und man ihm neue gab, die bereits ein Mitbruder getragen hatte.

Sein Gürtel war wie bei allen anderen Mönchen aus Leder und durch die Steine, die er trug, und Büsche, die er durchstreifte, abgewetzt. Seine Hose (cherwal) war schwarz, das Hemd war grob gewebt, die Weste aus einem alten Mönchshabit herausgeschnitten, darüber der Habit. Er trug trotz eisiger Kälte nie Strümpfe an den Füßen. In der Kirche zog er seinen Mantel an, den er während der Arbeit außerhalb der Abtei ablegte. Er trug immer seine Kapuze, im Winter wie im Sommer, bei Tag und bei Nacht, nur nicht bei der heiligen Messe, wie es der Liturgie entspricht. Die Kapuze bedeckte seinen ganzen Kopf, die Augen wie die Ohren, auch einen Teil der Wangen und den Hals. Er wickelte seinen Habit nicht unter den Gürtel, wie es die Mönche gewöhnlich bei der Arbeit tun, um seine Hose nicht hervortreten zu lassen.

Seine groben Schuhe waren abgenutzt und geflickt. Sie endeten hinten nach oben hin in einer kleinen Zunge. Sein Handtuch war aus groben Fäden gewebt. Seine Kleidung war ärmlich aber sauber, doch sie war bis zur Hose hin von den groben Schuhen abgewetzt. Er beanspruchte nichts für sich, nicht einmal das Nötigste. Und wenn dann doch etwas dringend fehlen sollte, bat er darum in schlichter, demütiger, unterwürfiger Weise.

Schmutz schreckte ihn ab. Und doch wusch er manchmal seine Kleidung erst dann, wenn der Obere ihm die Anweisung dazu gab, selbst wenn er sie ein Jahr lang tragen musste. Er wusch sein Gesicht nur ein Mal in der Woche, außer bei besonderen Angelegenheiten, dann bat er den Oberen um die Erlaubnis.

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Ohne rote Streifen

Père Charbel bat den Bruder Schuster darum, ihm die roten Streifen auf den groben Schuhen, die zu dieser Zeit bei den Mönchen in Mode waren, abzufeilen.

 

2) Habite zum Flicken

„Als Père Ighnatios aus Mechmech Oberer war, hatte man mir, Père Francis Sibrini, die Kleiderkammer für eine gewisse Zeit im Kloster Saint-Maron anvertraut. Père Ighnatios hatte mich angewiesen, zur Einsiedelei zu gehen, die Habite der Einsiedler zu überprüfen und nachzusehen, was sie brauchten. Ich kam in die Zelle von Père Charbel, bei dem ich allerdings nichts gefunden habe, was noch hätte getragen werden können. Ich wies ihn an, mir seine abgetragenen Kleider zu überlassen. Da er selbst nichts sah, was hätte ausgetauscht werden müssen, bat er mich, ich soll ihm die Kleider überlassen, damit er sie selbst ausbessern und als Zeichen seiner Armut tragen könne. Dann bat mich der Obere, ich solle ihm doch zwei neue Habite zurechtlegen. Er wollte sie nicht annehmen und brachte allerlei Entschuldigungen vor, warum er keinen neuen Habit tragen könne und bat mich, ich solle dem Oberen doch seine Bitte vortragen, einen bereits getragenen Habit anziehen zu dürfen, der im übrigen auch zu seiner Arbeit passe, auch keine Hemden, er trage ja den Bußgürtel. Schließlich gab ich ihm ein Hemd, das aus einem abgetragenen Habit bestand, um den Bußgürtel darunter verbergen zu können.

 

3) Ich lege ihn auf die Erde unter meine Schlafmatte.

„Kurz nach meiner Profess besuchte ich, Père Hanania Jaji, eines Tages Père Charbel. Er war gerade dabei, seine Habite zu waschen, indem er sie mit seinen Füßen stampfte. Als ich den Bußgürtel in der Wäsche sah, fragte ich ihn: „Was ist das?“ Er wollte mir seine Askese verheimlichen und antwortete: „Ich lege ihn auf die Erde unter meine Schlafmatte.“

 

4) Geben Sie mir die Kleidung, die zu meinem Leben passt!

Einmal war er mit seinem abgetragenen Habit bei Père Roukoz aus Mechmech und sagte ihm: „Lassen Sie mich so leben wie es mein Habit ausdrückt. Geben Sie mir die Kleidung, die zu meinem Leben passt!“ „Ich, P. Ignace Mechmech, glaube, er wollte ihm wohl sagen: „Entweder Sie schicken mich jetzt zur Einsiedelei, der dieser Habit, den ich trage, entspricht oder Sie geben mir einen besseren Habit, den ich dann tragen kann, wenn ich Sie begleite.“ Der Obere hatte begriffen, trat rasch in seine Zelle, nahm den Habit und zog ihm einen anderen an. Dieser war weit geschnitten. Der Obere sagte zu ihm: Den kannst du tragen.“

 

5) Warum gehst du so nachlässig mit dir um?

Einmal sah ich, Moussa Moussa, wie er zerrissene Sandalen trug und fragte ihn: „Warum gehst du so nachlässig mit dir um? Bestell dir doch feste und passende Sandalen; denn deine Füße sehen ja aus wie die eines Kamels!“ Darauf gab er keine Antwort.

 

 

F: Seine Schlafmatte, sein Schlaf und das Mobiliar seiner Zelle

 

I: Darstellung

 

1) Die Klosterzelle von Père Charbel

Sie liegt im Westteil des Klosters. In der Ostwestlänge misst sie 325 cm, in der Nordsüdbreite 225 cm. Sie ist drei Meter hoch, das Dach ist mit einfachem Stammholz und Erde gedeckt. Ein Fenster 80 mal 40 cm öffnet sich nach Westen. Der Boden ist ein schlichter Steinboden. Die Tür liegt nach Osten hin und ist 175 cm hoch, 80 cm breit, sie liegt in Richtung des einen Fensters und zur Kirchentür hin. Diese liegt dem Hauptaltar gegenüber.

 

2) Seine Zelle in der Einsiedelei

In der Positio kann man lesen: „Ihre Länge in Ostwestrichtung erreicht drei Meter, ihre Breite von Nord nach Süd 210 cm, ihre Höhe 240 cm. Das Fenster nach Süden hin besteht aus einfachem Holz mit zwei verglasten Flügeln, die immer mit einem schwarzen Vorhang verschlossen sind, so dass man von außen nicht hineinschauen kann. Was er von seiner Zelle aus sieht, sind die Berge von Ehmej und abgetragene Hügelketten. In die Ostmauer ist eine Öffnung eingelassen, die als Schrank dienen kann, in die er auch seine Öllampe gestellt hatte. Der Boden ist mit Steinen aus dem Gebirge gefliest. Die Mauern sind aus Stein und im Inneren mit Ton verputzt. Das Dach ist aus Holz, die Türe sehr schlicht, 80 cm breit und 170 cm hoch und hat eine Klinke aus Holz, außen hatte sie einen Holzriegel. Seine Zelle war leer, immer offen, vom Rauch geschwärzt. Darin befindet sich eine Holzliege, unter die er eine Weidenmatte für seine spirituelle und theologische Literatur gelegt hatte. Dort stand auch ein Krug mit Wasser. Er erlaubte niemandem einzutreten, es sei denn, jemand tat es heimlich.“

 

3) Sein Bett

Sein Strohsack war mit Gall- und Eichenblättern und mit Baumrinde gefüllt. Sie war in eine Art Teppich aus Ziegenwolle eingehüllt. Das Ganze war noch einmal mit einem alten Filzstoff überzogen. Ein mit einem schwarzen Habitstoff umwickeltes Holzscheit war sein Kopfkissen. Auf dieser äußerst harten Liege ohne Matratze und Decke schlief er im Sommer wie im Winter.

Sein Bettlaken war durchgescheuert. Er schlief auf einer Art Scheuertuch, das über zwei Brettern lag, die sich zwei Spannen über dem Boden erhoben. Sie waren mit einem Riemen aus Tuch miteinander verbunden. Oft schlief er auch auf dem Boden.

 

4) Sein Schlaf

Als Eremit im Kloster wachte er nie mit den Mönchen. Er verabscheute die Ruhe, schlief nicht gerne und war Feind jeglichen Müßiggangs und Ausruhens. Was ihn begeisterte, waren Kasteiung und Arbeit. Er schlief nach der Komplet und den anderen Gebetszeiten insgesamt achteinhalb Stunden lang. Entsprechend der Eremitenregel wachte er zum Stundengebet um Mitternacht auf, das er nie in seinem Leben unterließ. Danach schlief er im Allgemeinen nicht mehr ein, höchstens, um sich noch eine Stunde lang hinzulegen, um dann seine Meditation und sein Gebet wieder aufzugreifen. Seine Nachtwachen in der Kirche waren ein einziges Gebet der Hingabe an Gott und Offenheit für das, was in seinem Inneren geschah.

Sehr früh am Morgen, noch vor dem Morgengrauen, wachte er auf, um in der Kirche zu beten und die heilige Messe zu feiern. Er zögerte nie, sie zeitlich vor allen anderen zu feiern. Tagsüber gönnte er sich nie Ruhe, weil er immer mit Arbeit und Gebet beschäftigt war. Er verbrachte die meiste Zeit in der Kirche vor dem Altarsakrament und die Nacht mit der Lektüre theologischer Bücher, mit Meditation und Stoßgebeten. Zerstreuungen gönnte er sich nie, vielmehr verlängerte er seine Nachtwachen mit Beten.

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Vom Schlaf übermannt (Mk 4,38)

Père Élias Ehmej erzählt: „Ich merkte, dass er von den ständigen langen Nachtwachen erschöpft war. Während er aufrecht am Boden kniete, übermannte ihn manchmal der Schlaf. Er neigte seinen Kopf zur Seite, seine Körper beugte sich immer mehr nach vorne, so dass er fast den Boden berührte. Sprach man ihn dann unvermittelt an, richtete er sich rasch auf und, seine Körperschwäche überwindend, schaute er nach oben und seufzte aus tiefstem Herzen. Niemand hat je gesehen, dass er sich wirklich ausruhte, wenn er seine Augen im Schatten eines Baumes schloss.“

 

2) Das Kopfkissen aus Wolle (Mt 8,20)

Seine Zelle hatte weder Schloss noch Schlüssel, wie alle Mönche berichten, die Père Charbel im Kloster von Annaya besucht haben. Seine Liege bestand aus einem alten zerschlissenen Strohsack mit einem Holzscheit, das mit einem aus einem schwarzen Habitstoff geschnittenen Tuch umwickelt war und das als Kopfkissen diente. Er hatte weder Decke noch Tuch. Als Père Charbel einmal auf dem Feld arbeitete, betrat Bruder Boutros Al-Fraidiss die Zelle. Er nahm das Holzscheit, warf es weg und ersetzte es durch ein wollenes Kissen. In die Zelle zurückgekehrt. merkte Père Charbel den Kissenwechsel, ging zum Bruder und bat ihn, das Scheit zurückzugeben. Er bestand solange darauf, bis er seinem Wunsch nachgekommen war.

        

 

G: Charbels Essen

 

I: Darstellung

 

1) Im Kloster

In den Konstitutionen steht: „Die Zutaten für die Speise des Mönchs müssen leicht aufzufinden sein. Nur zwei Mal am Tag, mittags und abends, darf er essen. Père Charbel aß also, wenn er sich im Kloster aufhielt, zwei Mal mit seinen Mitbrüdern im Refektorium und gab sich mit Stückchen angebrannten oder schlecht aufgebackenen Brotes zufrieden. Auf dem Feld aß er die Reste des Mahls seiner Mitbrüder und Diener, die mit ihm gerade auf den Feldern arbeiteten. Es geschah mehrere Male, dass man vergessen hatte, ihn zum Essen zu holen. So arbeitete er unaufhörlich weiter.

„Während seines Klosteraufenthaltes kam es vor, dass ich, Youssef Sleiman, den Mönchen auf dem Feld, unter denen auch Père Charbel war, bei der Arbeit helfen musste. Ich sah, dass er erst dann aß, wenn der für die Arbeit Verantwortliche die Anweisung zum Essen gegeben hatte.“ Dann wartete er darauf, dass der Verantwortliche ihm seine zugewiesene Portion gab, nahm sie und zog sich in einen Winkel zurück. Außerhalb der immer bescheidenen Mahlzeiten aß er nichts. Darüber hinaus gestattete er sich keine zusätzliche Mahlzeit, keine Getränke, keine Früchte. Er aß das Brot nur in kleinen Stücken oder aber Grattin aus dem Kochtopf. Wenn man das Mittagessen verspätet servierte, murrte er nicht, wies auch kein Essen ab und beanspruchte vom Koch oder Küchenverantwortlichen kein besonderes Essen für sich. Ganz im Gegenteil! Er wollte die Essensreste zu sich nehmen, um sich in der Demut zu üben und sich auf das Notwendige zu beschränken. Er fand weder Gefallen am Tabak noch am Alkohol und nahm auch keine Nahrung in seine Zelle mit.

Er sagte nie: „Ich bin krank. Dieses Gericht kann ich nicht essen.“ Nie verlor er irgendein Wort darüber, ob das Essen ihm schmecke oder nicht. Außerhalb des Klosters aß er nie, es sei denn auf dem Feld, auf dem er gerade arbeitete. Wenn er Weintrauben oder Feigen erntete, kostete er nicht davon. Während der Mahlzeiten aß er mit Ruhe und bedacht, als sei er in einer Kirche. Er sprach mit niemandem, senkte seinen Blick, als ob er meditierte. Worte wie: „Das ist versalzen, dies ist fade, jenes verbrannt“, kamen nicht über seine Lippen. Er trank weder alkoholische Getränke noch Kaffee. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass er aus Notwendigkeit, aber nicht des Genusses wegen aß. Nachdem er gespült hatte, trank er oft das Spülwasser und tat es sogar mit Freude. Er benutzte Tongeschirr und Gabeln aus Holz.

„Manchmal“, berichtet Père Hanania Jaji, „waren wir beim Pflügen zusammen, und er half uns dabei. Trotz der großen Hitze stillte er seinen Durst nicht, während wir wegen Müdigkeit und Hitze sogar über das Maß tranken. Er kümmerte sich weder um das Essen, noch um das Trinken, noch um seinen Habit. Er lebte in dieser Welt, ohne ihr anzugehören, losgelöst von allem, was sich darauf bewegt. Alle Sehnsüchte, Neigungen und Gefühle waren ganz auf Gott hin ausgerichtet.

 

2) In der Einsiedelei

     Er nahm nur eine Mahlzeit täglich um 15 Uhr nach dem Stundengebet zu sich. Sein Mahl war bescheiden: Salat mit Oliven und Kartoffelschalen. Er hob sie im Kloster auf, wusch sie, kochte und aß sie. Seine Lebensführung, die von Besinnung und Andacht bestimmt war, war gleichbleibend. Während des Essens war er nicht laut, wenn er um etwas bat, vielmehr begnügte er sich mit einem Blick aus den Augenwinkeln. Fleisch aß er nie, sein Essen war immer mit Öl zubereitet, bis auf die hohen Festtage wie Weihnachten, Ostern, das Antoniusfest, Sankt Peter und Paul als Patrone der Einsiedelei. Dann war das Essen mit Butter angerichtet. Im Übrigen kam er erst dann zum Essen, wenn ihn sein Gefährte in der Einsiedelei dazu rief, sonst wäre er den ganzen Tag über nüchtern geblieben. Er kümmerte sich nicht ums Essen und nahm auch seinen Platz nicht zur Kenntnis. Er aß bescheiden und enthaltsam, ohne im Übermaß zu essen. Wenn sein Gefährte ihn zufällig vergessen hatte, blieb er bis zum folgenden Tag ohne Essen. Dafür war er bekannt.

Wenn er ins Kloster kam, um Vorräte zu holen, griff er nach dem schimmeligen Brot, das man sonst den Hunden vorwarf und nach den Essensresten vom Vortag, um das gute Brot und die schmackhafte Nahrung seinem Gefährten zu überlassen. Darüber hinaus betrachtete er es als seine Aufgabe, für seine Gefährten den Wasserkrug an der Quelle von Annaya zu füllen, die eine halbe Stunde Fußweges entfernt lag. Er selbst schöpfte das Wasser aus dem Brunnen der Einsiedelei, um daraus zu trinken.

Die Einsiedelei war von Obstgärten, Weinbergen, Feigenbäumen und Birnbäumen umgeben, die er größtenteils selbst aberntete, um den Ertrag dem Kloster weiterzugeben, ohne etwas davon zu sich zu nehmen oder besonders viel davon zu essen. Er aß nur, was Père Makarios ihm vorsetzte. Er trank nur während seiner einzigen Mahlzeit und untersagte sich Erfrischungen irgendwelcher Art. Die Mönche wunderten sich über seine Lebensart, die von äußerster Askese gekennzeichnet war. Wenn er betete, arbeitete oder aß, stürzte er sich in diese Beschäftigungen wie in eine tiefe Ekstase, bis schließlich sein Gefährte kam, um ihn wieder daraus hervorzuholen.

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Das Brot liegt vor dem Fenster. (Joh 4,31-34)

„Als wir einmal spät am Abend von der Feldarbeit zurückkamen“, so Père Éphrem Nakad, „gab ihm Bruder Francis als Abendessen nur vier Schnitte Brot. Er steckte sie unter die Achselhöhle, betrat die Kirche und legte sie vor das Fenster. Dann kniete er sich nieder zum Beten. Er verweilte lange im Gebet, manches Mal sogar eineinhalb Stunden lang und schlief schließlich ein. Wenn dann Bruder Francis die Kirche betrat, um die Glocke für das Mitternachtsgebet zu läuten, fand er die Schnitten noch immer vor dem Fenster und nahm sie mit in die Küche: Der heilige Charbel hatte vor Gott seinen Hunger vergessen. Ich weiß jetzt nicht, ob ich behaupten kann, er habe sein Brot bewusst oder aus Vergesslichkeit nicht mitgenommen. Er aß ja oft trotz ermüdender Arbeit nur einmal am Tag. Man ließ ihn keine Minute ohne Arbeit, ja, man holte ihn für einen Dienst direkt von der Kirche weg, was seinem innersten Wunsch widersprach, nämlich dort zu bleiben und zu beten.“

 

2) Er aß keine Trauben.

     „Zur Zeit unseres Noviziates kamen wir zum Kloster, um bei der Ernte zu helfen“, erzählt Père Éphrem Nakad. „Durstig wie wir waren, machten wir uns über die Weintrauben her. Vergeblich riefen wir Père Charbel, er solle doch mit uns zusammen seinen Durst zu stillen. Er wandte uns den Rücken zu und aß nichts davon, obwohl er doch im Weinberg gearbeitet hatte.“

 

3) Spülwasser

     „Nachdem ich, Semaan Ghata, in der Küche beschäftigt war, war es mir vom Oberen nicht gestattet, im Refektorium mit den Mönchen zu essen. Père Charbel begab sich nur einmal am Tag dorthin, um drei dicke Scheiben Brot zu holen, sie in kleine Stücke zu schneiden und sie mit seiner Nahrung zu vermengen.“ „Er nahm einen Löffel, aß achtsam und maßvoll und verbot es sich, nach rechts oder links zu schauen. Nachdem dann sein Nachbar sein Mahl beendet hatte, nahm er seinen Teller, um ihn abzuwaschen, goss dann das Spülwasser in seinen Teller und trank es, um sich so zu kasteien und seine Eigenliebe zu überwinden. Während wir nach dem Mittagessen unsere Siesta machten, ging Père Charbel in die Kirche, um vor dem Allerheiligsten zu beten. Das Gleiche tat er während des Frühstücks, da er ja nur ein Mal am Tag Nahrung zu sich nahm“, so Chebli Chebli.

 

4) Mit Butter vermengter zerstoßener Weizen

     Vergeblich lud der Obere Père Charbel an seinen Tisch, wenn er an Regentagen im Refektorium mit den Mönchen zusammen aß. Er zog den letzten Platz vor. Daher bat der Obere Chebli Chebli, er solle doch Père Charbel einen Teller mit Weizen, der, mit Butter vermengt, speziell für ihn zubereitet war, anbieten. Aber Père Charbel rührte ihn nicht an.

 

5) Ohne Öl

     „Einmal habe ich, Gerges Sassine, „ihn nach der Arbeit ins Kloster zurückkehren sehen. Er trug essbare Pflanzen und Kräuter bei sich. Ich trat ihm entgegen und warnte ihn: „Magister, diese Kräuter sind nicht essbar, so etwas essen doch Tiere.“ Er gab mir zur Antwort: „Das macht nichts.“ Dann hackte er alles klein und streute etwas Salz darüber. Inzwischen kam Père Makarios und bereitete wie gewohnt das Essen zu. Als er Père Charbel so mit dem Gemüse beschäftigt sah, sprach er ihn an: „Hast du auch Öl darunter gemengt?“ Er entgegnete ihm: „Nein, das macht nichts, man kann es auch ohne Öl essen.“ Es war während der Fastenzeit. So aß er Kräuter, die Tiere zu sich nehmen.

 

6) Zwei Tage ohne zu essen (Lk 4,46; Mk 8,2)

     Er nahm nur Essen zu sich, wenn sein Vorgesetzter ihm dazu eigens die Erlaubnis gab. Ganz oft, wenn Père Makarios ins Kloster kam, um einige Arbeiten seines Gehorsamsgelübdes wegen zu erfüllen, bestanden wir darauf, dass er bei uns bleibe. Er aber entgegnete: „Ich möchte in die Einsiedelei zurückkehren, um Père Charbel zum Mittagessen zu rufen.“ Einmal habe ich, Francis Sibrini, darauf geantwortet: „Kann er nicht alleine essen, ohne dass du ihm das Essen immer bringen musst?“ Er entgegnete: „Er wird auf keinen Fall essen, wenn ich ihn nicht rufe und ihm das Essen eigenhändig bringe.“ Wenn man ihn zwei Tage lang so ließe, ohne ihn zum Essen zu rufen, würde er weder danach verlangen noch würde er es sich eigenmächtig holen.

 

7) Angekohltes Brot

     Père Makarios stieg zum Kloster hinab, um beim Brotbacken zu helfen und nutzte dabei die Gelegenheit, die angekohlten und schlecht gebackenen Brote zu sich zu nehmen. Den Blick auf Père Charbel gerichtet, sagte er dann: „Das ist für meinen Magister!“ Père Charbel tat dies immer wieder, jedes Mal wenn er zum Brotbacken ins Kloster kam. In der Wahl seiner Lebensmittel war er bedürfnislos. Für ihn hatten Essen und Trinken in der Zelle keinen Platz.

 

 

8) Wie aß er?

     „Ich, Frère Francis Qartaba, habe vier oder fünf Mal beobachten können, dass er nach der Mahnung seines Gefährten Père Makarios nur ein Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden aß. Wenn er aß, tat er es nur der Gehorsamspflicht wegen. Obwohl dieser Einsiedler eigentlich Père Charbel zu Diensten sein sollte, gehorchte ihm Charbel, als sei er sein Oberer. Ich sah ihn langsamen Schrittes zum Essen gehen, die Arme verschränkt, den Blick gesammelt und gesenkt: Er stellte sich dann etwas abseits, darauf wartend, bis ihm sein Gefährte die Weisung gab, er solle sich setzen. Dann betete er, setzte sich auf den Boden und kreuzte die Beine, wobei sein Habit die Beine bedeckte. Er aß erst dann, wenn ihn sein Gefährte darum bat, er solle jetzt essen. In seinem Teller habe ich verwelkte Portulakblätter gesehen, die voller Körner waren, aber fast ohne Blätter. Er begann erst dann ein neues Brot zu essen, wenn er aus seinem Teller alle verkohlten Stückchen herausgeholt und gegessen hatte. Ein anderes Mal habe ich ihn nur Salat essen sehen; ein drittes Mal gekochte zerstoßene Weizenkörner mit Tomaten. Wenn er im Sommer dann sein Essen beendet hatte, bot ihm sein Gefährte Trauben an. Davon aß er aber nur drei oder vier Beeren.“

 

9) Stengel der Portulakblätter und Petersilie

     „Ich, Père Antonios Alwan, erinnere mich, dass ich einmal mit meinen Mitbrüdern, den Novizen, in der Nähe der Einsiedelei arbeitete. Uns kam die Idee, ein Tabboulé zuzubereiten. So haben wir die Petersilie und den Portulak zerpflückt und haben die Stengel weggeworfen. Père Charbel beugte sich, hob sie auf, zerhackte sie und vermischte sie mit Öl, bestreute sie mit Salz und begann zu essen.“

 

10) Ganz gerne

Einmal sagte ihm Père Makarios: „Hier bleibt noch ein kleiner Essensrest, den ich für den Teller der Katze übrig gelassen habe, denn ich habe dich vergessen.“ Er antwortete ihm: „Mein Vater, mich stört das nicht. Ich könnte mich auch gerne mit der Portion zufrieden geben, die das geringste Tier essen würde.“

 

11) Eine oxydierte Metallbüchse

Père Boulos Sibrini berichtet: „Ich habe einmal die Einsiedelei aufgesucht und habe gesehen, wie Père Charbel ruhig, achtsam und friedlich aß. Sein Blick war zur Erde gesenkt, als ob er die Krumen und die kleinen gerösteten Brotstückchen suchte, um sie zu verspeisen. Nach dem Essen erhob er sich, nahm den Teller seines Gefährten und seinen hölzernen Speisenapf, wusch sie, goss das Spülwasser in eine kleine oxydierte Metallbüchse und trug sie in seine Zelle. Ich fragte Père Makarios, seinen Gefährten: „Was macht Père Charbel mit diesem Spülwasser, das er bei sich führt?“ Er erwiderte mir: „Er wird es trinken, so macht er es doch immer.“ Und ich fragte mich, wie er in diesem Zustand und von dieser Art Ernährung leben könne.“

 

 

12) Zu Tränen gerührt

„Ich, Père Semaan Bchara, setzte mich gegen Abend, als Père Charbel und sein Gefährte Père Makarios aßen, neben sie und schaute ihnen zu, wie sie eine Ratatouille mit Bratkartoffeln zu sich nahmen. Ich sah, wie Père Charbel das geröstete Brot und die kleinen Brotstückchen nahm und sie sorgsam in seinen Holznapf legte. Da erfasste mich ein solches Mitleid, dass mir die Tränen über die Wangen liefen und ich mir sagte: „Während dieser Eremit sich allen mühseligen Kasteiungen unterzieht, haben wir anderen Mönche nur die schmackhaften Gerichte und die bequemsten Betten im Sinn.“

 

13) Ohne eine einzige Traube zu verkosten

„Als der Obere des Klosters Saint-Maron, Père Ighnatios Al-Tannoury, nach mir, Boulos Sibrini, schickte, damit ich bei der Weinernte der Einsiedelei helfe, wies Père Makarios Père Charbel an, er solle mich beim Ernten begleiten. Er nahm keine einzige Traubenbeere zu sich. Als ich ihn dann in der Eremitage alleine antraf, bat ich ihn, er solle mir beim Weintraubenlesen helfen. Er gab mir keine Antwort und wartete die Weisung seines Gefährten ab.“

 

 

14) Niemand hat mich dazu aufgefordert!

Sie waren alle zum Essen in den Weinbergen versammelt, Mönche wie Arbeiter, aber sie hatten Père Charbel vergessen. Auch am Folgetag hat er nichts zu sich genommen. Der Obere bemerkte das Versäumnis, rief Père Charbel zu sich und sagte ihm: „Hast du heute schon gegessen?“ Er antwortete: „Nein“. Der Obere fuhr fort: „Hast du gestern gegessen?“ Er entgegnete: „Auch nicht.“. Der Obere dann: „Warum nicht?“ Charbel erwiderte: „Niemand hat mich dazu aufgefordert!“ Auf der Stelle befahl der Obere, ihm zu essen zu bringen.

 

15) Ich esse nicht freiwillig.

     „Ich, Père Boulos Sibrini, versichere, dass er, selbst wenn er zwei Tage lang nichts gegessen hatte, kein Essen für sich beanspruchte. Er setzte sich erst dann an den Tisch, wenn sein Gefährte ihm dazu Weisung gab. Ich war selbst Zeuge folgender Episode: Als die Mittagszeit vorbei war, lud ich ihn zum Essen ein. Er entgegnete mir: Ich esse nicht von mir aus, ich warte, bis mein Gefährte mir dazu die Weisung gibt.“

 

16) Geh und bete!

„Eines Tages war ich zur Essenszeit anwesend. Als Père Charbel zu Ende gegessen hatte, kreuzte er seine Arme vor der Brust, beugte sich vor seinem Gefährten und fragte ihn: „Père, was soll ich jetzt tun?“ Er antwortete ihm: „Geh und bete!“ So verhielt er sich in allem, was er tat.“

 

17) Überfluss an Vorräten (Mk 6,30-44)

      „Mein Großvater mütterlicherseits erzählte mir, Youssef Khalifé, dass eines Tages die Vorräte im Kloster fast zur Neige gegangen waren. Einer der Mönche unterrichtete den Oberen über diese Angelegenheit. So rief er Père Charbel zu sich und bat ihn, den Vorratsbehälter für Korn mit Weihwasser zu besprengen und zu beten. Er kam diesem Wunsch nach und der Behälter quoll vom Weizen über.“

Père Youssef Hasrouni bestätigt: „Unter den anderen Wundern sei jenes erzählt, das sich in einem Jahr ereignete, als die Vorräte des Klosters zur Neige gegangen waren. Der Obere rief den Einsiedler Père Charbel zu sich. Dieser betete und segnete, und die Vorräte vermehrten sich. Dieses Phänomen trat nach Aussage mehrerer Zeugen vermehrt auf. Unter ihnen seien die folgenden heute noch Lebenden genannt: Père Ighnatios aus Mechmech, Père Nehemtallah aus Mechmech, Frère Elias Al-Mahrini, Frère Boulos Nassif aus Maïfouq und andere. Gleiches geschah, als der Obere erfuhr, dass die Ölkrüge leer geworden waren. Dank der Gebete Père Charbels füllten sie sich von neuem.

 

 

H: Charbels Nüchternheit

 

I: Darstellung

     Er lebte auch im Sommer nüchtern und war bestrebt, um Gott zu gefallen, nie von der Nüchternheit zu lassen. Wohin seine Vorgesetzten ihn auch schickten, an allem fand er Freude und blieb gelassen – sei es beim Fegen, beim Kochen oder Hacken, in all diesen Diensten sah er ein liebenswürdiges Zeichen Gottes. Sein Gefährte kümmerte sich von sich aus um ihn und versorgte ihn beim Oberen mit allem Notwendigen. Charbel verzichtete sogar auf alltäglich notwendige Dinge und zog die bescheidensten und schwierigsten vor. Er war ruhig und sanft, von faszinierender Liebenswürdigkeit und Herr seiner Neigungen und Stimmungen.

Unschuldig wie ein Kind wich er allem aus, was mit Überheblichkeit, Missachtung und Schmeichelei zu tun hatte. Zu seinen Mitbrüdern war er nachsichtig, sich selbst gegenüber aber war er streng. Aufrichtigkeit bestimmte sein Verhalten. Er war nie ungerecht gegenüber seinen Mitmenschen, aber zunehmend anspruchsloser gegenüber sich selbst. Er rühmte sich nie einer Sache und tat nichts auf eigene Initiative hin – weder bei der Arbeit noch beim gemeinschaftlichen Beten oder bei den Gottesdiensten. Er begründete dies mit seinem Gehorsamsgelübde. Der einmal gegebenen Unterweisung folgte er freudig. In seinem Verhalten war er beständig und eifrig in den Kasteiungen. So hielt er es bis zu seinem letzten Atemzug. Während seines ganzen Lebens kam keine einzige Klage über seine Lippen. Er war von äußerster Bescheidenheit beim Essen, Trinken und in der Kleidung. Er mischte sich bei niemandem ein und ergriff auch keine Initiative in den zwischenmenschlichen Beziehungen, es sei denn, dass das Gehorsamsgelübde ihn dazu anhielt.

                                                                                                                        

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Oh! Pater Generaloberer!

Während seiner Zeit als Generaloberer stattete Moubarak Al-Matni dem Konvent einen Besuch ab. Er nutzte die Gelegenheit, mit seinen studierenden Novizen zu Mittag zu essen. Der Einsiedler Père Charbel kam, um ihn zu begrüßen und wurde von ihm dazu eingeladen: „Père Charbel“, sagte der Obere, „du wirst heute mit uns zu Mittag speisen. Wir werden dir ein schmackhaftes Gericht auftischen.“ Père Charbel antwortete: „Wir, wir haben das Gelübde des Gehorsams abgelegt für schwierige Dinge. Daher fällt es mir recht leicht, Ihre Bitte anzunehmen! Gehorsam zu sein ist etwas sehr Gutes.“ Der Generalobere glaubte, Père Charbel werde jetzt essen, was man ihm bei Tische vorsetzte, alleine schon deshalb, um dem Generaloberen einen Gefallen zu tun. Zur Essenszeit rief dieser Père Charbel zu sich. Mit verschränkten Armen stand Père Charbel vor ihm, als er ihn mit den Worten einlud: „Willst du mit uns essen?“ Verlegen rieb sich der Einsiedler die Hände und antwortete ganz leise und ehrfurchtsvoll: „Mein Vater Generaloberer!“Mein Vater Generaloberer!“ Einerseits wollte er sich seiner Anweisung nicht widersetzen, eher schon seinem Wunsch, andererseits wollte er das für ihn und seine Mitbrüder zubereitete Essen nicht annehmen. Der Generalobere merkte sein Zögern und entließ ihn. So kehrte der Einsiedler in seine Einsiedelei zurück.

 

2) Schauen Sie, was Ihr Diener mir geben hat!

„Da kommt mir, Chebli Chebli, die Episode in den Sinn, als man in der Einsiedelei Taschentücher mit einem Ex-voto anbot. Er trug sie aufeinander gestapelt zum Oberen, der ihm sagte: „Geben Sie diese dem Diener!“ Er gab sie ihm, schaute dabei den Oberen an und sagte ihm: „Meister, können Sie mir bitte ein Taschentuch geben, damit ich mir die Hände abtrocknen kann?“ Er entgegnete: „Du hast sie doch alle gehabt, warum hast du keines für Dich genommen?“ Er erwiderte ihm: „Ich nehme nichts ohne Ihre Erlaubnis.“ Der Obere sagte meinem Vater: „Gib ihm eines!“ Mein Vater wählte für ihn ein frisches rotes aus. Lächelnd sagte Père Charbel dem Oberen: „Sehen Sie, was Euer Diener mir gibt.“ Er entgegnete: „Such dir das aus, das dir gefällt.“ Er nahm ein blaues, gerade jenes, das am schlichtesten war.

 

 

I: Charbels Intelligenz

 

I: Darstellung

 Oberflächlich betrachtet erschien er einfältig und naiv zu sein. In Wirklichkeit aber war er scharfsinnig und intelligent. Wenn man ihn fragte, antwortete er in knappen klaren Worten, etwas eigenbrötlerisch und ohne große innere Leidenschaft. Wenn er sich ausdrücken musste, sagte er gerade das Nötigste, das den Nächsten stärkte und seiner Seele von Nutzen war. Die Gespräche mit ihm bewegten sich immer um theologische Fragen, weil all sein Wirken auf das ewige Heil und auf das Wohl des Nächsten hin ausgerichtet war. Seine Ansicht in theologischen Fragen änderte sich nicht. Trotz seines absoluten Schweigens war er immer geistig wach. Scharfsinn zeigte er vor allem im genauen Ausführen seiner Arbeiten, insofern er allem seinen rechten Platz zuwies. Und trotz seines hervorragenden Verstandes und seines Erfahrungswissens machte er sich zum Diener aller. In seiner Kasteiung und im Beherrschen seiner Instinkte erreichte er eine geistliche Stufe, die an das Psalmenwort des Propheten David erinnert: „Ich bin wie ein scheues wildes Tier vor euch geworden, obwohl ich doch jeden Tag mit euch lebe.“ Er war einfältig in seinem Herzen und in seinen Absichten, die nur ein Ziel kannten: Gott. „Trotz allem lege ich“, so Père Roukoz Mechmech, „Wert auf eine Feststellung: Glauben Sie nur nicht, er sei dumm und leidenschaftslos gewesen, vielmehr war er mit der Klugheit der Heiligen begabt.“

Er beging keinen einzigen Fehler, der ihm irgendwelche Vorwürfe seiner Oberen und Mitbrüder zugezogen hätte. Auch gab er seinen Vorgesetzten und anderen nie Anlass, ihn auf einen Fehler in seinem Verhalten aufmerksam machen zu müssen, wie Père Roukoz Mechmech bemerkt: „Ich habe nie vernommen, dass der Obere ihn einmal für eine noch so kleine Verfehlung hätte maßregeln müssen.“ Sein peinliches Beachten aller Vorschriften zeigt, dass er ihren tieferen Sinn vollkommen verstanden hatte. Seine Worte waren geistvoll und feinsinnig; denn seine Schritte zur Vollkommenheit folgten einem idealen Weg, von dem er nicht abwich. In seiner Lebensweise wies er allem seinen rechten Platz zu. Dabei kam ihm kein unpassendes Wort über die Lippen. Seine Klugheit schützte ihn vor verabscheuungswürdigem Aberglauben und Übertreibungen. So zeigte er seinem Oberen und den Mönchen, wie sie ihm nachfolgen könnten.

Sein Rückzug von den Menschen und den Dingen dieser Welt entstand gewiss nicht aus Leidenschaftslosigkeit oder Eigenbrötelei. Er war vielmehr ein Mann voller Intelligenz und Scharfsinn. Seine Schlichtheit hatte ihre tiefen Wurzeln im gelebten Christentum, sein Mitleid beruhte auf seiner Weisheit, die weder Skrupel noch Irritationen zuließ und die nichts Außergewöhnliches in seiner Arbeit und in seinem Verhalten sah. Andererseits muss ein Mensch, der die volle Zufriedenheit seiner Oberen, seiner Gefährten, der Diener, seiner Mitmenschen und Besucher gefunden hatte, zumal er ihnen niemals Anlass zur Klage gab, von einer besonderen Weisheit erfüllt sein.

Père Roukoz Mechmech bemerkt: „Ich empfand ihm gegenüber Ehrfurcht und Verehrung zugleich, die alle Übertreibungen und leichtfertiges Verhalten in seiner Nähe verboten.“ In seiner Gottesfurcht war er vorbildhaft, so dass er weder nach rechts noch nach links geschaut hätte, selbst wenn man ihm damit gedroht hätte, ihn in der Kirche zu enthaupten. Was seine Achtung gegenüber seinen Vorgesetzten angeht, so stellte er sie über alles. Er war korrekt in seinem Reden über Liturgie und heilige Riten. Mit seinem Gefährten befolgte er in der Einsiedelei täglich zum festgesetzten Zeitpunkt die vorgeschriebenen Riten. Er war ein kenntnisreicher Mensch, der seine Studien in Kfifane abgelegt hatte, obwohl man ihn vom äußeren Erscheinungsbild her als einen naiven schrulligen Menschen hätte ansehen können. Seine Kasteiungen und die häufige und gesteigerte Zucht seines Körpers ließen ihn nicht krank werden, was beweist, dass sie zu ihm passten. Dabei war er kein Mensch, der seine Tugenden spektakulär gelebt hätte. Vielmehr war er in ihrem Vollzug schlicht, aufrecht und treu.

Er war ein ernsthafter und diskreter Mensch, ausgeglichen in seinem Verhalten, wodurch er sich den Respekt und die Hochschätzung aller, die ihn gekannt haben, zuzog. Er war für niemanden ein Stein des Anstoßes noch eine Scherzfigur. Jeder hielt ihn für einen Heiligen und bat um seinen Segen. Er war weise, aber nicht von der Weisheit dieser Welt, sondern von jener der anderen, der jenseitigen Welt.

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Bittet und ihr werdet empfangen! (Mt 7,7)

Père Charbel besaß einen bis zum Äußersten gehenden eisernen Willen, der ihn zum Herrn seiner Neigungen und Gefühle machte. „Er sagte zu mir, Père Youssef Ehmej: „Mein Bruder, das Leben ist trügerisch. Gott kennt unser ganzes Innere. Wer mit Vertrauen um seine Gnade bittet, wird nicht enttäuscht werden. Bitte ihn, dass er dir all das geben möge, was du zum Leben brauchst.“ Während der ganzen Zeit, die ich in Saint-Maron verbracht habe, sahen weder ich noch die vorgesetzten Mönche und Diener irgendeinen Fehler in seinem Verhalten. Er bat Vorgesetzte wie Mitbrüder und Arbeiter des Klosters um Arbeiten, denen er nachgehen könne. So bat ihn ein Diener, er solle Werkzeuge an einen anderen Ort tragen. Er kam diesem Wunsch auf der Stelle nach. Ich selbst war Zeuge vieler Anweisungen, die man ihm gegeben hat. Ich habe nie eine Klage oder einen Vorwurf von einem seiner Vorgesetzten und Mitbrüder gehört. Sie achteten und schätzten ihn und baten ihn um sein Gebet in Krankheit und Trauer. Sein Mitleiden übte einen großen Einfluss auf seine Mitmenschen aus.“

 

2) Bei uns gibt es keine Diebe!

Einmal, es war an einem Sonntag, kam ein Mann ins Kloster, um an der heiligen Messe teilzunehmen, zu der sich auch die dem Kloster verpflichteten Bauern an allen Sonn- und Feiertagen versammelten. Er ließ seinen Stock an der Türe stehen und betrat die Kirche. Zu dieser Zeit war Père Charbel noch nicht in der Einsiedelei. Nach der Messe fand der Mann seinen Stock nicht mehr. Er schrie laut und fluchte. Père Charbel ging aus der Kirche und sagte ihm in sanftem und höflichem Ton: „Mein Bruder, niemand schreit hier laut im Kloster herum.“ Der Mann war außer sich vor Wut und schrie weiter: „Man hat mir meinen Stock gestohlen. Gibt es im Kloster etwa Diebe?“ Lächelnd und heiter antwortete Père Charbel:„Nein, mein Bruder, wir haben hier keine Diebe. Schau dir dieses Becken aus Stein am Eingang des Klosters an. Seitdem das Kloster steht, hat es niemand gestohlen.“ Voller Scham verstummte der Mann. Alle Anwesenden aber lachten, denn das Becken war ein großer Stein von mehr als zehn Doppelzentnern Gewicht, den keine zwanzig Personen hätten wegbewegen können.“

 

3) Ein Magister voller Einfälle

Seine Intelligenz war bemerkenswert wie auch die Gründlichkeit, mit der er seinen Arbeiten nachkam: „Ich, Père Nehemtallah Mechmech, erinnere mich nicht, dass sich ein Gefährte und ein Mitarbeiter über Inkompetenz in seinem Arbeiten beklagt hätten oder dass sie selbst oder ein Dritter irgendwelche kritische Bemerkungen gemacht hätten. In der Tat war es unter den Mönchen und Arbeitern üblich, dass man zum Oberen ging und ihm den ungeschickten oder unverständigen Bruder meldete. Dies geschah mit Worten wie: „Bitte, Pater Superior, geben Sie uns nicht diesen oder jenen Bruder, weil er in seiner Arbeit eher hinderlich als nützlich ist.“ Seine Klugheit zeigte sich in ihrer ganzen Schönheit, weil er anderen keinen Anlass für irgendwelche Skrupel oder Vorspiegelungen falscher Tatsachen bot. Auch in der Transparenz und Klarheit seines Gewissens, das den höchsten und feinsten Gipfel der Tugenden erreicht hat, gab er keinen Anlass zu Bedenken oder Missverstehen. Sein ganzes Verhalten war Ausdruck von tiefen Grundsätzen aus dem Mund der Weisheit. Welche Klugheit von Menschen aber käme der Klugheit jenes Menschen gleich, der die Welt verlassen hat! Zwar hat er kein eigenes Studium dafür absolviert, aber er war in spirituellen Dingen ein Meister voller Einfälle, gerade in jenen, in denen sich die für ihr Wissen und ihre Erfahrung bekannten Mönche des Ordens als schwach und kraftlos erwiesen.

 

 

J: Charbels Bücher und seine Bildung

 

I: Darstellung

 

1) Seine Bücher

Seine Betrachtungen schöpfte er aus folgenden Büchern: Vorbereitung auf den Tod des heiligen Alfons von Liguori, die Bekenntnisse des heiligen Augustinus, die christliche Vollkommenheit, Werke der Moraltheologie, die Nachfolge Christi, ein Buch auf syrisch—ein Buch, das ihn besonders begeisterte. Folgende Bücher las er häufig: Theologische Bücher, der Garten der Mönche, die Biographie des heiligen Antonius des Großen, die Lampe der Mönche, geistliche Interpretationen, die Heilige Schrift, die Tugendleiter des heiligen Johannes Klimakos, Bücher der Anachoreten, den heiligen Basilius, Dichtungen des heiligen Ephräm, Auszüge aus Texten des Syrers Isaak von Ninive, Dichtungen geistlicher Weisheit, das monastische Leben von Johannes Dalyatha, das buch der Vergänglichkeiten des Lebens des Franziskaners Didacus von Estella, Père Jean, die Schriften des Jesuiten Eusebius Nir Moubarak, die Waage der Zeit und die Himmelsleiter, die Herrlichkeiten Mariä von Alfons von Liguori, das Martyrologium, die Novizenregeln, die Regeln und Konstitutionen von 1732.

 

2) Seine Bildung

Père Charbel war ein Mensch mit einer transparenten Heiligkeit. Man hielt ihn für naiv, in spirituellen Dingen aber war er sehr gebildet. „Ich Père Youssef Hasroune, konnte mich persönlich davon überzeugen, dass er klug und intelligent war“, zudem ein Kenner der syrischen spirituellen Literatur, die er ins Arabische übersetzte. Über seine Kenntnisse des Arabischen hinaus war er klug und überzeugend auch in seinen Antworten. Denn in moraltheologischen und spirituellen Fragen gehörte er zur Schule des berühmten Père Al-Kafri. In den theologischen Gesprächen mit den Priestern sprach er gerne über spirituelle Themen, vor allem bezüglich der Seele und über das Geheimnis der Wiederversöhnung. Dabei schöpfte er aus der Erfülltheit seines Herzens für spirituelle und göttliche Dinge.

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Fromme Gespräche

„Als ich, Père Antonios Alwan, im Kloster arbeitete, besuchte ich auch die Einsiedelei, um Père Charbel zu helfen. Wenn er sich im Kloster aufhielt, beispielsweise um Brot zu backen, sprach er über theologische Fragen, die nützlich für die Seele waren. Er war unnachgiebiger in seinen Antworten als die anderen. Denn über genaue Kenntnisse hinaus waren sie von Sanftmut, die von der Tugend der Demut erfüllt war, durchdrungen. Höflich wie er war, antwortete er erst dann, wenn man ihn um eine Antwort gebeten hatte.“ Es waren fromme Gespräche, die miteinander geführt wurden. Sie zeugten von Tiefe im Glauben, bei denen er Verse aus der Heiligen Schrift zitierte und Zitate aus spirituellen Büchern anführte und in denen er uns darum bat, einen anderen Vers zu finden, der mit dem Schlussbuchstaben seines Zitates beginnen solle. Dann erklärte er dessen Sinn.“

 

2) Lesen Sie dieses Kapitel!

„Ich, Abbé Jean Andari, habe Père Charbel persönlich im September 1898 in der Einsiedelei der Heiligen Petrus und Paulus kennengelernt, als ich dem Kloster Saint-Maron in Annaya einige Monate nach meinen feierlichen Gelübden einen Besuch abstattete. Ich war damals in Begleitung von Père Ibrahim Al-Haqlani, meinem Schulkameraden, der später im Ruf der Heiligkeit verstorben ist. Bei unserer Ankunft, zur Zeit der Abenddämmerung, betraten wir die Kapelle der Einsiedelei, in der Père Charbel gesammelt, ohne sich zu bewegen, auf den Knien betete. Wir verweilten vor dem Allerheiligsten, beteten dort für einen Augenblick, ohne aus den Augen zu verlieren, wie er in dieser gesammelten Haltung in seinem Gebet verharrte. Dann gingen wir in einen schmalen Gang, wo ein aus schlichten Steinen gebauter Ofen stand und wir sahen den anderen Einsiedler Père Makarios Sawma aus Mechmech, wie er gerade in einem Kochtopf aus Ton das Essen zubereitete. Im Übrigen aßen die Eremiten nur einmal am Tag und zwar gegen Abend. Ihr Gericht bestand aus Linsen, Kichererbsen, grünen Bohnen und zerstoßenem Weizen, was sie „Suppe“ nannten. Er empfing uns mit strahlendem Gesicht und mit einem so reinen Lächeln, das von einem keuschen Herzen zeugte, ähnlich dem Herzen eines Kindes. Wir setzten uns auf zwei behauene Steine, die unten zu einem Bogen geformt waren. Nachdem die Zwiebeln zerkleinert waren, rief er Père Charbel. Wir begrüßten ihn. Er antwortete mit leiser kaum hörbarer Stimme, schaute dabei auf den Boden und sprach nur ein einziges Wort „Friede!“ Dann hielt Père Makarios ihm eine metallene Grillpfanne hin, die er mit etwas Öl und gehackten Zwiebeln gefüllt hatte und sagte zu ihm: „Nimm und brate diese Zwiebeln an!“ Er nahm sie, ohne uns anzuschauen. Père Makarios kehrte mit einem aus Weide geflochtenen Tablett zurück, auf das er zwei Teller, ein bisschen Brot und Portulak gelegt hatte, zudem Petersilie, einige Brote, die man volkstümlich „Mönchslaibchen“ nannte, von denen einige in Stücke geschnitten, andere gegrillt waren. Er sagte „Père Charbel! Zupfe die Blätter des Portulak ab!“ Er nahm seine Grillpfanne wieder, goss deren Inhalt in den Tontopf und füllte dann die beiden irdenen Teller. Währenddessen entblätterte Père Charbel die Portulakstengel, legte die Blätter in einen Teller und die Stengel an den Rand des Tabletts.

Père Makarios lud uns dann zum Essen ein, wir lehnten dankend ab und nahmen am Essen nicht teil. Er wandte sich an Père Charbel und sagte: „Iss!“ Er betete, dann begann er zu essen, schweigend auf dem Boden sitzend und die Beine überkreuzend blickte er vor sich hin. Er aß die Portulakstengel, die andere nicht aßen. Die mit Salz und Öl gewürzten Blätter aß er nicht. Père Makarios ging dann in den Weinberg und brachte uns Trauben von guter Qualität mit. Inzwischen hatte Père Charbel sein Essen beendet und wartete in gleicher Position – gekreuzte Beine, gesenktes Haupt, schweigend – auf eine Anweisung. Sein Gefährte sagte ihm: „Geh jetzt und bete vor dem Allerheiligsten und dann komm und spüle das Geschirr ab!“. Als die Sonne unterging, verabschiedeten wir uns zutiefst bewegt und voller Ehrfurcht. Wir kehrten voller Staunen über dieses Erlebnis ins Kloster zurück.

Im Sommer 1898 verbrachte ich dann zusammen mit Brüdern, die noch Scholastiker waren, die Ferien im Kloster von Annaya. Eines Tages – es war gegen sechs Uhr – besuchten wir die Einsiedler. Wir fanden Père Charbel in der Kirche aufrecht auf demselben Weidengeflecht und an demselben Platz knien, wie wir ihn schon beim letzten Mal im vergangenen Jahr gesehen hatten. Vor dem Allerheiligsten betend blickte ich zu ihm hinüber und sah ihn bewegungslos wie eine Statue knien, den Rosenkranz an der Hand und den Blick auf den Altar gerichtet. Ich hatte den Eindruck, er sei in Ekstase. Er hat uns nicht einmal angeschaut. Während wir beteten, schauten wir ihn an und hofften, er würde zurückblicken. Er aber blieb regungslos und schaute nicht zu uns hin. Wir gingen dann in den Hof der Kirche auf der Westseite. Während wir diskutierten und lärmten, öffnete Père Charbel die Türe und betrachtete uns schweigend. Seine Arme hielt er verschränkt und schaute uns mit gelöstem Lächeln an, als ob er uns sagen wollte: Macht keinen Lärm, der mein Gebet in der Einsamkeit stören könnte. Ehrfurcht erfasste uns. Wir traten zu ihm hin, um von ihm den Segen zu erhalten und seine Hände zu küssen. Jedes Mal wenn sich einer von uns ihm näherte, um ihn zu grüßen, beugte er sein rechtes Knie und neigte leicht seinen Körper nach vorne, wobei er mit seinen Fingerspitzen jeden von uns berührte und so verhinderte, daß wir ihm die Hand küssten. Er grüßte uns mit einem Lächeln und wiederholte mit leiser Stimme, fast stammelnd: „Friede!“ So gesammelt standen wir etwa eine Minute lang vor ihm, sahen, wie er die Türe schloss, um weiter zu beten, während wir uns in den Wald im Westen der Einsiedelei zurückzogen. Innerlich zutiefst berührt und voller Freude, ihn gesehen zu haben, tauschten wir uns leise, auf Zehenspitzen gehend und nur flüsternd aus, um sein Gebet in der Einsamkeit nicht zu stören. Dann aber verließ ich meine Brüder und kehrte alleine zur Kirche der Einsiedelei zurück, um ihn wieder zu sehen und mit ihm zu sprechen. Ich öffnete die Türe zur Kapelle, aber er war nicht dort. Auf dem Flur war er auch nicht zu finden. So nahm ich wieder den Rückweg zur Einsiedelei, wo ich ihn auch nicht fand. Dann stieg ich auf das Dach und sah ihn auf einem Steinzylinder an der Mauer der Kirche sitzen, als ob er vor uns auf der Flucht sei. In der Hand hielt er die Lebensbeschreibung des Heiligen Antonius des Großen. Sobald ich nahe bei ihm war, streckte er mir das Buch entgegen und sagte: „Lies dieses Kapitel!“ Ich las es, aufrecht vor ihm stehend, während er zuhörte. Kaum hatte ich die Lektüre beendet, nahm er das Buch, ohne etwas zu sagen und verschwand in die Kirche. Mir kam der Gedanke, dass er mir gerade diese Textstelle gegeben habe, um mich zur inneren Umkehr zu bewegen. So war seine Art, Mönchen zu begegnen.“

 

 

K: Charbel und die Beichte

 

I: Darstellung

 

1) Enthüllte Gedanken

In den Novizenregeln steht: „Nach der Beichte muss der Novize seine Gedanken dem Oberen oder seinem Novizenmeister offen legen, so in jeder Nacht, wenn es möglich ist. Er kniee sich dann vor seinem geistlichen Vater in Demut und Ehrerbietung nieder, das Haupt sei ohne Kapuze, er küsse die Erde und sage respektvoll: „Mein Vater, mein Herz ist fern von Gott ... Ich bin ein nichtswürdiger Knecht und in Schuld und Irrtum vor Gott.“ Dann lege er seine Gedanken dar, die guten wie die schlechten und bitte seinen geistlichen Begleiter um Ratschläge, die er befolgen solle.“

 

2) Seine wöchentlichen Beichten

Er hasste die Sünde und floh die Ursachen, die sie hervorrufen. Er scheute sogar davor zurück, sich ihrer zu erinnern. Alle, die ihn kannten, bezeugen, dass er mit Absicht nicht einmal eine lässliche Sünde begangen hat. Alle stimmten darin überein, dass er während seines ganzen Lebens nie gegen die zehn Gebote und gegen die Gebote der Kirche verstoßen hat. Vielmehr litt er darunter, wenn es ein anderer tat. So hielt er es jeden Abend, dass er vor seinem Gewissen über alle Taten des vergangenen Tages Rechenschaft ablegte wie es ein kluger Kaufmann tut, der wissen möchte, ob er mit Gewinn oder mit Verlust gearbeitet hat. Traf Ersteres zu, so dankte er Gott und bat ihn um noch mehr Gnade, seine anstrengende Arbeit steigern und so seinen Verdienst und seine Belohnung mehren zu können. Wenn nicht, traf er, so gering die Sünde auch gewesen sein mochte, Entscheidungen, die von ihm erkannte Schwäche überwinde zu können. In seinen Beichtbekenntnissen ließ er nicht nach, sowohl in seinem weltlichen, wie auch in seinem monastischen und priesterlichen Leben. Er beichtete ein Mal in der Woche: „Er möge einmal in der Woche beichten“, so steht es auch in den Konstitutionen. Die Mönche sollen an allen Sonn- und Feiertagen beichten. Er war von einer Scharfsinnigkeit und Klugheit, ohne skrupulant zu sein und lebte aus einem echten vertieften Wissen um Gottes Geist und war trotzdem sein ganzes Leben lang offen für einen guten Rat.

Während seines Aufenthaltes im Kloster von Kfifane hatte er zwei geistliche Begleiter: Père Nehemtallah Al-Kafri, der später zum Generaloberen gewählt wurde und den heiligen Nehemtallah Al-Hardini. Zu Beginn seines Einsiedlerlebens war Père Alichaa sein geistlicher Begleiter. Nach dessen Tod folgte Père Libaos Al-Ramati, der später in der Eremitage des Klosters von Qattara lebte. Schließlich war es bis zu seinem Tod auch Père Makarios, der zudem sein geistlicher Berater war.

 

3) Im Dienst an den Gläubigen

Die Erlaubnis, Beichte zu hören, erhielt er am 20. Februar 1863 vom Patriarchen Boulos Massaad. Aber er hörte nur dann die Beichte, wenn sein Oberer es ihm auftrug; denn er war nicht für den pastoralen Dienst an den Gläubigen bestimmt, die allerdings nach ihrer Beichte bei ihm und den Ratschlägen, die er gegeben hat, voller Lobes waren und bezeugt haben, wie eifrig er um ihr Seelenheil besorgt gewesen sei und welch großen Einfluss er auf ihre Seelen gehabt habe. So haben alle seinen Scharfsinn und seine gerechten Ratschläge gerühmt, die immer zum Ziel hatten, Menschen aufzubauen und Fortschritte auf dem geistlichen Weg erfahren zu lassen. Und wenn es nötig war, hielt er mit seinen Ratschlägen an seine Besucher nicht zurück. „Ich habe an mir selbst die Kraft seiner weisen Ratschläge erfahren, als ich zum ersten Mal bei ihm gebeichtet habe“, so Père Moubarak Tabet. Mehrere Male habe ich ihn auch als geistlichen Berater aufgesucht.

Er betete für die Sünder, gab ihnen bei der Beichte heilsame Ratschläge, ermahnte sie eindringlich, wenn sie gesündigt hatten und legte ihnen eine strenge Buße auf. Ein Mann, der bei Père Charbel gebeichtet hatte, erzählte, dass seine Ratschläge tiefer in die Seele eindrangen als bei anderen Beichtvätern, bei denen er gebeichtet habe. Er war hellsichtiger im Geiste als alle gelehrten Doktoren. Allerdings vermied er es, Frauen die Beichte abzunehmen, um die Tugend der Keuschheit besser wahren zu können, aber er beugte sich auch ohne Widerrede, wenn der Obere es ihm befahl.

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Die Herzen mit Hoffnung erfüllen

Sein Beispiel übte einen großen Einfluss auf die anderen aus, auf Mönche wie Laien, weil er eifrig darum besorgt war, Hoffnung in ihre Herzen zu säen. Wenn ein Mönch schwer krank wurde, bat man den Oberen darum, Père Charbel zu schicken, damit er den Kranken mit den Sterbesakramenten versehe, mit Beichte und Kommunion, um die Sterbenden zu stärken und ihren Herzen Hoffnung und Zuversicht einzuflößen, damit sie ihren Weggang von dieser Welt in der Hoffnung auf die Auferweckung annehmen könnten. Er verbrachte die ganze Nacht am Kopfkissen des Kranken, saß auf einem Stuhl und ging erst dann von ihm, wenn er sein Stundengebet verrichten wollte, falls die Situation es erlaubte. Grundsätzlich erfüllte er in jeder Situation den Auftrag des Oberen.

 

2) Als einziger unter den Mönchen

Bruder Sarkis aus Ehmej starb eines natürlichen Todes und wurde in Anwesenheit von Pfarrer Youssef Issa und von Père Charbel aus Bqaakafra am 14.März 1874 mit den heiligen Sterbesakramenten versehen.

 

3) Ein kluger Ratgeber

Während seines ganzen Lebens war er in seinem Reden und in seinem Tun ein Vorbild an Einfachheit. In seinen geistlichen Reden unterschied er sich von den anderen an Klarsicht und Klugheit. Ich erinnere mich, dass er einmal sagte: „Sprich nie ein Wort aus, das zur Sünde verleiten könnte. Wenn es heilsam ist, dann sage es, wenn nicht, dann schweige.“

 

4) Nach seinen Ratschlägen zur Besinnung gekommen

Père Moubarak Tabet erzählt: „Als Père Charbel aus der Kirche ging und sich auf seine Zelle zu bewegte, hielt ich ihn an und bat ihn um die Beichte. Er kam zurück und sagte mir: „Folge mir!“ Nach der Beichte ging mein Blick ins Innere der Kirche, wo mir auffiel, dass die Dachfenster und die Mauern der Kirche einsturzgefährdet waren. Ich sagte ihm: „Vater, Sie verbringen die ganze Nacht in dieser Kapelle. Die Eremitage ist Blitzen ausgesetzt. Ein heftiger Donnerschlag genügt, und die Kapelle stürzt über ihnen zusammen. Warum restaurieren Sie diese nicht?“ Er gab zur Antwort: „Das ist nicht meine Sorge.“ Ich entgegnete: „Dann gehe ich selbst zum Oberen und bitte ihn um deren Restaurierung.“ Er gab mir zur Antwort: „Wir sagen es ihm nicht, mein Sohn, wo könnte ich einen heiligeren Ort finden als diesen Altar, vor dem ich sogar sterben könnte?“ Diese Antwort ergriff mich zutiefst. Ich verglich sie mit dem Gefühl, das einen beim Anhören der Ratschläge bei der Beichte überkommt. Dann ging er weg in seine Zelle zurück. Und auch wir gingen weiter.“

 

5) Seine Person vereinigte alle Qualitäten eines guten Beichtvaters in sich.

„Er war berühmt für seine Heiligkeit gegenüber allen Menschen. Intelligent und hochkompetent wie er in seinen Ratschlägen und Anweisungen war, erfüllte er die Herzen derer, die bei ihm beichteten mit Freude. Ich, Pfarrer Michel Ramia, war selbst mehrere Male in seinem Beichtstuhl und ich wünschte mir im Augenblick aus ganzem Herzen, täglich einen Beichtvater wie ihn mein ganzes Leben lang aufsuchen zu können. Denn Père Charbel besaß ein einzigartiges scharfsinniges Gedächtnis, bei dem man meinen könnte, es habe Zugang sogar zur unsichtbaren Welt, so sehr erinnerte er sich auch nach langer Zeit an Situationen, die ihm seine Beichtkinder vorgetragen hatten. Über seine Kenntnis und Kompetenz in der Seelenführung hinaus, verstand er es, die Seele zu heilen. Er verstand es zudem, das Herz des Beichtenden zu gewinnen, trotz offenkundiger Strenge seiner Ermahnungen in einer begangenen Sünde und der Schwere der Buße, die er auferlegte. Seine Person vereinigte alle guten Eigenschaften eines Beichtvaters in sich: In seinen Ratschlägen, Fragen und Ermahnungen traf er die Menschen ins Herz. Er urteilte als ausgezeichneter Kenner spiritueller Literatur, war ein geschickter Arzt, der das passende Medikament zu verabreichen wusste und war schließlich ein zärtlicher Vater, der seine Arme dem Sünder weit öffnete und ihm die Leidenschaft zu Umkehr und Bekenntnis vermittelte.

 

6) Tief beeindruckend

Er hörte immer nur die Beichtbekenntnisse derer an, die ihn darum baten. Gewöhnlich schickte er sie zu seinem Gefährten in der Einsiedelei. Seine Weisungen waren für alle, die ihn im Beichtstuhl hörten, tief beeindruckend. „Das hat mir, Fouad Khoury, mein Vater erzählt, der im Alter von 25 Jahren ungefähr sieben oder acht Mal bei ihm gebeichtet hat.“ Er fand seine Ratschläge sehr hilfreich für sein Seelenheil.

 

 

L: Diener aller Menschen

 

I: Darstellung

In den Konstitutionen ist zu lesen: „Zeichen und Werke der Mönche seien von den Mitbrüdern als gering und mit Demut zu betrachten.“ Deshalb machten sich einige seiner Mitbrüder über seine Naivität lustig, obwohl er doch gerade in seiner Demut vorbildhaft für jeden Christen war, seine Tugend verbarg und seine guten Werke verheimlichte. Er wurde traurig und begann zu zittern, wenn andere ihn lobten. Er war die Bescheidenheit in Person, hielt sich von Menschen und Mitbrüdern fern, zog den abgelegenen Ort vor, die Isolation und das Schweigen. Nach außen hin war es das Schweigen eines Menschen dieser Welt, der aber in Wirklichkeit im Himmel schon sein zu Hause gefunden hatte. Wenn die Leute um seine Fürbitte ersuchten, sagte er ihnen im Weitergehen: „Haben Sie doch Vertrauen in Gott. Er lenkt Ihren Weg.“

Wenn man ihn wegen einer Sache kritisierte, selbst wenn sie nicht von ihm verschuldet war, kniete er sich mit verschränken Armen nieder und bat um Verzeihung, hielt den Kopf auf den Boden gesenkt und erhob sich erst dann, wenn man ihn dazu aufforderte. Wenn man ihn ermahnte, kniete er sich rasch verstummend und mit verschränkten Armen nieder, ohne zu versuchen, sich zu rechtfertigen und er erhob sich erst dann wieder, nachdem er dazu aufgefordert worden war und den Segen des Oberen für die Arbeit erhalten hatte. Wenn jemand ihm sagte: „Du bist ein Heiliger“, sprang er auf, schüttelte den Kopf und zog die Augenbrauen zusammen, betrachtete er sich doch als letzten aller Menschen und größten Sünder. Wenn man ihn um Gebete bat, gab er zur Antwort: „Ich bin ein sündiger Mensch.“

Er zeigte sich als Demut in Person, immer darauf bedacht, kein Aufhebens um seine Person zu machen. Folglich war er für diese Welt wie ein Toter. Einige seiner Mitbrüder machten sich über ihn und sein asketisches Leben lustig, so beispielsweise der für die Küchenvorräte verantwortliche Gehilfe, der ihm in die Laterne Wasser statt Öl goss. Die Leute rümpften die Nase über seine schlichte Kleidung. Er ließ sich bis zur völligen Nichtung seiner Person demütigen. Man hätte meinen können, er hätte sich dies sogar gewünscht, wenn man bedenkt, dass er sich nach außen hin so willen-, gedanken- und gefühllos zeigte und sich nichts aus Kleidung, Essen, Schlaf, seiner strengen Haltung beim Knien, aus seiner Liege, seiner Zelle und seiner erschöpfenden Arbeit machte. Er vergaß sich ganz einfach.

Er nahm willig die Geringschätzung durch seine Mitmenschen an und verspürte Freude, wenn man sich über ihn lustig machte. Er tat nichts, wessen er sich hätte schämen müssen. Obwohl er Priester und in spiritueller Literatur bewandert war, ein schon Betagter in seinem Orden und Vorbild an Tugenden, verrichtete er schwere, um nicht zu sagen, niedrigste Handarbeit. Er beanspruchte nie ein Amt oder missionarische Aufgaben, die seinem Priesterstand angemessener gewesen wären als schändliche Handarbeit. Es drängte ihn auch nicht zu einer Machtposition. Er suchte immer die geringsten Dienste, die geringsten Plätze. Man hörte ihn sagen: „Ich verdiene es gar nicht, unter meinen Mitbrüdern zu leben, noch ihre Ehrenstellung zu erreichen, denn ich stehe unter allen.“ Er sah sich in seinem Wesen und in seiner Person geringer an als alle anderen Mönche und bezog  jede kleinliche Kritik auf sich selbst. Wenn man auf dem Feld arbeitete, verhielt er sich so, als sei er der Knecht aller: Er suchte sich die geringsten Dienste und Arbeiten aus wie das Kehren und Spülen, Dienste also, die nicht für geweihte Priester bestimmt waren und er kam ihnen sofort und gerne nach. Wenn die Mönche versuchten, ihm die Hand zu küssen und seinen Segen zu erhalten, war er immer darauf bedacht, sie daran zu hindern.

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Fremd

Père Charbel war der Einzige im Kloster, der aus dem Nordlibanon stammte, aus der Gegend von Jebbé und nicht aus der Gegend von Jbeil wie alle anderen Mönche. Dennoch gehorchte er in vorbildlicher Weise all denen, die im Kloster lebten. Mönche wie Laien gaben ihm Anweisungen, teils aus Mutwille, teils scherzhaft. Dennoch hat er nie eine Anweisung zurückgewiesen. Niemand hat Position für ihn bezogen oder ihm besonderen Respekt entgegengebracht – bis auf den Oberen, der wütend wurde, wenn man Père Charbel muwillig zusetzte oder sich über ihn lustig machte. Er war ganz mit seiner Arbeit, mit Gebet und gehorsamer Erfüllung seiner Pflichten beschäftigt, ohne über die Spötter unwillig zu werden. Er sprach nur selten und wenn, dann nur, um Fragen zu beantworten. „Wie viel Verachtung hast du mir hier in diesem Jordanien zukommen lassen? Ich möchte von dieser Erde verschwinden und für Dich, Jesus, die letzte in Allem sein“, lesen wir in einem Gedicht der heiligen Thérèse von Lisieux.

 

2) Gott gebe mir die Kraft zum Gehorsam!

Als Abdel Ahad Al-Houssaïni Oberer im Kloster der Heiligen Sergius und Bacchus in Qartaba war, kam Père Roukoz ins Kloster Saint-Maron in Annaya, wo Mönche und Arbeiter gerade damit beschäftigt waren, einen Ofen zu bauen. Père Charbel kümmerte sich um das Brennholz. Da wandte sich Père Roukoz Hanna aus Mechmech an ihn, scherzte vor allen Anwesenden und sagte: „Alle Mönche haben einmütig beschlossen, dich in den Ofen zu stecken. Er hat kein Brennholz und ein menschlicher Körper brennt besser als Holzscheite. Fleisch heizt dem Ofen zudem gut ein. So wird der Stein rasch gebrannt.“ Kaum hatte Père Charbel dies gehört, kniete er sich nieder und sagte: „Gott gebe mir die Kraft zum Gehorsam!“ Das aber heißt: Ich bin bereit, für den Gehorsam mein Leben zu opfern. Zutiefst berührt tadelte ihn Père Elias aus Mechmech, der dabeistand und sagte: „Schäm dich! Warum scherzt du auf diese Weise mit Père Charbel? Weißt du nicht, dass er den heiligen Geist in sich trägt? Gott schenke uns den Segen seines Fürbittgebetes.“ Daraufhin bat Père Roukoz Père Charbel um Verzeihung. Er gab zur Antwort: „Gott verzeihe einem jedem von uns.“

 

3) Ich bin ein großer Sünder.

Niemand war sich seiner Anwesenheit bewusst, so zurückgezogen lebte er. Wenn Besucher kamen, um ihn um den Segen und um seine Fürbitte vor Gott zu bitten, traf er sich mit ihnen, ohne sie anzuschauen und sagte immer wieder nur: „Bitten Sie den Herrn, er möge Ihr Gebet so erhören, wie es Ihrem Glauben entspricht.“ Wenn man zu ihm sagte: „Sie sind ein Heiliger!“, wurde er unwirsch und sagte „Ich bin ein großer Sünder!“ In der Einsiedelei verrichtete er die niedrigsten und demütigenden Arbeiten. Obwohl er zuweilen der Obere in der Einsiedelei und Vorgesetzter seines jüngeren Gefährten Père Makarios war, unterwarf er sich ihm in vollem Gehorsam. Er spülte das Geschirr ab und fegte die Einsiedelei. Wenn der Obere einen Mönch in seiner Anwesenheit tadelte und wenn er selbst eine Sache anmahnte, kniete er sich, auch wenn er sich nichts hatte zu Schulden kommen lassen, nach Gewohnheit der Mönche nieder und bat wie ein Schuldiger um Verzeihung. Er erhob sich erst dann wieder, wenn der  Obere ihn dazu aufforderte.

 

4) Essen, was die Katze übrig gelassen hat

„Im Folgenden erzähle ich, Père Bernard Ehmej, eine Geschichte, die ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe und die mich zutiefst berührt hat. Ich erinnere mich an sie innerlich tief bewegt, voller Respekt und Verwunderung: Père Charbel nahm gerade sein Essen zu sich, während ich anwesend war. Das Gericht bestand aus gekochtem zerstoßenen Weizen mit Löwenzahnblättern von den Wiesen. Nach dem Essen reinigte Père Makarios die Bratpfanne mit einem Stück Brot, das er der Katze hinwarf. Nachdem sie keinen Hunger hatte, leckte sie die Reste der Speise ab, ließ aber das Brot liegen. Inzwischen reinigte Père Charbel die Teller, kehrte zurück und fand das Brot mitten auf dem Weg, wo man es hätte zertreten können. Er hob es auf Höhe des Gesichtes, schüttelte den Staub von ihm ab, machte das Kreuzzeichen darüber und aß es, ohne darauf zu achten, dass ich anwesend war. Er hob ja nie seinen Blick. In diesem Augenblick wurde ich mir bewusst, dass er überhaupt niemanden ansah und mich wiederholt gefragt hatte: „Wer bist du?“ Ich erinnerte ihn vergeblich an meinen Namen. Am folgenden Tag kam er noch einmal darauf zurück, wiederum ohne die Augen zu heben, um mir ins Gesicht zu schauen.“

 

5) Was soll ich damit?

Während seines ganzen Lebens war er darauf bedacht, von allen gering geschätzt zu werden und hielt deshalb seinen Blick immer gesenkt. Er hatte weder einen Blick für seine Mitbrüder noch für die Schönheit der Landschaft. Eines Tages hielt ich in Begleitung von Père Nehemtallah aus Mechmech ein Fernglas in der Hand und richtete es auf Beirut. Père Charbel kam in unsere Nähe und trug ein Seil, um ein Bündel Holz festzuzurren. Ich sagte ihm: „Nehmen Sie das Fernglas und schauen Sie Beirut einmal ganz aus der Nähe an.“ Er entgegnete: „Nein, was soll ich damit?“ Dann setzte er seine Arbeit fort.“

 

6) Um ihn nicht auf die Probe zu stellen

„Ich Hanna, Houssaïni, hörte, wie Père Elias aus Mechmech die Besucher des Konvents davor warnte, Père Charbel mit Worten oder sonstwie auf die Probe zu stellen. Er sagte dabei: „Er ist ein Mann Gottes, der den heiligen Geist verborgen in sich trägt. Haben Sie Achtung vor ihm!“ Père Élias mochte und schätzte ihn wegen seiner einzigartigen Tugenden. Einmal sagt er mir: „Ich habe oft versucht, Père Charbel von seiner mühsamen Arbeit auf dem Feld abzubringen, um ihm eine weniger schwierige im Kloster anzubieten und um ihm ein bisschen Ruhe zu gönnen. Er aber kehrt nach getaner Arbeit im Kloster sofort wieder aufs Feld zurück.“

 

7) Spott

 

- Selig seid ihr, wenn man euch verspottet und verfolgt! (Mt 5,11)

Einmal war er gerade dabei, das Offizium zu beten, als Père Ighnatios aus Mechmech ihn rief und anherrschte: „Lass das Gebet und komme hierher!“ Er gehorchte ehrfurchtsvoll und ertrug den Spott und die Witzeleien der anderen bald demütig, bald geduldig und heiter. „Wer sich erniedrigt, wird erhöht und wer demütigen Sinnes ist, der wird Frieden in seiner Seele finden. Wem man Schlimmes nachsagt, der wird große Belohnung im Himmel erhalten.“ Deshalb war er so gelassen und in sich zufrieden.

 

 

- Freut euch und jubelt laut, denn euer Lohn im Himmel wird groß sein. (Mt 5,11)

„Bei der Weinlese im Weinberg der Einsiedelei bat der Obere mich, Frère Francis Qartaba, das Kühlgefäß am Brunnen der Einsiedelei zu füllen. Als ich dort ankam, band ich rasch ein Seil an den Henkel und warf es so mir nichts dir nichts in den Brunnen, ohne zu merken, dass Père Charbel hinter mir stand und mich beobachtete. Er sagte mir: „Mein Bruder, der heilige Antonius hat sich für die Unterscheidung der Geister stark gemacht. Du hingegen nimmst das Risiko in Kauf, dass das Gefäß zerbricht, wenn du es mit aller Wucht in den Brunnen wirfst. Das zeugt nicht gerade von Bescheidenheit und Armut.“ Ich erwiderte ihm energisch: „Geh in deine Kirche! Du residierst in deiner Einsiedelei und tust gerade so, als seiest du ein Heiliger!“ Er antwortete höflich und sanft mit geneigtem Haupt: „Verzeihen Sie mir, mein Bruder, um der Liebe Christi willen.“ Jeder von uns ging dann seiner Wege, er in die Kirche, ich in den Weinberg und jedes Mal wenn ein Gespräch auf einen Protest hinauslief, kam sein Gefährte ihm zuvor und sagte: „Verzeihen Sie mir!“

 

- So haben sie schon die Propheten vor euch verfolgt. (Mt 5,11)

Frère Boutros Jawad Mechmech erzählt: „Eines Tages, als ich den Weinberg der Einsiedelei mit einigen Knechten des Klosters umgrub, sah ich Père Charbel, wie er gerade die Rebstöcke vor den vorüberziehenden Kühen hochhielt. Da geschah es, dass eine von ihnen auf einen Weinstock trat. Père Makarios kam dazu und sagte zu Père Charbel:„Sieh dir nur den Weinstock an, den Du in Deiner Nachlässigkeit hast zertreten lassen. Was tust Du eigentlich? Weshalb lässt Du ihn so einfach von den Füßen der Kühe zertrampeln!“ Auf der Stelle kniete er sich mit verschränkten Armen hin und sagte: „Verzeihen Sie mir um der Liebe Christi willen!“ Dann schwieg er, betete und bat umVerzeihung für seine Missetat. Auch hat mir Père Makarios erzählt: „Père Charbel sagte mir einmal: „Wenn ich schon ein Esel bin, sei geduldig mit mir und ertrag mich um der Liebe Christi willen.“

 

 

M: Kein Laut kam aus seinem Mund. (Mt 12,19)

 

I: Darstellung

„Der Mönch muss bewusst Stille wahren“, fordern die Konstitutionen. Deshalb sprach er nur sehr selten. Man hörte ihn nur, wenn er in der Kirche die Konsekrationsworte sprach und auch im Chor der Mönche. Er wandte sich von sich aus nie an Gesprächspartner wie Männer, Frauen oder Mönche. Er hatte die Regel verinnerlicht, so dass man ihn immer nur stillschweigend in der Kirche oder bei der Arbeit sah. Keine überflüssigen Worte mit einem Besucher oder zu einem Maultiertreiber kamen aus seinem Mund. Bei der Arbeit sprach er mit niemandem und war auch nicht darauf erpicht, Neuigkeiten von Leuten oder von einer bestimmten Person zu erhaschen. Wenn man ihn aber fragte, so antwortete er höflich, in ruhigen Worten kurz und knapp.

Um sich zu kasteien, verbrachte er die Abendstunden in Stille, zeigte sich aber offen für Gespräche, wenn es um spirituelle oder theologische Themen ging. Dann sprudelte es aus ihm wie von selbst hervor. Sein Leben glich dem eines Mönchs aus einem Schweigeorden. Seine Sprache war nur dem vertraulichen Gespräch mit Gott und der Kontemplation geweiht. Er war ein Mönch der Arbeit, des Gebetes und des kontemplativen Schweigens. Seine Worte waren von tiefer Demut geprägt und so vom himmlischen Geist erfüllt, dass man hätte glauben können, er stamme aus einer anderen Welt. Abgesehen von den Gesprächen mit seinen Vorgesetzten gestattete er sich nur Gespräche über spirituelle Themen.

In der Kirche wie in der Einsiedelei verhielt er sich wie ein Engel. Er machte nicht auf sich aufmerksam, es sei denn bei der heiligen Messe und er war schweigsam bei seiner Arbeit. Seine Verschwiegenheit war erstaunlich. Man wunderte sich, wie er so im Schweigen, in seinem asketischen Leben, in Gebet und Arbeit verharren konnte. „Damals verstand ich, P. Bernard Ehmej, weder den Sinn noch die Bedeutung eines solchen Verhaltens. Schließlich begann ich zu begreifen, dass er ein Heiliger ist. Diesen Gedanken wiederholten einmütig alle, die ihn gekannt haben.“ Dass man sich jeglichen Sprechens enthält, ist ein schwer verständliches Phänomen. Umso mehr bei Père Charbel, der fünfzig Jahre lang in Kloster und Einsiedelei gelebt hat, schweigend bei der Arbeit, schweigend im Gebet, asketisch in seiner Kleidung und in seinem Essen, ohne sich Ruhe und menschliche Annehmlichkeiten zu gönnen.

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Nur im Notfall

Die Regel gebietet das Schweigen nach der Komplet, im Refektorium und in der Kirche. Während dieser Stunden antwortete er den Mönchen nur, wenn es nötig war. Die Mitbrüder ahmten ihn darin nach und stellten sein Schweigen noch zu seinen Lebzeiten und auch nach seinem Tod als Ideal für die Novizen hin. Unter allen Mönchen gab es keinen, der ihm in der Beobachtung der Regel gleich kam.

 

2) Ein Docht, der nie erlischt (Mt 12, 19-20)

Wenn einer der Novizen die Regel überschritt, klagte er ihn nicht beim Oberen an. Vielmehr tat er so, als sei er taubstumm, mischte sich in nichts ein und achtete nur auf die Anweisungen, die man ihm persönlich gab.

 

3) Ich bin vom Weg abgekommen.

„Einmal ging er nach Mechmech zu einer Beerdigung und kehrte erst am Abend zurück. Ich, Père Éphrem Nakad, fragte ihn, warum er so spät komme. Er antwortete: „Ich bin vom Weg abgekommen. Der Nebel war zu dicht, und ich fand mich in Houjoula wieder. Dort stieß ich wieder auf den Weg und trat nach und nach den Rückweg ins Kloster an.“ Ich erwiderte: „Hast du niemanden getroffen?“ Er entgegnete mir: „Doch mehrere Personen.“ Ich fragte erneut: „Warum hast du dich bei ihnen nicht nach dem Weg erkundigt?“ Er verstummte. In der Tat fragte er niemanden, noch richtete er sich fragend an jemanden, selbst wenn er vom Weg abgekommen war. Sein Fall ist ein Einzelfall! Kein Anachoret und kein Eremit hat so gelebt wie er. Weder vor noch nach ihm bin ich einem Menschen wie ihm begegnet, weder unter den Mönchen, noch unter Laien, Priestern und Bischöfen. Gott ist wunderbar in seinen Heiligen! Der Fall dieses Mönchs lässt einen zutiefst staunen.“

 

4) Äußerst sparsam an Worten

Père Bernard Ehmej berichtet: „Ich habe ihn nur als sehr sehr sparsam an Worten kennengelernt. Einmal hat er mich gefragt: „Woher kommst du?“ Ein anderes Mal: „Wo studierst du?“ Ich antwortete: „In Kfifane.“ Er fuhr dann fort: „Im Evangelium steht: Ihr seid wahrhaftig meine Jünger. Welche grammatikalische Funktion erfüllt hier „wahrhaftig“? Ich antwortete so wie ich es gelernt hatte. Dann habe ich ihm meinerseits eine Frage bezüglich der Grammatik gestellt. Er antwortetet mir: „Mein Bruder, ich weiß es nicht.“

 

5) Kein Wort kam über seine Lippen.

„Ich, Père Moubarak Tabet, habe Père Charbel in den Jahren 1893 bis 1895 kennengelernt, als ich die Einsiedler meines Ordens reihum besuchte. Ich befand mich in Begleitung von vier Mönchen, darunter Père Ibrahim Harfouche, Père Youssef, Père Youssef Ghébalé. An die Namen der beiden anderen erinnere ich mich nicht mehr. Wir sind von Père Makarios empfangen worden, den wir darum baten, uns Père Charbel zu rufen, der dann auch kam. Wir begrüßten ihn, küssten ihm die Hand und baten ihn um seinen Segen. Er fragte mich: „Woher kommt ihr, meine Brüder?“ Wir antworteten auf seine Frage, stellten uns der Reihe nach vor und nannten unseren Namen, unser Kloster und den Geburtsort. Er antwortete: „Habt ihr vom Tod eines unserer Mitbrüder in den visitierten Klöstern gehört, für den ihr eine heilige Messe zu seiner Seelenruhe lesen könntet?“ Wir verneinten. Er zog sich in seine Zelle zurück und überließ uns seinem Gefährten, der uns sagte: „Lassen Sie mich das Essen zubereiten. Es ist Essenszeit und Sie sind zum Essen eingeladen.“ Er brachte eine Platte aus Ton, auf die er trockene Brotstücke mit etwas Gemüse gelegt hatte, dazu etwas Essig, Zwiebel und Knoblauch. Dann rief er Père Charbel zum Essen und lud auch uns ein, mit ihnen zu speisen. Wir dankten, aßen aber nichts. Während des Essens kam kein Wort über seine Lippen, um das Schweigen bei Tisch zu wahren, während Père Makarios sein Gespräch mit uns fortsetzte.“

 

6) Kommst du deinen geistlichen Pflichten nach?

Einmal kam sein Bruder aus Bqaakafra um ihn zu besuchen. Er läutete. Père Charbel kam, um nachzusehen, wer geläutet habe, öffnete die Tür aber nicht. Der Besucher antwortete: „Ich bin der Bruder des Einsiedlers Charbel.“ Er antwortete: „Warte einen Augenblick! Ich werde meinen Gefährten fragen, ob er damit einverstanden ist, dass ich die Türe öffne.“. Er ging zu seinem Gefährten und sagte ihm: „Mein Bruder steht an der Türe, willst du, dass ich öffne?“ Er entgegnete: „Aber ja. Empfange ihn!“ Während ihres Zusammentreffens wiederholte er immer wieder dieselben Worte: „Wie geht es dir? Geht es dir gut? Ist alles in Ordnung? Kommt ihr, du und deine Familie, euren geistlichen Pflichten nach?“ Kurz darauf verabschiedete er sich von ihm.“

 

7) Wie der Heilige Nestor

Er verhielt sich wie der heilige Nestor. Als dieser am Tag seines Eintritts in den Orden einen Esel am Portal vorfand, sagte er zu sich selbst: „Nestor, Nestor, du und dieser Esel, ihr seid doch ganz ähnlich. Falls letzterer reden kann, dann wirst auch du im Kloster reden können.“ „Aus eigener Erfahrung mit Père Charbel hielt ich, P. Ephrem Nakad, ihn zwar für einen intelligenten Kenner spiritueller Theologie, der sich für das Studium begeisterte, aber er verhielt sich doch manchmal wie der heilige Nestor: Er war ein Esel in seinem Schweigen, ein Philosoph in Gebet und Leben, ein Anachoret im Kloster. Ich habe nie von ihm Worte gehört wie: „Ich bin müde, ich habe Hunger, ich habe Durst.“

 

8) Auf den Geliebten hören (Lk 10, 39)

Obwohl Père Charbel weder ein einfältiger, noch ein melancholischer oder depressiver Mensch war, wie Menschen nun einmal sind, wenn sie den Kontakt mit anderen meiden, muss man sich doch bewusst sein, dass für ihn die Zunge wohl nur für das Lob Gottes geschaffen worden war, für den Gehorsam gegenüber den Oberen, wie auch für das geistliche Wohl des Nächsten. Deshalb sprach er nur sehr wenig und ergriff nur sehr selten im Gespräch die Initiative, meistens dann, wenn er auf eine Frage antworten wollte. So zeichnete er sich unter den Einsiedlern nicht nur deshalb aus, weil er die Eremitenregel befolgte, sondern auch, weil er das Schweigen permanent wahrte und an seiner Hände Arbeit festhielt. Sein Leben glich einer Endloskette mit drei Ringen: Beachtung der Regel, Gebet und Arbeit, dazu das Schweigen. Er ähnelte eher den Mönchen kontemplativer Orden als Mönchen des Libanesischen Ordens. Alle anderen Eremiten wunderten sich über sein machtvolles unaufhörliches Schweigen.

 

9) Er gab mir keine Antwort.

„Als ich, Moussa Moussa, ihm dabei half, Dornenhecken und Baumstümpfe auszureißen, blieb er still und sprach mich nicht an. Als ich mich wegen des Schweigens auf dem Feld langweilte und ihn anredete, antwortete er mir nicht.“

 

10) Zerstreuungen irgendwelcher Art kannte er nicht.

Boutros Moussa erzählt: „Ich habe mehrere Mönche und Einsiedler besucht, die allesamt ehrenwerte Personen waren, aber niemand ähnelte Père Charbel. Die anderen, mittlerweile verstorbenen Eremiten sprachen mit uns und auch die jetzt noch Lebenden sprechen gerne mit uns, wenn wir sie besuchen. Sie fragen uns nach Neuigkeiten, schauen uns an und empfangen gerne ihre Eltern bei sich. Père Charbel hingegen sprach mit niemandem, suchte keine Zerstreuungen und schaute seine Gesprächspartner nicht an.“

 

11) Die Leute hielten ihn für stumm.

 Père Charbel war ein Engel in Menschengestalt, ein Philosoph ohne Philosophie, ein Ideal an Heiligkeit und Vollkommenheit. Er hatte wohl eine Zunge, doch die Leute hielten ihn für einen Stummen, wie ein kleines Kind in den Armen seiner Mutter – mit dem einzigen Unterschied, dass kein Laut aus seinem Mund hervorkam.

 

12) Er sprach nur selten.

„Während meiner Zeit in Saint-Maron, zu Lebzeiten von Père Charbel also, sah ich, Père Antonios Alwan, in ihm nur einen schweigsamen Menschen, der nicht nur von den Menschen, sondern auch von den Mönchen isoliert lebte. Er bewegte sich nur, wenn man ihn dazu aufforderte. Er war geradeso wie eine Maschine. Er sprach nicht zu mir, um Anekdoten aus seinem Leben zu erzählen. Er mischte sich im Umgang mit den Menschen in nichts ein.“ Er arbeitete vier oder fünf Stunden lang mit den Novizen, die um ihn herum eifrig plapperten. Er aber blieb schweigsam und sprach nur selten.

 

13) Er sprach nicht mit mir.

„Er hat nie das Gespräch mit mir, David David, gesucht, im Gegensatz zu den beiden anderen Einsiedlern, die frei heraus mit mir sprachen. Ich habe nie gesehen, dass er sich in Angelegenheiten anderer, auch nicht der Besucher, einmischte. Wenn man ihn darum bat, das Wasser zu weihen, tat er es und spendete es als erster.“

 

 

N: Ich blieb gelassen in meinen Leiden. (Kol 1,24)

 

I: Darstellung

Die Konstitutionen schreiben vor: „Der Mönch muss Gott mehr für die Krankheit danken als für die Gesundheit, im Vertrauen darauf, dass sie eine Prüfung des Herrn zum Heil des Kranken ist.“ Père Charbel litt an entsetzlichen Magenschmerzen, ohne sich behandeln zu lassen und ohne ein Schmerzmittel zu nehmen, selbst wenn der Schmerz unerträglich wurde. Er wiederholte immer wieder: „Gottes Wille geschehe!“

Er ertrug die chronische Kolik ohne Klage und ohne Behandlung, selbst dann, als sie sich während des Schneefalls im Winter noch verschlimmerte. Er hat nie zu jemandem über seinen Gesundheitszustand gesprochen, noch hat er um den Besuch eines Arztes gebeten. Zudem fand er keinen Geschmack an Erfrischungen im Sommer oder an einem heißen Getränk im Winter und dies trotz der bissigen Kälte in der Einsiedelei. Er sagte nie, dass er krank sei, trug ein und denselben Habit im Sommer wie im Winter und wärmte sich auch nicht am Feuer wie die anderen Einsiedler. Vielmehr verbrachte er seine Zeit in der Kirche mit Beten – meist auf nacktem Boden kniend.

Er trug ständig den Bußgürtel, direkt auf seinem Leib aufliegend und nicht über einem Flanellstoff, wie dies heutzutage geschieht. „Ich, Boutros Moussa, fragte mich, wie er das alles vor allem im Sommer aushalten konnte.“ Er legte sich diesen Gürtel mit spitzen Eisenstacheln auf sein Fleisch. Nach dem Zeugnis seiner Gefährten war dies Ausdruck seiner Askese. „Überlasst mich nicht den irdischen Versuchungen, führt mich zum reinen Licht. So erst werde ich ein menschliches Wesen. Lasst mich das Leiden meines Herrn nachahmen“, schreibt Ignatius von Antiochien in seinem Brief an die Römer.

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Ohne zu arbeiten die Armut überwinden – dies widerstrebt meinem Gewissen.

Alles, was von Gott oder den Menschen kam, nahm er mit Geduld und Gelassenheit an, wie beispielsweise die Kolik, die ihn überkam. Er hat sich nie einer Behandlung unterzogen, ertrug seine Schmerzen mit erstaunlicher Geduld und verbarg diskret sein Leiden vor den anderen. „So geschah es eines Tages, als wir im Weinberg der Einsiedelei arbeiteten, - das waren ich, Bruder Élias Al-Mahrini, als Verantwortlicher für das Feld, der Knecht Sleiman Al-Manzili, Père Charbel und sein Gefährte in der Einsiedelei, Père Makarios, die uns gemeinsam halfen - , dass Père Charbel Krämpfe bekam, seinen Rücken beugte, mit den Händen an die Hüfte fasste und laut über Schmerzen klagte. Ich fragte Père Makarios: „Was ist mit dem Einsiedler? Ich sehe, wie sehr er leidet!“ Er gab mir zur Antwort: „Er hat eine Nierenkolik“ Ich entgegnete: „Dann soll er sich ausruhen, und wir lassen einen Arbeiter an seiner Stelle kommen.“ Père Makarios antwortete mir: „Er will selbst damit klar kommen.“ So setzten wir unsere Arbeit fort, und als uns ein anderer Pflüger in der Ackerscholle überholte, lief Père Charbel auf einen Weinstock zu, um ihn vor den vorbeiziehenden Rindern hoch zu binden. Dabei stieß er noch eindringlichere Klagerufe aus als zuvor, was bedeutete, dass er noch größere Schmerzen hatte. Ich sagte ihm: „Gehen Sie langsam weiter, Magister, ich kann auch die Rinder anhalten.“ Er antwortete mit schwacher, abgehackter Stimme: „Mein Herr, ohne zu arbeiten die Armut überwinden – dies  widerstrebt meinem Gewissen“ und setzte seine Arbeit den ganzen Tag über trotz seiner Schmerzen fort. Am Abend aßen wir Linsen und Portulaksalat. Ich sah, wie Père Charbel die Salatstengel aufhob, schnitt und aß. Am Morgen dann bemerkte ich, dass er sich auf Grund unerträglicher Schmerzen ganz ungewöhnlich benahm. Auf meine Frage hin antwortete mir Père Makarios: „Die Kolik ist zurückgekommen.“ Ich hatte Mitleid mit ihm und bat ihn, die Arbeit einzustellen. Er weigerte sich jedoch, uns alleine zu lassen und fuhr den ganzen Tag über unermüdlich mit der Arbeit fort als ob er bei bester Gesundheit sei.“

 

2) Ich hatte Tränen in den Augen.

Man sah, dass sein ganzes Leben eine Abfolge von Kasteiungen war, an die sich sein Körper schon gewöhnt hatte. Auch seine Seele hatte sich damit abgefunden – so sehr waren seine Sinne völlig vom Geist beseelt. Die Auslöschung seiner selbst war ihm zur Natur geworden, genauer gesagt, es war sein unverwechselbarer Weg, den er nach vielen Jahren asketischen Lebens für sich als richtig erkannt hatte. „Ich, Père Youssef Hasrouni, erinnere mich an Mai 1897, als wir damit beschäftigt waren, den Weinberg der Einsiedelei umzupflügen. Es war gerade Zeit zum Frühstück. Père Charbel fuhr fort, die Mauern um den Weinberg aufzuschichten. Ich bat seinen Gefährten, Père Makarios, ihn zum Frühstück zu rufen. Er antwortete mir: „Er, er isst am Nachmittag.“ Zur Zeit des Mittagessens setzte er seine Arbeit an dem Mäuerchen fort. Daher bat ich Père Makarios aus Sorge um seine zerbrechliche Gesundheit, ihm zu befehlen, er solle mit uns essen. Aber sein Gefährte hat mir geantwortet: „Er wird danach erst essen.“ Am Abend haben wir dann das Vieh auf die Weide in den Wald geführt. Kurz darauf bin ich in die Einsiedelei zurückgekehrt, um etwas zu trinken. Da habe ich Père Charbel gesehen, wie er gerade die Portulakstengel aufhob, zerkleinerte und aß. Als ich das sah, traten mir Tränen in die Augen. Ich verwies Père Makarios auf seine Aufsichtspflicht und sagte ihm: „Haben Sie Mitleid mit dem Einsiedler! Lassen Sie ihn doch nach so anstrengender Arbeit wegen seiner Krankheit und seinen Schmerzen Arbeit nicht die Portulakstengel essen!“ Er gab mir zur Antwort: „Er ist zufrieden mit dem, was er isst, lassen Sie ihn!“ Dann sagte ich mir: „Wie steht es bei uns mit unseren Tugenden, die dieser Pater uns vorlebt? Er verkörpert in der Tat alle Tugenden der Anachoreten in der Sketis (Oberägypten) und übertrifft bei weitem, was im „Garten der Mönche“ und im Buch über die christliche Vollkommenheit geschrieben steht.“

 

3) Ich wurde von tiefstem Mitleid ergriffen.

„Ich, Père Youssef Hasrouni, sah ihn einmal Holzscheite auf dem Rücken vom Wald zum Weinberg tragen. Diese band er zu schweren Bündeln zusammen und trug sie zur Einsiedelei. Dort wurde ich von tiefstem Mitleid ergriffen, als ich diesen Greis mit über 65 Jahren sah. Ich habe seinen Gefährten Père Makarios wegen seiner Verantwortung für ihn angesprochen, der mir aber, alles Versäumen von sich weisend, zu verstehen gab: „Er will seine Kräfte züchtigen.“

 

4) Reis mit Butter in der Einsiedelei?

Einmal sagte ihm Père Makarios: „Du lässt Deine Nierenschmerzen so anstehen, lass mich Dir eine Reissuppe mit Butter machen.“ Er antwortete mit sehr leiser Stimme: „Reis mit Butter in der Einsiedelei!? Das bitte nicht!“

 

5) Um des Leidens Jesu willen

„Als ich, David David, ihn fragte, warum er sich einen kleinen Zweig vom Weinstock um sein Haupt und ein Ziegenfell um sein Handgelenk gebunden habe, antwortete er mir: „Ich habe Kopfschmerzen: Sie sollen mich an das Leiden Jesu erinnern.“

 

6) Niemand war sich seiner Leiden bewusst.

    „Ich, Père Elias Ehmej, habe gehört, die Einsiedler hätten ein Essen aus wilden Kräutern zubereitet, unter denen sich eine für den Körper bedenkliche Pflanzenart befunden habe. Père Charbel aß davon und wurde krank, ohne sich allerdings zu beklagen. Zumindest hat niemand seine Unpässlichkeit bemerkt und niemand war sich seiner Schmerzen und Krankheiten bewusst.“

 

                                7) Mit bloßen Füßen trat er auf die Dornenhecken                     

     „Als er in der Einsiedelei lebte, sah ich, Moussa Moussa, ihn mit zerschlissenem Gewand, ein Bündel Dornengebüsch auf seinem Rücken, das er mit einer Schnur zusammengebunden hatte. Dabei trat er mit bloßen Füßen in das Bündel hinein, so dass sie wegen der Stacheln bluteten.“

 

8) Wollstrümpfe

     „Einmal gab ihm der Obere die Anweisung, Wollstrümpfe zu tragen, die nach ortsüblicher Weise mit dicken Wollfäden gestrickt worden waren, um seine Füße vor Feuchtigkeit zu schützen. Denn er litt gerade an Magenbeschwerden. Er trug sie nur ein einziges Mal und dies aus Gehorsam, um sie von da an nie mehr anzuziehen.“

 

9) Er wärmte sich für einen kurzen Augenblick.

     Als es im Winter sehr kalt war, rief ihn Père Makarios in die Küche, damit er sich dort aufwärme. Aus Gehorsam ging er für einen Augenblick dorthin, zog sich dann aber wieder zurück, um in seiner Zelle zu schlafen, während sein Gefährte angesichts der beißenden Kälte in der Einsiedelei neben dem Feuer schlief.

 

10) Ich habe mich über ihn lustig gemacht.

     „Einmal riss er die Dornenhecken auf dem Feld aus, um sie als Hecke für den Weinberg zu nutzen. In der Meinung, niemand sehe ihn, suchte er einen abgelegenen Ort auf. Dann legte er seinen Habit ab, um daraus die Flöhe und Wanzen zu entfernen. Meine Neugier trieb mich, ihn so ohne Habit zu sehen und ich, Moussa Moussa, konnte beobachten, dass er den Bußgürtel ohne Flanellstoff darunter trug. Ein solches Verhalten belustigte mich eher. Erst nach seinem Tod und mit den sich häufenden Wundern wurde ich mir der Tragweite seines asketischen Lebens bewusst.“

 

11) Weshalb sollte ich mich über Süßes freuen können?

     Einmal schlug ihm Père Makarios vor, einen Beruhigungstee aus Bitterkräutern gegen seine andauernden Schmerzen zu trinken. Er war unter der Bedingung einverstanden, dass man ihm keinen Zucker beifüge. Sein Gefährte sagte ihm: „Aber die Kräuter sind sehr bitter, du kannst den Tee so unmöglich trinken!“ Père Charbel entgegnete: „Ich habe kein Recht, mich an süßen Dingen zu freuen! Schließlich hat Jesus am Kreuz Essig mit Myrrhe getrunken, als Durst und Schmerzen am größten waren.“ „Ich lache angesichts meiner Tränen, wenn ich an deine Schmerzen denke, oh Jesus“, sagte die heilige Theresia von Lisieux.

 

12) Schlaganfall

    Wardé Makhlouf erzählte, dass Père Charbel vier Jahre vor seinem Tod einen Schlaganfall erlitten hat, von dem er geheilt wurde.  

 

 

 

 

O: Für immer in Frieden leben

 

I: Darstellung

 

1) Trotz aller Leiden

     „Sein Mut war einmalig; denn er kam vom Himmel und nicht von dieser Welt. Man sah ihn immer liebenswürdig und heiter, als ob alles in bester Ordnung sei. „Ich, Frère Élias Mahrini, habe ihn nie über andere murren oder seine Arbeit in Frage stellen oder klagen hören, und dies im Sommer wie auch im Winter. Als die Blitze in den Blitzableiter der Einsiedelei einschlugen, wich er in der Kirche, in der er gerade betete, nicht vom Fleck. Er ertrug alle Hindernisse trotz aller Unannehmlichkeiten, die sie nach sich zogen; denn er hatte nur sein übernatürliches Ziel vor Augen. Er unterzog sich Kasteiungen, die gar nicht zu seinen Pflichten gehörten, wie tägliches Fasten, lange Nachtwachen, ein Leben ohne Heizung trotz der bissigen Kälte und trotz der Kolik, die manchmal stundenlang über ihn kam, wenn er arbeitete. Sein Gefährte, Père Makarios sagte ihm: „Geh und ruh dich aus. Bete vor dem Allerheiligsten.“ Er gehorchte ihm. Seine Leiden waren ihm nicht lästig, noch beklagte er sich darüber. Er ging trotz der Schmerzen seiner Arbeit schweigend nach, ohne nach Mitteln zu greifen, die sie hätten lindern können. Er wiederholte immer: „O Jesus! O Maria!“

 

2) Trotz allen Ärgers

     „Wenn man ihn rief, stellte er sich vor und grüßte gewöhnlich mit dem Gruß: „Gelobt sei Gott!“ Dann setzte er sich mit verschränkten Armen hin, wenn man ihn dazu aufforderte. Wenn nicht, blieb er aufrecht stehen. Wenn jemand ihn grüßte und „Gelobt sei Gott“ zu ihm sagte, antwortete er ihm: „Gott segne dich!“ Er blieb gelassen, war ernsthaft, sanft in seinem Wesen und friedvoll wie eine Taube. Vielleicht war er die Friedfertigkeit, Höflichkeit und Liebenswürdigkeit in Person. Wer ihn anschaute, empfand spontan Sympathie für ihn. Wenn jemand ihn ärgerte, ertrug er es mit Großmut und Freundlichkeit.

Wenn man ihn so betend und in ein inniges Gespräch mit Gott vertieft sah, war man zutiefst gerührt wegen seiner gesammelten, erbaulichen, vorbildhaften Haltung. Sie war Ausdruck von Andacht und unaufhörlichem Mitleiden, wie auf seinen Gesichtszügen erkennbar war. Besonders wenn er betete, leuchtet auf seinem Gesicht das himmlische Licht.

Wenn er jemandem im langen engen Flur der Einsiedelei begegnete, drückte er sich eng gegen die Mauer und vermied es, dass sein Habit einen der Vorbeigehenden berührte.

 

3) In allen Dingen

    Er lebte im Angesicht Gottes. Sein äußeres Erscheinungsbild und sein Inneres zeugten davon, dass für ihn nur Gott im Mittelpunkt stand. In seinen Gebeten, bei der heiligen Messe und bei der Arbeit war er immer mit Gott verbunden. Mochte man ihn loben oder belächeln, mit ihm von Seiten der Mönche zufrieden oder unzufrieden sein, all das spielte für ihn kaum eine Rolle. Er war nüchtern, enthaltsam in den Verlockungen und Eitelkeiten dieser Welt, gerecht in seinem Verhalten. Er sorgte sich nur um die rechte Erfüllung seiner Pflichten, ohne auf Lob von anderer Seite bedacht zu sein und er erlaubte sich keine Schmeicheleien anderen gegenüber. Wenn er besonderes Interesse an einem seiner Mitbrüder bekundete, dann nur im Rahmen des Gebotes der Nächstenliebe. Er führte ein schlichtes monastisches Leben in Wort, Tat und Kleidung. Er beklagte sich auch über keinen seiner Mitbrüder oder Bediensteten bei den Oberen, noch mischte er sich in irgendwelche Angelegenheiten mit jemandem ein.

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Gott richtet alles zum Besten.

    Er ließ sich nicht von seinen Gefühlen hinreißen, vom Gefühl der Traurigkeit zum Beispiel. Was auch immer im Kloster geschah, Ärger mit einem Mitbruder oder auch erfreuliche Dinge, in allen Situationen bewahrte er seinen Gleichmut im Vertrauen auf Gott und wiederholte immer wieder: „Gott richtet alles zum Besten. So ist der Wille Gottes.“

 

2) Pilger in die Ewigkeit

     „Ich, Père Youssef  Ehmej, weiß um sein bedingungsloses Gottvertrauen. Um Gottes willen hat er der Welt entsagt und sich in Seinen Dienst gestellt. Sein ganzes Leben war von Arbeit bestimmt, die jeglicher weltlicher Absichten und Eitelkeiten entbehrten. Sein einziges Ziel war die Ewigkeit. An weltlichen Genüssen fand er ebenso wenig Gefallen wie an Trauer über irdische Dinge. Er sagte nur immer wieder: „Der Wille Gottes geschehe! Was haben wir schon von dieser Welt? Wir sind Pilger in die Ewigkeit.“

 

3) Sein Herz und seine Gedanken waren auf den Himmel gerichtet.

     Von irdischen Dingen sprach er nie, eher vom Himmel. Er ersehnte sich nichts hier auf Erden, erhoffte sich keine Reichtümer vom Kloster, wie beispielsweise den Besitz von Ländereien. Er empfand auch keine Freude über eine gute Ernte, über eine gute Gesundheit oder über eine sonstige Annehmlichkeit. Auch eine schlechte Ernte belastete ihn nicht. Sein Gesicht trug weder heitere noch melancholische Züge, vielmehr Züge des Vertrauens auf die göttliche Vorsehung. Er sprach weder von seiner Familie noch von seinen Eltern, unterzog sich keiner Arbeit um eines Dankes willen. Er erwartete von niemandem Hilfe. Er suchte nie nach Bestätigung von Seiten eines Oberen, wenn er um einen Dienst gebeten worden war. Kurzum, sein Herz und seine Gedanken waren auf den Himmel gerichtet. Alles, was aus dieser Welt stammte, betrachtete er als Unrat, wie es der heilige Paulus gesagt hatte.

 

4) Beten Sie für ihn!

     Sein Leben war Zeugnis eines grenzenlosen Gottvertrauens. So konnte er den Eltern eines Kranken, die gekommen waren, um ihn zu bitten, für die Genesung ihres Kranken zu beten, zuweilen antworten: „Ihr Kranker ist bei guter Gesundheit, beten Sie für ihn!“  Es war, als hätte der Wille Gottes ihn zu diesen Worten des Trostes angeregt. Anderen wiederholte er immer wieder: „Flehen Sie, beten Sie für ihn!“ Wenn er dies sagte, schloss er sich ihrem Beten an mit ihnen und empfahl ihnen das Vertrauen in Gottes Fügungen. Bei anderen Gelegenheiten tröstete er sie und riet ihnen, sich in Geduld und Ergebung mit Gottes Willen zu wappnen. „Was ich, Père Ighnatios Mechmech, gerade vorgetragen habe, kann ich auch von der genauen Erfüllung seiner Pflichten sagen, von der Beobachtung der Regel, von seinem außergewöhnlichen Asketentum. So könnte ich seine Hoffnung in ihren schönsten Ausdrucksformen aufzeigen. Er empfand keine Freude, wenn einer seiner Patres eine bestimmte Stellung erreicht hatte oder wenn einer seiner Mitbrüder starb, noch kümmerte er sich um die Armut oder den Reichtum seiner Eltern. In einem Wort – er wahrte seine innere Einheit in Freude wie in Trauer, in traurigen wie in angenehmen Angelegenheiten.“

 

5) Sein Wille geschehe!

     Er vertraute sich niemandem an, nur Gott. Das Leben zählte für ihn nicht. Er hängte sein Herz nicht an Geld, noch an Reichtum oder Verwandten. Bei Unglücksfällen blieb er gelassen und wiederholte seinen zur Gewohnheit gewordenen Ausspruch: „Sein Wille geschehe!“ Er kümmerte sich nie um die Angelegenheiten anderer. Gegenüber seinen Vorgesetzten verhielt er sich reserviert: Man gab ihm Anweisungen und er gehorchte, ohne zu zögern. Man erzählte, er habe seine Verwandten, als sie zu Besuch kamen, nicht einmal angeschaut.

 

6) Verstreute Glut und Asche

     Abbé Jean Andari erzählte das Erlebnis von Père Semaan aus Ehmej, einem Einsiedler, der einige Zeit mit Père Charbel in der Einsiedelei von Saint-Maron gelebt hatte. Père Charbel sei in seinen Kasteiungen, Gebeten, in seiner Armut, seinem Gehorsam und im Erfüllen der mönchischen Tugenden immer vorbildhaft gewesen. Père Semaan zufolge mussten die Einsiedler die heilige Messe getrennt, jeder für sich also, lesen. Père Charbel ministrierte bei den heiligen Messen seiner Gefährten Père Makarios aus Mechmech und Père Semaan aus Ehmej. Umgekehrt ministrierten sie abwechselnd auch bei ihm, was sie die Winterkälte nicht so spüren ließ. Als es einmal sehr kalt war, und der Schnee sich aufgehäuft hatte, ministrierte Père Charbel bei seinen beiden Gefährten, die sich kurz danach am Feuer aufwärmten, als Père Charbel sich gerade anschickte, die heilige Messe zu lesen. Da schliefen die beiden Einsiedler über der Wärme ein. Plötzlich kippte der Ofen zur Wand hin und schüttete Glut und Asche über sie. Erschreckt wachten sie auf, gingen zur Kirche und fanden Père Charbel im Messgewand vor. Er stand vor dem Altar und wartete darauf, dass einer zum Ministrieren komme. Als dann beide gelaufen kamen, zeigte er keinen Missmut und sagte kein einziges Wort. Später dann betrachteten sie den Vorfall mit der Feuersglut als Mahnung an sie, wach zu bleiben und ihm bei der heiligen Messe zu ministrieren.

 

 

7) Er sorgte sich nur um die Ruhe der Mönche.

     Es ging ihm nicht darum, den Mönchen und seinen Bekannten zu gefallen, damit sie ihn lobten oder ihm Komplimente machten. In allem was er tat, sorgte er sich nur um den Frieden der Mönche und um das Wohlergehen des Klosters. Denn er war davon überzeugt, dass dies zur Ehre Gottes und zu seinem Seelenheil gereiche. Wenn er spürte, dass einer seiner Mitbrüder, dem man den Auftrag gegeben hatte, sich um die Arbeit wie beispielsweise um das Brotbacken zu kümmern, müde war, Ruhe benötigte oder etwas anderes zu tun hatte, bat Père Charbel seinen Gefährten um die Erlaubnis, ihn zu ersetzen. Diese Arbeit konnte bis Mitternacht andauern. Dabei verließ er die Mitarbeiter erst dann, wenn der Auftrag ganz erfüllt war, selbst wenn er fastete. Jedem, der ihn um einen Dienst bat, antwortete er: „Ich stehe zu Ihren Diensten, mein Bruder.“

 

 

P: Niemand konnte ihm die Freude nehmen. (Joh 16,22)

 

I: Darstellung

 

1) Heiter

     Er war immer heiter gestimmt und ein sanfter Mensch, der glücklich war, in Gott zu ruhen, freundlich und froh über sein Leben, das er führte. Er klagte weder über Kälte noch Hitze. Er beklagte sich über nichts, war nüchtern, geduldig, froh gestimmt, kannte weder Langeweile noch Traurigkeit, keine Aufgeregtheiten oder Niedergeschlagensein. Bis zu seinem letzten Tag stand er freiwillig, gerne und mit Freude zu seinem asketischen Leben. Er arbeitete mit Eifer und hoch gestimmt, war flink in all seinem Tun, zudem beständig und lebte in einem Rhythmus, den nur wenige erreicht haben. Er war immer froh und ausgeglichen, rasch und auf schlichte Weise um ein Weiterkommen bemüht. Er kannte weder Zaudern noch Missfallen. Sein Lebensstil war von Kontinuität und Freude bestimmt.

 

2) Er diente mit Freude.

     Er betrachtete sich als Diener für andere und führte nicht nur das aus, was ihm andere auftrugen, sondern auch, worum andere ihn baten, einschließlich der Novizen und Diener. Er verhielt sich zu ihnen wie eine Eselin zu ihrem Besitzer. Er gehorchte mit Freude und beherzt den Knechten und Dienern des Klosters, war liebenswürdig und respektvoll zu allen. Er war mit allen Diensten, um die man ihn bat, zufrieden, selbst wenn sie von seinen Untergebenen oder Dienern ausgingen oder von Arbeitern, die auf den Feldern des Klosters oder aber im Weinberg der Einsiedelei arbeiteten. Er erfüllte diese Dienste zur vollen Zufriedenheit aller, mit einem Gefühl des Glücks und der Freude. So war es bei allen Diensten und Arbeiten. Er empfand Genugtuung darin, wenn man ihm auftrug, auch schwierige Arbeiten stellvertretend für einen Mitbruder zu übernehmen. Er erfüllte sie alle mit Liebenswürdigkeit.

Wenn ihn der Obere um einen Krankenbesuch, um Gebete oder den Segen für sie bat, war er dazu gerne und mit Freude bereit. Das Seelenheil der Menschen lag ihm am Herzen. So empfing er bevorzugt Menschen, die bei ihm beichten wollten. Dabei war er vor allem darum bemüht, sie zur Umkehr zu bewegen.

 

 

3) Freude für die Seele

    Wenn man ihm ein außergewöhnliches oder ein zum Lachen reizendes Ereignis erzählte, antwortete er darauf nur kurz und mit einem liebenswürdigen Lächeln. Denn ganz selten nur sah man ihn lachen. Wenn er aber aus Gehorsam einen Vortrag theologischen Inhalts halten sollte, tat er dies auf freundliche Weise. „Der Novize möge sich mit Freundlichkeit an alle Menschen wenden“, heißt es in den Novizenregeln. Er legte keinen Wert auf irgendwelches Interesse, das man ihm entgegenbrachte, damit er in seiner Liebe zu Gott nicht behindert werde und all seinen Verpflichtungen mit Freude nachkommen könne. Geistliche Dinge waren ihm nie langweilig. Im Gegenteil. In ihnen fand er volle Genugtuung. Vor dem Allerheiligsten stieß er laut hörbare Seufzer aus, die seine innige Liebe zum verborgenen Gott im Allerheiligsten Altarsakrament ausdrückten. Wenn er den Leib und das Blut Christi zu sich nahm, schien es, als ob er am wunderbarsten Bankett der Welt teilnehme und als ob er aus der himmlischen Schale trinke. Nur in der Kirche und vor dem Allerheiligsten empfand er tiefen inneren Genuss, Ruhe und Freude, nur in der heiligen Messe und im Gebet.

 

4) Eine ansteckende Freude

    „Ich empfand eine tiefe Freude, wenn ich, Frère Boutros Jawad Mechmech, ihm bei der heiligen Messe ministrierte. Ohne zu wissen, warum! Gott sei es gelobt!“ Frère Élias Mahrini erzählt: „Nach Mitternacht betete ich manchmal mit ihm gemeinsam den Rosenkranz. Kniend betete er ihn mit Hingabe und Wärme, die von ihm ausgingen und mich erfüllten. Ich wünschte mir von ganzem Herzen, dass er mich zum gemeinsamen Rosenkranzbeten einlade.“ Denn in seiner Nähe wurde die Seele von einem nicht gekannten Feuer der Begeisterung erfüllt. Schweigsam wie er war, zog er jeden in sein Schweigen hinein und weckte in ihnen Worte, die von Ehrfurcht und Achtsamkeit geprägt waren. Alle waren glücklich, mit ihm zu arbeiten.“

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Köstlicher als alle Süße dieser Welt

    „Nach meiner Ankunft in der Einsiedelei zeigte ich, Al-Tannouri, ihm die Erlaubnis des Generaloberen, dass er mich bei den Exerzitien vor meiner Priesterweihe begleiten dürfe. Père Charbel sagte mir: „Du bist der Lehrer Israels und gerade du sollst eines Menschen wie Père Charbel bedürfen, um dich bei deinen Exerzitien zu begleiten?! Wenn du mich brauchst, so kannst du dich an mich wenden.“ Ich bat ihn um eine mehr als einwöchige Exerzitiendauer. Als ich seine Worte hörte, war mir, als verkostete ich Manna und Honig. Denn seine Worte durchdrangen sogar die Felsen im Herzen des Zuhörers. Sie waren köstlicher als alle Süße der Welt! Deshalb entschied ich mich dafür, meine Ferienzeit bei ihm in seiner Einsiedelei bis zum Ende seines Lebens zu verbringen. So verbrachte ich vier Jahre in Folge bei ihm und jedes Mal empfing er mich mit einer engelgleichen Freundlichkeit.“

 

2) Er antwortete lächelnd.

     „Recht oft begleitete er uns“, so erzählt Père Youssef Hasrouni, „bei der Aussaat des Weizens, wenn der für die Arbeit Verantwortliche uns darum gebeten, und wenn der Obere des Klosters die Einwilligung dazu gegeben hatte. Eines Tages mussten wir alle, Novizen wie Feldarbeiter, nach der Aussaat auf einem Feld oberhalb der Quelle auf ein anderes Feld überwechseln und infolgedessen das ganze Material und die nötigen Gerätschaften hinübertragen. Die Feldarbeiter und ich kümmerten sich um die Ochsen und den Pflug, während die anderen Novizen, Père Charbel und die übrigen Arbeiter die restlichen Dinge, die wir brauchten, hinübertrugen.“ Sie wussten, wie bereitwillig Père Charbel des Gehorsams wegen diese Arbeit auf sich nahm und so stellten sie diese Tugend, neugierig wie sie  waren, auf die Probe. „Ich muss der Vollständigkeit halber noch anführen, dass sich dieses Ereignis vor meinen Augen abgespielt hat: Wir haben Hacken, Wasserkrüge, Tongefäße, den Saatkorb und den Eimer mit den Essensvorräten zusammengetragen. Spaßes halber bat ich Père Charbel, alle diese Gegenstände zu tragen, worauf er mir zur Antwort gab: „Auf Ihren Befehl hin!“ Wir begannen dann, ihm diese Gegenstände, Stück für Stück aufzuladen, was er bereitwillig annahm. Die Hacken nahm er auf die eine Schulter, hing den Saatkorb über die andere, den Wasserkrug in die eine Hand, den Eimer hängte er um den Ellenbogen. Wir sagten ihm: „Nimm auch noch den Tonkrug!“ Er erwiderte: „Wie soll ich ihn denn tragen?“ Wir entgegneten: „Trag ihn am kleinen Finger.“ Auch das tat er. Einige Gegenstände waren noch auf dem Boden liegen geblieben, weil er sie nicht alle tragen konnte. Als er uns lachen hörte, schaute er uns an und sagte lächelnd: „Unheil über die Menschen, die anderen schwere Lasten aufladen, während sie selbst mit keinem Finger daran rühren!“ Dann ging er mit seiner Last zufrieden und voller Genugtuung weg und wir nahmen die anderen Gegenstände mit.

 

3) Mit Freude und heiterer Gelassenheit

     Père Charbel hat nicht nur auf Güter und Ehrungen dieser Welt verzichtet, er hat auch seinen Willen, das teuerste und kostspieligste des Menschen, geopfert. Er hat ihn als Erfüllung von Jesu Gebot verachtet und ganz zurückgestellt, wenn Jesus etwa sagt: „Wer nicht alles aufgibt, sogar sich selbst, das heißt seinen Willen, kann mein Jünger nicht sein.“ Dies bedeutet wahren Gehorsam. Deshalb war seine Unterwerfung unter die Anweisungen des Oberen so blind, wie die eines kleinen Kindes gegenüber den Eltern. Er unterwarf sich auch seinen Mitbrüdern, sogar den Jüngsten unter ihnen, nicht nur wenn es gut oder nützlich war, sondern auch dann, wenn es gegen seine Ansicht war. Es drängte ihn, Anweisungen, ohne zu fragen oder zu widersprechen, eher mit Freude und heiterer Gelassenheit zu folgen. Jeder wusste, dass er sich am Ende seiner Arbeit, die ihm von seinem Gefährten oder einem Knecht in der Einsiedelei aufgetragen worden war, aufrecht hinstellte, die Arme verschränkte und sagte: „Mein Vater (oder mein Bruder)! Ich habe meine Arbeit getan, was soll ich jetzt noch für euch tun?“

 

 

Q: Erstaunlich in seiner Liebe (Joh  1,13)

 

I: Darstellung

 

1) Sein Herz war bereit für Gott.

     „Beim Jüngsten Gericht wird sich der Sünder nicht so sehr über die Schwere des göttlichen Urteils als über seinen erbärmlichen Zustand angesichts der göttlichen Liebe schämen müssen. Wer vor dem Herrn ohne Liebe erscheint, wird vor Scham sterben“, so Père Charbel. Deshalb drückte er was sein Herz bewegte mit Worten aus wie: „Mein Gott, Euch gehört mein Herz.“ Er hatte es ihm ganz geschenkt, ohne je irdische Liebe gekostet zu haben. Seine Seele entflammte im Feuer seiner Liebe zu Gott. Die Zeit, die er vor dem Allerheiligsten verbrachte, berührte sein Innerstes. Dies darf nicht überraschen, denn der Liebende sucht nichts anderes als den Schatten seiner Geliebten und umkost ihre Nähe. „Das Herz des Menschen ist dort, wo sein Schatz ist“, so heißt es im Buch der Sprüche. Père Charbel verbrachte die ihm verbleibende Zeit zumeist kniend und in Ekstase vor dem Allerheiligsten, selbst dann, als der Blitz in die Einsiedelei einschlug.

Er zog seine Gottesliebe der Selbstliebe, die er kasteite, vor. Er hing an nichts, weder an Kleidung, noch am Essen, noch an Ruhe: All dies opferte er aus Liebe zum Allerhöchsten auf. Diese Liebe drängte ihn sogar dazu, dass er eher verachtet und als ein Nichts betrachtet werden wollte. Denn in seinem ganzen Leben war er nie auf das Wohlwollen eines Oberen oder auf die Freundschaft eines Mitbruders bedacht oder auf Neuigkeiten von seinen Verwandten, von seinen Mitmenschen oder von den Mönchen. Er ließ sich nie in eine Diskussion mit seinen Mitmenschen ein, tat nie eine Arbeit, um einem anderen oder sich selbst zu gefallen. Es ging ihm nur um den Gehorsam. Er tat nichts um seiner selbst willen, sondern ausschließlich für Gott. In seiner Gottesliebe erreichte er einen Grad an Größe und Erhabenheit, die uns schwer verständlich erscheinen, da er nichts anderes wollte als immer in der Nähe Gottes im Raum der Kirche zu sein. Er freute sich über die Zeit, die ihm seine Vorgesetzten gaben, um in Meditation mit Jesus, seinem Geliebten, vereint zu sein.

 

2) Sein für alle offenes Herz

Er diente dem Nächsten durch sein Gebet, ohne je auf dessen Lob bedacht zu sein. Er pflegte keine besondere Freundschaft noch zog er einen Mitbruder dem anderen vor. Er betrachtete sie alle als Brüder in Christo, obwohl es ihn mehr zu den Tugendhafteren hinzog. Rein menschliche Gefühle waren ihm fremd. Er lud sich die mühevollen Arbeiten seiner Mitbrüder auf, damit sie sich erholen könnten, wobei ihn selbst die niedrigsten Arbeiten nicht störten. Er nahm Trauben wie auch Holz auf seinen Rücken, ohne dass der Obere ihn dazu angewiesen hatte: Vielmehr fühlte er sich aus Nächstenliebe zu ihnen heraus dazu gedrängt, weil er es als seine Aufgabe ansah, Gott und den Nächsten zu lieben und nicht, sie zu verachten. Er kam, um Leid und Verachtung auf sich zu nehmen und nicht Lob oder ein bequemes Leben. Er kam, um zu dienen und nicht, um bedient zu werden.

Er betete für die Umkehr der Sünder und für die Rückkehr der Verirrten auf den rechten Weg. Keiner hat über ihn gesagt, er habe feindselige Gefühle ihm gegenüber gehegt. Manchmal, besonders an den Sonn- und Feiertagen, verzögerte er den Beginn der heiligen Messe etwas, um den Schäfern, die von weit her kamen, die Möglichkeit zu geben, an der Eucharistie teilzunehmen.

Zärtlich und mitleidvoll war auch sein Umgang mit den Armen und Leidenden, die er bei sich eintreten ließ, damit sie sich wärmen und ihre regennassen Kleider trocknen könnten. Was die Frauen angeht, so kamen sie nicht bei Kälte und Regenwetter zu ihm; denn sie wussten, dass Père Charbel sie nicht in seine Einsiedelei werde eintreten lassen. Er war liebevoll zu jedermann, zu den Armen wie zu den Reichen. Obwohl es Père Charbel um das geistliche Leben seiner Besucher ging - wobei er seinen Gefährten den Empfang der Gäste und deren Versorgung anvertraute - ließ er es sich nicht nehmen, bei dessen Abwesenheit selbst den Besuchern oder Armen und Hungernden sein eigenes kärgliches Mahl anzubieten. Er selbst fastete dann. So folgte er dem Beispiel Christi, von dem es im Göttlichen Offizium zur Weihnachtszeit heißt: „O Zimmermann! Du warst freigiebig und voller Hingabe. Großmütig warst du und gabst den Bedürftigen dein Brot.“

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Charbels Familie (Mt 12,46-50)

     Einmal besuchten ihn sein Bruder und seine Schwester in der Einsiedelei. Sein Gefährte Makarios teilte ihm ihre Ankunft mit. Er gab ihm zur Antwort: „Mein Bruder und meine Schwester bist du. Biete ihnen etwas zu essen und zu trinken an.“ Dann verabschiedete er sie und sagte ihnen, dass er für sie beten werde, damit sie von den Fallstricken dieser Welt befreit würden. Er hat sich nicht mit ihnen unterhalten. Im Übrigen ist er vom Tag seines Klostereintrittes an bis zu seinem Tod nie mehr in sein Heimatdorf und zu seinen Verwandten zurückgekehrt.

 

2) Was wollt ihr essen?

     „Der ehrwürdige Père Moubarak Massaad aus Achqout hat mir, Père Antonios Chebli, erzählt, dass er die Einsiedler einmal zur Essenszeit besucht habe. Beide haben ihn gefragt: „Wollen Sie zu Mittag essen?“ Er willigte ein, doch das Mahl reichte gerade für zwei Personen. So zog sich Père Charbel diskret zurück und überließ dem Besucher seinen Teil. Er selbst aß nur hinterher das Grattin aus dem Topf. Bekanntlich nehmen die Einsiedler gewöhnlich nur einmal pro Tag Essen zu sich.“

 

3) Arbeiten Sie für eine Nahrung, die anhält! (Joh 6, 27)

     Père Charbel betete viel für die Kranken und für die Bekehrung der Sünder, gab heilsame und gezielte Ratschläge, je nach Situation. „Ich, Père Youssef Ehmej, erinnere mich an die Worte, die er mir einmal sagte: „Sorge dich nicht um die Dinge dieser Welt, sondern um die Jenseitigen und um das Jüngste Gericht. Denn der, der uns richtet, kennt jeden und er braucht niemanden, um Ihm das zu sagen.“ Er hatte besonderes Mitleid mit den Armen Seelen im Fegefeuer, vor allen für die, die keine Angehörigen mehr auf Erden haben. Er betete für sie und lud andere dazu ein, für sie zu beten.“

 

4) Aus Mitleid mit ihr

     Père Élie Ehmej berichtet: „Als Kind begleitete ich einmal im November meine Mutter zur heiligen Messe in die Einsiedelei. Unterwegs fiel so viel Schnee, dass wir durchnässt in der Einsiedelei ankamen. Ich betrat die Kirche, richtete den Altar her und wollte bei Père Charbel ministrieren. Als er mich so von Kopf bis Fuß durchnässt sah, bat er mich, ich solle in die Küche gehen, um meine Kleidung zu trocknen. Da ich seinen Vorschlag nicht annahm, hatte er Mitleid mit mir und brachte mir ein Paar Schuhe, die mir allerdings zu groß waren. Zu Beginn der heiligen Messe wandte er sich uns zu, um uns zu inzensieren. Da erblickte er meine Mutter unter der Türe. Vom Regen durchnässt stand sie draußen vor der Türe und nahm so an der heiligen Messe teil. Da hatte er Mitleid mit ihr und bat mich, sie ins Innere zu führen, damit sie der heiligen Messe von hinten her beiwohnen könne. Dies war auffallend, weil er sonst nie Frauen gestattete, die Kirche zu betreten. Aber die eisige Kälte und der stürmische Wind hatten sein Mitleid erregt, und so erlaubte er ihr, einzutreten.“

 

5) Seine Liebe zu den Mitbrüdern

     Eine seiner besonderen Tugenden war die Liebe zu seinen Mitbrüdern. Er schwärzte niemanden an und kam seinen Pflichten ergeben nach. Er war streng zu sich selbst, aber milde zu seinen Mitmenschen. Er verbrachte eine lange Zeit seines Mönchslebens im Kloster des heiligen Maron in Annaya und wurde von allen, so verschieden sie auch waren, geliebt. Er fiel durch seine fehlende Parteinahme und seine Diskretion gegenüber allen auf. Er kümmerte sich gerade um solche Arbeiten im Kloster, die unerledigt geblieben waren. Der damalige Obere des Klosters Père Antonios aus Mechmech sagte: „Ich habe in meinem Kloster zwei hervorragende Mönche. Es sind nicht nur die Besten unseres Ordens, sondern aller bestehenden Orden in der Kirche. Dies sind: Père Charbel und Bruder Élias Al-Mahrini.“

 

6) Seine Liebe zu den Mitmenschen

     Seine Nächstenliebe zeigte sich in den heilsamen Ratschlägen für alle, die ihn darum baten und die zum Teil aus weiter Entfernung zu ihm zur Beichte kamen. Er war zärtlich zu den Kranken und Notleidenden, weihte das Wasser zur Heilung der Kranken und zum Besprengen der Felder. Wenn ihm der Obere eine Mission anvertraute, verließ er Kloster oder Einsiedelei. Manchmal ging er auch nachts ans Krankenbett, um dort zu beten und aus der Kraft seiner Fürbitte heraus zu heilen. Er war liebenswürdig zu allen Menschen, gab seinen Mitbrüdern, Dienern und den Bauern Ratschläge und Anweisungen und half ihnen bei ihren täglichen Aufgaben.

 

7) Wie eine Mutter, die sich um ihr kleines Kind kümmert

     Wenn in früheren Zeiten ein Mönch alt und krank wurde und er im Kloster einen Verwandten oder einen Mitbruder aus seiner Heimat hatte, so war es üblich, dass dieser sich um ihn kümmerte. Père Charbel hingegen verfuhr mit ihnen nicht anders als mit den anderen Mönchen auch. Er kümmerte sich Tag und Nacht um die kranken und alten Mönche, die keine verwandten Mitbrüder oder Bekannten aus der Heimat hatten, und sorgte  sich im Kloster um sie wie sich eine Mutter um ihr Kind sorgt, so um einen Mönch namens Moussa aus Ehmej. Er war krank, alt, etwas behindert und hatte niemanden bis auf Père Alichaa. Dieser war allerdings ebenfalls schon alt und etwas schwatzhaft. Père Charbel nahm sich seiner in der Krankenzelle an und wich nicht von seiner Seite. Nachts schlief er sogar auf dem Erdboden neben ihm. Eines Tages trat er aus der Zelle des Kranken, um zur Kirche zu gehen und die heilige Messe zu lesen. „Dabei bemerkte ich, Père Ephrem Nakad, dass sein Habit auf dem Rücken über und über mit Schmutz bedeckt war. Ich sprach ihn an und sagte: „Wenn Sie die heilige Messe in diesem schmutzigen Habit lesen, ist das unwürdig.“ Daraufhin zog er sich um. Der Kranke übergab sich dann noch die ganze Nacht, während  Père Charbel neben ihm auf dem Boden Wache hielt.“

 

8) Charbel – „der leidenschaftlich Liebende"

     „Die Liebe zu dir ist mein einziges Leiden. Je mehr ich sie in mir fühle, desto mehr brennt meine Seele in Sehnsucht nach dir. O mein Jesus, lass mich aus Liebe zu dir sterben“, lesen wir bei der heiligen Thérèse von Lisieux. Das Herz von Père Charbel war in Jesus verliebt. Niemand und nichts zog ihn mehr an. Deshalb wiederholte er immer wieder:„Gott ist meine Liebe und dies genügt mir.“ Alles was er tat, geschah aus Liebe zu Gott. Der Liebende verschenkt sich. Deshalb opferte er seinen Leib, seinen Willen, seinen Verstand und seine Gefühle allein aus Liebe zu Gott. Seinetwillen hat er sein Herz von der Liebe zu seinen Eltern und nächsten Verwandten gereinigt, hat den Ehrerweisungen dieser Welt abgesagt und auf jegliche Annehmlichkeiten verzichtet. Gefallen, Ruhe und Freude empfand er nur vor dem Allerheiligsten in der Kirche. Wenn es kalt war und schneite, so dass man unmöglich im Freien arbeiten konnte und auch im Inneren keine Arbeit anstand, verbrachte er seine Zeit mit Gott, indem er lange vor dem Allerheiligsten verweilte. Wer liebt, denkt immer an seinen Geliebten und möchte möglichst lange mit ihm verweilen. Das ganze Leben von Père Charbel war erfüllt von Gott. Wenn jemand ihn anredete, war es, als erwache er aus einem tiefen Schlaf und auch während seiner Arbeit war er immer in Gott vertieft. „Ich, Frère Élias Mahrini, kann mir nicht vorstellen, dass er an irgendetwas in dieser Welt hing oder dass er je gesagt hätte: „Dies gehört mir, dies oder jenes möchte ich haben.“ Sein Herz hängte er nie an eine Person. Wenn die Liebe zu Gott ihren Höhepunkt erreicht, wird der Körper schwach und nimmt aus Leidenschaft für den Geliebten ab. Deshalb wurde er schwach und magerte bis auf Haut und Knochen ab.

                                                                                                                       

9) Lass es mich für dich tun!

     Seine Liebe zum Nächsten war anders, es war kein einfaches Hingezogensein zu einem Menschen. Wenn er einen Diener oder Mitbruder bei einer mühseligen Arbeit sah, lief er herbei und sagte:„Lass mich es für dich tun!“ Dann machte er sich an die mühevolle Arbeit und führte sie zu Ende, obwohl ihn keiner zu einer Arbeit wie Brotbacken oder zu anderen Verrichtungen gedrängt hatte. Dennoch bat er immer zuerst den Oberen um Erlaubnis und kam uns dann unterschiedslos zu Hilfe. Allen brachte er Hochachtung entgegen als sei der Nächste sein Oberer im Kloster. Was die Besucher angeht, so hielt er sich von ihnen fern und begnügte sich damit, für ihre Anliegen zu beten. Wenn der Obere es ihm auftrug, so besuchte er Kranke und betete für sie.

 

10) Aus Liebe zu Gott

     Mit innerer Freude tat er alles, damit seine Liebe zu Gott lebendig bleibe und stellte sie auch unter Beweis, indem er für seine Mitbrüder und Diener aufreibende Arbeiten verrichtete, um sie zu entlasten. Dies tat er aus reiner Liebe zu Gott und zum Nächsten. Er liebte sie alle gleich ohne zwischen Oberem, Untergebenem, Diener, Mitbruder zu unterscheiden und er vermied es, den Nächsten zu belasten. Vielmehr setzte er alles daran, einen anderen zu ersetzen, um ihm seine anstrengende Arbeit abzunehmen und ihm Ruhe zu gönnen. Auch betete er für ihn, damit ihm himmlische Gnade und Seelenheil zuteil würde. Er hat nie jemanden zurückgewiesen, der ihn um seinen geistlichen Beistand bat.

 

11) Eine grenzenlose Liebe

    „Er zog mich, Père Ephrem Nakad, und die Novizen vom selben Ort in keiner Weise vor und hüllte sich auch uns gegenüber in Schweigen. Einmal sagte ihm der Klosterobere Père Elias aus Mechmech: „Père Charbel, empfindest du nicht mehr Zuneigung zu den Novizen, die aus deinem Heimatort kommen als zu den anderen? Dies ist doch ein natürlicher innerer Hang des Menschen.“ Er antwortete ihm wie immer ganz leise:„Nein, ich hänge weder innerlich noch äußerlich an ihnen, denn in meinen Augen sind alle Mitbrüder gleich.“ Barmherzig zeigte er sich auch gegenüber den Arbeitern des Klosters, denen er nie Anweisungen gab. Ganz im Gegenteil! Er gehorchte ihnen, wenn sie ihm eine Arbeit auftrugen.“

 

12) Er schaute uns nicht einmal an.

     „Wir, Père Rouphaël Nakad und Père Ephrem, beide aus Bqaakafra stammend, gingen zum Kloster von Annaya, um unseren Eintritt ins Kloster anzukündigen. Wir glaubten, wir wären dort zufrieden und hätten eine besondere Chance, Père Charbel zu treffen, der sich um uns kümmern und umsorgen würde. Das Gegenteil war der Fall! Er schaute uns nicht einmal an und sprach auch nicht mit uns. Auch zeigte er uns gegenüber keine besondere Zuneigung, obwohl wir doch aus seinem Geburtsort stammten.“

 

13) Er weinte über den Tod eines Schiiten. (Lk 19,41)

     Père Charbel sorgte sich sehr um das Seelenheil der Menschen und er litt persönlich darunter, wenn sich Menschen von Gott entfernt hatten. So erzählte Père Youssef Beyrouthi aus dem Dorf  Qartaba, in dem er in der Nähe von Baalbek Pfarrer war, er habe eines Tages die Einsiedelei betreten und Père Charbel bitterlich weinen sehen. Er schlug sich dabei voller Gram mit den Händen an den Kopf. Er fragte ihn, warum er denn weine, doch er gab keine Antwort, auch nicht, als er ein zweites und drittes Mal gefragt wurde. „Als ich insistierte, sagte er: „Was ich Ihnen jetzt sage, muss unter uns bleiben. Sie dürfen es niemandem sagen, erst nach meinem Tod. Heute ist ein Mann aus Ilmat, ein Schiit, verstorben und seine Seele ist in der Hölle. Kurz darauf hörten wir Schüsse, die aus Ilmat heraufdrangen und mit ihnen die Nachricht, dass ein reicher Mann aus Amerika verstorben sei“, so Père Youssef Hasrouni.

 

14) Selbst die Tiere

 

- Sie können sogar Schlangen anfassen. (Mk 16,18)

     Während der Jahreszeit, in der man die Erde umgräbt und die Weinstöcke schneidet, ging das ganze Personal des Klosters mit Mönchen und Knechten den Weinberg der Einsiedelei hinauf, um dort zu arbeiten. Plötzlich sahen wir eine furchterregende gefleckte Schlange und sprangen alle auf sie zu, um sie zu töten. Trotz größter Anstrengungen gelang es uns nicht. Die Viper wandte sich auf dem Boden, stieß entsetzliche und schauerliche Pfeiflaute aus. Bald hob sie den Kopf, dann wieder den Schwanz und war außerstande einen Fluchtweg zu finden. Von Angst gepackt rief ich: „Wo ist Père Charbel? Ruft ihn!“ Er war nicht in Sichtweite, denn er arbeitete an einem Abhang. Sobald er uns hörte, kam er herbei und stellte sich vor die Schlange. Sie wurde starr. Er sagte uns: „Holt sie nicht näher heran!“ Jeder von uns hielt etwas in der Hand - einen Stein, eine Hacke, ein dritter einen Treibstock. Père Charbel wandte sich an die Viper und sagte ihr, indem er seine Hand in ihre Richtung ausstreckte: „Geh weg von hier!“ Sie schlängelte sich vor ihm, und Père Charbel winkte sie unaufhörlich weg, so dass sie schließlich verschwand. Dann kehrte er zu seiner Arbeit zurück. Wir dankten Gott, dass er uns aus dieser Gefahr errettet hatte. Wie gewöhnlich tötete Père Charbel keine Tiere – keine giftigen Insekten, keine Ameisen oder Skorpione. Darin war er sehr empfindsam. In den Biographien der Heiligen kann man lesen, dass einige Heilige es sich verbaten, den Insekten oder Tieren zu schaden, weil sie davon überzeugt waren, dass sie Geschöpfe Gottes sind und dass nur Er über ihr Leben verfügen könne.“

 

-Das Kind spielt mit der Viper.

     „Einmal waren wir“, so erzählt Gerges Sassine, „gerade dabei, einen Weinberg nahe der Einsiedelei umzugraben. Zur Essenszeit riefen wir Père Charbel, er solle doch mit den Einsiedlern speisen. Da tauchte eine große Viper auf und glitt in die Mauer hinein. Wir stürzten uns auf die Mauer, um sie abzubauen, damit wir die Viper töten könnten. Père Charbel widersetzte sich unserem Ansinnen und sagte: „Ich erlaube euch nicht, sie zu töten. Alle Geschöpfe, seien sie giftig oder nicht, sind Geschöpfe Gottes und wurden für ein nützliches Ziel geschaffen. Deshalb darf man sie nicht töten.“ Dann sprach er sie mit den Worten an: „Zieh weiter! Du Gesegnete!" Sie tauchte wieder aus der Mauer auf, glitt zwischen uns hindurch und verließ den Weinberg durch das Tor. Wir waren damals bei der Arbeit im Weinberg zu acht. Dazu kamen die Einsiedler.“

 

- Der Wolf liegt beim Lamm. (Ies 11,16)

„Als ich Student war, habe ich, Père Semaan Bchara, einen Sommer lang im Kloster Notre-Dame von Maïfouq verbracht, wo ich mit Bruder Bartholomé aus Aïto das Zimmer teilte. Auf meinem Strohsack und überm Bett sah ich Wanzen, magere und fette. Sie krabbelten über mein Gesicht und Hände, ohne mich allerdings zu stechen. Dies verwunderte mich und ich bat Bruder Bartholomé, mir dieses seltsame Phänomen zu erklären. Er sagte mir: „Siehst du nicht das Weihwasser, das Père Charbel gesegnet hat? Seitdem ich mein Zimmer damit besprengt habe, magerten die Wanzen ab und konnten mich nicht mehr stechen!“

 

- Die Ärmste!

     „In der Nähe der Einsiedelei gab es einen Bienenstock. Drei der Bienen waren in eine Schüssel gefallen, die zum Tränken bestimmt war. Père Charbel kam und begann, sie mit der Fingerspitze aus dem Wasser zu holen – eine nach der anderen. Er setzte sie an die Sonne, um sie zu trocken. Eine von ihnen stach ihn. Er zog den Stachel aus dem Finger, setzte die Biene dann wieder in die Sonne, um ihre Flügel zu trocknen, und sie flog davon. Da sagte Gerges Sassine: „Magister, die Biene wird ohne den Stachel umkommen.“ Er entgegnete: „Das ist wahr, die Ärmste!“ Dann ging er in die Kirche.

R: Père Charbels Freiheit und sein Mut

 

I: Darstellung

    „Wenn ihr euch an mein Wort haltet, werdet ihr die Wahrheit erkennen, und sie wird euch frei machen. Wer eine Sünde begeht, ist auch ihr Sklave!“ (Joh 8,32-33) Von dieser Weisung Jesu ausgehend, hatte er an nichts auf dieser Welt Interesse, auch nicht an den persönlichen Dingen anderer. Mit Sorgfalt ging er seinen Verpflichtungen nach und suchte nie die Anteilnahme anderer zu bekommen. Insbesondere in der Befolgung der göttlichen Wahrheit war er von einzigartiger Kühnheit und kannte weder Furcht noch Vorliebe für jemanden. Einer Amtswürde maß er keine besondere Bedeutung bei, freute sich über Spott, war ohne innere Regung, wenn man ihn lobte oder verachtete. Sein Wort dazu ist berühmt geworden: „Begnadet ist nicht derjenige, der sich lobt oder von anderen gelobt wird, vielmehr derjenige, dem der Herr seine Gnade schenkt.“ Er war nicht gerade in Eile, wenn es darum ging, Bischöfe oder Würdenträger zu empfangen, wenn sie zu Besuch kamen. Kurzum, er lebte auf der Erde, aber seine Gedanken und sein Herz waren schon im Himmel. Was um ihn herum geschah, interessierte ihn nicht, als ob er auf Erden im Exil lebte und sich dabei sicher war, dass er der himmlischen Heimat angehörte.

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Nichts war ihm wertvoll genug.

     Sein Herz hing an nichts, nicht einmal am Erfüllen seiner persönlichen Frömmigkeitsübungen oder an geistlichen Pflichten. Wenn er dazu die Anweisung erhielt, verzichtete er sogar auf Stundengebete und sonstige geistliche Übungen, vielleicht sogar mit Freude. Man erzählt sich, dass er eines Nachts mit seinem Gefährten das Mitternachtsgebet in der Kirche sprach, als ein Bote kam und ihm sagte: „Der Obere möchte Sie sprechen.“ Er zögerte keinen Augenblick, hielt im Chorgebet inne, ging sofort zu seinem Oberen, der ihn darum bat, Wasser zu weihen und damit die Ziegen zu besprengen, die an der Gallenblase erkrankt waren. Nachdem er sie mit Weihwasser gesegnet hatte, wurden sie wieder gesund. Und trotz der eindringlichen Bitte des Oberen, er solle die Nacht doch im Kloster verbringen, verabschiedete sich Père Charbel von ihm und kehrte in die Einsiedelei zurück.

 

2) Wo nimmt die Sünde Ihre Seele gefangen?

     Père Charbel war ein Mensch, der immer darauf bedacht war, die Regel zu erfüllen und still am Backofen zu arbeiten, während die anderen scherzten. Zuweilen nutzte er trotz seines ständigen Schweigens einzelne passende Gelegenheiten, um eine geistliche Lektion zu erteilen, die von tiefer Weisheit geprägt war, ohne den Nächsten verletzen zu wollen. Antworten seinerseits waren selten, aber wenn, dann scharfsinnig und in Kenntnis der Zusammenhänge im Orden und anderswo. Sehr viele Mönche erzählten, dass an einem Wintertag, als Père Charbel gerade am Backofen half, der Pfarrer Youhanna Chéhadé aus Mechmech, in die Backstube kam, um zu sehen, was man dort tue. Er war der Vikar des Patriarchen aus der Gegend von Jbeil (Byblos), eine ehrenwerte Person aus würdigem Hause, reich, bekannt für seine Beziehungen zu großen Persönlichkeiten seines Landes, stolz auf sich selbst, korpulent und Freund eines angenehmen Lebens, das mit seinem Priesterstand und der Armut unvereinbar war. Über seiner Soutane trug er einen dicken Pelzmantel, den nur Fürsten und Adelige tragen. Er betrat also die Backstube, unterhielt sich mit den Mönchen über die Sünde und ihre Ursachen. Der Pfarrer beglückwünschte die Mönche dazu, dass sie weit von irgendwelchen Versuchungen zur Sünde entfernt seien. Père Charbel blieb wie immer stumm, verfolgte aber das Gespräch. Seine Hände zeugten von harter Arbeit, und sein Schweigen war in eloquentester Weise Rat und Predigt zugleich. Plötzlich wandten sich alle Père Charbel zu, der, anders als gewohnt, das Wort ergriff und mit einem flüchtigen Blick auf Pfarrer Youhanna lächelnd sagte: „Und bei Ihnen, wo kann bei Ihnen die Sünde in die Seele eindringen? Bei diesem dicken Pelz, den Sie tragen, wird sie es nicht schaffen!“ Alle lachten und blinzelten sich zu, weil sie die feinsinnige Lektion verstanden, die Père Charbel dem oben erwähnten Abbé erteilt hatte. Andererseits zeigte diese Begegnung auch, dass Père Charbel, trotz seiner Trennung von der Welt, trotz seines Schweigens und seiner Enthaltung jeglicher Worte, wenn sie nicht gerade den Orden betrafen, beim flüchtigen Auffangen eines gehörten Wortes durchaus verstanden hatte, worum es bei seinen Zeitgenossen ging und was sie bewegte. Dazu kam sein Missbilligen des Luxus, den sich dieser Pfarrer gegönnt hatte.

 

3) Nur wenn man nicht arbeiten muss, kann man feiern!

     Einmal sagte der Obere Père Roukoz aus Mechmech zu Père Charbel vor der heiligen Messe: „Zelebriere Du diese feierliche Messe und verkündige, dass das Himmelfahrtsfest in der nächsten Woche ein Feiertag sein wird.“ Er gehorchte unverzüglich. Als er die Messe beendet hatte, ohne den Feiertag vermeldet zu haben, sagte ihm der Obere: „Du hast den Himmelfahrtstag für kommenden Donnerstag nicht vermeldet! Weißt du nicht, dass das ein Feiertag ist? Hole es morgen nach, wenn die Bauern zur heiligen Messe kommen.“ Père Charbel antwortete mit Liebenswürdigkeit und Demut: „Mein Herr, anderswo hat man frei, aber nicht hier. Für die aber, die weder an Sonn- noch an besonders feierlichen Festtagen frei haben, muss man diesen Tag nicht eigens ankündigen. Man möge das dann tun, wenn es wirklich ein Feiertag ist.“ Damit spielte er auf die Entscheidung des Oberen an, die Novizen an Sonn- und Feiertagen arbeiten zu lassen, damit sie den verschiedenen Arbeiten im Kloster nachkommen und je nach Bedarf einspringen konnten. Denn in diesem Jahr war die Teuerung groß.

Verständlich, dass sich Père Charbel hier nicht an die Weisung des Oberen hielt. Dennoch wagte niemand aus Respekt vor seiner Tugend und seiner Heiligkeit, ihn während dieser Feiertage zur Arbeit zu rufen. Was er gesagt hatte, war Kirchenrecht und göttliches Gebot, das es zu beachten gilt, ohne vor jemandem Angst zu haben. Der Obere seinerseits hat die Aussageabsicht Père Charbels sehr wohl verstanden und seinen Fehler, auf den ihn der Einsiedler sehr diskret aufmerksam gemacht hatte, gemerkt. Er sah ihn sogar als zutiefst beachtenswerte Lektion an, in deren Folge er alle Maßnahmen bezüglich der Arbeit von Novizen oder Bediensteten an Sonn- und Feiertagen einstellen ließ. Das ganze Personal erkannte in dieser Bemerkung die unmittelbare Stimme Gottes und freute sich darüber.

 

4) Seine Heimat ist der Himmel. (Phil 3,20)

     „Kurz nach meiner Profess stellte ich, Père Roukoz Mechmech, sein tugendhaftes Leben auf die Probe und sagte ihm: „Folge mir auf die Terrasse!“ Er gehorchte. Ich hielt ihm ein Fernglas hin und bat ihn, er möge in Richtung Beirut blicken. Er erwiderte: „Schau Du alleine dorthin!“ Dann ging er weg.“

 

S: Aufrichtig in der Verehrung seines Herrn

 

I: Darstellung

 

1) Immer dem Herrn zugewandt

Man hat Charbel so charakterisiert: Er ist wie ein Geschöpf, das seinen Schöpfer mit aller Würde  bis zur Vollkommenheit ehrt. Er war mit den Gesetzen und Geboten Gottes zutiefst verbunden. Sein Herz wie auch seine Hände waren zu Gott erhoben und zeugten so von gebührender Verehrung, die bis zu seinem Tod währen sollte.

 

2) Seine Haltung zu den Mitmenschen

     Er schadete niemandem, übertrat kein Gesetz, behinderte niemanden, sondern betrachtete sich als Diener aller, vor allem seines geliebten Herrn. Peinlich genau beachtete er seine Gelübde und zog den Respekt aller seiner Mitbrüder auf sich, wenn sie ins Kloster kamen, sich um ihn drängten, um ihn zu grüßen und ihm die Hand zu küssen. Er behandelte sie zuvorkommend und kam ihnen mit äußerster Liebenswürdigkeit entgegen. Er tat niemandem weh, weder von Angesicht zu Angesicht noch aus der Ferne, weder mit dem, was er besaß noch mit seinem Ruf.

 

 

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) In der Kirche bleiben bis alle draußen waren

    Nach der Komplet ging er in seine Zelle, um zu schlafen oder im Gebet zu verweilen. Zur Mitternachtszeit eilte er noch vor allen anderen Mönchen in die Kirche. Nach dem Offizium gingen die Mönche wieder schlafen, bis sie die Glocke zur Laudes rief. Père Charbel verharrte mit seiner Nachtlampe auch die Vigil über in der Kirche, blieb bis zum Morgengrauen und zum Wiederkommen der Mönche zur Laudes in seinem selbst gewählten Rhythmus und verließ die Kirche als letzter.

 

2) Knien und wachen

     „Père Charbel gab vor, schlafen zu gehen, wenn sich die Mönche zum Schlaf niederlegten und er war zur gleichen Zeit wie sie wach. Tatsächlich schlief er nur sehr wenig und verbrachte seine Nächte im Gebet. Ich, Père Ighnatios Mechmech, sage Ihnen das deshalb, weil man ihn des Nachts oft genug in der Kirche sah, während alle Mönche schliefen. Zudem hatte er meist die Aufgabe, zum Mitternachtsgebet zu läuten, nachdem er nachts nicht schlafen ging. Jedes Mal wenn ich nachts aufwachte, sah ich sein hell erleuchtetes Zimmer. Dort saß er vor seinen Büchern oder er betete kniend aus ihnen. Nach dem Mitternachtsgebet ging er nicht mehr zu Bett, kniete sich vielmehr auf eine Weidenmatte, um sich für den Rest der Nacht zu kasteien.“

 

3) Im Gebet für die Novizen

     „Ich, Fouad Khoury, erinnere mich, dass der Obere des Noviziates von Naamé im Jahr 1888 zu den Eremiten ging, unter denen auch Père Charbel war. Er saß gerade mit seinen Gefährten bei einem Salat aus Portulakstengeln. Zurück in Naamé sagte uns der Obere, er habe die Einsiedler um ihr Gebet für die Novizen gebeten. Sie versprachen es ihm.“

 

4) Er betete auch für die Armen Seelen im Fegefeuer

Père Louis Blaïbel erinnerte sich daran, dass „Père Charbel oft seinen Segen mit dem Kreuzzeichen machte. Ich fragte ihn deshalb: Mein Lehrer, Père Charbel, warum geben Sie entgegen Ihrer sonstigen Gewohnheit häufiger den Segen mit dem Kreuzzeichen? Ist dies von besonderem Wert?“ Mit strahlendem Gesicht antwortete er: „Heute ist der Freitag für die Verstorbenen. Das Kreuzzeichen birgt einen großen Schatz von Ablässen, den der, der sie gewinnt, als Hilfe den leidenden Armen Seelen im Fegefeuer schenken kann, und zwar gerade denjenigen, an die niemand denkt. Jedes Mal wenn du gläubig das Kreuzzeichen machst und im Zustand der Gnade bist, gewinnst du fünfzig Tage Ablass. Wenn du die Kirche betrittst und sie wieder verlässt und dabei dein Haupt mit Weihwasser benetzt, das Kreuzzeichen machst und im Zustand der Gnade bist, gewinnst du manches Mal hundert Tage Ablass. Jedes Mal wenn du „O Maria hilf!“ sagst, gewinnst du 25 Tage Ablass. Wenn du das Kreuzzeichen beispielsweise zwanzig Mal am Tag machst, gewinnst du tausend Tage Ablass. Wenn du all deine Ablassgebete für die Seelenruhe einer oder mehrerer Seelen, die im Fegefeuer leiden, aufopferst, wie sehr wirst du ihre Leiden dann gemildert haben! Welchen Schatz verschiedener Gnadengaben wirst du dann selbst gewonnen haben, wenn du dies tust! Kostet dich das irgendwelche Mühe oder Anstrengung?  Gewiss nicht!

Der Mensch, der sich um seinen Besitz müht, ihn mit dem Schweiße seines Angesichtes tränkt, dann ein Jahr oder fast ein Jahr auf die Ernte wartet, auch wenn sie gering ist, und wenn er dann etwas erntet, und diese Ernte auch noch reichlich ist, wird überglücklich sein. Besser noch steht es um den, der den Namen der Jungfrau Maria nennt und sie ehrfurchtvoll hundert Mal am Tag mit „O Maria, hilf!“ anruft, dann wird er mühelos und unverzüglich 2500 Tage Ablass gewinnen. Und dann kann er wie gewohnt in seiner Arbeit ohne Unterlass fortfahren. So wird er selbst für sich daraus Nutzen ziehen, wird den Seelen im Fegefeuer die Ruhe ihrer Seelen gewähren und die Zeit ihres Leidens verkürzen. Auch wird er sich hinter diesem großen Namen einen Schutzwall gegen jegliche satanische Versuchung errichten können. Wenn für den Menschen das Kreuzzeichen schließlich zur alltäglichen Übung geworden ist, und er die Jungfrau Maria anruft, wird er jeglicher Versuchung ihre Kraft genommen haben. Denn das Kreuzzeichen ist ein Hilfsmittel gegen die Dämonen, und das Anrufen des Namens Mariens hält sie klein und stürzt sie in den tiefsten Abgrund. Wenn du mir folgst, halte dich an das Gebet für die Armen Seelen im Fegefeuer. Denn so misst du Gott eine große Bedeutung bei, wie die Heilige Schrift sagt: „Wer dem Armen gibt, ehrt Gott.“ Wer verzichtete auf den Lohn eines Glases frischen Wassers, das in seinem Namen geschenkt wird? Was wäre der Lohn eines Wohltäters für eine geliebte leidende Seele, wenn nicht das sichere Seelenheil? Ihre Zeit im Fegefeuer muss verkürzt werden.“

        

T: Aus Treue zum Geliebten

 

I: Darstellung

    „Wer eine Frau ansieht, um sie zu begehren, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mir ihr begangen.“ (Mt 5,28)„Die Menschen suchen lieber das Glück in der Sünde (im Ehebruch). Aber Sünde bringt nur Unruhe, Traurigkeit, Elend und Leere hervor. Nur Jesus Christus kann einem Menschen das wahre Glück schenken.“ Deshalb hat er seine engelgleiche Keuschheit bewahrt, die sich in seinen Kasteiungen, in seinem Geringschätzen von Essen, Trinkens und Kleidung zeigte. Sein abgetragener Habit ist ein beredtes Bild dafür, was Keuschheit heißt. Sie zeigte sich auch in seiner Verachtung der Annehmlichkeiten des Lebens: So wusch er sich nach Aussage eines Zeugen nie die Füße. Seine Kapuze reichte ihm bis zu den Augen. Er war so sehr Asket, dass er wie ein Schatten seiner selbst wurde, schwach und zerbrechlich. Mit vielen anderen sagten wir uns: So lebt kein menschliches Wesen, eher schon ein irdischer Engel. So sehr hat er seine menschliche Natur abgetötet.

Wer es auch sein mochte, er schaute die betreffende Person nicht an. Sein Blick war immer zu Boden gesenkt. Er vermied regelmäßigen Besuch, um ganz für seinen Schöpfer da sein zu können. Wenn er mit Menschen zu sprechen hatte, so geschah dies nur für einige Minuten. Ohne etwas anzuschauen, senkte er in und außerhalb der Kirche wie zur Meditation die Augen. Frauen schaute er gar nicht an. „Der Mönch muss seine Sinne gänzlich unterdrücken“, so steht es in der Positio.

Frauen sah er nie an, weder in der Einsiedelei noch in ihrer Umgebung. Er ging ihnen sogar dann aus dem Weg, wenn sie gesittet und in der schlichten Tracht dieser Region zu Besuch kamen. Aber Frauen begegnete er recht oft auf der Hauptstraße oder auf dem Weg zum Feld oder zum Weinberg oder wenn er zum Trinkwasserschöpfen an die Quelle kam. Wenn er sie dann sah, änderte er sofort seinen Weg, sie hingegen taten aus Respekt vor ihm ebenso. „Wir alle wussten, dass dort ein Einsiedler namens Charbel lebte und dass er sich zurückzog, wenn er einer Frau, wer sie auch sein mochte, begegnete“, so Miladé Chhadé. Maryam Chamoun bemerkte: „Wenn ich mich recht entsinne, hat er nie eine der Frauen auf ihrem Weg zur Einsiedelei empfangen.“ So vermied er jeden Anlass für eine Schwächung seiner Keuschheit.

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Die Sonntagsmesse

     Er erlaubte keiner Frau, die Kirche der Einsiedelei zu betreten, es sei denn, er hatte erfahren, dass sie nirgendwo sonst an einer Sonntagsmesse hätte teilnehmen können. Er gestattete ihnen höchstens den Zutritt über den Flur neben der Kirchentüre. Andererseits zog er sich, wenn Besucher in Begleitung von Frauen kamen, in seine Zelle zurück, um sie erst dann wieder zu verlassen, wenn sie weggegangen waren.

 

2) Verwendung des maskulinen Genus

      Frauen, die sich an der Pforte einfanden, um Weihwasser zu holen oder andere Dienste benötigten, stellte er aus dem Guckloch seiner Zellentüre im maskulinen Genus, als ob er sich an ein männliches Wesen wendete, die Frage: „Was willst du?“ Nachdem er den Grund für den Besuch erfahren hatte, schickte er ihnen seinen Gefährten.

„Einmal stieg ich, Gerges Sassine, zur Einsiedelei hoch, wo ich eine Frau sah, die vor dem Zaun stand. Ich fragte sie: „Wer bist du?“ Sie gab mir zur Antwort: „Die Schwester von Père Charbel. Sag ihm, er solle zu mir kommen!“ Ich trat ein und erzählte ihm vom Besuch seiner Schwester. Er entgegnete: „Geh und sag es Père Makarios!“ Er wies ihn an, sie zu empfangen. Père Charbel stellte sich dann hinter die geschlossene Türe, wandte ihr den Rücken zu und sagte ihr: „Wie geht es dir?“ „Dann zog er sich in die Kirche zurück. Ich habe aber nicht verstanden, warum er sie im maskulinen Genus angesprochen hatte.“

 

3) Heb den Korb mit mir zusammen hoch!

     Einmal trug Père Charbel zur Zeit der Ernte auf seinem Rücken die Traubenkörbe vom Weinberg der Einsiedelei zur Kelter, während Männer, Frauen und Kinder die Reben lasen. Père Charbel kehrte zu einem vollen Weinkorb, der neben der Mauer stand, zurück. Es waren aber keine Männer da, die ihm hätten helfen können, den Korb auf den Rücken zu heben. Aufrecht mit gesenktem Blick wartete er auf einen Helfer. Als er lange genug gewartet hatte, wandte er sich um, nahm seinen Strick in die Hand und sagte mit vernehmbarer Stimme: „Heb den Korb mit mir hoch!“ (Heb hoch! ist ein maskuliner Imperativ, der hier an eine Frau ergeht.) Eine Frau trat dann an ihn heran und half ihm. Meine Kameraden und ich waren erstaunt, dass Père Charbel Frauen im maskulinen Genus angesprochen hatte, gerade so, als ob sie Männer seien.

 

4) Wo ist die Tochter von Monsieur (Beik)?

    „Meine Mutter, deren Vater Mr. Rachid (Beik) Al-Khoury Präfekt der Region war, erzählte mir, Fouad Khoury, sie sei einmal mit ihren Freundinnen, Verwandte von uns, zu Besuch in der Einsiedelei gewesen. Nach dem Besuch gingen sie auf den Platz vor der Einsiedelei, um sich auszuruhen und zu Mittag zu essen. Kurz darauf hörten sie jemanden vom Inneren der geschlossenen Türe her klopfen und rufen: „Wo ist die Tochter von Monsieur (Beik)?“  Meine Mutter antwortete: „Das bin ich. Was möchten Sie?“ Da öffnete er das Fensterchen in der Türe, streckte seine Hand nach draußen und gab ihr, ohne sie anzusehen, einen Teller mit Honig. Für meine Mutter war dies bei all ihren häufigen Besuchen in der Einsiedelei das einzige Mal, dass sie die Stimme von Père Charbel gehört hatte.“

 

5) Er segnete sie.

     „Einmal war ich, Jibraël Jibraël, in der Einsiedelei, als sich auch eine Gruppe von Männern und Frauen in der Kirche aufhielt. Père Makarios kam und bat die Frauen, aus der Kirche zu gehen, weil Père Charbel dort die heilige Messe feiern wolle. Beim Hinausgehen baten sie Père Charbel um den Segen. Sie stellten sich unter das Fenster und senkten den Kopf, den sie mit einem Tuch bedeckt hatten. Der Einsiedler streckte die Hand aus dem Fenster und segnete sie.“

 

6) Der Körper ist ein rechter Esel.

     Die Mönche hörten ihn oft dieselben Worte wiederholen: „Dieser Körper ist ein rechter Esel. Wenn man ihm zu essen gibt, schlägt er aus. Wenn man ihn hungern lässt, wird er demütig und klein.“

 

7) Stellt die Flasche auf den Boden und geht weg!

     Als die Frauen kamen, um ihre mitgebrachten Weihwasserflaschen weihen zu lassen, und er gerade alleine in der Einsiedelei war, antwortete er ihnen von Innen her: „Stellt die Flaschen auf den Boden und geht dann weg!“ Dann nahm er die Flaschen, füllte sie mit Weihwasser, stellte sie wieder an ihren Platz zurück und verschwand. Wenn ihn unterwegs eine Frau überraschend antraf, schreckte er auf und schlug einen anderen Weg ein, der ihn durch Dornen führte. Dabei schaute er niemanden an.

8) Bleibt draußen!

     Als Frauen ihre Kinder zu Père Charbel brachten, damit er sie segne, bat er seinen Gefährten um Begleitung und sagte zu den Müttern: „Bleibt draußen!“ Dann segnete er die Kinder und betete für die Kleinen. Als sich ein Kind nicht von seiner Mutter entfernen wollte, schickte er es zu seinem Gefährten und bat die Mutter, sie solle sich entfernen.

 

9) Bis er weg war.

     Die Frauen schätzten Père Charbel über die Maßen, sogar so sehr, dass sie, wenn sie im Voraus wussten, dass sie an dem Ort, wohin er ging, auch waren, sich zurückzogen, bis er weggegangen war. „Solche Szenen habe ich, Père Élias Ehmej, mit eigenen Augen gesehen.“ „Und ich, Père Semaan Ehmej, erinnere mich, dass mir bei der Arbeit auf dem Feld südwestlich vom Kloster zusammen mit dem für die Arbeit verantwortlichen Bruder Élias Al-Mahriny und seinem Gehilfen Sleiman Al-Manzili plötzlich Frauen auffielen, die auf dem Rückweg von der Messe im Kloster waren und eilends davon rannten, um sich hinter Felsen und Bäumen zu verbergen. Ich fragte Bruder Élias nach dem Grund ihre Eile, woraufhin er mir zur Antwort gab: „Vielleicht kam gerade Père Charbel in die Einsiedelei des Klosters.“ „Und weil diese Frauen wissen, dass der Einsiedler den Frauen aus dem Weg geht, verbargen sie sich aus Achtung vor ihm. Tatsächlich näherte sich Père Charbel kurz darauf dem Kloster. Nachdem er vorbei gegangen war, machten sie sich wieder auf den Heimweg.“

 

10) Eine Versuchung hatte mich bedrängt.

     Père Charbel befand sich einmal auf den Besitzungen zwischen dem Kloster von Annaya und Laqlouq, um die heilige Messe für den für die Feldarbeiten verantwortlichen Bruder Boulos aus Mechmech, mit dem er gewöhnlich das Feld umgrub, zu lesen. Während der Bruder gerade auf dem Feld arbeitete, hörte er Père Charbel, der etwas weiter entfernt von ihm den Acker bearbeitete, wie ein kleines Kind um Hilfe schreien. Er ließ von seiner Arbeit ab und eilte herbei, um zu sehen, was denn los sei. Er fand ihn gesund und wohlbehalten vor und sagte ihm: „Was haben Sie?“ Er erwiderte: „Nichts!“ Kaum hatte der Bruder seine Arbeit wieder aufgenommen, hörte er ihn erneut schreien, trat zu ihm und sagte: „Bist du verrückt geworden? Warum diese Schreie? Sag es mir! Kann ich Dir helfen!? Was ist los!?“ Er antwortete in aller Ruhe und mit leiser Stimme: „Eine Versuchung hatte mich bedrängt. Verzeihen Sie mir und beten Sie für mich.“

 

11) Warum dieses merkwürdige Verhalten?

     Seine Liebe zu Gott hatte jegliche andere irdische Liebe in seinem Herzen ausgelöscht, selbst die zu seinen Eltern. Er gehörte dem Allmächtigen, dem er sich mit einer solchen Liebe völlig hingeben wollte. Sein Herz hat er von der Liebe zu seinen Verwandten gereinigt. „Als ich, Père Élias Ehmej, den Sommer im Kloster von Saint-Maron in Annaya verbrachte, besuchte ich auch die Einsiedler. Als ich in die Nähe der Einsiedelei kam, sah ich eine Anzahl von Frauen, die warteten. Sie grüßten mich und sagten mir: „Wir kommen aus Bqaakafra und warten schon lange hier. Einen ganzen Tag lang mussten wir gehen, um Bruder Charbel zu sehen, der uns allerdings nicht empfangen will.“ Ich gab ihnen zur Antwort: „Wer seid ihr?“ Sie erwiderten: „Diese hier ist seine Schwester und wir, wir begleiten sie. Bitte, überreden Sie ihn, seiner Schwester zu gestatten, ihm die Hand zu küssen. Er fehlt ihr sehr, nachdem sie ihn lange nicht gesehen hat.“ Ich war sehr gerührt und eilte zu Père Charbel, der sich gerade in der Kirche aufhielt. Ich bat ihn, er solle sich doch seiner armen Schwester erbarmen, die von weit her gekommen sei, solle ihrer zärtlichen Geste entgegenkommen, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Er antwortete: „Nein, ich gehe nicht aus der Kirche!“ Ich kam dann noch einmal und sagte ihm: „Deine Schwester bittet dich, zumindest deine Hand durch das Fenster zu strecken, damit sie diese küssen könne, um dann wieder, wie versprochen, nach Hause zurückzukehren.“ Er entgegnete: „Ich werde meine Hand nicht aus dem Fenster strecken.“ Dann bat ich ihn ein drittes Mal: „Deine Schwester bittet dich, dein Taschentuch in die Hand zu nehmen und mit ihm über das Bildnis der Heiligen Petrus und Paulus zu fahren.“ Er antwortete: „Mach du es und gib ihr dann das Taschentuch wieder zurück!“ Ich fuhr fort: „Warum verhältst du dich so merkwürdig?“ Darauf gab er mir keine Antwort. So nahm ich das Taschentuch an einem langen Stecken, fuhr mit ihm über das Bildnis der Heiligen, das ganz oben angebracht war und gab es seiner Schwester wieder zurück, die traurig und mit Tränen in den Augen von dannen zog. Ich selbst war verblüfft über dieses harte Verhalten und verstand seinen Sinn nicht. Nachdem er die Kirche verlassen hatte, stellte ich ihn zur Rede und sagte: „Du hättest deine arme Schwester nicht ungetröstet zurückschicken sollen. Wo ist hier Zärtlichkeit, wo Mitleid?“ Er gab mir keine Antwort. Da verstand ich sein Schweigen: Er hatte keinen Platz in seinem Herzen für irdische Liebe. Sein Herz schlug nur für Gott.“

 

12) Selbst seine Nichte

     „Eines Tages, ich war gerade zehn Jahre alt geworden war, begleitete ich, Iid Nakad, meine Mutter, obwohl ich krank war, auf ihrem Besuch in der Einsiedelei. Er nahm mich an der Hand und führte mich ins Innere der Kirche. Meine Mutter aber und ihre ebenfalls kranke Begleiterin, die gekommen war, um geheilt zu werden, hat er nicht empfangen. Er begnügte sich damit, mit ihnen hinter der Türe zu sprechen. Ein anderes Mal begab sich meine Mutter zur Einsiedelei, um ihren Onkel, den Einsiedler, zu besuchen. Er sprach nur kurz mit ihr von Innen her, ohne sie zu sehen. Als sie unbedingt an der heiligen Messe teilnehmen wollte, gestattete er ihr, durch das Türfensterchen hindurch der heiligen Messe beizuwohnen. Als er den Kelch hob, um ihn zu segnen, richtete er die Augen nach oben aus Angst, ihre Blicke könnten sich begegnen.“

 

 

U: Ein Gefangener seines geliebten Herrn

 

I: Darstellung

     Er tat nichts aus eigener Initiative heraus, sondern nur aus Gehorsam vor den Vorgesetzten, hinter denen für ihn Gott stand und um den Lohn zu erhalten, der dem Gehorsamen zusteht. Denn der Mönch muss in seinem Oberen Christus sehen. Daher sein seltsam anmutender Gehorsam, erst dann eine Arbeit zu beginnen, wenn er dazu die Anweisung bekommen hatte. Dieser Gehorsam ist sprichwörtlich blind - ein blinder Gehorsam also. Wenn ihn der Obere zu irgendeiner Angelegenheit rief, ließ er alles stehen und liegen, um dem Befehl nachzukommen, ohne einen Augenblick lang zu zögern. „Ich, Frère Elias Mahrini, erinnere mich nicht, Père Charbel je aufgeschreckt oder ängstlich gesehen zu haben, wenn man ihm etwas aufgetragen hatte. Dies hätte seinem Naturell widersprochen. Vielmehr blieb er sich selbst immer treu - ohne Eigenwillen oder persönliche Neigung, vergleichbar einem stummen Instrument in der Hand seiner Oberen.“

Er verharrte im Gebet, bis sein Gehilfe ihm die Arbeit anwies oder aber er arbeitete solange, bis dieser zu ihm sagte: „Es genügt!“ Auch aß er nicht, wenn man nicht zu ihm sagte: „Iss!“ Er gehorchte allen, den Gehilfen wie auch dem, der jünger war als er. Kurzum, sein ganzes Leben kann mit den Worten zusammengefasst werden: „Man befahl, und er gehorchte.“ Im Kloster unterwarf er sich den Anweisungen seines Oberen, auf dem Feld dem Verantwortlichen für die Feldarbeit, selbst wenn es ein Gehilfe war, in der Einsiedelei seinem Gefährten oder demjenigen, der diesen vertrat. Selbst wenn nur ein Diener ihm sagte: „Tu das!“ führte er es aus. Niemand wusste so recht, was ihn aufheitern oder betrüben könnte. Wenn man ihn anwies, das Beten zu lassen oder eine Aufgabe außerhalb der Einsiedelei zu erfüllen, verzichtete er in gleicher Weise aufs Beten wie er zu beten begann, wenn man ihn darum bat oder wenn man ihn um geistliche Übungen bat, die ihn besonders erfreuten. Er tat nie etwas auf eigene Initiative hin. Er folgte nicht, weil er ein Eigenbrötler war oder aus purer Gewohnheit, sondern aus dem Geist der Ergebung und Tugendliebe, als ob es sein innigster Wunsch sei, sogar seinen Blutdruck dem Gehorsamsgebot zu unterwerfen.

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Recht so!

    Einmal war er schon in sein Messgewand gekleidet und begann so die heilige Messe zu lesen. Weil alle Patres ihre Messen bereits gefeiert hatten, kam der Obere, um ihm zu sagen: „Warten Sie noch, denn es werden noch Leute kommen, die an ihrer Eucharistiefeier teilnehmen wollen.“ Er gehorchte und verharrte etwa noch eine Stunde lang aufrecht stehend vor dem Altar. Dann rief er mich, Père Ighnatios Mechmech, damit ich ihm ministriere und fragte mich, ob denn die Leute schon angekommen seien. Ich antwortete ihm: „Gestatten Sie mir, dass ich den Oberen unterrichte und ihn um die Erlaubnis bitte.“ Er entgegnete: „Recht so!“ Er blieb aufrecht stehen bis sein Oberer kam und ihm sagte: „Fahr jetzt mit der heiligen Messe fort!“ Er tat nichts auf eigene Initiative hin. Selbst beim Essen wartete er auf die Anweisung des älteren Einsiedlers oder eines Bruders, der mit der Verwaltung der Einsiedelei beauftragt war.“

 

2) Bei Bruder Makarios

     Wenn man ihn um ein Essen bat, antwortete er: „Ich weiß nicht. Iss bei Pater Makarios!“ Wenn wir Trauben essen wollten, schickte er uns auch zu seinem Gefährten. Wenn ein Arbeiter ihn um eine Traube bat, antwortete er ihm: „Ich weiß nicht. Frag Père Makarios!“ Von sich aus gab er nicht einmal ein Weintraubenblatt her und er hat nie seinen Oberen um die Erlaubnis gebeten, etwas weiter schenken zu dürfen.

 

3) Er hielt seine Hacke nach oben gerichtet.

    „Vor meiner Priesterweihe machte ich, Père Antonios Nehmeh, Exerzitien im Kloster Saint-Maron in Annaya. Als ich ganz am Rande der Einsiedelei stand, sah ich Père Charbel im Weinberg hacken. Ich hatte Mitleid mit ihm und bat Père Makarios, der gerade neben mir das Essen zubereitete, ihn herbeizurufen, damit er sich ausruhe und etwas esse. Als das Essen fertig war, rief ihn sein Gefährte: „Père Charbel!“. Er reagierte nicht. So rief er ihn ein zweites Mal, dieses Mal lauter. Als er ihn gehört hatte, hielt er seine Hacke nach oben gerichtet und wartete auf eine Anweisung. Als sein Gefährte ihn darum bat, zum Essen zu kommen, legte er die Hacke weg und kam.“

 

4) Niemand hat mich darum gebeten.

     Die Arbeiter, die mit ihm zusammen arbeiteten, erzählten, dass sie und die Mönche mit der Arbeit aufhören und essen wollten. Sie vergaßen aber, ihn zum Essen einzuladen. So fuhr er mit seiner Arbeit fort. Durch Zufall ging der Obere vorbei und fragte Père Charbel, als die anderen ganz in seiner Nähe standen, ob er schon gegessen habe. Er sagte: „Nein, ich habe noch nicht gegessen.“ „Und warum nicht?“ Er erwiderte „Niemand hat mich darum gebeten.“ Dann fragte der Obere seine Gefährten: „Warum habt ihr ihn nicht zum Essen gerufen?“ Sie antworteten: „Wir haben ihn ganz einfach vergessen.“

 

5) Er gehorcht sogar den Novizen.

    Einmal waren die Novizen gerade bei der Arbeit, als die Glocke zum Gebet läutete. Sie hielten inne und beteten, ohne Père Charbel zum Gebet zu rufen. Er setzte seine Arbeit fort. Als sie ihn fragten, warum er nicht mit ihnen gebetet habe, antwortete er: „Ihr habt mich nicht dazu aufgefordert.“ Sie glaubten, er mache sich über sie lustig und waren verärgert. Am folgenden Tag riefen sie ihn wieder nicht zum Gebet. Père Charbel setzte seine Arbeit wie gewohnt fort. Da verstanden sie, dass er nichts ohne Anweisungen tat. Am dritten Tag schließlich ließ er seine Arbeit ruhen und gehorchte der Einladung zum Beten, als sie ihn dazu aufforderten.“

 

6) Als Scherz

     Eines Tages sagte Père Charbel seinem Gefährten Makarios: „Im Kloster brauchen sie Holz. Hier gibt es keines. Wo soll ich welches fällen?" Er antwortete ihm schmunzelnd: „Geh zum Wald von El-Mihal.“ (Er liegt drei Fußstunden von der Einsiedelei entfernt.) Père Charbel ging also zur oben genannten Anhöhe, schlug dort Holz und brachte es auf den Schultern am Nachmittag zur Einsiedelei zurück. Am Abend dann war er erschöpft und in Schweiß gebadet wegen des Holzbündels, das er auf seinem Rücken getragen hatte. Père Makarios fragte ihn: „Von wo hast du das Holz geholt? Warum bliebst du so lange weg und kehrst nun so erschöpft zurück?“ Er gab ihm zur Antwort: „Vom Berg Al-Mihal, wie ihr mir befohlen habt." Père Makarios erwiderte: „Weshalb bist du gerade dorthin gegangen, obwohl die Einsiedelei ringsum von Holz umgeben ist?“ Er gab ihm zur Antwort: „Hast du mir nicht den Auftrag gegeben, nach Al-Mihal zu gehen? Du hast befohlen und ich habe gehorcht.“ Père Makarios war sehr erstaunt über die Strapaze, die er auf sich genommen hatte.

 

7) „Nein“ zu sagen, verbot er sich.

    Mr. Rachid Al-Khoury, der Präfekt der Region, ersuchte den Oberen darum, ihm Père Charbel zu schicken, damit er bei ihm das Wasser segne und damit die Äcker besprenge, auf denen sich die Heuschrecken zu diesem Zeitpunkt in Scharen niedergelassen hatten. Der Einsiedler stand im Ruf, er könne durch sein Gebet die Heuschrecken vertreiben. Daraufhin gebot ihm der Obere, dorthin zu gehen. Ohne ihn zu fragen, was er denn tun solle, ging er widerspruchslos nach Ehmej. Dort angekommen, segnete er in Anwesenheit der Dorfbevölkerung das Wasser und trat seinen Rückweg an. „Was uns, die Mönche seines Ordens angeht,” so Père Youssef Ehmej, „so finden wir selbst bei den altehrwürdigen, für Ehrfurcht und Beachtung der Ordensregel bekannten Mönche, solche, die manchmal die Weisungen des Oberen in Frage stellen oder Entschuldigungen gesundheitlicher oder ethischer Art dafür finden, ihnen nicht Folge leisten zu müssen. Père Charbel hingegen hat sich nie aus einem gesundheitlichem oder sonstigem Vorwand heraus widersetzt, selbst wenn eine Weigerung für jeden einsichtig gewesen wäre.“

 

8) Werde dir erst einmal mit Père Makarios einig!

   „Ich, Maron Abboud, bat ihn einmal darum, er solle mir eine heilige Messe in meiner Intention lesen und gab ihm dafür Geld. Er wehrte ab, gab die Frage an seinen Gehilfen weiter und sagte mir: „Werde dir erst einmal mit Père Makarios darüber einig. Wenn er mich zum Lesen der heiligen Messe auffordert, werde ich es tun.“

 

 

V: Seine Hoffnung ist vom Durst nach dem Geliebten erfüllt.

 

I: Darstellung

     In seiner Hoffnung auf Gott stand er fest. Er betrachtete das Leben in all seinen Dimensionen als Unrat, um allein Christus zu gewinnen. Wenn man im Orden neue Wege suchte, drückte er weder seine Freude noch seine Bedenken aus und kümmerte sich in seinem Urteil nicht darum, ob die ihm nahe stehenden Mönche eine Vorrangstellung im Kloster hatten oder nicht, so dass er auf sie zählen könnte. Er war auch nicht traurig darüber, wenn es einen Wechsel in der Hierarchie der Verantwortlichen und Amtsträger gab oder wenn Mönche abgesetzt wurden, die ihm gewogen waren. Was auch immer sich im Orden abspielte, es beeinflusste in keiner Weise sein geistliches Leben oder seinen Dienst. Er interessierte sich für die Angelegenheiten im Kloster nur in so weit, als es ihm das Gehorsamsgelübde gebot. Wo er ein Versäumnis in einer Sache sah, dem nachzukommen seine Oberen ihm nicht aufgetragen hatten, griff er nicht ein. Er zeigte auch keine Freude, wenn das Kloster materiell erstarkte, noch war er über einen Verlust traurig. Er sprach nicht über den Erwerb von Grundstücken und interessierte sich nicht für politische Reden, die den Orden angingen. In der Einsiedelei und im Kloster lebte er so, als ob er nicht existierte. Alle seine Gedanken waren auf Gott gerichtet, nie hörte man ihn über weltliche Dinge oder Wünsche reden oder über einen seiner Mitbrüder. Er sprach auch nicht über Leute oder über seine Eltern oder über eine Freude, wenn ihm etwas Alltägliches gelungen war. Er hielt sich bei keiner irdischen Sache auf, sei sie zum Besten oder zum Schlechten gewesen. Er konzentrierte alle Kräfte auf sein Seelenheil und auf das seiner Mitmenschen. Seine einzige Sorge war es, Gott zu gefallen. Um dieses endzeitlichen Zieles willen ertrug er alle Trauer, Schmerzen und die extreme Strenge, die er sich auferlegte.

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Kompetenter als ich

     Er hat nie sein Vertrauen auf Menschen gesetzt. Einmal soll er, erstaunt über die Bemerkung, der Rat wolle ihn zum Oberen ernennen, gesagt haben: „Im Orden sind viele kompetenter und geeigneter als ich. Die Geste des Ordens, einen Nichtsnutz wie mich aufzunehmen, ist schon edel genug.“

 

2) Arbeiten um der Ehre Gottes willen.

   Er kam seiner Arbeit um der Ehre Gottes willen nach und um das ewige Heil zu erwerben. Er sagte uns wiederholt: „Arbeitet zur Ehre Gottes und euer Lohn wird euer Glück im Himmel sein.“ Aus dieser Hoffnung heraus konnte er die Dinge dieses vergänglichen Lebens verachten, sich kasteien und asketisch leben. Er wiederholte immer wieder diesen Satz: „Dieses Leben ist vergänglich. Es kann uns nichts bieten.“

 

3) Die Lichter des Himmels sind schöner.

     Père Charbel lebte die Tugend der Hoffnung bis zur Heldenhaftigkeit. Denn er gab alles auf, um sich zuerst ins Kloster, dann in die Einsiedelei zurückzuziehen, wo er auf dem Gipfel eines Berges in harter Umgebung ein streng asketisches Leben mit Nachtwachen und ständigen Kasteiungen führte, ohne im Verlauf der Jahre darin nachzulassen. Im Gegenteil! Er steigerte sich noch darin, so dass ihm niemand darin gleich kam, es sei denn jemand, der seine grenzenlose Hoffnung allein auf Gott setzen wollte. Man erzählte sich, dass sich eines Abends ein Mönch an ihn mit den Worten gewandt habe: „Schau die Stadt Beirut, in welch schönes Licht sie getaucht ist!“ Ohne sich umzuwenden, antwortete er: „Die Lichter des Himmels sind besser und schöner!“ Dann kehrte er in seine Zelle zurück.

 

4) Eine solche Pflicht kenne ich nicht.

     Erfolge oder Unglücksfälle seiner Verwandten interessierten ihn nicht. Einmal erzählte mir sein Gefährte Père Makarios, dass ihn sein Bruder besucht habe, um ihm Neuigkeiten von zu Hause und von der Ernte zu erzählen. Père Charbel antwortete ihm: „Was du mir erzählst, geht mich nichts an. Ich möchte nichts davon hören.“. Nach diesen Worten nahm er seine Hacke und ging in Richtung Weinberg. Er war ein Mensch, der nur physisch auf dieser Welt lebte, sein Herz und sein Verstand aber lebten schon im Himmel. Er zeigte keine innere Anteilnahme weder an einem frohen noch an einem traurigen Ereignis.

 

5) Gott lenkt.

     Er hielt die Augen immer geschlossen als ob er seinen Blick, seinen Verstand  und sein Herz von den Dingen dieser Welt abgewandt habe. Sein unaufhörliches Beten fand im Himmel seine Fortsetzung. Wenn die Blitze in die Einsiedelei, die ganz oben auf einem hohen Berg lag, einschlugen oder aber wenn ein Unglück das Kloster traf, dann überließ er sich ganz dem Willen Gottes und sagte: „Gott lenkt alles, es ist sein Wille.“ Immer wenn man ihm von einem Kranken, einem Notleidenden oder Bedürftigen erzählte, gab er zur Antwort: „Gott lenkt. Vertrauen wir uns ihm an!“ Wenn ihn jemand um etwas bat, überzeugte er ihn davon, er solle zu Gott seine Zuflucht nehmen und ihm seine Sorge anvertrauen.

 

W: Zuflucht der Glaubenden und Armen

 

I: Darstellung

     „Ich, Frère Francis Qartaba, habe ihn als Einsiedler kennen gelernt. Bevor ich ihn aber selbst getroffen hatte, hatten mir bereits Mönche und Laien, sogar Schiiten, von seinem Ruf erzählt. Sie strömten in Scharen herbei und brachten ihre Kinder, damit er für sie bete und sie trugen Wasserflaschen mit sich, damit er das Wasser weihe, um es wieder mit nach Hause zu nehmen, um ihre Kranken zu heilen und um Unheil von ihnen fern zu halten, für ihre Tiere und sonstiges Eigentum, um vor Krankheiten und Epidemien zu schützen, um Fruchtbarkeit und Ernten zu mehren oder um mit ihm die Häuser zu besprengen. Er tat nichts, ohne zuvor von seinem Gefährten dazu angewiesen worden zu sein. Und zudem empfing er die Menschen, immer aus Gehorsam, mit Zärtlichkeit, Nächstenliebe und Anteilnahme, ließ sich von ihrer Notlage berühren, betete für sie und segnete ihnen das Wasser, von dem eine wundersame Kraft ausging. Danach kehrte Charbel wieder in die Einsiedelei zurück. Was die Besucher angeht, so war es immer sein Gefährte, der sie empfing und ihnen das Weihwasser gab. Ein Vater brachte das Wasser mit der Hand herbei.

Die Kranken, Behinderten, die Trauernden und Leidenden strömten von allen Seiten zu ihm, um bei ihm Gottes Gnade zu erflehen, weil sie an seine Güte glaubten und an Gottes Erhören seines Fürbittgebetes. Er hielt sich von den Besuchern fern, aber er betete für sie.

Seine fromme Hingabe hatte nachhaltigen Einfluss auf viele Laien, so dass sie ihn um einen Krankenbesuch baten und um ein Heilungsgebet am Krankenbett. Wenn der Obere es befahl, einen Kranken zu besuchen und für ihn zu beten, gehorchte er, ohne sich auf seinen Stand als Einsiedler zu berufen und führte die Anweisung unter Schweigen aus. Als ob dies seine Gewohnheit sei, besuchte er die Kranken, betete um ihre körperliche Genesung, wobei er besonders auf ihr Seelenheil achtete. Finanzielle Gaben oder Geschenke hingegen wies er ab. Was er tat, geschah aus Liebe zu Gott. Der größte Dienst, den er seinem Nächsten leistete, war sein ständiges Beten für ihn um Gnade und um sein Seelenheil. Er wies niemanden ab, der ihn um geistlichen Beistand bat. Der Besucher, der seine Einsiedelei betrat, ging getröstet und glücklich über den Besuch von dort weg, überzeugt davon, einem Heiligen begegnet zu sein“, wie es in der Positio nachzulesen ist.

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Im Schweigen

     „Wir alle waren davon überzeugt, dass er ein Heiliger ist, zu dem wir uns, wenn wir krank oder in Nöten sind, flüchten können. Viele tragen seinen Namen, weil sie sich Segen von ihm erhoffen. Ich, Youssef Sleiman, glaube ganz persönlich, dass Père Charbel ein großer Heiliger im Himmel ist. Er tritt stillschweigend bei Gott für uns ein, ohne dass wir uns seines Beistandes bewusst sind, gerade so wie er es tat, als er noch lebte.“

 

2) Alle sind Christi Ebenbild

     Père Charbel mischte sich nicht unter die Menschen, war aber großherzig gegen jedermann - in seinen Gebeten für die Kranken, die Reisenden und die Bedürftigen: Er ließ sich von ihrem Schicksal anrühren und trat entschieden für sie ein, damit sich der Herr seiner kranken Diener erbarme. Was seine Beziehung zu den Mitbrüdern im Konvent, in der Einsiedelei und in seiner Bekanntschaft angeht, so war allen klar, dass sein Herz unterschiedslos für alle schlug, ohne in seiner Liebe Unterschiede zu machen. Er betrachtete sie alle als Brüder und Ebenbilder Christi und schätzte die einen wie die anderen.

 

3) Er schenkte sein Essen her.

     Er hatte Mitleid mit den Armen, aber in den Grenzen seiner Möglichkeiten. Wenn er einen Armen in der Einsiedelei empfing, bat er seinen Gefährten, diesem sein Essen zu geben. Im Winter, wenn es kalt war, hieß er die Leute in die Einsiedelei eintreten, damit sie sich am Feuer wärmen könnten.

 

4) Ich bin nur ein sündiger Mensch.

     Den Leuten, die ihn um sein Gebet baten, antwortete er: „Ich bin nur ein sündiger Mensch. Möge das Gebet der Heiligen eure Bitten erwirken.“ Wenn jemand ihn um sein Gebet oder um eine geistliche Gnade bat, erwiderte er immer wieder: „Ich bin der Geringste, bin nur ein sündiger Mensch.“

 

5) Du kannst heilig sein.

     Wenn jemand ihn darum bat, für ihn zu beten, gab er ihm zur Antwort: „Bete du doch auch! Was unterscheidet uns beide? Gott hört dich ebenso gut wie mich.“ Als jemand ihm sagte, er sei heilig, erwiderte er: „Wir sind uns alle ähnlich. Was hindert dich daran, ein Heiliger zu sein?“

 

6) Habt Vertrauen in Gott!

     Wenn man ihn um ein Gebet bat, sagte er in aller Ruhe: „Das Gebet der Heiligen sei mit dir. Nehmt eure Zuflucht zu Gott und er wird sich um eure Angelegenheiten kümmern“, dann ging er weiter. Besuchern, die ihn um seinen Segen und sein Gebet baten, kam er entgegen, ohne sie anzuschauen und sagte: „Bitten Sie den Herrn, dass er Sie so erhöre, wie es Ihrem Glauben entspricht.“

 

7) Sein Gebet heilte die Kranken

     Jedes Mal, wenn der Präfekt von Ehmej, Mr. Rachid Al-Khoury, krank wurde, rief er Père Charbel, damit er für seine Heilung bete, denn er glaubte an seine Heiligkeit wie es auch die Bewohner der Umgebung taten, die ihn um sein Gebet im Falle einer Krankheit oder bei einem Unglück baten. Seine Frömmigkeit übte einen großen Einfluss auf jedermann aus, denn er heilte die Kranken durch sein Gebet. Wenn jemand in Ehmej krank wurde, kamen die Bewohner gewöhnlich eilends zu Père Charbel gelaufen, um Weihwasser zu holen. Viele baten ihn um sein Gebet, das in Krankheiten und bei Unglücksfällen half. Wenn die Kranken nicht selbst zur Einsiedelei kommen konnten, besorgten sie sich das von ihm geweihte Wasser und wurden von ihren Krankheiten geheilt. Wer sich damit benetzte oder dieses Wasser trank, wurde wieder gesund.

 

 

X: Seine Leidenschaft für das Beten

 

I: Darstellung

 

1) In vertraulichem Gespräch mit dem Geliebten

     Mit Konsequenz war er immer vor den Mitbrüdern in der Kirche, um sie als letzter nach allen anderen wieder zu verlassen. Deshalb ging er, wenn er aufwachte, direkt zur Kirche, wo er etwa fünf Stunden lang blieb. Er kniete dort nieder, bis seine Knie steif wurden, in ganz aufrechter Haltung, ohne müde zu werden und ohne sich aufzustützen, ohne nach links oder rechts zu schauen. „Ich, Frère Élias Mahrini, habe ihn in der Kirche nie sitzen sehen.“ Er nahm an allen Gebeten rings um das Lesepult teil und machte wiederholt seine Kniebeugen. Ich kann mich nicht entsinnen, dass er jemals das gemeinsame Gebet um das Pult versäumt hätte, es sei denn, er habe den Auftrag für irgendeine Tätigkeit bekommen. Über das Offizium hinaus, meditierte er im Geiste und beendete seine Meditationen, wenn es Zeit war. Seine Stoßgebete trug er drei Stunden lang täglich vor Gott, die eine Hälfte am Tag, die andere Hälfte in der Nacht. Er rezitierte sein Offizium Wort für Wort. Was das Chorgebet angeht, so betete er es im vollständigen Brevier nach Aussage seines Gefährten so sorgsam, als stünde er vor einem König und ganz in Ekstase. Tagsüber hat man ihn nie sitzend sein Offizium  beten sehen, immer nur kniend und mit Inbrunst betend. Wenn er auf den Feldern arbeitete, betete er auf den Knien und stützte sich dabei auf die Fersen, das Brevier vor sich liegend und die Arme gekreuzt.

Er versäumte nie das Mitternachtsoffizium, das er mit seinem Gefährten abschloss. Er erweiterte die Vigilien durch zusätzliches Beten. „Als Ministrant oder später als Mitbruder sah ich, Père Ighnatios Mechmech, ihn viele Male aufrecht kniend in der Kirche beten.“ Sein Gebet erstreckte sich über einen Großteil der Nacht, wie es die Eremitenregel vorsieht. Danach ruhte er sich manchmal eine Stunde lang aus, um dann seine Meditation, Gebet und Schriftlesung wieder aufzugreifen. Er hatte alle seine Kräfte so verfeinert, dass er ein intimer Freund Gottes und ein Vertrauter der Engel geworden ist, so dass er den größten Teil der Nacht im Gebet verbrachte. Gewöhnlich mussten die Mönche zum Mitternachtsoffizium aufstehen, um sich danach wieder zum Schlafen zu legen, während andere wie Père Nehemtallah Al-Hardini und Père Charbel nicht mehr zu Bett gingen, sondern ihre Zeit bis zur Messfeier mit Beten verbrachten. Dann gingen sie anderen Beschäftigungen nach, um sich später dann zur Arbeit zu begeben. So war sein ganzes Leben ein Leben in Versenkung, Gebet und Liturgie. All dies tat er mit Eifer und nicht routinemäßig, sondern aus inniger Liebe zu Gott, so dass er in seinen Gedanken und im Herzen immer mit Gott verbunden war, so lebendig war er in seinem Verstand, in seinem Beten, in seiner Arbeit, beim Essen wie beim Schlafen. Kurzum, er lebte nicht für sich selbst, sondern für Gott. Deshalb sprach er nicht mehr über irdische Dinge und ließ sich nur auf geistliche Gespräche ein. Er verbrachte sein ganzes Klosterleben so, als würde er ständig Exerzitien machen. Er sah zwar wie ein Mensch aus, bewegte sich aber von allem Irdischen losgelöst wie im Himmel.

 

2) Er war in das Geheimnis der Liebe verliebt.

     Wer eine Sache oder einen Menschen liebt, denkt an sie, spricht oft von ihnen und von dem, was sie tun und er sucht ihre ständige Nähe. So war es auch mit Père Charbel. Er war immer schweigsam, sein ganzes Denken auf Gott, seinen Geliebten gerichtet. Nur selten hörte man von ihm Sätze ohne den Namen Gottes. Jeden Augenblick nutzte er, um sich in der Kirche aufzuhalten, um so Anteil am Geheimnis der göttlichen Liebe zu haben. In seinem Herzen gab es nur Platz für Gott. Die anderen Einsiedler übertraf er in nächtlichen Anbetungen vor dem Allerheiligsten. „Ich, Père Youssef Ehmej, sah ihn recht oft voller Demut und Sammlung vor dem Allerheiligsten knien.“ Er war dann ganz in Meditation versunken und blickte stundenlang starr wie eine Statue vor sich hin, ohne sich zu regen, den Blick immer auf das Allerheiligste ausgerichtet. Die längste Zeit seiner Nachtwachen verbrachte er in der Kirche, um vor dem Allerheiligsten zu beten. Wenn man Père Charbel suchte, so fand man ihn in der Kirche vor dem Allerheiligsten in der Haltung der Ekstase kniend.

Sobald die Mitternachtsglocke läutete, erhob er sich und ging als erster zur Kirche, um sie als letzter wieder zu verlassen. Er blieb dort vor dem Allerheiligsten bis zum Morgengrauen knien. Man konnte unaufhörlich seine Seufzer der Sehnsucht vernehmen, sein summendes Beten, das sich in Gesichtszügen abzeichnete, die Felsen hätten erweichen können und die dem Betrachter andächtige Sammlung und Respekt einflössten. „Vor dem Allerheiligsten erhebt sich das Herz aus Liebe zu Gott, und wir beginnen, vollkommene Reue gegenüber unseren Sünden zu empfinden. Wir haben nur den einen Willen, den Deinen, O Jesus“, liest man in den Novizenregeln.

 

„Mein Himmel ist in der kleinen Hostie verborgen,

in der Jesus, mein Gatte, sich aus Liebe verhüllt.

In diesem göttlichen Herd werde ich Leben schöpfen,

dort, wo mich mein lieblicher Retter Tag und Nacht hört.“

 

3) Geliebter Rosenkranz

     Seit seiner Kindheit betete Youssef den Rosenkranz. Im Orden dann setzte er sein Beten im Auf und Ab der Arbeit auf den Feldern fort. Den Blick hielt er dabei gesenkt. Jeder wusste, dass Père Charbel höchste Freude nur für die Stundengebete in der Kirche empfand und jeder kannte sein beharrliches Rosenkranzgebet nach Mitternacht.

„Manchmal nahm ich, Père Youssef Hasrouni, auf seine Bitte hin am Rosenkranz und am Gebet vor dem Allerheiligsten teil. Dabei kniete er regungslos, kerzengerade, seine Hände vor der Brust gekreuzt, unter seinen Füßen ein Weidengeflecht, das er selbst gefertigt hatte. In dieser Haltung verharrte während der ganzen Dauer des Rosenkranzgebetes, dem sich nahtlos das Gebet vor dem Allerheiligsten anschloss. Er war der Verehrung des Altarsakramentes und der Jungfrau Maria zutiefst ergeben.“ Père Ighnatios Mechmech teilte gleichfalls mit ihm das Rosenkranzgebet.

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Das Gewand Unserer Lieben Frau vom Berg Karmel als Reliquie

„Einmal teilte Père Charbel mir, Schwester Moujahida Al Khayassi, seinen Wunsch mit, ihm ein dreieckiges Skapulier mit dem Bildnis Unserer Lieben Frau vom Berg Karmel, der Unbefleckten Empfängnis und des Leidens Christi, zu schicken, damit er es an seinem Hals tragen könne. Ich habe es ihm anfertigen und über einen Mann aus Aarabat Qozhaya, der am Kloster Saint-Maron in Annaya vorbeikam, zukommen lassen. Zuvor hatte ich ihn darum gebeten, er solle doch Père Charbel nach den Namen von drei Verwandten aus Bqaakafra fragen und sie mir nach seiner Rückkehr nennen. So wollte ich mich vergewissern, dass das Skapulier auch wirklich beim Empfänger angekommen war. Ich drückte dem Boten meinen Wunsch aus, mir von Père Charbel den Segen oder eine Reliquie mitzubringen. Von der Reise zurückgekehrt gab mir der Mann ein kleines Stück Papier, das in ein Kuvert eingewickelt war und sagte mir: „Außer diesem Papier hat der Einsiedler für Sie nichts mitgegeben.“ Ich öffnete es und fand darin einige von ihm selbst geschriebene Worte: „Père Charbel, Einsiedler in Saint Maron, Annaya, Mönch aus  Qozhaya, an die Person, die um einen Segen oder um eine Reliquie bittet. Möge der Segen der Heiligen Petrus und Paulus auf Sie herabkommen.“ Das war alles, was er mir geschickt hatte, und doch war ich sehr froh über dieses Papier, das die Handschrift des Einsiedlers trug. Die Worte waren auf arabisch und nicht gerade schön geschrieben. Meine damalige Oberin, Mutter Zéarah aus Ghosta, riet mir, das Papier gut aufzubewahren und sagte mir: „Dieses Papier, das die Handschrift des Einsiedlers trägt, ist eine Reliquie. Heb sie gut auf!“ Ich rollte das Papier in einen kleinen Stoff, nähte es ein und hängte es an meinen Hals. Später dann habe ich es meiner Schwester kurz vor ihrer Reise nach Amerika geschenkt, damit es sie vor den Gefahren der Reise schütze.“

Ein anderes Mal habe ich über einen Bewohner des oben erwähnten Dorfes, der am Kloster von Annaya vorbeikam, Père Charbel etwa zehn Halsskapuliere mit dem Gewand Unserer lieben Frau und andere aus Qozhaya zugesandt. Dies geschah auf meine Initiative hin. Dann bat ich den Mann, er solle mir eine Flasche Weihwasser vom Einsiedler mitbringen. Von der Reise zurückgekehrt sagte mir die betreffende Person: „Ich habe die zehn Stoffmedaillons überbracht, und hier ist das von ihm geweihte Wasser. Ich nahm es, trat in mein Zimmer, entkorkte die Flasche, um mich damit zu benetzen, weil ich an Rheuma litt. Bevor ich dies tat, kam mir der Gedanke, der Bote habe dem Einsiedler die Skapuliere doch nicht übergeben, und auch die Flasche käme nicht von ihm. Mir war, als sei mir dieser Zweifel eingegeben worden. Eines Tages kam die Mutter des Boten zum Kloster von Al-Qarn. Ich fragte sie argwöhnisch: „Dein Sohn hat die Skapuliere dem Einsiedler gar nicht gegeben, sondern sie für sich behalten und die Flasche an der Quelle von Al-Fouskaïn in Al Aaraba gefüllt.“ Sie gab mir zur Antwort: „Das stimmt. Er hat sie nach Amerika mitgenommen. Er wird ihnen den Preis dafür und für die Flasche zurückzahlen.“ Da sagte ich mir: „Es muss Père Charbel gewesen sein, der mir diese Idee eingegeben hat, ohne dass ich vorher durch einen anderen darüber informiert worden war.“

 

2) Ich bin es! (Mk  6,50)

     „Bevor ich, Père Ighnatios Mechmech, Mönch in diesem Konvent wurde, war ich oft Ministrant und Sakristan. Eines Nachts betrat ich zur Mitternachtszeit die Kirche, um zu überprüfen, ob das ewige Licht noch brenne. Es war erloschen. So tastete ich mich in der Dunkelheit voran, um es wieder zu entzünden. Ich stieß gegen jemanden und bekam Angst. Er aber sagte mir: „Hab keine Angst. Ich bin es!" Ich erkannte ihn an seiner Stimme: Es war Père Charbel, der in der Kirche kniete, um zur Mitternachtszeit zu meditieren.“

 

3) Was nur geschieht in seiner Nähe?!

     „Er war immer, vornehmlich aber während der Eucharistiefeier, in seine geistigen Meditationen versunken und nachdenklich wie in den Himmel eingetaucht. Wer ihn so sah, wurde sich bewusst, dass alle seine Gefühle, sein ganzer Leib, alle seine Vorstellungen in Gott ruhten und dass er deshalb alles vernachlässigte, was irdisch war. Weil seine Gedanken so sehr auf Gott ausgerichtet waren, vergaß er sich selbst, als ob er auf dieser Welt nicht mehr existierte. Er wahrte immer das Schweigen und die unendliche Stille, so dass er nicht wahrnahm, was um ihn geschah. Die Frage, die er mir während der Arbeit im Weinberg stellte, ist ein beredtes Zeugnis dafür: „Wie viele Paar Ochsen pflügen gerade den Weinberg um?“ so fragte er mich. Ich gab ihm zur Antwort: „Drei. Du arbeitest nun den ganzen Tag über mit uns und merkst nicht, wie viele Ochsen diesen Acker umpflügen?“ Daraufhin schwieg er.“

 

4) Gemeinsam mit den Engeln wandte er sich an Gott.

     „Ich beobachtete ihn, während er betete: Er war wie außer sich und ekstatisch in Gott, ohne Empfindung für das, was um ihn durch Personen oder durch Dinge geschah. Er wollte nicht wahrhaben, dass es jemanden gab, der ihn beim Beten begleitete. Wenn ich antworten sollte, und mein Gebet dann mit leiser Stimme fortsetzte, betete er alleine weiter. Ich stellte ihn mir schon im Himmel vor, wie er sich mit Gott Vater von Angesicht zu Angesicht, von Mund zu Ohr, von Herz zu Herz unterhielt, als ob sein Leib nicht mehr auf dieser Erde weilte. Seine Seele hingegen, von ihr hatte ich den Eindruck, dass sie mit den Engeln verschmolzen sei und dass sie gemeinsam mit ihnen das Lob zur Ehre Gottes erklingen lasse.“

 

5) Heilige Woche

    Wenn ihn der Obere oder der für die Vorräte Verantwortliche fürs Brotbacken zu Hilfe riefen, beeilte er sich und verrichtete in aller Stille seine Arbeit. So geschah es auch, wenn man ihn anwies, am gemeinsamen Stundengebet teilzunehmen; denn er hatte eine gute Aussprache und las flüssig.

 

 

6) Beruhige dich! Füge dich ganz in Gottes Willen!

     „Eines Tages, als mein Sohn Gerges ernsthaft erkrankt war, ging ich, Youssef Abboud, zur Einsiedelei und bat Père Charbel darum, mir Weihwasser zu geben. Er sagte mir: „Nimm jetzt Platz und lass Gott handeln!“ Ich wiederholte meine Bitte, und er erwiderte: „Beruhige dich! Füge dich ganz in Gottes Willen, er wird es dir vergelten!“. Das Weihwasser aber gab er mir nicht. Ich ging traurig wieder von dannen und war erstaunt, dass er mir das Weihwasser entgegen seiner Gewohnheit nicht gegeben hatte. Als ich mich meinem Dorf näherte, hörte ich Schreie und Wehklagen aus meinem Haus dringen. Da begriff ich, dass mein Sohn in diesem Augenblick verstorben war. Ich erinnerte mich an die Worte von Père Charbel: „Nimm jetzt Platz und lass Gott handeln.“ Ich verstand jetzt, warum er sich geweigert hatte, mir das Weihwasser zu geben. Mir war, als habe der Heilige Geist ihm die Nachricht über den Tod meines Sohnes eingegeben und er wollte es mir nur nicht sagen.“

 

7) Das ist nicht mehr nötig.

     „Mein Bruder Gerges war ernsthaft an der Schilddrüse erkrankt, und die Ärzte hatten jegliche Heilung durch Medikamente aufgegeben. Mein Großvater Mikhaël Boutros Ramia wollte um das Gebet des Einsiedlers ersuchen, denn er glaubte daran, dass er wirklich heilen könne. Deshalb gab er mir, Youssef Khalifé, einen ottomanischen Piaster, den ich dem Einsiedler mit der Bitte übergeben solle, eine heilige Messe für meinen Bruder zu lesen. Ich nahm das Geld, ging zur Einsiedelei, wo ich Père Charbel in der Kirche auf den Knien betend vorfand. Ich sagte ihm: „Mein Großvater schickt mich zu Ihnen, um Ihnen diesen Piaster für eine heilige Messe zur Heilung meines Bruders zu geben.“ Er erwiderte: „Das ist nicht mehr nötig, gib das Geld meinem Gefährten.“ Ich legte es vor ihn auf den Boden. Dann ging ich wieder weg. Als ich am Dorf ankam, hörte ich aus dem Haus Weinen und Wehklagen. Mein Bruder war bereits verschieden.“

 

8) Gott möge es dir vergelten!

     Tannous Moussa erzählt: „Mein ältester Sohn Tanios war im Alter von eineinhalb Jahren plötzlich erkrankt. Mein Bruder Boutros ging zur Einsiedelei, um sich beim Einsiedler Weihwasser zu holen. Als er ihn darum bat, antwortete er: „Gott möge es dir vergelten!“ Noch bevor mein Bruder wieder nach Hause kam, war der Kleine verstorben.“

 

 

Y: Charbels Gottvertrauen

 

I: Darstellung

     Charbels Gottvertrauen spiegelt sich in der Feier der Heiligen Messe. Es las sie so, als sehe er Christus hinter allen äußeren Formen vor sich und als ob sein Gebet von Herz zu Herz geschehe. Er las die heilige Messe achtsam, andächtig und mit äußerster Ehrfurcht, als ob er vor Gott stehe. Er vergoss viele, viele Tränen während der heiligen Messe, für die er sich lange durch Meditation und Gebet, aufrecht vor dem Allerheiligsten kniend, vorbereitete. Wie lange dauerten doch bei ihm die Vorbereitung und die Danksagung danach! Wenn er die Konsekrationsworte und das Oremus sprach, sammelte er sich in seiner Tiefe, und das ganze Gesicht strahlte Andacht aus. Er erschien in sauberem Habit, wenn er die heilige Messe lesen wollte, ein untrügliches Zeichen für seinen Glauben an die Menschwerdung des Sohnes Gottes und für sein Hinabsteigen auf den Altar. Nur vor der heiligen Messe wusch er sich die Hände.

Sein Glaube zeigte sich im immerwährenden Beten, in der zeitlichen Dauer seiner Meditationen, im sorgfältigen Vortragen des Stundengebetes, das er Wort für Wort mit leiser und zarter Stimme sprach. Die meiste Zeit verbrachte er also mit Beten und Meditieren. Wenn keine körperliche Arbeit anstand, hielt er sich in der Kirche auf, um in Gott und über Seine Vollkommenheit zu meditieren. Er war so innig gesammelt, dass er eine gewisse Zeit brauchte, um in die Wirklichkeit zurückzukehren und seinem Gesprächspartner zuhören zu können. Ich sagte mir: „Das ist ein Engel, aber kein menschliches Wesen.“ Wenn er sich auf ein geistliches Gespräch einließ, entflammte er vor Eifer und sprach aus vollem Herzen und in Begeisterung über seinen Glauben. Nie in seinem Leben zeigte er Anzeichen von Langeweile, Resignation oder Müdigkeit, wenn es um Gespräche über geistliche Dinge ging, vielmehr lebte er darin auf, als verkoste er Dinge, nach denen sich sein Herz sehnte.“

Sein Gehorsam gegenüber dem Oberen oder seinem Stellvertreter zeigte sich ganz offenkundig darin, dass er in seinem Oberen Gott sah und dass er in dessen Stimme Gott vernahm. Er hatte eine sehr hohe Achtung gegenüber seinen Oberen, ohne darüber nachzudenken, ob sie dessen würdig waren oder nicht.

Auch in seinem Verhalten bei der Arbeit zeigte sich sein Gottvertrauen. Sein Verhalten beim Beten und während seiner Messfeier war dasselbe. Er tat nichts aus eigenem Antrieb, denn er glaubte fest daran, dass nur die Stimme der Vorgesetzten auch die lebendige Stimme Gottes sei. Dieser Gehorsam hat seinen Grund in einem lebendigen Glauben, der in all seinen Bewegungen transparent wurde: In der heiligen Messe, beim Beten, Essen und Schlafen. All sein Tun zeigte ein klares und lebendiges Profil und zeugte von der Echtheit seiner Glaubensfreude. Alle die ihn kannten und ihn beim Feiern der heiligen Messe oder beim Stundengebet beobachteten, waren beim Verlassen der Kirche zutiefst von seiner andächtigen Sammlung berührt. Denn sie sahen, wie sein Gesicht von himmlischem Glanz erstrahlte und fromme andächtige Züge annahm. Dies war das deutlichste Anzeichen für die Größe seines Glaubens an Gott. Auch sein Glaube strahlt in seinen Werken auf. Dieser Glaube prägte seine Gottesverehrung, wenn er auf einem Weidengeflecht stundenlang aufrecht und leblos wie ein Stein niedergekniet war.

Gott hat ihn angesichts seines lebendigen und tiefen Glaubens mit der Gabe jenseitigen Wissens begnadet, was sich an vielen Ereignissen nachweisen lässt. Folglich war er selbst wie eine leidenschaftlich brennende Flamme. Jeder, der Père Charbel besuchte, konnte erfahren, dass er mehr in der Welt des Glaubens als im Körper lebte. Das Leben draußen interessierte ihn nicht mehr. Sein ganzes Wesen, seine Gedanken, Gefühle und Herzschläge - alles war schon ganz auf das Jenseits ausgerichtet. Er kasteite seinen Leib mit äußerster Strenge. Er verzichtete auf den Anblick aller Schönheiten dieser Welt. Sein Innerstes war allein auf die Meditation ausgerichtet. Wenn man ihn während der heiligen Messe und während seiner Gebete beobachtete, konnte man an seinem Gesicht ablesen, wie tief sein Glaube in seinem Herzen verwurzelt war.

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Ein Blitz

     Eines Tages kniete Père Charbel aufrecht in der Kirche und war ins Gebet vor dem Allerheiligsten vertieft, als ein heftiger Blitz auf die Einsiedelei hernieder fuhr und ein neues silbern besticktes Messgewand, das auf dem Altar lag, entflammte. Der Blitz fuhr durch die Mitte der Kirche, dann an ihm vorbei und steckte sein Gewand an den Rändern in Brand, ohne ihm zu schaden. Die Mönche des Konvents eilten zur Einsiedelei, um zu sehen, was los sei. Sie fanden, dass der Blitz auf der Südseite eingeschlagen und die Stützmauern der Weinbergsparzelle zerstört hatte. Dann bemächtigte er sich der Kirche, brannte die Altardecken mit den darüber liegenden Messgewändern an, schleuderte den Kelch an einen anderen Ort, beschädigte die Bilder, öffnete die Türen und verbreitete einen Geruch, dass es den beiden Begleitern von Père Charbel in der Küche schwindlig wurde und sie fast ohnmächtig wurden. Sie gingen dann wieder zurück, um sich am Feuer zu wärmen und als sie zu sich gekommen waren, glaubten sie, Père Charbel habe den Tod gefunden. Sie stürzten sich in die Kirche, wo er gerade betete, so, als ob nichts geschehen sei. Da sagte ihm der Obere: „Père Charbel, hättest du nicht zumindest das Feuer an den Tischdecken und Messgewändern löschen können?!“ Er erwiderte ihm: „Mein Bruder, was hätte ich löschen sollen?! Wie es begonnen hat, so hat es auch ein Ende gefunden.“ Das Ganze hatte sich blitzschnell abgespielt. Da er nichts hatte tun können, setzte er sein Gebet fort.

 

2) Die vom Tod verschonten Seidenraupen

     „Zur Zeit meiner Leitung des Klosters Saint-Serges in Qartaba setzte acht Jahre lang die Trockenheit den Seidenraupen so heftig zu, dass sie nach der vierten Phase und neun Tagen dahin starben. Ich, Père Antonios Nehmeh, habe dann einen der Mönche zum Einsiedler Père Charbel in die Einsiedelei von Annaya geschickt, um mir von ihm Weihwasser bringen zu lassen. Nach seiner Rückkehr haben wir die Raupen mit Weihwasser besprengt und die Seidenraupen erholten sich. So konnte die Ernte während meiner ganzen dreijährigen Amtszeit und auch in den folgenden Jahren gerettet werden.“

 

 

 

3) Meine Ernte war in diesem Jahr reichlich.

     „Einmal wurden meine Seidenraupen von einer Seuche befallen, weil die Maulbeerfeigenblätter erkrankt waren. Die Raupen wurden gelb und fielen über die Kistenränder auf die Erde. Ich eilte zur Einsiedelei, brachte von dort das von Père Charbel geweihte Wasser mit und besprengte damit die Raupen, die sich sofort erholten, in ihre Kisten zurückkrochen und wieder zu fressen begannen. Ich, Youssef Abboud hörte, dass sie wie zuvor fraßen. In diesem Jahr hatte ich dank Père Charbel eine reichliche Ernte.“

 

4) Sprich nicht mehr davon! (Mk 1,44)

     Saba Ghostine Obeid aus Ehmej erzählte Youssef Abboud, dass sich in einem Jahr die Mäuse in seinem Haus stark vermehrt hatten und sich an seiner Seidenraupenzucht zu schaffen machten, sie fast vernichteten. Er brachte Weihwasser von Père Charbel und besprengte damit die Seidenraupen. Am folgenden Tag kam er zu den Kisten und sah, dass die Mäuse tot waren. Daraufhin ging jemand zu Père Charbel, um ihm die Neuigkeit mitzuteilen. Er aber sagte ihm nur: „Sprich nicht mehr davon.“

 

5) Als ob er sich an eine sehr bedeutende Persönlichkeit richtete

     Frère Élias Mahrini erzählt: „Ich sah ihn, wie er kniend sein Stundengebet verrichtete, das er auch recht oft im Chor mit der ganzen Gemeinschaft um das Lesepult stehend betete. Wenn er alleine in der Kirche war, stellte er sich vor das Lesepult und rezitierte dort laut das Stundengebet, wobei er die Worte sorgfältig und klar artikulierte, als ob er sich an eine sehr bedeutende Persönlichkeit richtete, die man mit bloßem Auge sehen konnte. Dabei bewegte er sich langsam, ohne nach rechts oder links zu schauen. Man hörte einen andächtigen und ehrfürchtigen Summton.“ Sein Stundengebet verrichtete er aus dem Brevier, wenn sein Begleiter ihm auftrug, es in der Gemeinschaft zu beten. Er rezitierte mit großer Sorgfalt, als spreche er vor einem überaus bedeutsamen König. Glaube, Andacht und Frömmigkeit waren ihm in Fleisch und Blut übergegangen.

 

6) Die Mauleselin des Klosters

    Einmal hatte die Mauleselin seines Klosters eine Kolik. Sie stürzte mit weit aufgerissenen Augen zu Boden als wolle sie sterben. Die Mönche und der Maultiertreiber versuchten vergeblich, das Tier zu behandeln und zu retten. Schließlich riefen sie Père Charbel, der sich neben den Kopf des Tieres stellte und betete. Kaum hatte er sein Gebet beendet, da sprang das Tier auf und stellte sich aufrecht hin.

 

7) Er vertreibt die Heuschrecken.

     „Ich, Père Youssef, erinnere mich, dass, als ich 12 Jahre alt war, die Heuschrecken unser Land überfielen, unter anderem auch mein Dorf, Ehmej. Der Präfekt der Region zu jener Zeit war Mr. Rachid Al-Khoury. Er ging zum Oberen des Klosters Saint-Maron in Annaya und bat ihn, Père Charbel nach Ehmej zu schicken, damit er die Heuschrecken mit seinem Segen vertreibe. Der Einsiedler kam der Bitte nach. Die Einwohner hatten inzwischen ihre Wasserkrüge gefüllt. Père Charbel segnete in meiner Anwesenheit das herbeigetragene Wasser, und die Einwohner besprengten damit ihre Weinberge und Felder. Da hörten die Heuschrecken auf, diese Gebiete kahl zu fressen. Dies habe ich mit meinen eigenen Augen gesehen.“

 

8) Bin ich Gott, dass ich den Tod verhindern könnte?

     Ein Mann aus der Familie von Abbé Jean Andari, mit Namen Chmouty aus Batroun, besaß eine Herde Schafe, die vom Gelbfieber, einer todbringenden Seuche, befallen war, so dass er den größten Teil seiner Schafe verloren hatte. Er hatte vom Ruf Père Charbels gehört, kam zu ihm und bat ihn um das Weihwasser. Als er Père Charbel von der Erkrankung der Schafe berichtete, antwortete er ihm: „Bin ich Gott, dass ich den Tod verhindern könnte?“ Der Mann wandte ihm den Rücken zu, um wegzugehen. Da sagte ihm der Einsiedler: „Hast du ein Wassergefäß?“ Dann segnete er das Wasser, mit dem der Mann die Herde besprengte, die in der Folge wieder gesund wurde. Später dann waren es seine Seidenraupen, die immer mehr dezimiert wurden. Er kehrte zu Père Charbel zurück, nahm das Weihwasser und besprengte damit seine Raupen. Danach fand er neben seinen Raupen Insekten, Mäuse, Igel und eine große Schlange liegen, die allesamt tot waren.

 

9) Die Arche Noah (Joh 17,15)

    Père Youssef Ehmej berichtet: „Alle Bewohner meines Dorfes Ehmej und die Schiiten von Almat, unsere Nachbarn, erzählten, dass in einem Jahr die Heuschrecken in großer Anzahl über die Gegend einfielen und alles kahl fraßen. Der Obere des Klosters Père Élias aus Mechmech bat Père Charbel, die Grundstücksgrenzen des Klosters mit Weihwasser zu besprengen, um die Heuschrecken am Eindringen zu hindern. Père Charbel gehorchte, nur hatte er dabei das Grundstück übersehen, das zwischen schiitischen Äckern lag. Die Heuschrecken überfielen die Gegend und fraßen alles ab, Grünes wie Trockenes. Nur die Güter des Klosters blieben verschont, bis auf das erwähnte Grundstück, das kahl gefressen wurde.“ Alle, auch die Schiiten, erzählten sich immer wieder dieses Ereignis. Denn sie waren erstaunt, dass alle Ebenen, Gipfel und Hügel gänzlich kahl waren, während die Grundstücke des Klosters grün blieben und keinen Schaden erlitten hatten, gleich der Arche Noah, die sich auf einer verwüsteten Erde bewegt.

 

10) Der Weinberg, der zu den Gütern der Pfarrei von Ehmej gehörte (Joh 15,15)

  Saba Ouwaini erzählt: „Als vor über 30 Jahren die Heuschrecken über das Land herfielen, schickte mein Vater meinen Bruder Boutros zu Père Charbel, er solle doch kommen, das Wasser weihen, um damit den Weinberg der Kirche, der ihm übertragen war, zu besprengen. Ich entsinne mich nicht mehr der Einzelheiten. Mein Bruder kennt sie besser als ich. Was ich aber weiß, ist die Tatsache, dass der Weinberg und die besprengte Aussaat vom Schaden durch Heuschrecken, die in diesem Jahr alles abgefressen hatten, verschont geblieben waren. Die Einwohner von Ehmej besuchten diesen Weinberg, auch Père Élias aus Mechmech, der Obere des Klosters, dessen Gehilfe ich war.“

 

11) Das Vermögen der Heiligen

     Saba Ouwaini fügte noch an: „Zur Zeit meines Noviziates las ich Biographien von Heiligen, insbesondere das Buch über die christliche Vollkommenheit des Jesuitenpaters Rodrigues. Ich zweifelte damals an einigen Tatsachen und Tugenden, die er den Einsiedlern und Heiligen zuschrieb; denn ich glaubte, es seien Übertreibungen, und solche Dinge würden menschliches Vermögen übersteigen. Aber durch die Besuche bei Père Charbel und die persönlichen Erfahrungen seines tugendhaften Lebens aus nächster Nähe, wurde ich mir gewiss, dass Gottes Gnade in den Seelen Wunder wirkt und dass alles, was in den Heiligenviten gesagt und geschrieben ist, hinter dem zurückbleibt, was ich mit meinen eigenen Augen von dieser gewaltigen Persönlichkeit, nämlich Père Charbel, gesehen habe. Er war ein Gigant in seiner Strenge und in der Abtötung seiner selbst.“

 

 

Z: Charbels Messfeier als der Höhepunkt seiner Gottesliebe

 

I: Darstellung

 

1) Im Kloster

     In den Novizenregeln kann man lesen: „Der Priester ist bei der heiligen Messe der Stellvertreter Christi. Die Opfergabe ist gewiss Leib und Blut Jesu Christi. Während der heiligen Messe gibt es drei Weisen der Anbetung – die Betrachtung der Passion Jesu Christi, das Gott-Vater dargebrachte Opfer und die geistliche Kommunion. Die Kommunion selbst gliedert sich in sechs Teile: das einfache Schuldbekenntnis, - das Glaubensbekenntnis, - „Ich hoffe, dass alle Sünden dieser Welt durch einen Tropfen deines Blutes gereinigt werden“, - „Ich liebe dich“, - das Gebet: „O Herr, ich bin nicht würdig“, - schließlich die Danksagung.“

Nach den Messopfern der Mitbrüder und Patres, an denen er selbst auch teilnahm, las er seine eigene heilige Messe. „Ich, Boutros Moussa, habe oft bei ihm ministriert, bald am Sankt-Georgsaltar auf der Südseite, bald am Marienaltar auf der Nordseite und manchmal auch am Hochaltar, wenn der Obere ihn dazu anwies. Er las die heilige Messe mit Ehrfurcht und Andacht. Er führte drei schwarze Taschentücher mit sich, die er an eine Kerze auf der rechten Altarseite hängte. Mit dem einen schnäuzte er sich, vor allem im Winter; nach dem Evangelium benutzte er das zweite, das dritte dann nach den Konsekrationsworten, wenn es nötig war. Seine Messe dauerte eine Stunde, manchmal etwas länger, wenn er sie in inniger Hingabe an den Allmächtigen feierte. Trotz der Länge und der sorgsamen Beachtung des Ablaufs der heiligen Messe langweilte sich niemand. Man verstand die Verkündigung des Evangeliums Wort für Wort, ohne dass er lauter sprechen musste.“ Einige immerhin entzogen sich dem Ministrantendienst bei ihm, weil die heilige Messe auf Grund der Sorgfalt, die er darauf verwandte, zu lange dauerte. Nach der Messe nahm er im Sommer wie im Winter seinen Platz hinter der Türe ein, kniete aufrecht etwa zwei Stunden lang auf dem Boden. Danach wusch er seine Taschentücher, bevor er zur Feldarbeit ging.“

 

2) In der Einsiedelei

     „Ich, Boutros Moussa, kam zur Einsiedelei, um an der heiligen Messe teilzunehmen und manchmal auch, um bei ihm zu ministrieren. Im Kloster wie auch in der Einsiedelei war die Messe bis in alle Einzelheiten hinein dieselbe, sonntags wie werktags. Sie wurde in größter Andacht mit einer großen Schar von Gläubigen gefeiert, die mit seinem Segen wieder weiter zogen. Ich sah ihn nach dem göttlichen Offizium ganz in der Nähe der Türe knien. Im Winter schob er ein Weidengeflecht unter seine Knie, um sich gegen die Feuchtigkeit zu schützen. Im Sommer kniete er auf nacktem Boden. Ich verließ die Kirche, während er weiterhin aufrecht knien blieb und in die Danksagung versunken war.“ „Wenn ich, David David, ihm bei der heiligen Messe ministrierte, konnte ich seine ruhigen Gesten beobachten, seine leise Stimme, seine Präsenz und die Ehrfurcht, die er ausstrahlte. An den Sonn- und Feiertagen las er die heilige Messe um 10 Uhr. An den Werktagen früh am Morgen. Nach der Messe ging ich zur Arbeit, und er begab sich nach der Danksagung in den Weinberg. Ich konnte nie in Erfahrung bringen, wie lange seine Danksagung dauerte, aber ich kann bezeugen, dass sein ganzes Leben eine einzige Vorbereitung auf die heilige Messe und ein Akt der Danksagung war.“ Dabei war er wie ein Ekstatiker ganz in Meditation versunken.

 

3) Von Angesicht zu Angesicht

     Während seiner geistlichen Übungen war er immer in Ekstase, besonders bei der Anrufung des heiligen Geistes, bei der Kommunion und beim Heben der eucharistischen Zeichen, insofern er tief in die Meditation und ins Gebet zum barmherzigen Gott versunken war und dann unempfindlich gegen jegliche Bewegung oder Lärm um ihn herum wurde. Nach den Konsekrationsworten schaute er das Allerheiligste mit tiefer innerer Bewegung an und verweilte vor ihm in ehrfürchtiger Andacht, als ob er Gottes Glorie von Angesicht zu Angesicht schaute. Es war, als betrachte er mit bloßem Auge den Mensch gewordenen und verborgenen Gott, gerade so als wende er sich an eine äußerst bedeutsame Person, die er mit eigenen Augen vor sich sah. Er verweilte in der Betrachtung Gottes und war mitgerissen von seinem Geist, als ob er mit seinen Augen den Sohn Gottes persönlich schaute, vor allem dann, wenn er das Allerheiligste hob und dabei sagte: „Vater der Wahrheit“. So schien er von Gottes Geist erhoben zu sein, als schaue er Gott von Angesicht zu Angesicht.

 

4) Seine Sauberkeit für die Messfeier

     Beim Zelebrieren achtete er auf Sauberkeit. Dafür hatte er einen eigenen Habit und passende Schuhe, die er speziell für die Messfeier bereit hielt und die er unmittelbar danach wieder auszog. So war es auch mit dem Handtuch und der Seife, deren Benutzung er sich bei anderen Gelegenheiten aus Achtung vor dem heiligen Dienst versagte. Er wusch sich nur die Lippen. Auch die Hände wusch er auf eine besondere Weise vor der heiligen Messe. Im Allgemeinen tauchte er seine Hände nie ganz ins Wasser. Auf die kultischen Gegenstände richtete er sein ganz besonderes Augenmerk.

 

 

II: Erzählungen und Ereignisse

 

1) Wie ein Magnet

     „Als ich, Marie Chamoun, noch ein junges Mädchen war, kam ich mit meinen Eltern aus Ehmej zur Einsiedelei, um an allen Sonn-und Feiertagen an der heiligen Messe teilzunehmen. Recht oft besuchten wir die heilige Messe von Père Charbel, den ich im Übrigen nur bei der Messe sah. Meine Familie erzählte mir, ein Bruder unserer Familie habe diese Einsiedelei gegründet, die uns auch besonders am Herzen lag; mehr noch, sie lag uns zutiefst am Herzen, weil sie uns an unseren Onkel erinnerte. Zudem verbrachten wir unsere Sommermonate in Ouwaïni, ganz in der Nähe der Einsiedelei. Im Dorf dort gab es allerdings keine Kirche. Zudem zog die Heiligkeit von Père Charbel die Seelen wie ein Magnet an. Deshalb war die Einsiedelei regelmäßig von zahlreichen Besuchern an Sonn- und Feiertagen bevölkert. Jeder, der an der heiligen Messe von Père Charbel teilnahm, wurde in seinem Innersten berührt und verließ die Kirche nur ungern. Vor allem dann, wenn er die Wandlungsworte sprach, fühlte man sich von der Andacht in seiner traurigen Stimme angerührt. (Denn er weinte vor Freude, dass er Christus in seinen Händen sah, und vor Schmerz, da er Christus zerschnitt, und aus Liebe, da er die Liebe des menschgewordenen Gottes zum sündigen Menschen fühlte.) Die Andacht, die Sorgfalt wie auch die Atmosphäre der Ehrfurcht bestimmten alle seine Bewegungen. Nach der Messe dann kniete er sich aufrecht wie eine Statue auf den nackten Boden. Wenn er die Versammlung inzensierte, schaute er niemanden an.“

 

2) Essen Sie eine Getreidesuppe?

     „Père Charbel war ein ehrfurchtsvoller Priester, der vor allem während seiner heiligen Messe auf die Gläubigen den Eindruck eines würdevollen und gesammelten Menschen machte. Sein Gefährte Père Makarios erzählte mir, Frère Boutros Jawad Mechmech, dass immer dann, wenn einer der Patres seine Messe in der Einsiedelei zu hastig las, Père Charbel sich an ihn wandte, um ihm am Ende der heiligen Messe zu sagen: „Warum beeilen Sie sich so? Essen Sie eine Gemüsesuppe?“ Er war ein Engel in Menschengestalt. Mir ist nicht zu Ohren gekommen, dass sein religiöses Leben im Kloster weniger heiligmäßig und weniger tugendhaft war als in der Einsiedelei.“

 

3) Kommuniziere!

     „Als ich, Elisée Nakad, mich zum ersten Mal im Alter von 15 Jahren zur Einsiedelei begab, um meine Mutter Wardé, die Père Charbel sehen wollte, zu begleiten, weigerte er sich, sie zu treffen. Als sie den Wunsch aussprach, seine Hände zu küssen, antwortete er aus dem Inneren der Kirche bei verschlossener Türe: „Kommuniziere bei der heiligen Messe und du wirst in deinem Mund und in deinem Herzen den Sohn Gottes persönlich empfangen können, und er wird dir genügen. Wozu meine Hand küssen, wenn der Sohn Gottes in dein Herz eingekehrt ist?!“ Als ich ihm bei der heiligen Messe ministrierte, schaute ich mir eineinhalb Stunden lang unaufhörlich den Einsiedler vor dem Altar knieend an. Dann gingen wir weiter und ließen ihn in der Kirche zurück, ohne dass meine Mutter seine Hände hätte küssen oder ihn von Angesicht zu Angesicht hätte sehen können.“

 

4) Tränen flossen über seine Wangen.

     „Seine Liebe brannte wie ein offenes Feuer. In der Nähe des Altars glich sein Inneres einem in Flammen stehenden Ofen. Seine Augen brannten und die Tränen flossen über seine Wangen, die Wangen waren gerötet, Seufzer drangen aus seiner Brust wie ein heißer Atem, als ob er Christus mit seinen eigenen Augen schaute. Ich, Père Simaan Ehmej, kann dies bezeugen, war ich doch mehrmals sein Ministrant. Wenn er die Wandlungsworte sprach:„Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut!“ sah ich zwei Mal, wie Tränen aus seinen Augen flossen. Einmal fiel eine Träne auf die Korporale. Nachdem er den Leib und das Blut Christi verkostet und seine Finger gewaschen hatte, sah er die Tränenspur und war verunsichert; denn er dachte, es sei ein Blutstropfen, der heruntergefallen sei.“ „Ich Saba Ouwaini, fragte ihn: „Was haben Sie? Es ist nichts anderes als die Spur einer Träne aus ihrem Auge nach den Konsekrationsworten. Meine Bemerkung konnte ihn nicht beruhigen. So trug er das Korporale zum Oberen und zeigte es ihm, um seine Seelenruhe wieder zu finden.“

 

5) Er biss mit seinen Zähnen auf den Kelch.

     Am Ende seines Lebens, hielt er, während er das Blut Christi trank, den Kelch lange in seinen Händen. In seinen Gebeten in der Kirche offenbarte er sich als ein Mensch, der mit Leidenschaft in die göttliche Liebe verliebt war. In der heiligen Messe zeigte sich dies besonders in den Tränen, die er vergoss. Wenn er das Blut Christi trank, biss er mit seinen Zähnen so heftig auf den Kelch, dass sie dort Druckstellen hinterließen.

 
 
 
 
 

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